1. Bei der Regel des § 440 Satz 2 BGB handelt es sich nur nur um eine „Faustformel“, die nicht schematisch anzuwenden ist. Deshalb sind bei funktionellen Mängeln, die sich nur schwer lokalisieren lassen und deren Ursache schwer zu finden ist, auch mehr als zwei Nachbesserungsversuche zumutbar.
  2. Im Falle eines Rücktritts ist der Wertersatz für die Nutzung des Fahrzeugs anhand der gefahrenen Kilometer im Verhältnis zur voraussichtlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs unter Berücksichtigung des Bruttokaufpreises zu berechnen. Die Gebrauchsvorteile sind zu kürzen, wenn die Gebrauchstauglichkeit oder der Fahrkomfort des Fahrzeugs maßgeblich eingeschränkt wird.
  3. Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, ist es sachgerecht, als Nutzungsersatz regelmäßig 0,67 % des Bruttokaufpreises je 1.000 gefahrene Kilometer anzusetzen und davon nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen abzuweichen.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.02.2006 – I-22 U 149/05

Sachverhalt: Der Kläger verlangt von dem Beklagten Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Mercedes-Benz CL 500.

Der Kläger leaste einen Pkw Mercedes-Benz CL 500 Coupe mit Tageszulassung. Das Fahrzeug wurde ihm am 25.09.2002 übergeben, nachdem der Leasinggeber den Kaufpreis (113.347,08 € brutto ) an den Verkäufer gezahlt hatte. Mit Schreiben vom 17.02.2003, vom 04.04.2003 und vom 28.04.2003 rügte der Kläger mehrere Mängel an dem Fahrzeug. Absprachegemäß suchte er verschiedene Mercedes-Benz-Vertragswerkstätten auf. Mit Schreiben vom 15.05.2003 erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte den Verkäufer zur Rücknahme des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises auf.

Das Landgericht hat den Beklagten nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Zahlung von 82.990,47 € Zug um Zug gegen Rücknahme des Fahrzeugs verurteilt und festgestellt, dass er sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Verzug befindet. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Fahrzeug weise ein „Mängelpaket“ auf; es handele sich um ein sogenanntes „Montagsauto“, und ein Rücktritt des Klägers sei gerechtfertigt. Der Beklagte habe daher den Bruttobetrag abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 30.156,61 €, entsprechend 1 % des Bruttoanschaffungspreises je 1.000 gefahrene Kilometer, zurückzuzahlen. Bei der Berechnung der Höhe der Nutzungsentschädigung sei davon auszugehen, dass das Fahrzeug der Oberklasse einem besonders hohen Wertverlust unterliege.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelgt. Der Kläger begehrt die Zahlung weiterer 30.356,61 € und meint, der von dem Landgericht veranschlagte Nutzungsersatz in Höhe von 1 % des Kaufpreises je 1.000 gefahrene Kilometer sei überhöht. Es handle sich hier um ein langlebiges Fahrzeug, bei dem von einer Gesamtfahrleistung von 200.000 km bis 300.000 km auszugehen sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Nutzung des Pkw durch die zahlreichen Mängel beeinträchtigt gewesen sei. Es sei daher von einem pauschalen Nutzungsersatz in Höhe von 5.000 € bzw. einem Prozentsatz von 0,4 % des Kaufpreises je 1.000 gefahrene Kilometer auszugehen. Die Berufung des Beklagten hatte keinen, die des Klägers teilweise Erfolg.

Aus den Gründen: B. … I. Der Kläger kann Rückabwicklung des Kaufvertrags und Zahlung eines Betrags in Höhe von 93.008,15 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs Mercedes-Benz CL 500 gem. den § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 440, 323, 346, 348 BGB verlangen. Außerdem ist der Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Verzug …

3. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das … gelieferte Fahrzeug mangelhaft ist. Weitere Nachbesserungsversuche sind dem Kläger nicht zumutbar.

a) Der Kläger hat substanziiert und eingehend die Mängel des Fahrzeugs dargelegt. Er hat sich hierbei im Wesentlichen auf die Schadenshistorie gestützt. Daraus ergibt sich, dass das Fahrzeug wegen zahlreicher Beanstandungen zwischen dem 17.10.2002 und dem 16.4.2003, also in einem Zeitraum von ca. sechs Monaten, mindestens elf Mal in einer Vertragswerkstatt untersucht worden war. Der Beklagte hat dies nicht ausreichend bestritten. Er hat sich insoweit unzulässigerweise auf „Nichtwissen“ i. S. des § 138 IV ZPO berufen, obwohl es ihm zumutbar gewesen wäre, sich die entsprechenden Informationen hinsichtlich der behaupteten Mängel zu beschaffen und zu erwidern. Da [der Verkäufer] über keinen eigenen Reparaturbetrieb verfügte, war der Kläger absprachegemäß darauf angewiesen, Vertragswerkstätten aufzusuchen, um dort die aufgetretenen Sachmängel im Rahmen der Garantie oder Gewährleistung beheben zu lassen. Bei Vorgängen, die in den Verantwortungsbereich einer Partei fallen, kann sich diese nicht auf die arbeitsteilige Organisation und Auslagerung von Aufgaben berufen, um sich ihrer Substanziierungslast zu entziehen (vgl. Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 138 Rn. 14, 16). Der Beklagte ist hierauf in der mündlichen Verhandlung vom 13.01.2006 hingewiesen worden …

b) Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass das Fahrzeug nicht die vorgesehene Beschaffenheit aufgewiesen hat und in mehreren Bereichen mangelhaft gewesen ist bzw. nach wie vor ist.

