1. Mit dem Ver­spre­chen, ei­nen „Neu­wa­gen“ zu lie­fern, über­nimmt der Ver­käu­fer im Re­gel­fall – wenn nichts an­de­res ab­ge­spro­chen ist und sich aus den Um­stän­den nichts an­de­res er­gibt – die Pflicht, dem Käu­fer ein „rund­um“ fa­brik­neu­es Fahr­zeug zu ver­schaf­fen. In­so­weit kommt re­gel­mä­ßig zu­min­dest ei­ne (kon­klu­den­te) Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung zu­stan­de.
  2. Ein Fahr­zeug ist nur „fa­brik­neu“, wenn und so­lan­ge das Mo­dell un­ver­än­dert ge­baut wird und das Fahr­zeug aus neu­en Ma­te­ria­li­en zu­sam­men­ge­setzt und un­be­nutzt ist. Au­ßer­dem darf das Fahr­zeug kei­ne durch ei­ne län­ge­re Stand­zeit be­ding­ten Män­gel auf­wei­sen, dür­fen zwi­schen sei­ner Her­stel­lung und dem Ab­schluss des Kauf­ver­trags nicht mehr als zwölf Mo­na­te lie­gen und darf das Fahr­zeug nach sei­ner Her­stel­lung kei­ne er­heb­li­chen Be­schä­di­gun­gen er­lit­ten ha­ben. Ist ei­nes die­ser Kri­te­ri­en nicht er­füllt, ent­fällt die Fa­brik­neu­heit ins­ge­samt.
  3. Fa­bri­ka­ti­ons- und Kon­struk­ti­ons­feh­ler be­sei­ti­gen grund­sätz­lich nicht die Fa­brik­neu­heit ei­nes Fahr­zeugs, denn „fa­brik­neu“ be­deu­tet nicht man­gel­frei.

OLG Bam­berg, Be­schluss vom 06.03.2012 – 6 U 6/12
(vor­her­ge­hend: LG Co­burg, Ur­teil vom 30.12.2011 – 21 O 337/11)

Sach­ver­halt: Die Klä­ge­rin be­stell­te bei der Be­klag­ten ei­nen Neu­wa­gen zum Kauf­preis von cir­ca 18.000 €.

Das Fahr­zeug wur­de ihr im Mai 2011 über­ge­ben. Es wies ei­nen Ki­lo­me­ter­stand von 304 auf, was in der von der Klä­ge­rin un­ter­schrie­be­nen Über­nah­me­be­stä­ti­gung aus­drück­lich fest­ge­hal­ten wur­de. Ein­wen­dun­gen ge­gen die Lauf­leis­tung oder die Über­nah­me­be­stä­ti­gung er­hob die Klä­ge­rin zu­nächst nicht. Ei­ni­ge Ta­ge nach Über­ga­be des Fahr­zeugs mel­de­te sich je­doch ihr An­walt bei der Be­klag­ten und be­haup­te­te, an­ge­sichts der Lauf­leis­tung des Fahr­zeugs sei der Klä­ge­rin kein Neu­wa­gen über­ge­ben wor­den. Er for­der­te ei­nen Kauf­preis­nach­lass in Hö­he von 3.400 €.

Nach­dem die Be­klag­te auf die­se For­de­rung nicht ein­ge­gan­gen war, er­hob die Klä­ge­rin Kla­ge auf Lie­fe­rung ei­nes Neu­wa­gens. Die­se wies das Land­ge­richt (LG Co­burg, Urt. v. 30.12.2011 – 21 O 337/11) ab. Zur Be­grün­dung führ­te es aus, nach der durch­ge­führ­ten Be­weis­auf­nah­me ste­he fest, dass die Klä­ge­rin die Lauf­leis­tung von 304 km im In­ter­es­se ei­ner schnel­len Lie­fe­rung des Fahr­zeugs aus­drück­lich ge­bil­ligt ha­be. Hier­für spre­che die von der Klä­ge­rin un­ter­schrie­be­ne Über­nah­me­be­stä­ti­gung. Da die Klä­ge­rin die Lauf­leis­tung ak­zep­tiert ha­be, kom­me es nicht dar­auf an, ob es sich bei ei­nem Fahr­zeug mit ei­ner Lauf­leis­tung von 304 km noch um ei­nen Neu­wa­gen han­delt.

Das Ober­lan­des­ge­richt wies die Klä­ge­rin dar­auf hin, dass es be­ab­sich­ti­ge, ih­re Be­ru­fung ge­mäß § 522 II ZPO zu­rück­zu­wei­sen.

