- Bei der Frage, ob eine Kaufsache die nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB geschuldete übliche Beschaffenheit aufweist, ist auf das redliche und vernünftige Verhalten eines Durchschnittskäufers abzustellen. Dieser Beurteilungsmaßstab schließt überzogene Qualitätsanforderungen ebenso aus wie ein unter dem Durchschnitt liegendes Qualitätsniveau.
- Zur Beantwortung der Frage, ob ein Kraftfahrzeug mangelfrei ist, ist maßgeblich auf den allgemeinen „Stand der Technik“, also auf den Entwicklungsstand aller in dieser Fahrzeugklasse vergleichbaren Kraftfahrzeuge abzustellen. Denn eine Beschränkung auf den Standard des Herstellers („Stand der Serie“) würde dazu führen, dass für Konstruktions- oder Fertigungsfehler einer ganzen Serie keine Gewährleistung erfolgen müsste.
OLG Karlsruhe, Urteil vom. 28.06.2007 – 9 U 239/06
Sachverhalt: Nachdem er von einem mit ihr am 28.02.2005 geschlossenen Kaufvertrag über ein Neufahrzeug zurückgetreten ist, begehrt der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs.
Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Rücktrittsgrund liege nicht vor. Die unzureichende und verzögerte Beschleunigung des Fahrzeugs bei Geschwindigkeiten über 140 km/h, das starke Bocken und Vibrieren beim automatischen Abregeln bei Erreichen der Höchstgeschwindigkeit von 174 km/h und die verzögerte Reaktion bei Änderungen der Tempomat-Einstellung stellten keine Sachmängel dar. Diese Funktionseinschränkungen stünden zwar nach der Beweisaufnahme fest. Es handle sich dabei aber um konzeptionell bedingte, fahrzeugspezifische Steuerungs- und Regelungsdefizite. Sie entsprächen damit dem anzulegenden Maßstab „Stand der Technik“. Mängel in Form einer Linksdrift im normalen Fahrbetrieb und einer erhöhten Bremskraft links habe die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Die vom Sachverständigen festgestellte Fehlfunktion der Funkfernbedienung stelle zwar einen Sachmangel dar; es handle sich aber um einen unerheblichen Mangel, der gemäß § 323 V 2 BGB nicht zum Rücktritt berechtige.
Die Berufung des Klägers hatte im Wesentlichen Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Das gekaufte Fahrzeug weist entgegen der Würdigung des Landgerichts zum Rücktritt berechtigende Mängel i.S von § 434 I 2 Nr. 2 BGB auf. Da auch die weiteren Rücktrittsvoraussetzungen vorliegen, ist die Beklagte gemäß § 346 I BGB i. V. mit §§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB zur Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs verpflichtet. Außerdem steht dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu. Die gezogenen Gebrauchsvorteile hat der Kläger aber in höherem Maße als von ihm berücksichtigt sich anrechnen zu lassen. Insoweit ist die Klage unbegründet.
1. Ausdrückliche Vereinbarungen i. S. des § 434 I 1 BGB zu der Fahrzeugbeschaffenheit in den gerügten Mangelbereichen behaupten beide Seiten nicht.
Es ist folglich auf § 434 I 2 BGB zurückzugreifen, wonach das klägerische Fahrzeug frei von Sachmängeln wäre, wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (Nr. 1), sonst, wenn es sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (Nr. 2). Dafür, ob eine Kaufsache die nach Nr. 2 geschuldete übliche Beschaffenheit aufweist, ist auf das redliche und vernünftige Verhalten eines Durchschnittskäufers abzustellen. Dieser Beurteilungsmaßstab schließt überzogene Qualitätsanforderungen ebenso aus wie ein unter dem Durchschnitt liegendes Qualitätsniveau. Vergleichsmaßstab sind Sachen der gleichen Art wie die Kaufsache.
