Fahrzeuge, die über einen Ecotec-Motor mit 1.400 cm³ oder 1.600 cm³ Hubraum oder einen Motor mit vergleichbarer Eco-Technik verfügen, sind mangelhaft, wenn sie sich nicht für den überwiegenden Kurzstreckeneinsatz eignen. Denn solange der Verkäufer den Käufer nicht auf etwas anderes hinweist, darf ein durchschnittlich informierter und verständiger Käufer davon ausgehen, dass er sein Fahrzeug auch im Kurzstreckenverkehr einsetzen kann, ohne dass er mit erheblichen Funktionseinbußen des Motors rechnen muss.
OLG Oldenburg, Urteil vom 04.03.2011 – 6 U 243/10
Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Gebrauchtwagen.
Der Kläger erwarb im Juli 2008 von der Beklagten einen fünf Jahre alten Pkw zu einem Kaufpreis von 9.290 €. Bereits drei Wochen nach Übergabe traten erstmals Probleme mit dem Wagen auf: Bei höheren Drehzahlen drosselte der Motor die Geschwindigkeit. Der Kläger brachte den Pkw daraufhin in die Werkstatt der Beklagten, wo ein Zündmodul ausgetauscht wurde. Mit dem Ergebnis der Reparatur war der Kläger jedoch ebenso wenig zufrieden wie mit den weiteren Untersuchungen in der Werkstatt der Beklagten. Er erklärte deshalb mit Schreiben vom 18.05.2009 den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Mit der Klage hat der Kläger die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung (418,05 €), Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, sowie auf Erstattung von Reparaturkosten (228,94 €) und An- und Abmeldekosten (75 €) in Anspruch genommen. Darüber hinaus hat er beantragt festzustellen, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet.
Der Kläger hat behauptet, die Motorelektronik des Fahrzeugs weise einen Fehler auf. Während längerer Fahrten und bei höheren Geschwindigkeiten komme es immer wieder zu einer Drosselung der Geschwindigkeit; das Fahrzeug „ziehe“ dann nicht mehr. Die Beklagte hat das Vorliegen eines Mangels bestritten. Der vom Kläger beanstandete Motorfehler sei durch den Austausch des Zündmoduls beseitigt worden.
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 8.989,15 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs, zu zahlen. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkw in Verzug befinde. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Ecotec-Motor des Fahrzeugs bei häufiger oder ständiger Kurzstreckenfahrt stocke bzw. drossele, weil sich das Abgasrückführungsventil zusetze und sich Ablagerungen im Abgaskanal bildeten. Das führe zu Zündaussetzern bis hin zum Abschalten des dritten Zylinders. Diese Probleme seien typisch für Ecotec-Motoren der entsprechenden Serie und nur dadurch zu ändern, dass der Motor zwischenzeitlich durch Autobahn- und Landstraßentouren „freigefahren“ werde. Das Motorverhalten des Fahrzeugs stelle, so das Landgericht, einen Mangel dar. Dem Käufer sei es nicht zuzumuten, regelmäßig Landstraßenfahrten und Autobahntouren zu unternehmen, um eklatante Motoreinbußen zu vermeiden. Derartige Qualitätseinbußen seien im Vergleich zu anderen Gebrauchtwagen vergleichbaren Alters und vergleichbarer Laufleistung nicht üblich. Etwas anderes gelte nicht deswegen, weil es sich bei dem Mangel um einen Fehler der gesamten Serie handele.
Die Berufung der Beklagten blieb überwiegend erfolglos.
Aus den Gründen: II. … 1. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 8.692,94 € Zug um Zug gegen Rückübereignung des Pkw …. Die Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Kaufvertrag gemäß §§ 433 I, 434 I 2 Nr. 2, § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 440, 323, 326 IV, 346 I BGB liegen vor.
a) Der Pkw … ist mangelhaft, weil er sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Fahrzeugen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB). Der Mangel lag bereits bei Gefahrübergang vor.
Der Sachverständige H hat in seinem Gutachten vom 07.06.2010 festgestellt, dass das mit einem sogenannten Ecotec-Motor ausgestattete Fahrzeug des Klägers nur dann seine volle Laufleistung entfalten kann, wenn es regelmäßig mit höherer Drehzahl auf der Autobahn oder Landstraße gefahren wird. Wird es überwiegend auf der Kurzstrecke eingesetzt, verstopft das Abgasrückführungsventil, was bei einer höheren Belastung zu einer deutlichen Leistungsredzierung des Motors bis hin zum Abschalten des dritten Zylinders führen kann. Den Ausführungen des Sachverständigen zufolge tritt dieses Problem bei den Opel-Ecotec-Motoren mit 1.400 cm³ und 1.600 cm³ Hubraum sowie bei Motoren anderer Hersteller mit vergleichbarer Eco-Technik auf. Das Laufverhalten der Motoren ist konstruktionsbedingt und entspricht dem Stand der Serie.
