1. Ein vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­ner Ge­braucht­wa­gen (hier: ein VW Golf mit Blu­e­Mo­ti­on-Tech­no­lo­gie), bei dem ei­ne „Schum­mel­soft­ware“ den Schad­stoff­aus­stoß nur dann re­du­ziert, so­bald das Fahr­zeug auf ei­nem Rol­len­prüf­stand ei­nem Emis­si­ons­test un­ter­zo­gen wird, ist man­gel­haft. Das gilt schon des­halb, weil das Kraft­fahrt-Bun­des­amt prü­fen muss, ob dem Fahr­zeug die Be­triebs­er­laub­nis ent­zo­gen wer­den muss, wenn die Fahr­zeug­her­stel­le­rin die Soft­ware nicht in­ner­halb ei­ner an­ge­mes­se­nen Frist ent­fernt.
  2. Zwar ist ei­ne Frist zur Nach­bes­se­rung ei­nes vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nen Fahr­zeugs von nur sechs Wo­chen un­an­ge­mes­sen kurz. Setzt der Käu­fer dem Ver­käu­fer ei­ne zu kur­ze Frist zur Nach­bes­se­rung, wird je­doch ei­ne an­ge­mes­se­ne Frist in Lauf ge­setzt, die nicht län­ger als zwölf Mo­na­te sein kann.

OLG Mün­chen, Be­schluss vom 23.03.2017 – 3 U 4316/16
(vor­an­ge­hend: LG Traun­stein, Ur­teil vom 10.10.2016 – 3 O 709/16)

Sach­ver­halt: Der Klä­ger er­warb von der be­klag­ten VW-Ver­trags­händ­le­rin ei­nen vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nen Ge­braucht­wa­gen. Er hielt die­ses Fahr­zeug für man­gel­haft und er­klär­te un­ter dem 11.12.2015 den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag, nach­dem die Be­klag­te den nach Auf­fas­sung des Klä­gers vor­lie­gen­den Man­gel nicht in­ner­halb ei­ner ihr hier­für ge­setz­ten Frist von rund sechs Wo­chen be­sei­tigt hat­te.

Das Land­ge­richt (LG Traun­stein, Urt. v. 10.10.2016 – 3 O 709/16) hat die im We­sent­li­chen auf Rück­zah­lung des um ei­ne Nut­zungs­ent­schä­di­gung ver­min­der­ten Kauf­prei­ses ge­rich­te­te Kla­ge ab­ge­wie­sen. Es hat of­fen­ge­las­sen, ob das Fahr­zeug des Klä­gers man­gel­haft ist, und sich auf den Stand­punkt ge­stellt, dass der Klä­ger der Be­klag­ten kei­ne an­ge­mes­se­ne, son­dern ei­ne zu kur­ze Frist zur Nach­bes­se­rung ge­setzt ha­be. Da die Fahr­zeug­her­stel­le­rin – in Ab­stim­mung mit dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt – be­reits an­ge­kün­digt ha­be, dass ei­ne Man­gel­be­sei­ti­gung in den nächs­ten Mo­na­ten er­fol­gen wer­de, sei dem Klä­ger ein Zu­war­ten je­den­falls bis En­de De­zem­ber 2016 zu­zu­mu­ten.

Der Klä­ger leg­te ge­gen die­ses Ur­teil Be­ru­fung ein, der die Be­klag­te ent­ge­gen­trat. Nach­dem das Be­ru­fungs­ge­richt ei­nen Ter­min zur münd­li­chen Ver­hand­lung auf den 22.03.2017 an­be­raumt hat­te, teil­te der Klä­ger mit Schrift­satz vom 14.03.2017 mit, dass zwar noch im­mer kei­ne Nach­bes­se­rung vor­ge­nom­men wor­den sei. Die Be­klag­te ha­be aber mit Schrei­ben vom 08.03.2017 an­ge­kün­digt, das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug zu­rück­zu­neh­men, die Fi­nan­zie­rung bei der B-Bank ab­zu­lö­sen und dem Klä­ger die bis­her ge­zahl­ten Fi­nan­zie­rungs­ra­ten in­klu­si­ve Zin­sen un­ter Ab­zug ei­ner Nut­zungs­ent­schä­di­gung von 2.000 € zu er­stat­ten.

