Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens verschweigt einen Mangel in Gestalt eines Unfallschadens auch dann arglistig i. S. des § 444 Fall 1 BGB, wenn er zu diesem Schaden irreführende Angaben macht. Denn die Aufklärungspflicht des Verkäufers beschränkt sich nicht darauf, dem Käufer den Unfallschaden zu offenbaren, ohne nähere Angaben zum Schadensumfang zu machen. Vielmehr bezieht sich auch auf den Umfang des Schadens, den der Verkäufer nicht bagatellisieren darf.

OLG Koblenz, Beschluss vom 01.03.2017 – 5 U 135/17

Sachverhalt: Der Kläger verlangt die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages.

Er kaufte von dem Beklagten, für den das Autohaus A auftrat, mit schriftlichem Kaufvertrag vom 08.07.2014 einen gebrauchten Audi A4 allroad quattro 2.0 TDI zum Preis von 20.500 € vom Beklagten. Im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss wurde ein „Übernahmeprotokoll/Zustandsbericht“. In diesem Protokoll wurde unter „Bemerkungen“ Folgendes festgehalten:

„Lackschäden insbesondere an nicht fachmännisch reparierten Stellen vorhanden. Schäden hinten rechts + vorne links + hinten links unten vorhanden. Diverse Kratzer vorhanden.“

Nachdem er das Fahrzeug erhalten hatte, leitete der Kläger ein selbstständiges Beweisverfahren ein. In diesem Verfahren kam der Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) S zu dem Ergebnis, dass der Pkw bei einem Unfall massive Schäden im Sinne eines eines kapitalen Unfallschadens erlitten habe. Bei dem Unfall sei das Dach verformt worden, und das Fahrzeug habe einen „Rahmenschaden“ davongetragen. Den Reparaturaufwand bezifferte der Sachverständige auf 21.414,31 € brutto.

Der Kläger erklärte daraufhin mit Schreiben vom 04.08.2015 den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Zur Begründung seiner im Wesentlichen auf Rückzahlung des Kaufpreises gerichteten Klage hat der Kläger in erster Instanz vorgetragen, der Beklagte habe ihn arglistig getäuscht, da er – der Kläger – pflichtwidrig nicht über den erheblichen Unfallschaden aufgeklärt worden sei. Der Umfang dieses Schadens sei dem Beklagten indes bekannt gewesen, was sich daraus ergebe, dass ihm – unstreitig – eine vom Voreigentümer des Fahrzeugs nach dem Unfall eingeholte Aufstellung der Schadensbeseitigungskosten vorgelegen habe. Der Beklagte hat dem entgegengehalten, der Zeuge Z vom Autohaus A habe den Kläger auf einen Unfallschaden hingewiesen, der unfachmännisch repariert worden sei. Fotos, die das Fahrzeug nach einer Teilreparatur zeigten, hätten den Kläger nicht interessiert.

Das Landgericht hat den Beklagten unter überwiegender Aufrechterhaltung eines zuvor ergangenen Versäumnisurteils zur Zahlung von 19.353,06 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs sowie zum Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt und den Annahmeverzug des Beklagten festgestellt. Es hat dem Kläger lediglich einen Teil der geltend gemachten Nebenforderungen nicht zuerkannt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgefürt, der Kläger sei wirksam von dem mit dem Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten. Die Parteien hätten zwar einen Gewährleistungsausschluss vereinbart, doch habe der Beklagte dem Kläger einen Mangel des Fahrzeugs arglistig verschwiegen. Der Pkw habe umfassende, über bloße Bagatellschäden hinausgehende Schäden aufgewiesen, die der Beklagte gekannt und die er dem Kläger pflichtwidrig nicht offenbart habe. Allein der Hinweis auf einen „Unfallschaden" genüge für eine Offenbarung des Unfallschadens nicht.

Seine Berufung gegen dieses Urteil, mit der er die vollständige Abweisung der Klage erreichen wollte, hat der Beklagte zurückgenommen, nachdem das Berufungsgericht darauf hingewiesen hatte, dass es beabsichtige, das Rechtsmittel gemäß § 522 II ZPO zurückzuweisen.

