Zur Frage, ob es vor einem wirksamen Rücktritt auch dann einer Frist zur Nacherfüllung bedarf, wenn dem Käufer ein Montagsauto geliefert wurde, das wegen seiner – namentlich auf schlechter Verarbeitung beruhenden – Fehleranfälligkeit insgesamt mangelhaft ist und von dem zu erwarten steht, dass es den Zustand der Mangelfreiheit nie über längere Zeit erreichen wird.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.03.2011 – I-3 U 47/10
Sachverhalt: Die Parteien schlossen im Mai 2005 einen Kaufvertrag über ein Neufahrzeug. Die Beklagte übergab das Fahrzeug am 18.10.2005 an den Kläger, der den Kaufpreis teilweise über eine Leasingbank finanzierte.
Seit Januar 2006 – und auch noch während des von ihm betriebenen selbstständigen Beweisverfahrens – rügte der Kläger eine Vielzahl von Mängeln. Das Auto befand sich mindestens zweimal (Ende Januar 2006 und Anfang Mai 2006) zur Behebung von Mängeln in der Werkstatt der Beklagten. Mit Anwaltsschreiben vom 04.08.2006 forderte der Kläger die Beklagte zur Beseitigung bestimmter, seiner Ansicht nach noch verbliebener Mängel auf, und mit weiterem Anwaltsschreiben vom 09.08.2007 erklärte er unter Bezugnahme auf die bis dahin sachverständig festgestellten Mängel den Rücktritt vom Kaufvertrag. Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger den Wagen – in einem Zustand nach Unfall – an die Beklagte zurückgegeben.
Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger im Wesentlichen Rückabwicklungsansprüche gegen die Beklagte. Er hat in erster Linie geltend gemacht, er habe der Beklagten vor der Erklärung des Rücktritts keine Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen müssen, da es sich bei dem gekauften Fahrzeug um ein „Montagsauto“ („Zitronenwagen“) handele. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es dieser Auffassung nicht gefolgt ist.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: B. … II. Ausschlaggebend für die Begründetheit aller Klagebegehren ist die Berechtigung des Klägers, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Hierfür wiederum ist maßgeblich, ob eine über das Schreiben vom 04.08.2006 hinausgehende Bestimmung einer Nacherfüllungsfrist gemäß § 323 II Nr. 1 oder Nr. 3 BGB oder § 440 BGB entbehrlich war. Das ist nicht der Fall.
1. Das Schreiben vom 04.08.2006 mit Fristsetzung zur Nachbesserung … bezieht sich auf vier Mangelerscheinungen, die durch die vorangegangenen Nachbesserungsbemühungen der Beklagten nicht abgestellt worden sein sollten: Pulsieren der Bremse, Brummen des Automatikgetriebes, Pfeifen des Automatikgetriebes und spätes Einlegen des fünften Gangs. Hiervon hat die Beweisaufnahme allein das Pulsieren der Bremse als Mangel erwiesen; die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen sind überzeugend und werden von den Parteien auch nicht angegriffen.
Weitergehende, auf sonstige Mängel bezogene Fristsetzungen sind nicht feststellbar.
Bei dem besagten einen Mangel, hinsichtlich dessen das Erfordernis der Fristsetzung erfüllt ist, kann zwar nach § 476 BGB davon ausgegangen werden, dass er bereits bei Gefahrübergang vorlag, weil die Beklagte anderes nicht bewiesen hat. Gleichwohl vermag der Kläger auf ihn den Rücktritt nicht zu stützen. Denn die in der Mangelhaftigkeit insoweit liegende Pflichtverletzung ist unerheblich i. S. des § 323 V 2 BGB, da die Interessenabwägung ergibt, dass allein wegen jenes Mangels dem Kläger als Käufer noch zugemutet werden konnte, sich mit einer Minderung des Kaufpreises zu begnügen.
