Kommt es bei einem Neuwagen der gehobenen Mittelklasse, der mit einem Automatikgetriebe ausgestattet ist, im Fall der plötzlichen Beschleunigung bei einer Geschwindigkeit von ca. 40–50 km/h zu einer Verzögerung der Zurückschaltung, einem spürbaren Schaltstoß und einer Unterbrechung im Kraftfluss von bis zu einer Sekunde, so ist dies kein nur unerheblicher Mangel i. S. des § 323 V 2 BGB.
OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.01.2008 – I-17 U 2/07
Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Leasingvertrags wegen angeblicher Mängel am Getriebe des geleasten Fahrzeugs. Dieses wurde im Februar 2002 produziert und stand 18 Monate unverkauft bei einem Händler. Die Software der Getriebeelektronik hatte den Entwicklungsstand der 46. Kalenderwoche des Jahres 2001.
Am 11.09.2003 leaste der Kläger bei der D-Leasing GmbH (Leasinggeberin) ein „Neufahrzeug“. Dem Leasingvertrag lagen ein kalkulierter Kaufpreis von 38.875 € netto, eine dreijährige Vertragslaufzeit, ein Restwert von 55,5 % und monatliche Leasingraten von 450 € zugrunde. Nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen trat die Leasinggeberin, die das Fahrzeug bei der Beklagten erwarb, sämtliche Ansprüche im Zusammenhang mit Sachmängeln des Fahrzeugs an den Kläger ab. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 18.09.2003 übergeben.
Am 06.10.2003 rügte der Kläger Mängel an der Getriebeschaltung. Diesen Mangel behob die Beklagte nicht. Am 22.1.2004 rügte der Kläger erneut, dass das Automatikgetriebe nicht richtig schalte. Die danach von der Beklagten vorgenommene Nachbesserung blieb vergeblich. Auch nachdem der TÜV am 05.02.2004 eine deutliche Verzögerung im Ansprechen der Getriebeautomatik festgestellt hatte, blieb ein weiterer Nachbesserungsversuch der Beklagten im März 2004 erfolglos. Am 28.04.2004 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag. In einem selbstständigen Beweisverfahren stellte der Sachverständige fest, dass es bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 40–50 km/h im fünften bzw. vierten Gang mit plötzlicher Beschleunigung zeitweise im Schaltvorgang zu einer Verzögerung der Zurückschaltung, zum kurzzeitigen Auftouren des Motors (Drehzahlanstieg) sowie nach Abschluss des Schaltvorgangs zu einem spürbaren Schaltstoß komme, und dass kurzzeitig ein „Loch“ im Kraftfluss vorhanden sei. Diese Mängel treten nur zeitweise in bestimmten Fahrsituationen auf und sind nicht ständig reproduzierbar. Das Fehlen des Kraftflusses liegt im Ein-Sekunden-Bereich.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, Ansprüche wegen des Alters des Fahrzeugs seien verjährt. Hinsichtlich des Getriebe liege kein Mangel vor, weil der Sachverständige nicht festgestellt habe, dass dieser Zustand nicht dem damaligen Stand der Technik aller vergleichbaren Fahrzeuge entsprochen habe. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Der Kläger hat aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf Rückabwicklung und damit auf Zahlung des Kaufpreises … gemäß §§ 437 Nr. 2, 323, 440 BGB i. V. mit § 346 I BGB.
1. Der Kläger kann aus abgetretenem Recht klagen …
2. Das Wandlungsbegehren ist begründet.
a) Die Kaufsache (der Pkw) war bei Gefahrübergang mit einem Mangel behaftet (§ 434 BGB). Die Kaufsache weicht von der Normalbeschaffenheit ab. Die geradezu sprichwörtliche Qualität der Beklagten, mit der sie öffentlich wirbt und die sich in dem Preisniveau ausdrückt, ist jedenfalls in dem Segment der oberen Mittelklasse der X-Klasse dadurch gekennzeichnet, dass sich ihre Produkte durch ein besonderes Maß an Qualität, technischer Zuverlässigkeit und Reife und überdurchschnittlichem Komfort auszeichnen. Das dem Kläger gelieferte Fahrzeug wies ein Schadensbild auf, das mit diesem von den Vertragsparteien vorausgesetzten Zustand unvereinbar war.
