Zur Offenbarungspflicht des Verkäufers eines gebrauchten Lkw über Unfallschäden, insbesondere zur Frage der Abgrenzung nicht mitteilungspflichtiger Bagatellschäden von schwereren Beeinträchtigungen (hier: Beschädigung einer Stoßstange, des Viskolüfters und des Kühlers).
BGH, Urteil vom 03.03.1982 – VIII ZR 78/81
Sachverhalt: Die Klägerin kaufte am 08.11.1978 und übernahm am 09.11.1978 von der Beklagten einen gebrauchten Lkw mit einem Kässbohrer-Auflieger zum Preis von 54.880 DM. Bevor das Fahrzeug an die Beklagte gelangt war, war es mit einem Austauschmotor und einem Austauschgetriebe versehenen worden. In dem schriftlichen, zugleich als „Rechnung“ bezeichneten und nicht formularmäßig abgefassten Kaufvertrag heißt es unter anderem: „wie besichtigt, so gekauft … 6 Monate Garantie oder 100.000 km. km-Stand 421.861“.
Mit Anwaltsschreiben vom 16.03.1979 focht die Klägerin den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an, weil das Fahrzeug eine höhere Laufleistung als angegeben aufweise. Hilfsweise erklärte sie unter Berufung auf den angeblich mangelhaften Zustand des Lastzuges die Wandelung. Weiter hilfsweise forderte sie die Beklagte auf, ihre Bereitschaft zur Beseitigung von Mängeln zu erklären.
Das Landgericht hat die am 16.05.1979 bei Gericht eingegangene, auf Rückzahlung des Kaufpreises, Schadensersatz für Aufwendungen und Rückgabe noch nicht fälliger Kaufpreiswechsel gerichtete Klage abgewiesen. Die in der Berufungsinstanz auch auf arglistiges Verschweigen eines Auffahrunfalls gestützte und nunmehr auf Zahlung von 60.742,52 DM nebst Zinsen – Zug um Zug gegen Herausgabe des Lastzuges – gerichte Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Auf die Revision der Klägerin, die damit ihren Klageanspruch weiterverfolgte, wurde das Urteil Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen: I. Soweit das Berufungsgericht den Kaufvertrag nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB für nichtig erklärt hat, bestehen dagegen keine rechtlichen Bedenken. Auch die Klägerin, die der Beklagten in den Vorinstanzen die Forderung eines unverhältnismäßig hohen Kaufpreises vorgeworfen hatte, nimmt dies hin.
II. 1. Das Berufungsgericht führt weiter aus, die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung über den – unstreitig von der Beklagten nicht mitgeteilten – Auffahrunfall sei nicht wirksam. Ob sie angesichts des erst in der zweiten Instanz in den Prozess eingeführten Sachvortrags rechtzeitig (§ 124 BGB) erklärt sei, könne dahingestellt bleiben, ebenso auch, ob das Verschweigen des Unfalls für den Kaufentschluss der Klägerin ursächlich geworden sei. Jedenfalls habe die Beklagte keine Aufklärungspflicht verletzt, weil Folge des von der Klägerin nicht einmal substanziiert vorgetragenen Unfallhergangs ein – für einen Lkw – Bagatellschaden gewesen sei, der nur die Auswechselung der vorderen Stoßstange und eines darin eingesetzten Lampeneinsatzes mit einem Reparaturaufwand von 1.400 DM erfordert habe.
Die Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand.