Das Pulsieren schränkte die Gebrauchstauglichkeit des Wagens nicht nennenswert ein, insbesondere hat der Sachverständige nicht festgestellt, dass dadurch die Fahrsicherheit beeinträchtigt worden wäre. Im Übrigen wurde das Fahrzeug noch mehrere Jahre und mehrere zehntausend Kilometer benutzt, und der Kläger hat nicht vorgebracht, den Defekt anderweitig behoben zu haben. Der das Pulsieren herbeiführende Mangel ließ sich mühelos und mit Kosten unterhalb der Bagatellgrenze beheben. Denn nach den auch insoweit tragfähigen Feststellungen des Sachverständigen betraf das Pulsieren nur das vordere rechte Rad und war durch Erneuerung der dortigen Bremsscheibe und Bremsklötze zu beheben. Als Ursache der pulsierenden Bremse hat der Sachverständige eine verzogene Bremsscheibe bezeichnet. Eine Ermittlung der Ursache für dieses Verziehen und damit die Feststellung eines etwaigen weiterreichenden „Ursprungsfehlers“ war nicht möglich, wie der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Landgericht am 31.03.2010 ausdrücklich erklärt hat; diese Unaufklärbarkeit geht zulasten des Klägers. Für die erforderliche Reparatur hat der Sachverständige knapp 400 € brutto und damit weniger als 1 % des Kaufpreises in Ansatz gebracht.
2. Soweit die Beweisaufnahme das Vorliegen von Mängeln bei Gefahrübergang ergeben hat, ist dem beiderseitigen Parteivorbringen nicht zu entnehmen, dass – mit Ausnahme des soeben behandelten Pulsierens der Bremse – ein Nachbesserungsversuch der Beklagten fehlgeschlagen oder eine vom Kläger der Beklagten gesetzte Nachbesserungsfrist ergebnislos abgelaufen wäre oder die Beklagte die Nacherfüllung verweigert hätte. Anderes wird auch mit der Berufungsbegründung nicht behauptet.
Soweit in dem Schreiben vom 04.08.2006 ein Mangel der Verkleidung am linken mittleren Fensterholm erwähnt wird, ist nicht erkennbar, dass dieser Defekt bereits bei Gefahrübergang vorlag, weil nicht ersichtlich ist, dass er sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang – also bis zum 18.08.2006 – gezeigt hätte (§ 476 BGB), und der Kläger jene Tatsache auch nicht positiv bewiesen hat, da der Sachverständige eine entsprechende Feststellung nicht zu treffen vermocht hat.
3. Bei dieser Lage kommt es darauf an, ob eine Fristsetzung entbehrlich war, weil es sich bei dem gekauften Fahrzeug um ein „Montagsauto“ handelte. Das ist zu verneinen.
a) Mit dem Begriff des „Montagsautos“ sollen Fälle erfasst und einer sachgerechten Lösung zugeführt werden, in denen einem Käufer eine Nachbesserung von vornherein unzumutbar ist, weil das Auto als solches eine „Zumutung“ für ihn darstellt. Allerdings kann diese Erkenntnis immer erst im Nachhinein, das heißt nach Eintritt eines bestimmten Geschehensablaufs gewonnen werden. Deshalb kommt es praktisch darauf an, ab welchem Erkenntnisstand, mithin aufgrund welcher Beurteilungsgrundlage die Qualifizierung als „Montagsauto“ gerechtfertigt ist.
Das ist zumindest bei einem Neuwagen (wie hier) dann der Fall, wenn das bisherige Geschehen die wertende und prognostische Elemente enthaltende Beurteilung zulässt, es handele sich um ein Fahrzeug, das wegen seiner auf Qualitätsmängeln – namentlich auf schlechter Verarbeitung – beruhenden Fehleranfälligkeit insgesamt mangelhaft ist, und von dem zu erwarten steht, dass es den Zustand der Mangelfreiheit nie über längere Zeit erreichen werde. Eine so verstandene „Gesamtmangelhaftigkeit“ ist zwar irreparabel, doch wird die hierdurch begründete Unmöglichkeit der Nachbesserung nach der Interessenlage durch den bereits aufgezeigten Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit überlagert. Dies betrifft jedoch allein die Seite der Rechtsfolge, die Mangelhaftigkeit kraft Fehleranfälligkeit selbst ist ohne Rückgriff auf Gesichtspunkte der Zumutbarkeit, eben streng „mangelbezogen“, festzustellen.
