Ein privater Gebrauchtwagenverkäufer, der angibt, das Fahrzeug habe „neuen TÜV“, erklärt damit nicht zugleich stillschweigend, die „TÜV-Plakette“ sei dem Fahrzeug zu Recht zugeteilt worden und das Fahrzeug sei bei der Übergabe an den Käufer verkehrssicher.
LG Heidelberg, Urteil vom 19.08.2016 – 3 S 1/16
Sachverhalt: Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Gebrauchtwagen.
Er kaufte von dem Beklagten mit Kaufvertrag vom 13.04.2015 unter Ausschluss der Gewährleistung einen am 16.10.1995 erstzugelassenen Renault Rapid. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am selben Tag gegen Zahlung des Kaufpreises von 1.450 € übergeben.
In Telefonaten, die er vor Abschluss des Kaufvertrages mit dem Kläger geführt hatte, hatte der Beklagte angegeben, das Fahrzeug habe „neuen TÜV“. Tatsächlich war der Kleintransporter am 04.02.2015 einer Hauptuntersuchung unterzogen worden und hatte eine neue Prüfplakette erhalten. Im TÜV-Bericht ist das Ergebnis „geringe Mängel“ vermerkt; weiter findet sich in dem Bericht ein Hinweis auf leichte Korrosionserscheinungen unter anderem an der Bodengruppe, den Bremsleitungen und an nicht tragenden Teilen.
Unter Berufung auf massive Durchrostungen an tragenden Teilen forderte der Kläger den Beklagten am 14.04.2015 telefonisch zur Rücknahme des Fahrzeugs auf. Dies lehnte der Beklagte ab. Daraufhin erklärte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 24.04.2015 den Rücktritt vom Kaufvertrag sowie die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.
Das Amtsgericht hat den Beklagten verurteilt, an den Kläger Zug um Zug gegen Rückgabe des Renault Rapid 1.450 € nebst Zinsen zu zahlen. Außerdem hat das Amtsgericht festgestellt, dass sich der Beklagte in mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Verzug befinde, und ihn verurteilt, dem kläger außergerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten zu ersetzen. Im Übrigen hat es die Klage – was nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – abgewiesen.
Zwar hat das Amtsgericht den Beweis, dass der Beklagte den Kläger arglistig getäuscht hat, nicht als geführt angesehen. Es hat aber gemeint, der Kläger sei wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten. Die Angabe, der Renault Raid habe „neuen TÜV“, habe zu einer Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) geführt, für die der vereinbarte Gewährleistungsausschluss nicht gelte. Inhalt dieser Beschaffenheitsvereinbarung sei nicht nur, dass das Fahrzeug über eine neue Prüfplakette verfüge. Vielmehr sei auch vereinbart worden, dass die Prüfplakette zu Recht erteilt worden sei und das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe verkehrssicher sei. Diese Beschaffenheit habe der Renault Raid bei der Übergabe nicht aufgewiesen.
Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.
Aus den Gründen: II. … 2. Die Berufung ist … begründet.
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gemäß §§ 346 I, 433, 434 I 1, 437 Nr. 2, 440 Satz 1, 323 I, 348 BGB.
Die Vertragsinhalt gewordene Angabe des Beklagten, das Fahrzeug habe „neuen TÜV“, beinhaltet nicht die stillschweigende Erklärung, das Fahrzeug sei verkehrssicher und habe die Prüfplakette zu Recht erhalten. Folglich besteht im Hinblick auf den vertraglich wirksam vereinbarten Gewährleistungsausschluss auch kein Rücktrittsgrund.