2. a) Ist dem Verkäufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs ein Mangel oder ein früherer Unfall bekannt, so hat er nach der ständigen Rechtsprechung des BGH diesen Umstand grundsätzlich auch ungefragt dem Käufer mitzuteilen, wenn er sich nicht dem Vorwurf arglistigen Verschweigens aussetzen will (Senat, Urt. v. 29.01.1975 – VIII ZR 101/73, BGHZ 63, 382 [386 f.]; Urt. v. 11.06.1979 – VIII ZR 224/78, BGHZ 74, 383 [391 f.]; Urt. v. 21.01.1981 – VIII ZR 10/80, LM ZPO § 528 Nr. 18 = NJW 1981, 928 = WM 1981, 32; jeweils m. w. Nachw.). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der beim Verkauf für die Beklagte auftretende Ehemann ihrer Inhaberin der Klägerin keinen derartigen Hinweis gegeben, obwohl ihm bekannt war, dass der Lkw auf der Überfahrt vom Voreigentümer zur Beklagten einen Auffahrunfall hatte, bei dem mindestens die vordere Stoßstange beschädigt wurde und ersetzt werden musste.
b) Die Offenbarungspflicht gilt allerdings nicht völlig uneingeschränkt. Da sie ihre Rechtfertigung in den Besonderheiten des Gebrauchtwagenhandels findet und die Kenntnis des Käufers von Schäden und Unfällen bestimmenden Einfluss auf seinen Kaufentschluss hat (BGH Urt. v. 08.10.1954 – I ZR 42/53, JZ 1955, 19 = MDR 1955, 26 = BB 1954, 978), bedarf es der Mitteilung nicht, wenn der Unfall so geringfügig war, dass bei vernünftiger Betrachtungsweise der Kaufentschluss nicht davon beeinflusst werden kann. Als derartige „Bagatellschäden“ hat der erkennende Senat bei Personenkraftwagen allerdings bisher nur ganz geringfügige, äußere (Lack-)Schäden anerkannt, nicht dagegen andere (Blech-)Schäden, auch wenn sie keine weitergehenden Folgen hatten und sich der Reparaturaufwand in einem Falle aus dem Jahre 1961 nur auf 332,55 DM belief (Senat, Urt. v. 20.03.1967 – VIII ZR 288/64, LM BGB § 123 Nr. 35 = NJW 1967, 1222; Urt. v. 29.06.1977 – VIII ZR 43/76, LM BGB § 276 Ca Nr. 21 = NJW 1977, 1914 = WM 1977, 1048).
c) Für Lastkraftwagen rechtfertigt es sich allerdings, auch etwas weitergehende Schäden als „Bagatellen“ zu behandeln, weil es in aller Regel bei Nutzfahrzeugen nicht in gleicher Weise wie bei Personenwagen auf die Unversehrtheit auch der Karosserie und auf das dadurch vermittelte äußere Erscheinungsbild ankommt. Voraussetzung ist aber, dass über den sichtbar gewordenen, nur äußerlichen Schaden hinaus weitergehende Beeinträchtigungen tragender oder betriebswesentlicher Fahrzeugteile mit Sicherheit auszuschließen sind.
Daran fehlt es hier. Ob allein schon die Beschädigung der vorderen Stoßstange eine die Geringfügigkeit des Unfalls ausschließende Gefahr für andere Teile darstellen würde, kann dahingestellt bleiben. Die Revision rügt nämlich mit Recht, dass das Berufungsgericht die Behauptungen der Klägerin und das Ergebnis der Beweisaufnahme über das Ausmaß der Schäden nicht vollständig berücksichtigt hat. In ihrer Berufungsbegründung hatte die Klägerin behauptet, infolge des – von der Beklagten zunächst wahrheitswidrig bestrittenen – Auffahrunfalls hätten auch einige Blätter des Viskolüfters gefehlt. Der zu dem Unfall als Zeuge vernommene Ehemann der Inhaberin der Beklagten bekundete dazu, bei dem während einer Überführungsfahrt verursachten Auffahrunfall sei außer der Stoßstange auch der Viskolüfter und der Kühler beschädigt worden. Mit dieser Aussage hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Waren tatsächlich Motorteile wie Lüfter und Kühler beschädigt, kann von einem nicht offenbarungspflichtigen Bagatellschaden auch bei einem Lkw nicht mehr die Rede sein. Denn das Risiko weiterer Folgen wäre für einen Käufer so erheblich, dass dem Verkäufer nicht mehr die Entscheidung darüber überlassen werden kann, ob er den Unfall und die wesentlichen Umstände der Reparatur seinem Abnehmer mitteilen will.
