- Hat ein gebrauchter Pkw bei einem Unfall einen Schaden an der Grenze zu einem wirtschaftlichen Totalschaden erlitten, so handelt der darüber informierte Verkäufer des Fahrzeugs arglistig, wenn er den Unfallschaden gegenüber dem Käufer – bagatellisierend – als „Seitenschaden“ bezeichnet. Denn ein „Seitenschaden“ ist nach allgemeinem Sprachgebrauch und dem maßgeblichen objektivierten Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) ein leichter bis mittelschwerer Schaden, nach dessen Beseitigung gewöhnlich kein merkantiler Minderwert verbleibt.
- Die Nutzungsentschädigung, die der Käufer eines Gebrauchtwagens dem Verkäufer bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages für jeden gefahrenen Kilometer schuldet, ist bei einem Kleinwagen (hier: einem Ford Fiesta) auf der Grundlage einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 150.000 km zu ermitteln.
OLG Koblenz, Urteil vom 20.06.2002 – 5 U 1878/01
Sachverhalt: Der Kläger begehrt von der Beklagten, die ein Autohaus betreibt, die Wandelung eines Kaufvertrags über einen gebrauchten Ford Fiesta.
Dieses Fahrzeug war vor der Veräußerung an den Kläger auf der rechten Seite von einem Lkw angestoßen und dabei massiv beschädigt worden. Ein Sachverständiger hatte die Reparaturkosten mit 9.659,90 DM veranschlagt und die nach der Reparatur verbleibende Wertminderung auf 500 DM geschätzt.
Die Beklagte reparierte das Fahrzeug und verkaufte es unter Ausschluss der Gewährleistung für 10.980 DM an den Kläger. Im Kaufvertragsformular ist unter „Zahl, Art und Umfang von Unfallschäden laut Verkäufer“ Flgendes vermerkt: „Seitenschaden rechts“.
Der Kläger hat behauptet, bei den Vertragsverhandlungen sei ihm erklärt worden, der Unfallschaden sei nicht groß gewesen. Dass es sich um eine Beschädigung an der Grenze zum wirtschaftlichen Totalschaden gehandelt habe, habe ihm die Beklagte – so hat der Kläger gemeint – eoiarglistig verschwiegen. In Kenntnis des wahren Schadensumfangs hätte er von dem Kauf des Fahrzeugs abgesehen.
Die Beklagte, gegen die zunächst ein der Klage umfassend stattgebendes Versäumnisurteil ergangen ist, hat zur Begründung ihres Einspruchs vorgetragen, sie habe dem Kläger dargelegt, dass bei einem Verkehrsunfall ein Lkw gegen den Ford Fiesta gestoßen sei. Das Landgericht hat die Klage unter Aufhebung des Versäumnisurteils abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Gewährleistungsrechte des Klägers seien ausgeschlossen, weil er die – erfolgreiche – Nachbesserung der Beklagten, die unstreitig eine Undichtigkeit des Ford Fiesta beseitigt hat, akzeptiert habe.
Dagegen wandte sich der Kläger mit der Berufung. Die Beklagte erwiderte auf das Rechtsmittel unter anderem, dass ihr der Kläger bei Erfolg seines Wandelungsbegehrens eine Nutzungsvergütung von 0,80 DM pro gefahrenen Kilometer schulde.
Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Ungeachtet des vertraglichen Gewährleistungsausschlusses kann der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangen (§§ 462, 459 BGB a.F.), weil die Beklagte einen Mangel der Kaufsache arglistig verschwiegen hat (§ 476 BGB a.F.).
Der Kaufgegenstand ist auch heute noch mit einem Mangel behaftet, der seinen Wert mindert. Dass trotz ordnungsgemäßer Reparatur schwerster Unfallschäden gleichwohl regelmäßig eine Wertminderung verbleibt, ist gerichtsbekannt und im vorliegenden Fall auch durch das Sachverständigengutachten vom 06.12.2000 belegt.
Die demgegenüber vom Landgericht vertretene Auffassung, die Beseitigung der Undichtigkeit stehe einem Erfolg der Klage entgegen, hat keine tragfähige Grundlage und verkennt zudem den Kern des Klagevorbringens. Denn die Beseitigung der Undichtigkeit war schon deshalb geboten, weil der Kläger nur auf diese Weise dem bei der Rückgabe zu erwartenden Einwand der Beklagten entgegenwirken konnte, er habe eine Verschlechterung des Fahrzeuges verschuldet.
Den vom Landgericht zitierten BGH-Entscheidungen lagen Sachverhalte zugrunde, die mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sind. Der Kläger stützt sein Wandelungsbegehren nicht auf die unstreitig beseitigte Undichtigkeit, sondern darauf, dass der schwere Unfallschaden nicht offenbart wurde. Dieser Mangel konnte durch die Nachbesserungsbemühungen der Klägerin nicht behoben werden.
Die Beklagte hat den Mangel zur Überzeugung des Senats auch arglistig verschwiegen.