Unmittelbar nach der Übergabe wies das Fahrzeug Probleme mit dem Getriebe auf. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 40–50 km/h kam es im fünften bzw. vierten Gang mit plötzlicher Beschleunigung zeitweise im Schaltvorgang zu einer Verzögerung der Zurückschaltung, zum kurzzeitigen Auftouren des Motors (Drehzahlanstieg) sowie nach Abschluss des Schaltvorganges zu einem spürbaren Schaltstoß. Ferner ist kurzzeitig ein „Loch“ im Kraftfluss bis zum Bereich bis zu einer Sekunde vorhanden. Diese Mängel sind bewiesen, denn das Beweisergebnis aus dem selbstständigen Beweisverfahren steht einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gemäß § 493 I ZPO gleich.
Unerheblich ist die Behauptung der Beklagten, dass bei allen Fahrzeugen desselben Typs … diese Mängel aufträten. Bei sogenannten Serienfehlern oder Konstruktionsfehlern an Kraftfahrzeugen kann bei der Beurteilung der Frage, ob ein Mangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB vorliegt, als Vergleichsmaßstab nicht allein auf Fahrzeuge des gleichen Typs abgestellt werden. Vielmehr ist ein herstellerübergreifender Vergleich anzustellen. Maßstab ist das Niveau, das nach Typ, Alter und Laufleistung vergleichbare Fahrzeuge anderer Hersteller erreichen und das der Markterwartung entspricht (OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.06.2005 – I-3 U 12/04, MDR 2006, 442; OLG Oldenburg, DAR 2000, 219; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1211; OLG Köln, MDR 1991, 943 = NJW-RR 1991, 1340). Der Senat folgt nicht der Einschätzung des Landgerichts, dass mit Automatikgetrieben ausgerüsteten großen Limousinen anderer Hersteller … ebenfalls ein vergleichbarer Mangel anhaftet. Zwar hat der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung die Frage danach nicht als Gutachter beantworten können, weil er ein Gutachten zur Beantwortung einer derartigen Beweisfrage nicht beauftragt erhalten und die entsprechenden Fahrzeuge nicht eingehend in großer Anzahl getestet hat.
Der Senat braucht das von der Beklagten beantragte Sachverständigengutachten nicht einzuholen und die von dem Kläger benannten Zeugen verschiedener Automobilhersteller nicht zu vernehmen, da die Frage wegen Offenkundigkeit keines Beweises bedarf (§ 291 ZPO). Es ist nicht nur den Mitgliedern des Senats bekannt, sondern auch allgemeinkundig, weil einer beliebig großen Anzahl von Menschen privat bekannt und ohne Weiteres zuverlässig wahrnehmbar, dass Fahrzeuge deutscher Hersteller in dem Bereich der Premiummarken in dem Segment der gehobenen Mittelklasse auch schon im Jahr 2002 selbstverständlich kein Getriebe hatten, bei dem man mit einer Verzögerung der Zurückschaltung, einem kurzzeitigen Auftouren des Motors, einem spürbaren Schaltstoß oder einem Loch im Kraftfluss hätte rechnen müssen.
b) Es bedurfte keiner weiteren Fristsetzung zur Nacherfüllung. Nach § 440 Satz 1 BGB bedarf es einer Fristsetzung nicht, wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt nach dem erfolglosen zweiten Versuch die Nachbesserung als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den sonstigen Umständen etwas anderes ergibt. Der Kläger gab sogar dreimalig Gelegenheit zur Nachbesserung … Im Übrigen war eine Fristsetzung entbehrlich, weil die Beklagte von Anfang an, insbesondere ausdrücklich im Anwaltsschreiben vom 26.5.2004, bis zum Ende der Berufungsinstanz den Mangel leugnete und die Reparaturleistung ernsthaft und endgültig verweigerte (§ 323 II Nr. 1 BGB).
c) Der Kläger hat den Rücktritt vom Kaufvertrag gegenüber der Beklagten auch erklärt (§ 349 BGB).
d) Das Rücktrittsrecht ist nicht wegen eines unerheblichen Mangels ausgeschlossen gemäß § 323 V 2 BGB. Die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.2002 eingeführte Vorschrift des § 323 V 2 BGB löst unter anderem die bisher für das Kaufrecht maßgebliche Regelung des § 459 I 2 BGB a.F. ab. Während nach der früheren Gesetzeslage die Gewährleistungshaftung des Verkäufers bei Unerheblichkeit insgesamt entfiel, wird nach dem hier unter Berücksichtigung von Art. 229 § 5 EGBGB anwendbaren neuen Recht lediglich die Rückabwicklung des Kaufvertrags ausgeschlossen, und dem Käufer bleibt nur das Recht auf Minderung und der Anspruch auf kleinen Schadensersatz auch bei Unerheblichkeit des Mangels erhalten.