So ist die Fensterführung fehlerhaft und am 17.12.2002 und am 16.04.2003 untersucht worden. Wie der Sachverständige N plausibel erläutert hat, besteht dieses Problem weiterhin, die Fenster schaben an den Türdichtungen. Auch versprechen weitere Nachbesserungsversuche keine Besserung, weil der Sachverständige N plausibel erläutert hat, dass es sich um ein Konstruktionsproblem handele. Darüber hinaus ist auch die Elektrik des Fahrzeugs ersichtlich fehleranfällig und daher mangelhaft. So war das Fahrzeug zwischen Oktober 2002 und März 2003 in mindestens sechs Fällen … in Vertragswerkstätten, um die Elektrik, einschließlich der Batterie und des Drehstromgenerators, reparieren zu lassen. Dass auch die Sensorik und Elektronik des Pkw insgesamt fehlerhaft und instabil funktioniert, zeigen die Reparaturversuche vom 17.10.2002, 30.01.2003, 07.02.2003, 21.03.2003 und 01.04.2003.

Auch wenn die aufgetretenen Fehlfunktionen an verschiedenen Geräten aufgetreten sein mögen, handelt es sich gleichwohl der Sache nach um einen einheitlichen Sachmangel, der auch nach mindestens sechs Nachbesserungsversuchen nicht behoben werden konnte. So hat der Sachverständige N festgestellt, dass das Steuergerät, das Telefon und der CD-Spieler erneut ohne erkennbaren Grund und nicht reproduzierbar ausgefallen seien. Dies spricht dafür, dass die Systeme nicht ausreichend aufeinander abgestimmt und störanfällig sind. Der Sachverständige N hat in seinem Gutachten vom 16.02.2005 festgestellt, dass trotz der zahlreichen, in kurzem Zeitraum erfolgten Werkstattbesuche weiterhin nicht unerhebliche Mängel bestehen. Wie bereits dargestellt, hat der Sachverständige erläutert, dass das Informationssystem ohne erkennbaren Grund „abgestürzt“ sei. Auch habe sich die Telefonanlage abgeschaltet. Die unschönen und angesichts des hohen Kaufpreises des Pkw nicht hinnehmbaren Beschädigungen und Abschabungen an den Gummidichtungen der Türen hat er ebenfalls bestätigt. Er hat verdeutlicht, dass es sich hierbei um einen konstruktionsbedingten Mangel handele.

c) Weitere Nachbesserungsversuche waren dem Kläger nicht zumutbar. Die Nachbesserung ist endgültig i. S. des § 440 Satz 1 BGB fehlgeschlagen. Gemäß § 440 Satz 2 BGB n.F. wird vermutet, dass eine Nachbesserung fehlgeschlagen ist, wenn erfolglos zum zweiten Mal versucht worden ist, einen Mangel zu beheben (vgl.MünchKomm-BGB/Westermann, 4. Aufl. [2004], § 440 Rn. 9). Grundsätzlich ist daher regelmäßig hinsichtlich jeden gerügten Mangels ein zweimaliger erfolgloser Nachbesserungsversuch erforderlich (vgl. Palandt, BGB, 64. Aufl., § 440 Rn. 7).

Es handelt sich bei der Regel des § 440 Satz 2 BGB aber nur um eine „Faustformel“, die nicht schematisch anzuwenden ist (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rn. 278). Zu berücksichtigen sind die Art der Sache und Art und Schwere des Mangels sowie sonstige Umstände. Bei funktionellen Mängeln, die schwer zu lokalisieren sind und deren Ursache schwer zu finden ist, sind auch mehr als zwei Nachbesserungsversuche zumutbar (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 281). Von einem sogenannten „Montagsauto“, einem Fahrzeug, bei dem immer wieder verschiedene Mängel auftreten, kann dann ausgegangen werden, wenn das Fahrzeug insgesamt aufgrund von Qualitätsmängeln als mangelhaft einzustufen ist (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 282).