Beim Qualitätskriterium „Stand der Serie“ muss das Neufahrzeug gemäß § 243 I BGB von mittlerer Art und Güte der Serie sein, der es angehört (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl. [2005], Rn. 235). Die Einhaltung des Kriteriums „Stand der Serie“ reicht aber nicht aus. Maßgeblich ist nach der fast einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Kommentarliteratur auf den allgemeinen „Stand der Technik“ abzustellen (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 241 m. w. Nachw.). Denn eine Beschränkung der Gewährleistung auf den Standard des Herstellers für sein Produkt würde dazu führen, dass für Konstruktions- oder Fertigungsfehler einer ganzen Serie keine Gewährleistung erfolgen müsste. Der Stand der Technik ist der Entwicklungsstand aller in dieser Fahrzeugklasse vergleichbaren Kraftfahrzeuge (OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.06.2005 – I-3 U 12/04, NJW 2005, 2235; … OLG Oldenburg, Urt. v. 10.02.2000 – 8 U 211/99, DAR 2000, 219 …).
2. Das streitgegenständliche Fahrzeug erfüllt nicht nur den Entwicklungsstand vergleichbarer Geländewagen nicht, es leidet auch an einem Mangel, der zu einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit führt. Die ergänzende Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Senats ergeben, dass entgegen der Würdigung des Landgerichts keine konstruktionsbedingten Besonderheiten und Eigentümlichkeiten vorliegen, die ein Käufer, der sich für einen Geländewagen entscheidet, akzeptieren muss, sondern nicht mehr hinzunehmende, erhebliche Abweichungen beim Fahrverhalten sowie der Verkehrssicherheit gegenüber vergleichbaren Fahrzeugen der gleichen Fahrzeugklasse bestehen. Der Senat hat die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nachvollzogen und macht sie zur Grundlage der eigenen Feststellungen. Der von der Beklagten herangezogene „Auto Bild“-Test ist ungeeignet, Zweifel an der Richtigkeit der gutachterlichen Angaben zu begründen.
a) Das klägerische Fahrzeug beschleunigt nach dem automatischen Gangwechsel bei Geschwindigkeiten über 140 km/h nur verzögert. Das 3-Gang-Getriebe mit einer zu-/abschaltbaren Overdrive-Stufe bewirkt mit seiner Leistungsauslegung einen zu starken Abfall der Drehzahl und damit verbunden eine zu lange Spanne, bis sich die Beschleunigung trotz unveränderter Gaspedalstellung nach Gangwechsel in den höheren Gang von 2 auf 3 wieder fortsetzt. Stattdessen tritt zunächst ein Geschwindigkeitsgleichstand von mindestens zehn Sekunden ein, der nicht dem üblichen Standard eines Geländewagens vergleichbarer Art und Preisklasse entspricht. Geländewagen werden hierzulande üblicherweise weitgehend auch im normalen Straßenverkehr eingesetzt, sodass der Geschwindigkeitsbereich über 140 km/h für den Fahrbetrieb von Bedeutung ist. Die Zeitspanne von zehn Sekunden ist im Fahrbetrieb ungewöhnlich und störend. Sie führt zu einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, wenn ein Überholvorgang knapp ist. Da selbst ein vorausschauender Fahrer nicht alle schwierigen Verkehrssituationen vorhersehen wird, kann dieses Sicherheitsrisiko nicht vollständig durch ein Mehr an Sorgfalt und Vorsicht ausgeschaltet werden. Unabhängig davon kann einem redlichen und vernünftigen Durchschnittskäufer nicht zugemutet werden, bei allen Überhol- und Beschleunigungsvorgängen jeweils eine Zehn-Sekunden-Verzögerung in sein Fahrverhalten einzubeziehen. Hinzu kommt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit diesem Mangel nicht nur vom Standard der Fahrzeugklasse sondern auch vom Vorgängermodell abweicht. Der Kläger, der das Vorgängermodell zuvor gefahren und bei der Beklagten in Zahlung gegeben hat, durfte erwarten, über die gravierende, die Verkehrssicherheit beeinflussende Änderung zum Vorgängermodell von der Beklagten informiert zu werden, was nicht der Fall war. Dieser Mangel war auch im Rahmen der erfolgten innerstädtischen Probefahrt nicht feststellbar, weshalb die Aufklärung des Klägers nicht entbehrlich war.