Mit Blick auf die­se An­kün­di­gung hat der Klä­ger den Rechts­streit für er­le­digt er­klärt und be­an­tragt, der Be­klag­ten die Kos­ten des Ver­fah­rens auf­zu­er­le­gen. Die Be­klag­te hat sich der Er­le­di­gungs­er­klä­rung mit Schrift­satz vom 20.03.2017 an­ge­schlos­sen und be­an­tragt, die Kos­ten des Rechts­streits dem Klä­ger auf­zu­er­le­gen, weil das Be­ru­fungs­vor­brin­gen nicht ge­eig­net ge­we­sen sei, die Un­rich­tig­keit des an­ge­foch­te­nen Ur­teils auf­zu­zei­gen.

Das OLG Mün­chen hat die Kos­ten bei­der In­stan­zen ge­mäß § 91a I ZPO der Be­klag­ten auf­er­legt.

Aus den Grün­den: 2. Zur Er­fül­lung der klä­ge­ri­schen An­sprü­che durch die Be­klag­te

Re­gel­mä­ßig sind der be­klag­ten Par­tei, die durch Er­fül­lung der streit­ge­gen­ständ­li­chen An­sprü­che das er­le­di­gen­de Er­eig­nis her­bei­ge­führt hat, die Kos­ten des Ver­fah­rens zu über­bür­den, da sie sich durch die­ses Ver­hal­ten gleich­sam frei­wil­lig in die Rol­le des Un­ter­le­ge­nen be­ge­ben hat (vgl. OLG Frank­furt a. M., Beschl. v. 04.05.1995 – 22 W 20/95, MDR 1996, 426 f.). Dies gilt al­ler­dings dann nicht, wenn die be­klag­te Par­tei deut­lich macht, dass an­de­re Mo­ti­ve als die An­er­ken­nung der Be­rech­ti­gung der ge­gen sie gel­tend ge­mach­ten An­sprü­che für ihr Ver­hal­ten be­stim­mend wa­ren (OLG Frank­furt a. M., Beschl. v. 04.05.1995 – 22 W 20/95, MDR 1996, 426 f., ge­gen OLG Karls­ru­he, Beschl. v. 24.09.1985 – 4 W 71/85, MDR 1986, 240 f., das ei­ne ein­deu­ti­ge Er­klä­rung der be­klag­ten Par­tei, mit der Er­fül­lung der An­sprü­che de­ren Be­rech­ti­gung an­zu­er­ken­nen, for­dert). Um­strit­ten ist, ob es ei­nen all­ge­mei­nen Rechts­grund­satz gibt, wo­nach sich aus der frei­wil­li­gen Er­fül­lung der streit­ge­gen­ständ­li­chen An­sprü­che die Kos­ten­tra­gungs­pflicht ab­lei­ten lässt, oder ob in der Er­fül­lungs­hand­lung nur ein wi­der­leg­ba­res In­diz zu se­hen ist. Der BGH geht von Ers­te­rem nur dann aus, wenn das Pro­zess­ver­hal­ten der be­klag­ten Par­tei kei­nen an­de­ren Grund ha­ben kann als den, dass der Rechts­stand­punkt der Kla­ge­par­tei hin­ge­nom­men wird (BGH, Beschl. v. 24.10.2011 – IX ZR 244/09, NJW-RR 2012, 688 Rn. 12).

