1. Ein Un­ter­neh­mer, der ei­nen Rei­fen­wech­sel durch­führt, muss sei­nen Kun­den in der Re­gel dar­auf hin­wei­sen, dass die Rad­schrau­ben nach 50–100 km nach­ge­zo­gen wer­den müs­sen. Dies stellt kein „Je­der­mann-Wis­sen“ dar. Viel­mehr er­war­tet der durch­schnitt­li­che Kun­de, dass ord­nungs­ge­mäß und nach den Her­stel­ler­an­ga­ben be­fes­tig­te Rä­der sich nicht lö­sen kön­nen.
  2. Der Un­ter­neh­mer ge­nügt sei­ner Hin­weis­pflicht nur, wenn er den Hin­weis münd­lich er­teilt oder dem Kun­den ei­nen schrift­li­chen Hin­weis so zu­gäng­lich macht, dass un­ter nor­ma­len Ver­hält­nis­sen mit ei­ner Kennt­nis­nah­me zu rech­nen ist.

LG Hei­del­berg, Ur­teil vom 27.07.2011 – 1 S 9/10

Sach­ver­halt: Die Par­tei­en strei­ten um Scha­dens­er­satz, nach­dem sich ein Rad mit ei­nem Win­ter­rei­fen, das die Be­klag­te am Fahr­zeug des Klä­gers mon­tiert hat­te, ab­ge­löst hat. Der Klä­ger un­ter­schrieb nach dem Rad­wech­sel den auf der Rech­nung ent­hal­te­nen Ab­bu­chungs­auf­trag; un­ter­halb der Un­ter­schrifts­zei­le ist vor­ge­druckt „Rad­schrau­ben nach 50–100 KM nach­zie­hen!!“. Die Schrau­ben wur­den nicht nach­ge­zo­gen.

Der Klä­ger hat in ers­ter In­stanz be­haup­tet, das Rad ha­be sich oh­ne je­de Vor­war­nung ab­ge­löst. Die Be­klag­te ha­be es nicht ord­nungs­ge­mäß und fach­ge­recht be­fes­tigt; ins­be­son­de­re ha­be sie es nicht mit dem ge­bo­te­nen und vor­ge­schrie­be­nen Dreh­mo­ment fest­ge­zo­gen. Er sei von der Be­klag­ten nicht aus­drück­lich auf die Not­wen­dig­keit, die Rad­schrau­ben nach­zu­zie­hen, hin­ge­wie­sen wor­den und ha­be hier­von auch nichts ge­wusst.

Das AG Hei­del­berg hat die auf Zah­lung von 4.437,67 € nebst Zin­sen ge­rich­te­te Kla­ge ab­ge­wie­sen, weil nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me fest­ste­he, dass das Rad ord­nungs­ge­mäß und fach­ge­recht be­fes­tigt wor­den sei. Der Auf­druck auf der Rech­nung stel­le ei­nen aus­rei­chen­den Hin­weis auf die Not­wen­dig­keit des Nach­zie­hens der Rad­schrau­ben dar. Er sei deut­lich ge­nug her­vor­ge­ho­ben und für den Klä­ger wahr­nehm­bar ge­we­sen.

Die Be­ru­fung des Klä­gers hat­te teil­wei­se Er­folg.

Aus den Grün­den: II. … Der Klä­ger hat dem Grun­de nach An­spruch auf Er­satz des ihm in­fol­ge des Rad­ver­lusts ent­stan­de­nen Scha­dens ge­mäß §§ 280 I, 276, 249 BGB, weil ihn die Be­klag­te pflicht­wid­rig nicht hin­rei­chend auf die Not­wen­dig­keit des Nach­zie­hens der Rad­schrau­ben hin­ge­wie­sen hat. Der An­spruch ist je­doch re­du­ziert durch ein Mit­ver­schul­den des Klä­gers (§ 254 I BGB).

1. Den Nach­weis feh­ler­haf­ter Mon­ta­ge hat der Klä­ger nicht ge­führt. An­ge­sichts der nach dem Rad­wech­sel zu­rück­ge­leg­ten Stre­cke von 1.989 km spricht auch nicht ein An­schein da­für, dass die Mon­ta­ge feh­ler­haft – un­zu­rei­chend – war. Dies er­gibt das Gut­ach­ten vom 26.04.2011. Auf die Wür­di­gung der Aus­sa­ge des von der Be­klag­ten be­nann­ten Zeu­gen H kommt es da­her nicht an.