Für die Frage, ob ein Fahrzeug eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und von dem Käufer nach der Art der Sache erwartet werden darf (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB), ist auf den Erwartungshorizont eines Durchschnittskäufers abzustellen. Für eine Mangelfreiheit reicht es nicht aus, wenn das Fahrzeug dem Stand der Serie entspricht. Es ist ein Vergleich mit anderen, typgleichen oder sonst vergleichbaren Fahrzeugen unter Berücksichtigung des jeweiligen allgemeinen Stands der Technik vorzunehmen. Eine Beschränkung der Gewährleistung auf den Qualitätsstandard des jeweiligen Produkts würde dazu führen, dass für Konstruktions- oder Fertigungsfehler einer ganzen Serie keine Gewährleistung erfolgen müsste (so u. a. OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.06.2007 – 9 U 239/06, NJW-RR 2008, 137 f. m. w. Nachw.).
Danach kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, das Motorverhalten des Pkw … sei konstruktionsbedingt und entspreche dem Stand der Serie. Entscheidend ist, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, dass Fahrzeuge, die nach Typ, Laufleistung und Baujahr mit dem Pkw … vergleichbar sind, sich üblicherweise auch für den überwiegenden oder ausschließlichen Einsatz im Kurzstreckenbereich eignen. Es ist zwar allgemein bekannt, dass ein regelmäßiges Fahren mit höherer Drehzahl die Leistung eines Motors verbessern kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass Fahrzeuge, die überwiegend auf der Kurzstrecke, zum Beispiel im Stadtverkehr, genutzt werden, ein auffälliges Motorverhalten aufweisen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es auch durchaus vor, dass ein Fahrzeug selten oder gar nicht auf der Landstraße oder Autobahn gefahren wird. Gerade ein Pkw wie der Opel …, der häufig als Zweitwagen und – wegen des erhöhten Einstiegs – auch von älteren Leuten genutzt wird, kommt des Öfteren nur im Stadtverkehr zum Einsatz. Auch die überwiegende oder ausschließliche Nutzung im Kurzstreckenbereich entspricht daher der gewöhnlichen Verwendung eines Pkw. Ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher darf deswegen, solange er von dem Verkäufer nicht auf etwas anderes hingewiesen wird, davon ausgehen, dass er sein Fahrzeug auch im Kurzstreckenverkehr einsetzen kann, ohne mit erheblichen Funktionseinbußen des Motors rechnen zu müssen.
Auch das von der Beklagten zitierte Urteil des BGH vom 04.03.2009 – VIII ZR 160/08, NJW 2009, 2056 – rechtfertigt keine abändernde Entscheidung. Für die Beurteilung, ob ein Pkw mit Dieselpartikelfilter mangelhaft ist, weil er – wie alle Fahrzeuge mit Dieselpartikelfilter – zur Reinigung des Motors regelmäßig im Langstreckenbetrieb eingesetzt werden muss, hat der BGH nicht auf die Beschaffenheit von Kraftfahrzeugen mit Dieselmotor allgemein, sondern auf die Beschaffenheit von Kraftfahrzeugen mit Dieselmotor und Partikelfilter abgestellt und das Vorliegen eines Sachmangels verneint (BGH, Urt. v. 04.03.2009 – VIII ZR 160/08, NJW 2009, 2056). Ob der Sachmangelbegriff des § 434 I 2 Nr. 2 BGB tatsächlich so eng auszulegen ist, wie es der BGH in der vorgenannten Entscheidung getan hat, ist zweifelhaft, kann aber im Ergebnis dahinstehen. Der Sachverhalt, mit dem sich der BGH zu beschäftigen hatte, ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Ausgangspunkt in dem vom BGH zu entscheidenden Fall war, dass alle Fahrzeuge, und zwar sämtlicher Hersteller, die mit einem Dieselpartikelfilter ausgestattet sind, für einen überwiegenden Kurzstreckeneinsatz ungeeignet sind. Bei den vorliegend betroffenen Ecotec Motoren ist das anders. Der Sachverständige H hat in seinem Gutachten vom 07.06.2010 festgestellt, dass die Motoraussetzer bei den Opel-Ecotec-Motoren mit 1.400 cm³ und 1.600 cm³ Hubraum und bei Motoren anderer Hersteller mit vergleichbarer Eco-Technik auftreten. Betroffen sind danach nicht alle Ecotec-Motoren, sondern nur die mit 1.400 cm³ und 1.600 cm³ Hubraum. Ein Blick auf die Internetseite www.opel.de zeigt, dass es eine Vielzahl weiterer Ecotec Motoren gibt. Anders als bei einem Fahrzeug mit Dieselpartikelfilter ist bei einem Pkw mit Ecotec-Motor der Stand der Technik also nicht einheitlich. Es entspricht nicht der gewöhnlichen Beschaffenheit eines Fahrzeugs mit Ecotec-Motor, dass Regenerationsfahrten erforderlich sind. Vergleichsmaßstab bei der Beurteilung der Mangelhaftigkeit kann also nicht der Kaufgegenstand „Pkw mit Ecotec-Motor“ sein.
Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Pkw, um den in der vorgenannten Entscheidung des BGH gestritten wurde, mit einer Kontrollleuchte ausgestattet war, die die Notwendigkeit des Reinigungsvorgangs anzeigte. Bei dem Pkw … des Klägers gibt es eine solche Vorrichtung nicht.
b) Auch die weiteren Voraussetzungen für den vom Kläger mit Schreiben vom 18.05.2009 erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag liegen vor. Insbesondere hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass der Kläger der Beklagten keine Frist zur Nachbesserung setzen musste, weil eine Beseitigung des Mangels nach dem Gutachten des Sachverständigen H nicht möglich war.
c) Infolge des Rücktritts haben die Parteien einander die jeweils empfangenen Leistungen zurückzugewähren (§ 346 I BGB).
Die Beklagte hat dem Kläger den Kaufpreis in Höhe von 9.290 € zu erstatten. Daneben hat sie, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, die Reparaturkosten in Höhe von 228 € als notwendige Verwendungen (§ 347 II 1 BGB) sowie die An- und Abmeldekosten in Höhe von 75 € als vergebliche Aufwendungen (§ 437 Nr. 3, § 284 BGB) zu tragen.
Von dem Kaufpreis in Abzug zu bringen ist eine Nutzungsentschädigung für die von dem Kläger mit dem Fahrzeug zurückgelegten Kilometer in Höhe von 900,06 €. Der Kilometerstand des Fahrzeugs beträgt mittlerweile 85.375 km. Bei Übergabe belief er sich auf 65.998 km, sodass 19.377 km zurückgelegt wurden. Bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung ist das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Wagen eine Fahrleistung von 200.000 km erreicht, woraus sich ein zu leistender Nutzungsersatz von 0,5 % des Kaufpreises pro gefahrene 1.000 km ergibt. Danach berechnet sich die Nutzungsentschädigung wie folgt:
$$\frac{\text{9.290 €}\times0,5 \%\times\text{19.377 km}}{\text{1.000 km}} = \text{900,06 €}.$$
Insgesamt ergibt sich folgende Berechnung:
Kaufpreis | 9.290,00 € | |
zuzüglich An- und Abmeldepauschale | + | 75,00 € |
zuzüglich Reparaturkosten | + | 228,00 € |
abzüglich Nutzungsentschädigung | − | 900,06 € |
8.692,94 € |
Diesen Betrag hat die Beklagte Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs an den Kläger zu zahlen.
2. Die Feststellungen des Landgerichts zum Schuldner- und Annahmeverzug sind nicht zu beanstanden und werden mit der Berufung auch nicht angegriffen.
3. In Bezug auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten war das Urteil des Landgerichts zu ändern. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz dieser Kosten. Die Beklagte befand mit der Rückzahlung des Kaufpreises noch nicht im Verzug, als der Kläger im Mai 2009 seine Prozessbevollmächtigten mit der Rückabwicklung des Vertrags beauftragte. Der Kläger hatte zwar bereits im August/September 2008 den Wunsch geäußert, das Fahrzeug zurückzugeben, sich sodann jedoch mit einem erneuten Reparaturversuch einverstanden erklärt und den Pkw im Anschluss daran monatelang weiter genutzt. Bevor er im Mai 2009 seine Prozessbevollmächtigten mit der Rückforderung des Kaufpreises beauftragte, hätte er gegenüber der Beklagten zum Ausdruck bringen müssen, das Interesse an dem Fahrzeug endgültig verloren zu haben.
Die vorgerichtlichen Anwaltkosten kann der Kläger auch nicht gemäß § 437 Nr. 3, §§ 440, 280 I BGB ersetzt verlangen. Eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten liegt nicht vor. Für den konstruktionsbedingten Mangel des Pkw … ist sie nicht verantwortlich. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass sie bei Übergabe des Fahrzeugs Kenntnis von dem Motorfehler hatte bzw. hätte haben müssen. Die Beklagte hat auch nicht dadurch eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen, dass sie den Mangel nicht erfolgreich beseitigt hat. Den Feststellungen des Sachverständigen H zufolge war eine Fehlerbeseitigung nicht möglich. …