Für die Auslegung der Angabe des Beklagten, das Fahrzeug habe „neuen TÜV“, ist wie bei jeder Willenserklärung in erster Linie maßgebend, wie sie der Kläger als Erklärungsempfänger verstehen durfte (vgl. BGH, Urt. v. 24.02.1988 – VIII ZR 145/87, juris m. w. Nachw.). Hierbei ist von wesentlicher Bedeutung, dass der Beklagte den Pkw als Privatperson verkauft hat und nicht als gewerblicher Gebrauchtwagenhändler mit eigener Werkstatt.
aa) Der Käufer, der von einem Kraftfahrzeughändler mit eigener Werkstatt einen Gebrauchtwagen erwirbt, will in aller Regel selbstverständlich ein verkehrssicheres, den Vorschriften der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) entsprechendes Fahrzeug erhalten. Wird ihm zugesagt, das Fahrzeug habe im Zeitpunkt der Übergabe neuen TÜV, erwartet er nicht nur die Durchführung der Hauptuntersuchung und Zuteilung der Plakette, sondern ein den Vorschriften der StVZO tatsächlich entsprechendes, verkehrssicheres Fahrzeug (BGH, Urt. v. 24.02.1988 – VIII ZR 145/87, juris Rn. 19). Bei dem Erwerb eines Gebrauchtwagens von einem Privatverkäufer kann der Käufer demgegenüber bei interessengerechter Auslegung nicht erwarten, dass der Verkäufer dieselben Möglichkeiten zur Untersuchung des Fahrzeugs und Kenntnisse wie ein Kraftfahrzeughändler mit eigener Werkstatt hat (so auch OLG München, Urt. v. 16.05.1997 – 14 U 934/96, NJW-RR 1998, 845; vgl. auch OLG Naumburg, Urt. v. 11.06.2014 – 1 U 8/14, juris).
bb) Zu Recht ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte den Pkw als Privatperson verkauft hat und nicht allein dadurch, dass er seine von ihm selbst gefahrenen Pkw nach einigen Jahren wieder verkauft, als Unternehmer bzw. gewerblicher Kraftfahrzeughändler in dem vorgenannten Sinne anzusehen ist.
cc) Anders als das Amtsgericht ist die Kammer jedoch nicht der Auffassung, dass ein vernünftiger Erklärungsempfänger in der Situation des Klägers die Vertragsinhalt gewordene Angabe des Beklagten, das Fahrzeug habe „neuen TÜV“, auch in dem Sinne einer Erklärung des Inhalts verstehen durfte, dass die Hauptuntersuchung ordnungsgemäß durchgeführt, die Plakette zu Recht erteilt worden und das Fahrzeug tatsächlich auch verkehrssicher sei. Nach Überzeugung der Kammer würde ein solches Verständnis die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten eines Privatverkäufers, dem in der Regel – anders als einem Kraftfahrzeughändler mit eigener Werkstatt – keine eigene Sachkunde, erst recht aber nicht eine höhere Sachkunde als dem TÜV unterstellt werden kann, außer Acht lassen und daher den Sinngehalt einer solchen Erklärung überspannen. Demnach konnte der Kläger der Erklärung des Beklagten, das Fahrzeug habe „neuen TÜV“, bei sinngerechter Auslegung nur entnehmen, dass die Hauptuntersuchung durchgeführt und die Plakette erteilt wurde.
Zwar hat der BGH unlängst (Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 80/14, juris) entschieden, dass die in einem Kaufvertrag enthaltene Eintragung „HU neu“ bei interessengerechter Auslegung die stillschweigende Vereinbarung beinhalte, dass sich das verkaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO geeigneten verkehrssicheren Zustand befinde und die Hauptuntersuchung durchgeführt sei. Dort handelte es sich bei dem Verkäufer jedoch um einen gewerblichen Autohändler, weshalb der BGH auf seine früheren Entscheidungen zu der Vereinbarung „TÜV neu“ verwiesen hat (BGH, Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 80/14, juris Rn. 19; Urt. v. 24.02.1988 – VIII ZR 145/87, juris; Urt. v. 13.03.2013 – VIII ZR 172/12, juris), denen ebenfalls Kaufverträge mit gewerblichen Kraftfahrzeughändlern zugrunde lagen. Um einen gewerblichen Händler handelt es sich bei dem Beklagten allerdings gerade nicht. Hiervon abgesehen erscheint fraglich, ob nicht selbst im Bereich des gewerblichen Kraftfahrzeughandels danach unterschieden werden muss, ob der Verkäufer sein Gewerbe auf den reinen An- und Verkauf beschränkt oder darüber hinaus auch über eine eigene Werkstatt verfügt.