3. Kann danach das angefochtene Urteil mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung keinen Bestand haben, so lässt es sich hinsichtlich des nicht offenbarten Auffahrunfalls auch nicht mit anderer Begründung aufrechterhalten.
a) Die vom Berufungsgericht bisher offengelassene Frage nach der Rechtzeitigkeit der erstmalig unter dem 23.01.1980 geltend gemachten Begründung für die Anfechtung kann das Revisionsgericht nicht abschließend beantworten, weil es bisher an Feststellungen darüber fehlt, wann der Geschäftsführer oder ein anderer verantwortlicher Vertreter der Klägerin von dem Auffahrunfall erfahren hat. Ebenso wird das Berufungsgericht noch zu würdigen haben, ob die verschwiegene Mitteilung über den Unfall ursächlich für den Kaufvertragsabschluss gewesen ist.
b) Selbst wenn sich im weiteren Verfahren die Unwirksamkeit der Anfechtung herausstellen sollte, wäre der Anspruch der Klägerin allerdings nicht unbegründet. Aufgrund der arglistig unterlassenen Mitteilung könnte ihr ein Rückzahlungsanspruch aus der hilfsweise erklärten Wandelung oder gegebenenfalls auch ein Schadensersatzanspruch zustehen (§§ 459, 462, 463, 476, 478 II BGB), dessen weitere Voraussetzungen – insbesondere seine Höhe – aber noch aufzuklären wären.
III. 1. Das Berufungsgericht sieht eine arglistige Täuschung auch nicht darin, dass der Geschäftsführer J die Klägerin weder auf den eingebauten Austauschmotor und das Austauschgetriebe noch auf mögliche Zweifel an der Übereinstimmung zwischen der Tachometeranzeige und der Laufleistung des Fahrzeugs hingewiesen habe. Austauschmotor und -getriebe seien als werterhöhende Faktoren nicht offenbarungspflichtig; dass der vom Fahrtenschreiber angezeigte Kilometerstand nicht mit der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeugs übereinstimmen musste, habe angesichts des Alters des Lkw – mit Erstzulassung im Februar 1973 – dem Geschäftsführer der Klägerin ebenso bekannt sein müssen wie der Beklagten.
2. Demgegenüber meint die Revision, die Laufleistung des Fahrzeugs und nicht nur die des Motors sei für den Käufer so bedeutsam, dass der sachkundige Verkäufer eine Aufklärungspflicht hinsichtlich aller Umstände habe, aus denen der Käufer auf die tatsächliche Laufleistung schließen könne. Diese Pflicht sei arglistig verletzt, wenn der Verkäufer den Einbau eines Austauschmotors und -getriebes verschweige, im Vertragstext den Kilometerstand angebe (was als Zusicherung der Übereinstimmung mit der Laufleistung anzusehen sei) und Zweifel an dieser Übereinstimmung nicht mitteile.
Mit diesen Erwägungen hat die Revision jedoch keinen Erfolg.