2. Die Be­klag­te hat aber durch Ver­let­zung ih­rer ne­ben­ver­trag­li­chen Hin­weis­pflicht auf das Er­for­der­nis des Nach­zie­hens der Rad­schrau­ben nach 50–100 km ad­äquat kau­sal zum Ab­lö­sen des Ra­des bei­ge­tra­gen.

a) Dass ein sol­ches Nach­zie­hen – auch oh­ne das Ein­wir­ken von gro­ßer Kraft o. Ä. – er­for­der­lich ist, weil auch ord­nungs­ge­mäß be­fes­tig­te Rad­schrau­ben sich lö­sen kön­nen, ist auf­grund des Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens er­wie­sen. Au­ßer­dem geht die Be­klag­te mit dem Hin­weis in der Rech­nung selbst da­von aus, dass ein sol­ches Nach­zie­hen nach 50–100 km vor­zu­neh­men ist.

b) Die Be­klag­te war gem. §§ 631, 241 II BGB ver­pflich­tet, den Klä­ger auf die Nach­zieh­not­wen­dig­keit hin­zu­wei­sen. Zwi­schen den Par­tei­en kam ein Werk­ver­trag zu­stan­de (§ 631 BGB). Den Werk­un­ter­neh­mer tref­fen ne­ben­ver­trag­li­che Auf­klä­rungs- und Be­ra­tungs­pflich­ten, de­ren In­halt und Um­fang sich nach den Um­stän­den des Ein­zel­falls rich­tet, ins­be­son­de­re nach dem Be­ra­tungs­be­darf des Be­stel­lers und dem Fach­wis­sen des Un­ter­neh­mers, von des­sen Vor­han­den­sein in er­for­der­li­chem Um­fang der Be­stel­ler aus­ge­hen kann (Pa­landt/Sprau, BGB, 70. Aufl., § 631 Rn. 14 m. w. Nachw.). Da­nach hat­te die Be­klag­te den Klä­ger auf die Not­wen­dig­keit des Nach­zie­hens der Rad­schrau­ben nach 50–100 km hin­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat­te als Werk­stät­te, zu de­ren Schwer­punk­ten der kom­plet­te Rei­fen­ser­vice für Pkw ge­hört, über­le­ge­ne Sach­kun­de. Sie hat da­ge­gen kei­ne kon­kre­ten Um­stän­de vor­ge­tra­gen, aus de­nen sich ei­ne tech­ni­sche Sach­kun­de des Klä­gers in Be­zug auf das Er­for­der­nis des Schrau­ben­nach­zie­hens er­gibt. Der Um­stand, dass er ei­nen Dok­tor­ti­tel führt, ge­nügt hier­für nicht. Es ist bei der Kam­mer of­fen­kun­dig (§ 291 ZPO) dass das Er­for­der­nis des Schrau­ben­nach­zie­hens kein Je­der­mann-Wis­sen dar­stellt. Viel­mehr er­war­tet der durch­schnitt­li­che – un­be­lehr­te – Kun­de, dass ord­nungs­ge­mäß und nach den Her­stel­ler­an­ga­ben be­fes­tig­te Rä­der sich nicht ab­lö­sen kön­nen.

So­weit die Be­klag­te im Schrift­satz vom 29.06.2011 erst­mals be­haup­te­te, der Klä­ger ver­fü­ge von frü­he­ren Rei­fen­mon­ta­gen über die Kennt­nis, dass Rad­bol­zen aus Si­cher­heits­grün­den nach ca. 50–100 km nach­ge­zo­gen wer­den soll­ten, weil al­le Fach­werk­stät­ten und Rei­fen­händ­ler hier­auf hin­wie­sen, war ei­ne Be­rück­sich­ti­gung nicht mög­lich, da der Klä­ger die­se Kennt­nis be­strit­ten hat­te und die Be­klag­te kei­nen Be­weis an­ge­bo­ten hat.

c) Der Hin­weis auf der Rech­nung ge­nüg­te nicht. Der Un­ter­neh­mer ge­nügt sei­ner Hin­weis­pflicht nur dann, wenn er den Hin­weis münd­lich er­teilt oder den schrift­li­chen Hin­weis dem Kun­den so zu­gäng­lich macht, dass un­ter nor­ma­len Ver­hält­nis­sen mit ei­ner Kennt­nis­nah­me zu rech­nen ist. Da der Klä­ger hier un­mit­tel­bar ober­halb des Hin­wei­ses den Ab­bu­chungs­auf­trag un­ter­schrie­ben hat, kommt es dar­auf an, ob die Be­klag­te an­neh­men durf­te, dass er bei die­ser Ge­le­gen­heit von dem Hin­weis Kennt­nis nimmt. Das ist nicht der Fall.