Soweit das OLG Karlsruhe in seinem Urteil vom 14.01.2014 (9 U 233/12, juris) eine Beschaffenheitsvereinbarung auch bei einem Privatverkauf dahin gehend angenommen hat, „TÜV neu“ bedeute, dass bei der Hauptuntersuchung keine erheblichen Mängel festgestellt wurden bzw. der Verkäufer vom TÜV festgestellte erhebliche Mängel jedenfalls beseitigt hat, muss die Kammer nicht entscheiden, ob dieser Ansicht gefolgt werden kann. Die Entscheidung steht der Auffassung der Kammer im Streitfall schon deshalb nicht entgegen, weil der dortige Sachverhalt wesentlich anders gelagert war. In dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall wurde zwar ebenfalls die Prüfplakette zugeteilt, in dem TÜV-Bericht jedoch Korrosion an tragenden Teilen festgestellt, die bei Nichtbehandlung die tragende Struktur schwächen, und dementsprechend darauf hingewiesen, dass Halter und Fahrer für die unverzügliche Beseitigung aller Mängel verantwortlich seien. Gleichwohl hatte der Beklagte diese Mängel, die das OLG Karlsruhe als „erhebliche Mängel“ bewertet hat, vor der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger nicht beseitigt. Demgegenüber hatte im Streitfall der TÜV – wenn auch, wie sich aus dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen S ergibt, unzutreffend – keine erheblichen Mängel festgestellt bzw. deren unverzügliche Beseitigung angemahnt. Der von dem Kläger gerügte Mangel, nämlich die Durchrostung tragender Teile, war vielmehr bei der TÜV-Untersuchung unerkannt geblieben, sodass auch der Beklagte als Privatverkäufer diesen Mangel, anders als in dem Sachverhalt, der der Entscheidung des OLG Karlsruhe zugrunde lag, nicht erkennen konnte. Folgerichtig konnte daher das OLG Karlsruhe die Frage, ob und inwieweit der Hinweis „TÜV neu“ gleichzeitig eine Erklärung des Verkäufers zur Verkehrssicherheit des Fahrzeugs enthält, offenlassen (rOLG Karlsruhe, Urt. v. 14.01.2014 – 9 U 233/12, juris Rn. 31).
dd) Entgegen der Ansicht des Klägers muss der Beklagte sich auch nicht ein etwaiges Fehlverhaltens des TÜV-Prüfers zurechnen lassen. Allein der Umstand, dass der Beklagte die konkrete TÜV-Betriebsstätte ausgesucht hat, vermag eine solche Zurechnung nicht zu begründen. Im Übrigen ist der TÜV auch nicht etwa i. S. von § 278 BGB Erfüllungsgehilfe des Beklagten, was eine bewusste Einbindung in den vertraglichen Pflichtenkreis voraussetzen würde, die jedoch nicht ersichtlich ist. Die regelmäßige Überprüfung der Fahrzeugsicherheit durch den TÜV oder eine vergleichbare Einrichtung erfolgt in erster Linie im öffentlichen Interesse zur Gewährleistung der Sicherheit im Straßenverkehr, wobei die amtliche Prüfstelle selbst mit Ausnahme von Fällen des Amtsmissbrauchs dem Halter gegenüber nicht unmittelbar für die Erfüllung ihrer Prüfpflichten haftet (vgl. BGH, Urt. v. 24.02.1988 – VIII ZR 145/87, juris Rn. 19).
b) Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht weiterhin die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung gemäß § 123 I Fall 1 BGB verneint. Die Beurteilung des Amtsgerichts, dem Beklagten könne nicht nachgewiesen werden, dass er von den Mängeln wusste oder die Verkehrssicherheit des Pkw ins Blaue hinein behauptet hat, ist nicht zu beanstanden …
4. Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage, welcher Erklärungsgehalt der Angabe „neuer TÜV“ bei Privatverkäufen von Gebrauchtwagen zukommt, wird die Revision unter Berücksichtigung der Entscheidung des BGH vom 15.04.2015 – VIII ZR 80/14 – zugelassen (§ 543 II 1 Nr. 1 ZPO).