Die Be­klag­te hat ihr Ver­hal­ten dem Se­nat ge­gen­über schrift­sätz­lich nicht er­läu­tert, und auch aus dem vom Klä­ger vor­ge­leg­ten Schrei­ben der Be­klag­ten an ihn vom 08.03.2017 lässt sich das Mo­tiv der Be­klag­ten für die Er­fül­lung der klä­ge­ri­schen An­sprü­che (in An­se­hung der ab­zu­set­zen­den Nut­zungs­ent­schä­di­gung so­gar über die vom Klä­ger ge­stell­ten An­sprü­che hin­aus­ge­hend) nicht er­se­hen. Al­lein der An­trag, dem Be­klag­ten mö­gen die Kos­ten auf­er­legt wer­den, weil das an­ge­foch­te­ne Ur­teil zu­guns­ten der Be­klag­ten rich­tig ge­we­sen sei, ver­mag hier nicht schlüs­sig zu er­klä­ren, was denn nun das be­stim­men­de Mo­tiv für die Be­klag­te ge­we­sen sein soll. Geht man da­von aus, dass die Er­fül­lung der klä­ge­ri­schen An­sprü­che dem Zweck ge­schul­det war, ei­ne ober­ge­richt­li­che Ent­schei­dung zu den auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen zu ver­hin­dern, so än­dert dies nichts dar­an, dass da­mit im kon­kre­ten Ver­fah­ren der Rechs­stand­punkt des Klä­gers ak­zep­tiert wur­de. Das aber ist im Sin­ne der Ent­schei­dung des BGH (Beschl. v. 24.10.2011 – IX ZR 244/09, NJW-RR 2012, 688 Rn. 12) ei­ne „Hin­nah­me“ des klä­ge­ri­schen Rechts­stand­punkts, die nach § 91a I 1 ZPO zur Kon­se­quenz hat, auch die Kos­ten des Rechts­streits tra­gen zu müs­sen.

3. Zum vor­aus­sicht­li­chen Pro­zess­aus­gang

Un­ab­hän­gig da­von ent­spricht hier es hier der Bil­lig­keit i. S. von § 91a I 1 ZPO, der Be­klag­ten die Kos­ten des Ver­fah­rens auf­zu­er­le­gen, da nach der­zei­ti­ger Ak­ten­la­ge auch nicht da­mit zu rech­nen ge­we­sen wä­re, dass das land­ge­richt­li­che kla­ge­ab­wei­sen­de Ur­teil be­stä­tigt wor­den wä­re. Zum ei­nen hat der Se­nat kei­nen Zwei­fel dar­an, dass ein „Blu­e­Mo­ti­on“-Golf, der mit ei­ner Soft­ware aus­ge­stat­tet ist, die aus­schließ­lich auf dem Rol­len­prüf­stand ei­nen an­de­ren – nied­ri­ge­ren – Schad­stoff­aus­stoß ge­ne­riert, als er im Echt­be­trieb zu er­war­ten wä­re, man­gel­haft i. S. von § 434 I 3 BGB ist. Dies gilt völ­lig un­be­scha­det der zwi­schen den Par­tei­en strei­ti­gen Fra­gen des tat­säch­li­chen Schad­stoff­aus­sto­ßes des Fahr­zeugs im Echt­be­trieb ein­fach des­halb, weil das Kraft­fahrt-Bun­des­amt wie auch die ent­spre­chen­den Be­hör­den im be­nach­bar­ten Aus­land – auf­grund des „VW-Skan­dals“ all­ge­mein be­kannt – prü­fen muss, ob ei­ne Ent­zie­hung der Be­triebs­er­laub­nis ge­bo­ten ist, wenn der Her­stel­ler in­ner­halb ei­ner an­ge­mes­se­nen Frist nicht für Ab­hil­fe sorgt. Um Letz­te­re ist, auch dies ist all­ge­mein be­kannt und zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig, die Volks­wa­gen AG er­sicht­lich be­müht und hat des­halb auch an­ge­kün­digt, kos­ten­los die ent­spre­chen­den Maß­nah­men an den mit der „Schum­mel­soft­ware“ aus­ge­stat­te­ten Fahr­zeu­gen vor­zu­neh­men. Die Dar­stel­lung der Be­klag­ten, die Volks­wa­gen AG be­trei­be die­sen mit be­trächt­li­chen Kos­ten ver­bun­de­nen Auf­wand nur aus „Ku­lanz“, ist als per­ple­xer Par­tei­vor­trag in­so­weit un­be­acht­lich, da dies, trä­fe es denn zu, den Vor­wurf der Un­treue i. S. von § 266 StGB ge­gen das Ma­nage­ment des VW-Kon­zerns be­grün­den wür­de.