Aus den Grün­den: I. Die Be­ru­fung der Klä­ge­rin hat of­fen­sicht­lich kei­ne Aus­sicht auf Er­folg (§ 522 II 1 Nr. 1 ZPO). Das an­ge­foch­te­ne En­dur­teil des LG Co­burg er­weist sich nach Über­prü­fung durch das Be­ru­fungs­ge­richt an­hand des Be­ru­fungs­vor­brin­gens so­wohl im Er­geb­nis als auch in der Be­grün­dung als zu­tref­fend. Zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen nimmt der Se­nat in vol­lem Um­fang auf die Grün­de der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung Be­zug. Mit Blick auf die Be­ru­fungs­be­grün­dung so­wie er­gän­zend sind fol­gen­de Aus­füh­run­gen ver­an­lasst:

1. Nach stän­di­ger Recht­spre­chung über­nimmt der Händ­ler mit dem Ver­spre­chen, ein „Neu­fahr­zeug“ zu lie­fern, im Re­gel­fall die Pflicht, dem Käu­fer ein Fahr­zeug zu ver­schaf­fen, das sämt­li­che un­ter dem Dach­be­griff „Fa­brik­neu­heit“ zu­sam­men­ge­fass­ten Kri­te­ri­en er­füllt. In der Re­gel ist ein Kraft­fahr­zeug nur dann „fa­brik­neu“, wenn es aus neu­en Ma­te­ria­li­en zu­sam­men­ge­setzt und un­be­nutzt ist, und dar­über hin­aus, wenn und so­lan­ge das Mo­dell des Kraft­fahr­zeugs un­ver­än­dert wei­ter ge­baut wird, wenn es kei­ne durch län­ge­re Stand­zeit be­ding­ten Män­gel auf­weist, wenn zwi­schen Her­stel­lung und Ab­schluss des Kauf­ver­trags nicht mehr als zwölf Mo­na­te lie­gen, und wenn nach sei­ner Her­stel­lung kei­ne er­heb­li­chen Be­schä­di­gun­gen ein­ge­tre­ten sind. In­so­weit kommt re­gel­mä­ßig kon­klu­dent (je­den­falls) ei­ne Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung zu­stan­de (§ 434 I 1 BGB). Fehlt ei­nes der auf­ge­zähl­ten Kri­te­ri­en, ent­fällt bei ent­spre­chen­der kon­klu­den­ter Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung die Fa­brik­neu­heit ins­ge­samt (vgl. zum Gan­zen: Rein­king/Eg­gert, Der Au­to­kauf, 11. Aufl. [2012], Rn. 504 ff. mit zahl­rei­chen Nachw. aus der Rspr.).

Die Ver­pflich­tung des Ver­käu­fers zur Lie­fe­rung ei­nes „rund­um“ fa­brik­neu­en Fahr­zeugs im oben dar­ge­stell­ten Sinn be­steht aber selbst­ver­ständ­lich nur dann, wenn sich aus den kon­kre­ten Ver­trags­ab­spra­chen der Ver­trags­par­tei­en oder den sons­ti­gen Um­stän­den kei­ne zum Nach­teil des Käu­fers vom zu­vor dar­ge­stell­ten Re­gel­fall ab­wei­chen­de Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung er­gibt (vgl. Rein­king/Eg­gert, a. a. O., Rn. 512 m. w. Nachw.).

2. Un­ter Be­rück­sich­ti­gung die­ser Grund­sät­ze ist das Erst­ur­teil be­ru­fungs­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

a) Zwar han­delt es sich bei dem Kauf­ver­trag um ei­ne „Neu­wa­gen­be­stel­lung“, was in Rich­tung „Fa­brik­neu­heit“ weist. Das Land­ge­richt hat je­doch zu Recht da­hin­ste­hen las­sen, ob der streit­ge­gen­ständ­li­che Pkw mit ei­ner Lauf­leis­tung von 304 km bei Über­ga­be als Neu­wa­gen im oben be­schrie­be­nen Sin­ne ein­zu­ord­nen ist. Denn nach dem vom Erst­ge­richt fest­ge­stell­ten Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me hat­te die Klä­ge­rin sich mit die­sem Ki­lo­me­ter­stand ein­ver­stan­den er­klärt, so dass ei­ne vom Re­gel­fall ab­wei­chen­de Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung ge­trof­fen wur­de.

Die Klä­ge­rin wen­det sich oh­ne Er­folg mit ih­rer Be­ru­fung ge­gen die vom Land­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Be­weis­wür­di­gung. In­so­weit weist der Se­nat zu­nächst dar­auf hin, dass nach § 513 I ZPO die Be­ru­fung le­dig­lich dar­auf ge­stützt wer­den kann, dass die Ent­schei­dung auf ei­ner Rechts­ver­let­zung be­ru­he oder nach § 529 ZPO zu­grun­de zu le­gen­de Tat­sa­chen ei­ne an­de­re Ent­schei­dung recht­fer­tig­ten. An­grif­fe ge­gen die Be­weis­wür­di­gung im en­ge­ren Sin­ne sind in­fol­ge des­sen nur dann ge­eig­net, die Be­ru­fung zu be­grün­den, wenn dem Erst­ge­richt bei der Be­weis­er­he­bung Ver­fah­rens­feh­ler un­ter­lau­fen sind oder ei­ne Kor­rek­tur der Tat­sa­chen­grund­la­ge we­gen rechts­feh­ler­haf­ter Er­fas­sung ge­bo­ten ist, oder wenn ei­ne neue Fest­stel­lung der Tat­sa­chen durch das Be­ru­fungs­ge­richt nach §§ 529, 531 ZPO zu­läs­sig ist. Die­se Be­ru­fungs­grün­de lie­gen hier je­doch nicht vor.