Aus den Gründen: II. Der Senat ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. … Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffend begründete Entscheidung des Landgerichts Bezug genommen. Die dagegen erhobenen Angriffe der Berufung überzeugen den Senat nicht. Hierzu Folgendes:

1. Das Landgericht geht in seiner Entscheidung in nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass sich der Beklagte nach § 444 Fall 1 BGB nicht auf den vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen kann, weil er zahlreiche Mängel des Fahrzeugs infolge eines schweren Verkehrsunfalls arglistig verschwiegen hat.

a) Es ist allgemein anerkannt, dass das Verschweigen eines Mangels durch aktives Tun oder Unterlassen eines Hinweises auf den vorhandenen Mangel, aber auch durch die irreführende Angabe über einen gegebenen Mangel erfolgen kann (Palandt/Weidenkaff, BGB, 76. Aufl. [2017], § 444 Rn. 11). Arglistiges Verhalten liegt vor, wenn der Verkäufer weiß oder doch damit rechnet und billigenderweise in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Aufklärung den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätte (BGH, Beschl. v. 08.12.2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835 Rn. 9). Ein arglistiges Vorgehen setzt dabei voraus, dass der Verkäufer den Mangel kennt oder für möglich hält (vgl. nur BGH, Urt. v. 19.02.2016 – V ZR 216/14, NJW 2016, 2315 Rn. 16).

Hiervon ausgehend hat das Landgericht zu Recht ein arglistiges Verhalten des Beklagten angenommen.

Die Offenbarungs- bzw. Aufklärungspflicht des Verkäufers eines Kraftfahrzeugs hinsichtlich eines Unfallschadens ist allgemein anerkannt. Sie beschränkt sich nicht auf die Unfallwageneigenschaft, sondern bezieht sich auch auf den Umfang des Schadens (vgl. nur Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl. [2017], § 123 Rn. 7).

Eine dieser Verpflichtung gerecht werdende Aufklärung über den Unfallschaden ist nicht erfolgt. Der Beklagte hat zwar behauptet, der Zeuge Z habe telefonisch darauf verwiesen, dass das Fahrzeug einen Unfallschaden aufweise. Auch ist im Kaufvertrag angegeben, dass das Fahrzeug nicht unfallfrei war. Gleichwohl fehlt es an einer hinreichenden Offenbarung des Unfallschadens. Dabei kann der Senat offenlassen, ob der telefonische Hinweis vor dem Vertragsschluss, das Fahrzeug habe einen Unfall erlitten, trotz des Umfangs des Unfallschadens, wie er sich aus dem im selbstständigen Beweisverfahren eingeholten Sachverständigengutachten … ergibt, zunächst ausreichend war, und es dem Kläger oblegen hätte, weitere Nachfragen zu stellen. Denn der bloße Hinweis auf einen Unfallschaden war angesichts der im Kaufvertrag – konkret dem beigefügten Übernahmeprotokoll/Zustandsbericht – angeführten Bemerkungen nicht ausreichend. Dort wird auf Lackschäden, Schäden hinten rechts, vorne links und hinten links unten sowie diverse Kratzer verwiesen. Diese Hinweise bagatellisieren den tatsächlich vorliegenden umfassenden Fahrzeugschaden. Sie konnten aus Sicht des maßgeblichen objektiven Empfängerhorizonts nicht als Hinweis auf einen Schaden in dem tatsächlich gegebenen Ausmaß verstanden werden.

Die Offenbarungspflicht der Beklagten bezog sich indes darauf, nicht nur den Unfallschaden ohne nähere Ausführungen zum Umfang einzuräumen, sondern auch dahin, keinen falschen Eindruck hinsichtlich des Umfangs des Schadens, der vorliegend zumindest nahe an der Grenze zum wirtschaftlichen Totalschaden anzusiedeln ist, zu erwecken. Die „Bemerkungen“ auf dem Übernahmeprotokoll/Zustandsbericht genügen dem nicht, da hierunter allenfalls kleinere Schäden zu verstehen sind, die den tatsächlichen Schaden in erheblicher Weise verharmlosen. Eine solche Bagatellisierung des Unfallschadens stellt sich als Verletzung der bestehenden Aufklärungspflicht dar (vgl. auch OLG Koblenz, Urt. v. 20.06.2002 – 5 U 1878/01, ZfS 2002, 435).