Im Einzelnen ist dabei ohne Belang, ob, kaum dass ein Mangel beseitigt ist, der nächste auftritt, oder ob sich ein schon behoben geglaubter Mangel erneut bemerkbar macht. Auch spielt die Anzahl der Nachbesserungsversuche, praktisch also der Werkstattaufenthalte, keine ausschlaggebende Rolle. Wohl aber bedarf es einer Vielzahl zumindest mehr oder minder kleinerer, in jedem Fall aber herstellerbedingter Defekte. Alle sonstigen Umstände sind im Rahmen einer umfassenden Prüfung des einzelnen Falles zu bewerten und abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, dass das "Montagsauto" einen Typus darstellt. Durch Zahlen festgelegte Abgrenzungen nach Fehlerhäufigkeit, zeitlicher Begrenzung oder Umfang absolvierter Laufleistung würden dem nach Ansicht des Senats zuwiderlaufen. Indes wird es umso weniger für das Vorliegen des Typus sprechen, wenn sich die – relevanten – Mängel nur auf einen einzelnen Bereich des Fahrzeugs erstrecken sowie in ihrer Gesamtzahl erst über einen längeren Zeitraum und eine größere Laufleistung auftreten (im Wesentlichen wie vorstehend Reinking/Eggert, Der Autokauf, 10. Aufl. [2009], Rn. 496–501; OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.09.1997 – 22 U 19/97, NJW-RR 1998, 845; Urt. v. 30.07.2003 – 3 U 4/03, DAR 2003, 519; Urt. v. 10.02.2006 – I-22 U 149/05; OLG Frankfurt/M., NJW-RR& 1990, 889; OLG Köln, NJW-RR 1992, 1147; OLG Rostock, Urt. v. 08.04.2008 – 1 U 65/08, DAR 2009, 204; KG, Urt. v. 27.07.2009 – 12 U 35/08, NJW-RR 2010, 706; teilweise a. A. Breidenstein, DAR 2009, 542 m. w. Nachw.).
b) Der Kläger erklärte den Rücktritt rund ein Jahr und zehn Monate nach Gefahrübergang, nämlich der Übergabe des Wagens, bei einem Kilometerstand (gemäß Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 06.07.2007) von jedenfalls über 29.000 km. Zu diesem Zeitpunkt, dem 09.08.2007, waren – unstreitig oder bewiesen – allenfalls folgende Mängel feststellbar:
- pulsierende Bremswirkung an der Bremse vorne rechts
- Defekt des Stoßdämpfers vorne links
- fehlerhafte Einstellung der Führung der Schiebetüre
- gelöste Verkleidungen eines Sicherheitsgurts, an einem Fensterholm sowie an der Innenseite der Schiebetüre
- unzureichende Anbringung von Plastikan- und -einbauten sowie Kabelleitungen im Bereich des Armaturenbretts
- defekte Befestigung des Luftfilters
- defekte Beleuchtung des Make-up-Spiegels
- Quietschen der Sitzauflagen beider Vordersitze
- überdurchschnittliche Abnutzung an der Außenseite der Profillauffläche der Vorderreifen
Davon lagen – sei es aufgrund der Vermutung des § 476 BGB, sei es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme – bei der für den Kläger günstigsten Bewertung feststellbar bei Gefahrübergang vor: Armaturenbrett, Stoßdämpfer, Sitzauflagen, Bremse (jeweils § 476 BGB, Armaturenbrett auch bewiesen); Schiebetürführung, Luftfilter (bewiesen).
Den Grund für die fehlerhafte Vorderachsgeometrie hat der Sachverständige, namentlich angesichts der Vielzahl möglicher Ursachen, nicht mit der notwendigen Sicherheit ausmachen können, sondern – was nicht genügt, da ein Fall des Beweises des ersten Anscheins oder gar der Beweislastumkehr dadurch nicht begründet wird – höchstens eine bestimmte Vermutung aufgrund einer Änderung der Vorgaben der Einstellwerte durch den Hersteller in späterer Zeit geäußert.
Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang darüber hinaus im vorliegenden Zusammenhang der Qualifizierung eines Fahrzeugs als „Montagsauto“ auch bei Gefahrübergang lediglich „angelegte“ oder gar „latente“ Mängel berücksichtigungsfähig wären, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn der Sachverständige hat, über die schon genannten Mängel hinausgehend, auch keine derartige Anlage oder Latenz festzustellen vermocht.