b) Zusätzlich dazu kann der Kläger seinen Rücktritt auch auf weitere, weniger gravierende Abweichungen sowohl vom Standard des Vorgängermodells als auch der Fahrzeugklasse stützen. Das klägerische Fahrzeug bockt und vibriert beim automatischen Abregeln bei Erreichen der Höchstgeschwindigkeit. Dies hat ein starkes Verzögerungsrucken und Nachnickbewegungen zur Folge. Das Fahrzeug ruckt und pendelt so, dass die Insassen zunächst recht unangenehm nach vorne und hinten bewegt werden. Das Verzögerungsrucken schwächt sich sogleich wieder ab. Auch dieser Mangel ist nicht durch die Konzeption eines Geländewagens vorgegeben, sondern beruht allein darauf, dass der Motor bei 174 km/h seine Leistungsgrenze noch nicht erreicht hat und deshalb automatisch abgeregelt wird.
Auf Änderungen der Einstellung reagiert der Tempomat nur mit einer ungewöhnlich langen Verzögerung. Die Verzögerung ist entgegen der Würdigung des Landgerichts ebenfalls nicht konzeptionell bedingt. Vielmehr ist die angewandte Technik schlicht veraltet. Dies entspricht weder dem Bedien- und Komfortstandard des Vorgängermodells noch dem von Konkurrenzfahrzeugen.
3. Der Kläger hat einen unstreitigen Anspruch gemäß &secet;§ 437 Nr. 2, Nr. 3, 323 I, 346 I, 284 BGB in Höhe von 29.199 €.
Dieser ist um die herauszugebende Nutzungsentschädigung zu kürzen (§ 346 I BGB). Bislang hat sich der Kläger 1.124 € – basierend auf einer Nutzung von 7.700 km – anrechnen lassen. Zu vergüten sind die Gebrauchsvorteile jedoch bis zur Rückgabe des Fahrzeugs. Das Fahrzeug ist unstreitig zwischenzeitlich mehr als 7.700 km gefahren worden und wird voraussichtlich bis zum Zeitpunkt der Rückgabe noch weiter genutzt werden, sodass sich ein höherer Betrag als auszugleichende Nutzungsentschädigung ergeben wird. Diese berechnet sich nach der gängigen Formel (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 241)
$$\text{Gebrauchsvorteil} = {\frac{\text{Bruttokaufpreis}\times\text{gefahrene Kilometer}}{\text{erwartete Gesamtfahrleistung}}}.$$
Die zu erwartende Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps hat der Sachverständige mit 250.000 km angegeben, ohne dass die Beklagte diesen Wert angegriffen hat.
Der Senat hatte bereits in der Vergangenheit entschieden, dass der Abzug unabhängig von der Feststellung der tatsächlichen Nutzung durch Angabe eines Faktors im Tenor, mit dem die bei Übergabe des Fahrzeuges tatsächlich angefallene Laufleistung multipliziert wird, erfolgen kann (OLG Karlsruhe, OLGR 2002, 248; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 07.03.2003 – 14 U 154/01, NJW 2003, 1950). Der Faktor ist bezogen auf den hier anzusetzenden Bruttokaufpreis von 28.344 € zu ermitteln. Er beträgt 28.344 € : 250.000 km = 0,1134 €/km.
4. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß §§ 437 Nr. 3, 280, 281 BGB die der Höhe nach unstreitigen Kosten des Privatgutachtens von 294,64 € und die außergerichtlichen, nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten von 583,13 € ersetzt verlangen.
Der Kläger hatte der Beklagten bereits mit Schreiben vom 21.07.2005 und 22.07.2005 wegen der streitgegenständlichen Mängel Frist zur Nacherfüllung bis 08.08.2005 gesetzt, später durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 09.8.2005 nochmals Frist zur Nacherfüllung bis 17.08.2005 setzen lassen. Erst nach erfolglosem Ablauf der vorgenannten Fristen hat er am 05.10.2005 Gutachtensauftrag erteilt …