Bei dieser Sachlage war es auch nicht Aufgabe des Klägers, Umfang und Ausmaß des Schadens durch ergänzende Fragen zu ermitteln (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 20.06.2002 – 5 U 1878/01, ZfS 2002, 435).

Zutreffend hat das Landgericht daher davon abgesehen, den Zeugen Z zur Aufklärung über die Unfallwageneigenschaft zu hören. Dieser wurde lediglich zu der Behauptung als Zeuge benannt, dem Kläger sei anlässlich der telefonischen Kontaktaufnahme ein Hinweis auf einen nicht fachmännisch reparierten Unfallschaden erteilt worden. Diese Aufklärung durch den Zeugen genügte – wie ausgeführt – nicht den Anforderungen, weshalb es keiner Klärung bedurfte, ob der Zeuge diesen Hinweis tatsächlich gegeben hat. Auch nach einem Hinweis des Landgerichts auf diese zutreffende Sichtweise hat der Beklagte keinen umfassenderen und konkreteren Hinweis zum Unfallschaden behauptet und hierzu Beweis angetreten.

Auch in der Berufungsbegründung ist ein entsprechender Sachvortrag in Verbindung mit einem Beweisangebot nicht erfolgt.

In nicht zu beanstandender Weise hat das Landgericht auch die Kenntnis des Beklagten vom Umfang des Schadens angenommen. Die ihm vorliegende Schadensaufstellung … vom 10.05.2013, die der Voreigentümer nach dem schweren Verkehrsunfall eingeholt hat, offenbart in unzweifelhafter Weise, dass ein erheblicher, nahezu sämtliche Teile des Fahrzeugs einschließender Schaden vorlag. Aus der elfseitigen, eng beschriebenen Aufstellung lässt sich nicht nur aus der Auflistung der auszutauschenden bzw. zu reparierenden Fahrzeugteile, sondern auch aufgrund des angegebenen Kostenaufwands mühelos ersehen, welchen umfassenden Schaden das Fahrzeug bei dem Unfall erlitten hat. Insofern kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, ihm habe die Fotoanlage zu dem Schadengutachten nicht vorgelegen.

b) Der Beklagte kann sich letztlich auch nicht auf einen Ausschluss der Gewährleistungsrechte des Klägers wegen der Kenntnis des Mangels nach § 442 I BGB berufen.

Danach kommt bei einem arglistigen Verschweigen des Mangels durch den Verkäufer ein Ausschluss der Gewährleistungsrechte nur bei Kenntnis des Käufers von dem Mangel bei Vertragsschluss in Betracht. Dies setzt positives Wissen der Tatsachen voraus, die in ihrer Gesamtheit den Mangel begründen. Das Wissen muss sich folglich auch auf den Umfang des Mangels erstrecken (vgl. nur Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 442 Rn. 7).

Hiervon kann nicht ausgegangen werden. Selbst wenn einzelne Lack- oder Spachtelschäden erkennbar gewesen sein sollten, so hat der Beklagte doch keine Tatsachen vorgetragen, aus denen nachvollziehbar hervorgehen würde, dass der Kläger von dem gesamten festgestellten Unfallschaden, wie er sich aus dem im selbstständigen Beweisverfahren eingeholten Sachverständigengutachten ergibt, Kenntnis hatte. Allein der abstrakte Hinweis auf einen Unfallschaden war nicht geeignet, die Kenntnis vom Umfang des Mangels zu begründen.

2. Im Übrigen erhebt der Beklagte gegen die landgerichtliche Entscheidung keine Einwände. Diese begegnet auch aus Sicht des Senats keinen Bedenken. Sowohl die Feststellung des Annahmeverzugs als auch die Annahme des Anspruchs auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die Beurteilung der Nebenforderungen erweisen sich als richtig. …

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