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind dem Kläger hier keine weiteren Nachbesserungsversuche mehr zuzumuten. Er hat sich mit dem Fahrzeug mindestens in elf Fällen in Vertragswerkstätten begeben müssen, um Defekte beheben zu lassen. Wie bereits dargelegt, sind hinsichtlich der im Bereich der Elektrik und Elektronik aufgetretenen Mängel weit mehr als zwei Nachbesserungsversuche erfolgt. Darüber hinaus musste der Beifahrersitz repariert werden, weil die Rückenlehne nicht einrastete. Hierbei handelt es sich um einen sicherheitsrelevanten Mangel, der zwar behoben worden ist, aber angesichts der zahlreichen anderen Mängel in nachvollziehbarer Weise das Vertrauen des Klägers in die Zuverlässigkeit und Sicherheit des Fahrzeugs erheblich beeinträchtigt …

e) Die aufgetretenen Mängel an der Elektronik und Elektrik stellen auch nicht eine bloß unerhebliche Pflichtverletzung i. S. des § 323 V BGB dar. So erscheint ein in unregelmäßigen Abständen, nicht reproduzierbarer Komplettabsturz des Informationssystems nicht als unerheblicher Mangel. Die Komfortfunktionen des Fahrzeugs waren für den Kläger erkennbar von maßgeblicher Bedeutung. So hat [der Verkäufer] allein für Komfort- und Elektronikfunktionen mehr als 16.000 € netto berechnet, 15 % des Gesamtkaufpreises. Ferner waren nur als Zusatzausstattung für Telefon, das Bedien- und Anzeigesystem … sowie das TV- und Audiosystem 5.345 € netto (= 6.200,20 € brutto) berechnet worden. Auch ist einem Käufer nicht zuzumuten, in wiederkehrenden Abständen elektronische Geräte aufgrund eines Systemabsturzes während der Fahrt neu zu programmieren oder PIN-Zahlen einzugeben.

f) Der Kläger hat sich einen Betrag in Höhe von 20.338,93 € als Wertersatz für die gezogenen Nutzungen des Pkw gem. § 346 II BGB anrechnen zu lassen.

Der Wertersatz für die Nutzung des Fahrzeugs ist anhand der gefahrenen Kilometer im Verhältnis zur voraussichtlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs unter Berücksichtigung des Bruttokaufpreises zu berechnen (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rn. 459 ff.). In der Rechtsprechung sind hierbei Fahrleistungen zwischen 100.000 km (1 %), 150.000 km (0,67 %) und 300.000 km (0,33 %) zugrunde gelegt worden (vgl. die Nachweise bei Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 466 ff.). Die Gebrauchsvorteile sind zu kürzen, wenn die Gebrauchstauglichkeit oder der Fahrkomfort des Fahrzeugs maßgeblich eingeschränkt wird (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 464).

Ausgehend von diesen Grundsätzen schätzt der Senat den Gebrauchswert des Fahrzeugs hier auf 0,67 % des Kaufpreises je gefahrene 1.000 km. Nach Auffassung des Senats können mit einem Wertersatz in dieser Höhe die gezogenen Nutzungen angemessen berücksichtigt werden. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die ausnahmsweise ein Abweichen von einem Prozentsatz von 0,67 %, den der Senat bereits in der Vergangenheit regelmäßig angewendet hat, rechtfertigen. Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, ist es sachgerecht, nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen einen anderen Prozentsatz anzunehmen. Ausreichende Anhaltspunkte für einen derartigen Ausnahmefall sind hier nicht ersichtlich. Wenn auch im Allgemeinen bei Fahrzeugen der Oberklasse mit einer Fahrleistung von mehr als 150.000 km zu rechnen sein mag, bleibt jedoch offen, ob dies auch für den hier zu beurteilenden Pkw gilt. So ist das Fahrzeug ersichtlich fehleranfällig und musste innerhalb kurzer Zeit repariert werden, ohne dass sämtliche Mängel dauerhaft behoben worden wären. Auch Art und Anzahl der Mängel und die hieraus resultierende Einschränkung des Nutzungswerkes waren zu berücksichtigen.

Der Senat sieht auch keine Veranlassung, im vorliegenden Fall von der vom BGH vertretenen Auffassung abzuweichen, die eine lineare Wertschwundberechnung für angemessen hält (BGH, WM 1995, 1145; vgl. auch die Nachweise bei Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 460 ff.). Anders als bei einem Schadenersatzanspruch geht es im Rahmen der Rückabwicklung eines Kaufvertrags um die Abgeltung der Gebrauchsvorteile, die ein Autokäufer erhalten hat. Außerdem ermöglicht eine lineare Berechnung eine praktikable und vorhersehbare Handhabung der Ermittlung des Wertersatzes (vgl. hierzu ausführlich Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 462). Im Übrigen wäre bei der Berechnung des Wertersatzes auf der Grundlage des Wertverlustes eines Fahrzeugs nicht auf den Wert eines mangelfreien Pkw abzustellen, sondern auf den Verkehrswert eines wie hier mit erheblichen Mängeln und Störungen behafteten Fahrzeugs.

Hier ist von einer Fahrleistung …  von 26.782 km auszugehen, die der Sachverständige N festgestellt und der Kläger sich zu eigen gemacht hat … Es ergibt sich damit ein Abzugsbetrag in Höhe von 20.338,93 € …

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