Beim Er­halt ei­ner Rech­nung prüft ein Kun­de re­gel­mä­ßig, ob die ab­ge­rech­ne­ten Leis­tun­gen kor­rekt auf­ge­führt sind, und [er] über­prüft den Be­trag. Un­ter­schreibt er ei­ne Rech­nung, muss er al­les le­sen, wor­auf sich sei­ne Un­ter­schrift be­zieht. Dies ist al­les, aber auch nur das­je­ni­ge, was ober­halb der Un­ter­schrift steht, hier et­wa der Ab­bu­chungs­auf­trag als sol­cher und der Be­trag, auf den er sich be­zieht. An­lass, wei­ter zu le­sen, be­steht da­ge­gen grund­sätz­lich nicht. Nach der Kon­zen­tra­ti­on dar­auf, dass sich die Un­ter­schrift auf den rich­ti­gen Be­trag be­zieht, und der nach­fol­gen­den Un­ter­schrift über­gibt der Kun­de in der Re­gel das Ori­gi­nal mit Un­ter­schrift dem Un­ter­neh­mer, wäh­rend er selbst ein Dop­pel – hier oh­ne Un­ter­schrift – er­hält. Die­ses sich nä­her an­zu­schau­en hat­te der Klä­ger nach Ab­schluss des bar­geld­lo­sen Zah­lungs­vor­gangs kei­nen An­lass.

Die den Hin­weis ent­hal­ten­de Fol­ge­zei­le ist hier op­tisch nicht der­art her­vor­ge­ho­ben, dass sie be­reits beim Prü­fen und Un­ter­schrei­ben der Rech­nung bzw. Ab­bu­chungs­er­mäch­ti­gung der­art ins Au­ge springt, dass sie zur Kennt­nis ge­nom­men wer­den muss. Ei­ne farb­li­che Her­vor­he­bung fehlt. Im un­te­ren Teil der Rech­nung fin­det sich noch mehr Text in ver­schie­de­nen Schrift­grö­ßen. Un­mit­tel­bar nach dem Hin­weis kommt in glei­cher Schrift­grö­ße der Schrift­zug „E – Der Spe­zia­list fur Rei­fen, Rä­der und Ser­vice“; dar­un­ter folgt Klein­ge­druck­tes, näm­lich ei­ne Da­ten­schutz­er­klä­rung, die der Klä­ger je­doch nicht un­ter­zeich­net hat. Auf den ers­ten Blick könn­te es sich bei dem ge­sam­ten Be­reich un­ter­halb der Un­ter­schrift um ir­gend­wel­che An­ga­ben aus dem Be­reich der Be­klag­ten han­deln, die der Wer­bung die­nen und kei­ner wei­te­ren Auf­merk­sam­keit be­dür­fen. Die dop­pel­ten Li­ni­en, wel­che den Hin­weis ein­fas­sen, sol­len zwar mög­li­cher­wei­se die Auf­merk­sam­keit auf die­sen rich­ten, las­sen ihn je­doch eher op­tisch zu­rück­tre­ten. Der ge­wis­se Ab­stand zum üb­ri­gen Text än­dert dar­an nichts.

Es ist dem Klä­ger da­her auch nicht vor­zu­wer­fen, dass er den Hin­weis über­se­hen hat. Dass er ihn ge­le­sen, aber nicht be­ach­tet ha­be, be­haup­tet die Be­klag­te selbst nicht.

d) Die Ver­let­zung der Hin­weis­pflicht war kau­sal für den Scha­den. Es be­steht ei­ne tat­säch­li­che Ver­mu­tung da­für, dass sich der Klä­ger auf­klä­rungs­ge­recht ver­hal­ten hät­te und das Ab­lö­sen des Ra­des auf dem Un­ter­las­sen des ge­bo­te­nen Nach­zie­hens der Schrau­ben be­ruht. Die Be­klag­te hat kei­ne kon­kre­ten Ur­sa­chen be­nannt, auf de­nen das Ab­lö­sen des Ra­des sonst be­ru­hen könn­te.