Das Land­ge­richt hat die ein­zel­nen Be­weis­mit­tel bei sei­ner Ent­schei­dung ei­ner aus­führ­li­chen und nach­voll­zieh­ba­ren Wür­di­gung un­ter­zo­gen, die kei­ner­lei Rechts­feh­ler er­ken­nen lässt. Der Tatrich­ter hat im Rah­men der frei­en Be­weis­wür­di­gung ge­mäß § 286 ZPO un­ter Be­rück­sich­ti­gung des ge­sam­ten In­halts der Ver­hand­lung zu ent­schei­den, ob ei­ne tat­säch­li­che Be­haup­tung für wahr oder für un­wahr zu er­ach­ten ist. Da­bei ge­nügt, da ei­ne ab­so­lu­te Ge­wiss­heit nicht zu er­rei­chen und je­de Mög­lich­keit des Ge­gen­teils nicht aus­zu­schlie­ßen ist, ein für das prak­ti­sche Le­ben brauch­ba­rer Grad von Ge­wiss­heit, der den Zwei­feln Schwei­gen ge­bie­tet, oh­ne sie völ­lig aus­zu­schlie­ßen. Au­ßer­halb ge­setz­li­cher Ver­mu­tun­gen und Be­weis­re­geln un­ter­liegt das Ge­richt da­her kei­ner Bin­dung, son­dern be­ur­teilt viel­mehr frei den Gang der Ver­hand­lung, den Wert der ein­zel­nen Be­weis­mit­tel un­ter Be­rück­sich­ti­gung der ih­nen ei­ge­nen Feh­ler­quel­len, zieht Schlüs­se aus be­strit­te­nen und un­be­strit­te­nen Be­haup­tun­gen, be­wer­tet In­di­zi­en und kann feh­len­de kon­kre­te In­di­zi­en mit­hil­fe der all­ge­mei­nen Le­bens­er­fah­rung über­brü­cken (vgl. BGH, NJW 1993, 935; 2000, 953; NJW-RR 2007, 312; st. Rspr. des Se­nats, vgl. z. B. Beschl. v. 07.06.2010 – 6 U 13/10, Beschl. v. 06.07.2010 – 6 U 20/10 und Beschl. v. 26.07.2011 – 6 U 12/11).

Die Klä­ge­rin will mit ih­rer Be­ru­fung ih­re ei­ge­ne Be­weis­wür­di­gung an die Stel­le der­je­ni­gen des Land­ge­richts set­zen. Das ist ihr je­doch ver­wehrt … Die Rich­tig­keit der Be­weis­wür­di­gung wird … durch die … mit der Be­ru­fungs­be­grün­dung vor­ge­tra­ge­nen, die Be­wei­se wür­di­gen­den Er­wä­gun­gen der Klä­ger­sei­te nicht in­fra­ge ge­stellt …

b) So­weit die Klä­ge­rin ih­re Be­ru­fung dar­auf stützt, dass bei dem Pkw vor der Über­ga­be der Tur­bo­la­der aus­ge­tauscht wor­den sei und es sich da­bei nicht mehr um ei­nen un­be­acht­li­chen Ba­ga­tell­scha­den ge­han­delt ha­be, ist das be­reits im An­satz nicht ge­eig­net, ihr Kla­ge­be­geh­ren zu be­grün­den.

Fa­bri­ka­ti­ons- und Kon­struk­ti­ons­feh­ler be­sei­ti­gen grund­sätz­lich nicht die Fa­brik­neu­heit. Denn „fa­brik­neu“ be­deu­tet nicht män­gel­frei (vgl. Rein­king/Eg­gert, a. a. O., Rn. 552 ff.). Dass der Wech­sel des Tur­bo­la­ders auf ei­ne Be­schä­di­gung („Un­fall­wa­gen“) zu­rück­ging, ist nicht er­sicht­lich. Im Ge­gen­teil: Die Zeu­gin B hat be­stä­tigt, dass der Aus­tausch im Rah­men ei­ner Ak­ti­on auf Ver­an­las­sung der X-Wer­ke er­folg­te. Wo die­ser Aus­tausch er­folg­te, ist oh­ne Be­lang …

Hin­weis: Die Be­ru­fung wur­de zu­rück­ge­nom­men; das Ur­teil des LG Co­burg ist da­mit rechts­kräf­tig.

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