Zu­tref­fend hat zwar das Land­ge­richt er­kannt, dass die vom Klä­ger … ge­setz­te Frist zur Män­gel­be­sei­ti­gung von cir­ca sechs Wo­chen zu kurz war. Zu­tref­fend war auch die Er­wä­gung des Land­ge­richts, dass die Set­zung ei­ner zu kur­zen Frist zur Nach­er­fül­lung nicht ins Lee­re läuft, son­dern die an­ge­mes­se­ne Frist in Gang setzt. Der Se­nat ist aber ab­wei­chend vom Land­ge­richt der Auf­fas­sung, dass die Frist zur Nach­er­fül­lung beim Er­werb ei­nes Pkw i. S. von § 323 I BGB nicht län­ger als ein Jahr sein kann. Denn Sinn der Be­stim­mun­gen über die Nach­er­fül­lung ist es, dem Vor­rang der Ver­trags­er­fül­lung vor an­de­ren Ge­währ­leis­tungs­rech­ten Aus­druck zu ver­lei­hen. Die Bin­dung des Käu­fers über ei­nen Zeit­raum von zwölf Mo­na­ten hin­aus ist da­mit nicht mehr zu recht­fer­ti­gen, zu­mal sich fak­tisch durch die Pflicht des Käu­fers, Nut­zungs­ent­schä­di­gung an den Ver­käu­fer zu ent­rich­ten, bei ei­ner Bin­dung von mehr als ei­nem Jahr trotz nicht ver­trags­kon­for­mer Leis­tung des Ver­käu­fers ein zu­sätz­li­ches Rück­tritts­hin­der­nis für den Käu­fer er­gibt und der Ver­käu­fer in­so­weit ei­nen un­bil­li­gen Vor­teil er­lan­gen wür­de. An­ders for­mu­liert: Die Frist zur Nach­er­fül­lung darf nicht so be­mes­sen wer­den, dass da­mit der auf Aus­tausch von Wa­re ge­gen Geld ge­rich­te­te syn­al­lag­ma­ti­sche Kauf­ver­trag in ei­ne Art Dau­er­schuld­ver­hält­nis um­ge­wan­delt wird.

Im vor­lie­gen­den Fall hat der Ver­käu­fer, der sich in­so­weit das Ver­hal­ten des Her­stel­lers zu­rech­nen las­sen muss, da er sich des­sen Mit­hil­fe zur Nach­er­fül­lung zu­nut­ze macht, in­ner­halb von mehr als 14 Mo­na­ten nicht die Nach­er­fül­lung zu­we­ge ge­bracht und muss da­her den Rück­tritt des Käu­fers hin­neh­men.

4. Zu § 574 ZPO

Die Rechts­be­schwer­de war nicht zu­zu­las­sen. Zwar geht der Se­nat da­von aus, dass die Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de ge­gen ei­nen in der Be­ru­fungs­in­stanz er­ge­hen­den Be­schluss nach § 91a ZPO nicht schon we­gen des Re­ge­lungs­ge­halts des § 99 I ZPO aus­ge­schlos­sen ist (so BGH, Beschl. v. 03.03.2004 – IV ZB 21/03, NJW-RR 2004, 999 f.). Ei­ne Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de zur Klä­rung ma­te­ri­ell­recht­li­cher Fra­gen kommt aber we­gen der oh­ne­hin nur sum­ma­ri­schen Prü­fung der Sach- und Rechts­la­ge durch das Aus­gangs­ge­richt nicht in Be­tracht (so BGH, Urt. v. 24.10.2005 – II ZR 56/04, NJW-RR 2006, 566 Rn. 7 und öf­ter).

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