Die Abgrenzung zwischen erheblichem und unerheblichem Mangel ist im Gesetz nicht geregelt. Die Prüfung der Erheblichkeit erfordert eine umfassende Interessenabwägung (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.06.2005 – I-3 U 12/04, MDR 2006, 442). Die Bedeutung des Mangels ist dabei nach der Verkehrsanschauung und den Umständen des Einzelfalls zu würdigen, wobei auch der erforderliche Aufwand für eine Mängelbeseitigung als Kriterium berücksichtigt werden kann. Da § 437 Nr. 2 BGB bei Vorliegen eines Mangels auf die den Rücktritt von gegenseitigen Verträgen betreffende Vorschrift des § 323 BGB verweist, ist anders als bei § 459 I 2 BGB a.F. über das Merkmal der Pflichtwidrigkeit auch an ein Verhalten des Schuldners und den Vertragsinhalt anzuknüpfen.
aa) Mängelbeseitigungskosten von über 10 % des Kaufpreises können ein Indiz für einen erheblichen Mangel und Kosten unter 3 % des Kaufpreises ein Indiz gegen einen erheblichen Mangel sein (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.02.2004 – I-3 W 21/04, NJW-RR 2004, 1060 [1061]), wobei eine feste Grenze von 10 % nicht festgelegt ist. Der Senat kann die für die Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten nicht berücksichtigen, da sie nicht in zulässiger Weise mitgeteilt wurden …
bb) Unabhängig von der Höhe der Mängelbeseitigungskosten ist von einem erheblichen Mangel auszugehen, für den ein Rücktrittsrecht zuzubilligen und eine Verweisung auf eine Minderung nicht ausreichend ist. Bei einem X, der als Neuwagen verkauft wurde und mit Umsatzsteuer einen Verkaufspreis von über 45.000 € erreicht, gehen die Parteien aufgrund des Anspruchs der Marke im Markt, der hochwertigen Baureihe, der Tatsache eines Neufahrzeugs und des hohen Preises von besonderer Qualität, technischer Zuverlässigkeit und Reife und überdurchschnittlichem Komfort aus, sodass aufgrund der Pflicht der Beklagten zur mangelfreien Lieferung (§ 433 I 2 BGB) die Schwelle der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung besonders niedrig liegt. Das mangelhafte Getriebe ist nicht nur von optischer Bedeutung (wie etwa eine defekte Kunststoffhalterung an der Türverkleidung bei einem Pkw … zum Preis von 7.500 € [LG Kiel, Urt. v. 03.11.2004 – 12 O 90/04, DAR 2005, 38] oder ein mangelhaftes Reserverad bei einem … für 6.090 € [vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.02.2004 – I-3 W 21/04, NJW-RR 2004, 1060]). Im Gegenteil ist das Getriebe für den Betrieb des Fahrzeuges wesentlich, weil beim Ausfall des Automatikgetriebes oder auch nur bei einer Verzögerung der Schaltung im Rahmen einer Gefahrsituation das Fahrzeug nicht sicher gefahren werden kann. Dagegen kann nicht argumentiert werden, dass ein Fahrzeug mit dem hier vorliegenden Getriebe zunächst noch fahrbereit sei. Der Kläger kann nämlich nicht übersehen, ob und wann der Mangel des Getriebes auftreten wird, in welcher Verkehrssituation er auf die Leistungen eines ordnungsgemäß funktionierenden Getriebes auch im Ein-Sekunden-Bereich angewiesen sein wird, und ob und wann das Getriebe ganz ausfallen wird. Es ist für einen Fahrer besonders unangenehm, wenn er sich wie hier auf das Auftreten des Mangels nicht einstellen kann, sondern von ihm aufgrund fehlender Reproduzierbarkeit und Erkennbarkeit in einer Fahrsituation plötzlich deutlich wahrnehmbar überrascht wird. Allein deswegen liegt in dem Mangel nicht nur ein Komfortmangel, sondern auch ein die Verkehrssicherheit gefährdender Mangel.
e) Das Fahrzeug ist auch nicht gemäß § 377 II HGB genehmigt worden …
f) Es kann dahingestellt bleiben, ob das Fahrzeug auch aufgrund seiner Eigenschaft als Lagerfahrzeug mangelhaft war, und ob die insoweit erhobene Einrede der Verjährung durchgreift …