Richtig ist allerdings, dass in der Vertragsurkunde von einem „Seitenschaden rechts“ die Rede ist. Darunter ist jedoch nach allgemeinem Sprachgebrauch und dem maßgeblichen objektivierten Empfängerhorizont kein Schaden des hier in Rede stehenden – unstreitigen – Ausmaßes zu verstehen.
Aus dem Anfang Dezember 2000 eingeholten Sachverständigengutachten ergibt sich, dass der Pkw einen äußerst weitreichenden Schaden nahe der Grenze zum wirtschaftlichen Totalschaden erlitten hatte. Das musste die Beklagte dem Kläger offenbaren, weil es sich um einen wegen der Reparatur nicht mehr erkennbaren, jedoch für die Entschließung eines Käufers wesentlichen Umstand handelte.
Ihrer Offenbarungspflicht hat die Beklagte mit dem Hinweis auf einen „Seitenschaden“ nicht genügt, weil hierunter allenfalls leichte bis mittlere Schäden zu verstehen sind, nach deren Beseitigung gewöhnlich keine merkantile Wertminderung verbleibt.
Die Beklagte ist dem erstinstanzlich mit der Beweisbehauptung begegnet, dem Kläger sei gesagt worden, bei einem Verkehrsunfall sei ein Lkw gegen das Fahrzeug gestoßen. Diesem Beweisangebot musste nicht nachgegangen werden. Denn die Klage hat selbst dann Erfolg, wenn man das Vorbringen der Beklagten als zutreffend unterstellt. Die Erklärung, bei dem Unfall sei ein Lkw gegen das Fahrzeug gestoßen, war nämlich hinsichtlich des Schadensausmaßes gleichermaßen bagatellisierend wie die Vertragsurkunde. Denn sie besagte nicht, dass der Pkw durch den Anstoß derart weitreichend beschädigt worden war, wie es sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt.
Letztlich war es auch nicht Aufgabe des Klägers, Umfang und Ausmaß des Schadens durch ergänzende Fragen zu ermitteln. Denn im Rechtsverkehr darf jeder darauf vertrauen, dass der Vertragspartner alle offenbarungspflichtigen Umstände von sich aus darlegt. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats, muss der Verkäufer eines Pkw den Käufer über Art und Ausmaß von Unfallschäden jenseits der Bagatellgrenze umfassend aufklären und dabei sein gesamtes Wissen offenbaren (Senat, Urt. v. 29.11.2001 – 5 U 757/01, VRS 102 [2002], 174 [177]). Das steht in Einklang mit der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. zuletzt OLG Schleswig, Urt. v. 02.11.2001 – 14 U 35/01, OLGR 2002, 112 m. w. Nachw.). Die rechtsgeschäftliche Offenbarungspflicht des Verkäufers darf nicht durch eine dogmatisch nicht überzeugend zu begründende Fragepflicht des Käufers ausgehöhlt werden.
Die Berufung führt daher zur teilweisen Wiederherstellung des klagestattgebenden Versäumnisurteils.
Eine umfassende Bestätigung scheidet aus, weil der Kläger sich die Gebrauchsvorteile anrechnen lassen muss. Diese sind im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung zu ermitteln (vgl. BGH, Urt. v. 26.06.1991 – VIII ZR 198/90, BGHZ 115, 47 [49]; Urt. v. 17.05.1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159 = BB 1995, 1975 = DB 1995, 1556 = MDR 1995, 787 = WM 1995, 1145 = ZIP 1995, 1082 m. Anm. v. Reinersdorff, WiB 1995, 835; Haertlein, JA 1996, 1; Wolf, LM BGB § 166 Nr. 34). Bei Kraftfahrzeugen wird die Nutzungsdauer regelmäßig in Kilometern bemessen. Bei gebrauchten Fahrzeugen ist der konkrete Altwagenpreis mit der voraussichtlichen Restfahrleistung ins Verhältnis zu setzen und mit der tatsächlichen Fahrleistung des Käufers zu multiplizieren (BGH, Urt. v. 17.05.1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159).
Das ergibt angesichts der vom Kläger zurückgelegten Fahrstrecke von 15.261 km hier einen Gebrauchsvorteil von 2.011,50 DM
(Kaufpreis von 10.980 DM X zurückgelegte Fahrstrecke von 15.261 Kilometern geteilt durch zu erwartende Restlaufstrecke von 83.304 Kilometern).
Dabei hat der Senat eine voraussichtliche Gesamtfahrleistung des Pkw von 150.000 km zugrunde gelegt. Denn bei einem Kleinwagen (hier: Ford Fiesta) kann von dieser Gesamtfahrleistung ausgegangen werden.
Der Abzug der Gebrauchsvorteile zuzüglich der Vertragskosten von 380 DM führt zu dem aus dem Tenor ersichtlichen Zahlungsbetrag.
Im Übrigen musste entsprechend dem Antrag des Klägers die teilweise Erledigung der Hauptsache festgestellt werden, nachdem die Beklagte erstmals mit der Berufungserwiderung hilfsweise eine Nutzungsvergütung geltend gemacht hat. Im Umfang der vom Kläger akzeptierten berechtigten Nutzungsvergütung hat das zur Teilerledigung der Hauptsache geführt, die daher antragsgemäß festgestellt werden musste. …