3. Der Klä­ger muss sich ein Mit­ver­schul­den bei der Ent­ste­hung des Scha­dens ent­ge­gen­hal­ten las­sen (§ 254 I BGB).

Durch das wi­der­spruchs­freie und nach­voll­zieh­ba­re Gut­ach­ten des Sach­ver­stän­di­gen Dipl.-Ing. (FH) F vom 26.04.2011, dem sich die Kam­mer nach ei­ge­ner Prü­fung an­schließt, ist be­wie­sen, dass sich die ein­zel­nen Rad­schrau­ben nach und nach aus den Ge­win­den ge­dreht ha­ben. Dass dies für den Klä­ger be­reits vor Fahr­an­tritt er­kenn­bar war, hält das Ge­richt al­ler­dings nicht für er­wie­sen, da die Er­kenn­bar­keit nach dem Gut­ach­ten vom Fort­schritt des Aus­dreh­vor­gangs ab­hängt und hier­zu kei­ne Er­kennt­nis­se vor­lie­gen. Auf den Um­fang der aus § 23 I StVO und § 31 StV­ZO fol­gen­den Pflich­ten kommt es da­her nicht an.

Je­den­falls aber führ­te nach den Fest­stel­lun­gen des Sach­ver­stän­di­gen die all­mäh­li­che Lo­cke­rung der Rad­schrau­ben zu ei­ner wahr­nehm­ba­ren Ver­än­de­rung der Ge­räusch­ku­lis­se und vor al­lem der Fahr­ei­gen­schaf­ten des Fahr­zeugs. Die­se Ge­räu­sche kön­nen sich nach dem Gut­ach­ten als Klap­pern/Schla­gen bei Kur­ven­fahr­ten, Kla­ckern bei je­dem Be­schleu­ni­gungs- und Brems­vor­gang, Rum­peln, Schla­gen etc. äu­ßern. Der Sach­ver­stän­di­ge führt wei­ter aus, dass lo­se Rad­schrau­ben bei Len­k­ein­schlä­gen und in be­stimm­ten Ge­schwin­dig­keits­be­rei­chen üb­li­cher­wei­se zu tak­til wahr­nehm­ba­ren Vi­bra­tio­nen und Schla­gen etc. am Lenk­rad bzw. zu Rum­peln bzw. schwam­mi­gem Fahr­ver­hal­ten führ­ten. Die­se Ver­än­de­run­gen im Fahr­ver­hal­ten sei­en für ei­nen auf­merk­sa­men Fahr­zeug­füh­rer oh­ne Wei­te­res wahr­nehm­bar, wo­hin­ge­gen die Ge­räusch­ver­än­de­run­gen nur ab­hän­gig von den äu­ße­ren Ein­flüs­sen so­wie dem Ge­räusch­pe­gel im In­nen­raum des Fahr­zeu­ges wahr­ge­nom­men wer­den könn­ten. Dass der Ver­lust ei­nes Ra­des oh­ne Vor­an­kün­di­gung aus­ge­löst wer­de, sei tech­nisch un­mög­lich.

Da die Ge­räusch­ku­lis­se nicht be­kannt ist, ist dem Klä­ger nur vor­zu­wer­fen, dass er auf die durch das Gut­ach­ten be­wie­se­nen Ver­än­de­run­gen im Fahr­ver­hal­ten nicht re­agiert hat. Er hät­te die­se Ver­än­de­run­gen wahr­neh­men kön­nen und das Fahr­zeug so­fort – und lang­sam – zur Kon­trol­le in ei­ne Werk­statt brin­gen müs­sen.

Un­ter Ab­wä­gung der bei­der­sei­ti­gen Ver­schul­dens­an­tei­le ist die Kam­mer zu ei­ner Mit­haf­tung des Klä­gers in Hö­he von 30 % ge­langt. Das Ver­schul­den der fach­kun­di­gen Be­klag­ten über­wiegt nach Auf­fas­sung der Kam­mer in Be­zug auf den ein­ge­tre­te­nen Er­folg …

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