Jene lediglich sechs Mängel betreffen zwar unterschiedliche Bereiche des Fahrzeugs. Auch ist bei einer dem Kläger günstigen Betrachtung zu berücksichtigen, dass drei von ihnen (Armaturenbrett, Stoßdämpfer und wohl auch Luftfilter) bei Werkstattaufenthalten trotz entsprechender Rügen des Klägers nicht behoben wurden. Andererseits hat der Kläger mit Schriftsatz vom 08.02.2008 selbst aufgezeigt, dass sich die frühesten der besagten Mängel erst rund drei Monate und knapp 3.300 km nach Übergabe zeigten, weitere nach rund weiteren vier Monaten und 4.500 km, die übrigen noch später. Angesichts dessen hat die Beurteilung durch das Gericht dahin zu gehen, dass sich bei Erklärung des Rücktritts aus den ohnehin in recht überschaubarer Zahl vorliegenden (nach den aufgezeigten Grundsätzen rechtlich) relevanten Mängeln im Hinblick auf die bis zu ihrem Auftreten verstrichene Zeit und die bis dahin schon zurückgelegten Kilometer insgesamt nicht einmal ein tragfähiger Schluss auf eine das gesamte Fahrzeug erfassende ungenügende Verarbeitungsqualität ziehen ließ; noch weniger war die Prognose gerechtfertigt, eine schlechte Gesamtqualität sei von einer Intensität, die künftig einen Zustand der Mangelfreiheit über nennenswerte Zeiträume als unwahrscheinlich erscheinen lasse.
c) Das etwaige Auftreten von Mängeln nach Abgabe der Rücktrittserklärung ist ohne Belang. Aus diesem Grunde erweist sich auch das Absehen des Landgerichts von einer weiteren Beweisaufnahme als richtig.
Dies bedarf keiner näheren Begründung, soweit jene Mängel vom Kläger zur Rechtfertigung der ausdrücklichen Rücktrittserklärung vom 09.08.2007 herangezogen werden. Denn es geht aus Gründen der Rechtssicherheit nicht an, die Wirksamkeit einer Gestaltungserklärung mit einer nachträglich eingetretenen Sachlage zu begründen und damit erst im Nachhinein herbeizuführen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die nachträglich eingetretenen Tatsachen jeweils als Haupttatsache oder Indiz qualifiziert werden.
Nichts anders gilt aber auch, falls man der Wertung des Klägers folgen wollte, er habe im Verlaufe des vorliegenden Rechtsstreits weitere Rücktritterklärung in schlüssiger Form abgegeben. Denn als deren früheste kommt die Klageerhebung in Betracht, und die mit der Klage gerügten weiteren, bis zur Rechtshängigkeit am 29.10.2007 angeblich aufgetretenen Mängel … liegen jedenfalls außerhalb des für die Einordnung als „Montagsauto“ zu berücksichtigenden Zeitraums (alle späteren angeblichen Mängel ohnehin).
Von den besagten vier Mängeln sollen zwei im Oktober 2007, die beiden anderen zumindest nach dem 09.08.2007 aufgetreten sein, mithin rund 22 bis 24 Monate nach Gefahrübergang. Zur Zeit der Abfassung der Klageschrift unter dem 12.10.2007 betrug die Laufleistung des Fahrzeugs nach eigenen Angaben des Klägers 33.000 km. Jedenfalls bei einem derart großen Abstand von der Übergabe nach Zeitablauf und Nutzung sind dann auftretende Defekte ohne Rückschlusswert im oben unter a) dargestellten Sinne, nämlich für den Schluss auf eine „Gesamtmangelhaftigkeit“ kraft Fehleranfälligkeit.
Auf die im Senatstermin erörterte Frage, ob die Annahme konkludenter weiterer Rücktrittserklärungen nach ausdrücklicher Ausübung dieses Gestaltungsrechts in Verbindung mit der Anerkennung des Typus des „Montagsauto“ geeignet sein könnte, die vertraglich getroffene Risikozuordnung zu unterlaufen, kommt es nach alledem nicht mehr an …