3. a) Nach den von der Klägerin nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist ungeklärt geblieben, welche Laufleistung das verkaufte Fahrzeug tatsächlich hatte. Der Sachverständige R hat in seinem vom Landgericht herangezogenen Beweissicherungsgutachten vom 25.01.1980 die Frage mangels sicherer Anhaltspunkte nicht beantworten können. Auch der als Zeuge vernommene Voreigentümer der Beklagten hat nur aus der Erfahrung mit anderen in seinem Speditionsbetrieb laufenden Fahrzeugen „hochgerechnet“, der verkaufte Lastzug könne bei Einsatz im Fernverkehr etwa 800.000 km gelaufen sein, da er aber längere Zeit im Nahverkehr eingesetzt gewesen sei und im Nahverkehr nur etwa halb so viel gefahren werde wie im Fernverkehr, könne die tatsächliche Fahrleistung erheblich geringer sein. Damit fehlt es an einer sicheren tatsächlichen Grundlage für die Annahme, der im Kaufvertrag angegebene Kilometerstand von 421.861 weiche erheblich von der tatsächlichen Fahrleistung ab. Schon aus diesem Grunde kommt weder eine arglistige Täuschung über die Gesamtfahrleistung des verkauften Lastzuges durch Vortäuschen einer geringeren Fahrstrecke noch die unrichtige Zusicherung einer solchen in Betracht.
b) Der Revision kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Beklagte wenigstens ihre Zweifel an der Übereinstimmung vom Tachometerstand und Gesamtfahrleistung sowie den Einbau eines Austauschmotors und Austauschgetriebes hätte mitteilen müssen. Ob die Annahme einer arglistigen Täuschung über die für die Fahrleistung eines Lkw möglicherweise wesentlichen Umstände nicht schon schlechthin ausgeschlossen ist, wenn die wirkliche Kilometerleistung ungeklärt ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hat die Beklagte insoweit keine Offenbarungspflicht verletzt. Auch im Gebrauchtwagenhandel ist der Verkäufer, sofern er wie hier die Beratung des Käufers nicht ausnahmsweise übernommen hat, nicht verpflichtet, seinem Vertragspartner sämtliche für die Bewertung des Fahrzeugs in Betracht kommenden Tatsachen oder Überlegungen mitzuteilen. Ihrem Umfange nach ist seine Offenbarungspflicht auch von den Erkenntnismöglichkeiten des Käufers abhängig (Senat, Urt. v. 21.10.1964 – VIII ZR 151/63, NJW 1965, 35; Urt. v. 29.01.1975 – VIII ZR 101/73, BGHZ 63, 382, [386 ff.]), ferner auch von dessen Verhalten insbesondere von dem von ihm bekundeten Interesse an einzelnen Fakten (Senat, Urt. v. 16.03.1977 – VIII ZR 283/75, NJW 1977, 1055 = WM 1977, 584 [unter III 2 b]). Der mit Transportfahrzeugen nicht ganz unerfahrenen Klägerin war ebenso wie der Beklagten bekannt (oder hätte bekannt sein müssen), dass der Tachometerstand des Fahrtenschreibers keine sichere Auskunft über die Fahrleistung des Lastzuges gab. Wenn es ihr auf die Laufstrecke angekommen wäre, hätte sie also danach fragen müssen.
Dasselbe gilt hinsichtlich des Austauschmotors und Austauschgetriebes, aus deren Vorhandensein keine überzeugenden Schlüsse auf eine bestimmte Fahrleistung des Lastkraftwagens gezogen werden können, wenn – was unstreitig ist – Zeitpunkt und Anlass ihres Einbaus nicht bekannt waren. Dass der Einbau derartiger Austauschteile für sich betrachtet keinen offenbarungspflichtigen Mangel darstellt, bezweifelt auch die Revision nicht.
4. Scheidet somit eine arglistige Täuschung und die Haftung für arglistig verschwiegene Mängel aus, so gilt dasselbe auch hinsichtlich sonstiger von der Klägerin behaupteter Mängel. Denn insoweit hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler Verjährung (§ 477 BGB) angenommen. Seine Auslegung der Garantieerklärung als für längstens sechs Monate geltend ist naheliegend und nicht unmöglich, weil andernfalls die Garantiezeit bei geringer Laufleistung des verkauften Fahrzeugs auf eine übermäßig ange Zeit erstreckt würde.
IV. Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zwecks weiterer Aufklärung der sich aus dem verschwiegenen Unfall ergebenden Folgen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen war.