- Der Käufer, der den Kaufvertrag zu Recht wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, hat auch dann einen auf Rückgewähr des Kaufpreises gerichteten Bereicherungsanspruch, wenn die Kaufsache bei ihm untergegangen oder beschädigt worden ist und er sie daher dem Verkäufer nicht oder nur in entwertetem Zustand herausgeben kann.
- § 327 Satz 2 BGB gilt zugunsten jedes Rückgewährpflichtigen, der den Rücktritt nicht zu vertreten hat.
BGH, Urteil vom 08.01.1970 – VII ZR 130/68
Sachverhalt: Der Kläger kaufte am 25.07.1964 von dem Beklagten unter Eigentumsvorbehalt einen gebrauchten Mercedes-Pkw für 8.000 DM. Er zahlte 1.100 DM in bar an den Beklagten, gab wie vereinbart für 5.300 DM einen gebrauchten Peugeot-Pkw in Zahlung und akzeptierte über den Rest von 1.600 DM einen Wechsel. Den Peugeot-Pkw hat der Beklagte weiterverkauft.
Der Mercedes-Pkw hatte schon 124.000 km zurückgelegt, als der Kläger ihn kaufte. Der Beklagte hatte den Kilometerzähler indes auf 74.000 km umstellen lassen.
Am 28.07.1964 wurde der Mercedes-Pkw dem Kläger übergeben. Am folgenden Tag wurde das Fahrzeug bei einer Fahrt des Klägers auf der Autobahn stark beschädigt. Mit Schreiben vom 27.08.1964 erklärte der Kläger die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung.
In einem vorausgegangenen Rechtsstreit der Parteien ist die Wechselklage des Beklagten rechtskräftig abgewiesen worden.
Im vorliegenden Prozess verlangt der Kläger von dem Beklagten die Rückzahlung der in bar geleisteten 1.100 DM und die Zahlung weiterer 5.300 DM für den in Zahlung gegebenen Peugeot-Pkw. Er behauptet, der Beklagte habe ihm verschwiegen, dass der Kilometerzähler des Mercedes-Pkw umgestellt worden sei, und ihm versichert, der angezeigte Kilometerstand von 74.000 entspreche der tatsächlichen Laufleistung.
Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und nur den Zinsanspruch zum Teil abgewiesen. Dieses Urteil hat das Oberlandesgericht dahin abgeändert, dass der Beklagte 6.400 DM nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des beschädigten Mercedes-Pkw zu zahlen hat. Die dagegen gerichtete Revision des Beklagten, der damit eine vollständige Abweisung der Klage erreichen wollte, hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht nimmt an, dass der Kläger wegen arglistiger Täuschung zu Recht den Kaufvertrag angefochten hat. Ohne Rechtsfehler stellt es fest, dass der Beklagte eine arglistige Täuschung begangen hat. Wie dem Zusammenhang der Entscheidungsgründe zu entnehmen ist, hat das Oberlandesgericht ferner, wenn es hierzu auch ausdrücklich nichts sagt, die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger durch die arglistige Täuschung zum Abschluss des Kaufvertrags bestimmt worden ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Tatbestand des § 123 I Fall 1 BGB verwirklicht war, zumal auch die Revision insoweit keine Zweifel äußert, und dass der Kaufvertrag durch die Anfechtung des Klägers rückwirkend vernichtet worden ist (§ 142 I BGB).
II. Das Berufungsgericht meint, aufgrund der Anfechtung ergebe sich ein Bereicherungsanspruch des Klägers (§ 812 I 1 Fall 1 BGB) auf Zahlung von 6.400 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des Mercedes-Pkw, an dessen Beschädigung dem Kläger ein Verschulden nicht nachzuweisen sei. Dem ist entgegen der Ansicht der Revision, die eine Bereicherung des Beklagten verneint wissen will, beizutreten.
1. Wird ein gegenseitiger Vertrag angefochten, so entbehren die beiderseitigen Leistungen des rechtlichen Grundes. Sie sind herauszugeben. Voraussetzung ist aber, wie sich aus § 818 III BGB ergibt, dass der Empfänger noch bereichert ist. Ob noch eine Bereicherung vorhanden ist, ist grundsätzlich nicht isoliert für die einzelne Leistung zu betrachten (so die ältere Zweikondiktionen-Theorie), sondern beurteilt sich danach, ob unter Berücksichtigung der Gegenleistung für eine Partei noch ein Überschuss bleibt (Saldotheorie, allgemein anerkannt; anders nur noch Flume, FS Niedermeyer, 1953, S. 103). An einem solchen Überschuss kann es namentlich dann fehlen, wenn eine der Leistungen untergegangen ist oder an Wert verloren hat. Nach der Saldotheorie ist dann nicht nur der Empfänger der untergegangenen oder entwerteten Leistung in dem entsprechenden Umfang nicht mehr bereichert; er kann auch diesen Verlust nicht auf den anderen Teil überwälzen und von diesem die dort noch vorhandene Gegenleistung herausverlangen ohne Rücksicht darauf, dass er selbst nichts mehr zu bieten hat. Wer also einen Bereicherungsanspruch geltend macht, trägt das Risiko, dass sowohl seine Leistung noch beim Gegner ist als auch die von ihm selbst empfangene Leistung noch vorhanden ist (vgl. v. Caemmerer, FS Rabel I, 1954, S. 333, 385; Esser, Schuldrecht, 3. Aufl., § 105 II Satz 2; Fikentscher, Schuldrecht, 2. Aufl., § 100 VI 3; Flume – trotz anderen Ausgangspunkts –, a. a. O., S. 103, 165 f.; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, 9. Aufl., § 25 II b).
Würden diese Grundsätze angewendet, so könnte das Berufungsurteil nicht bestätigt werden. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts ist einerseits nicht zu widerlegen, dass der Mercedes-Pkw bei der Übergabe an den Kläger 8.000 DM wert war, und andererseits davon auszugehen, dass er jetzt stark entwertet ist. Danach ist sicher, dass der Beklagte, wenn es bei dem Berufungsurteil bleibt, mehr einbüßt als den bei ihm noch vorhandenen „Überschuss“.
2. Das Oberlandesgericht ist sich bewusst, dass sein Ergebnis mit der Saldotheorie nicht übereinstimmt. Es meint im Anschluss an von ihm angeführte Entscheidungen des Reichsgerichts, der Bereicherungskläger, der den Vertrag wegen arglistiger Täuschung zu Recht angefochten habe, trage nicht die Gefahr für Untergang oder Verschlechterung der in seinen Besitz gelangten Gegenleistung und könne unabhängig von deren Schicksal herausverlangen, was er selbst geleistet habe.
Die Revision meint, die vom Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung des Reichsgerichts besage nur, dass der arglistig Getäuschte seinen Bereicherungsanspruch ohne Abzug auf Herausgabe des von ihm Geleisteten richten und es dem Täuschenden überlassen dürfe, seinerseits die ihm aus seinen Gegenleistungen zustehenden Bereicherungsrechte geltend zu machen; der Getäuschte werde nur insofern begünstigt, als er in seiner Rechnung nicht von vornherein die Gegenansprüche des Täuschenden zu berücksichtigen brauche, was eine wesentliche Erschwerung seiner Rechtsverfolgung bedeuten würde.
In diesem Sinn drückt sich allerdings die von Berufungsgericht und Revision angeführte Entscheidung des Reichsgerichts (Urt. v. 20.01.1934 – V 260/33, SeuffArch 88 Nr. 84) aus (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 16.10.1963 – VIII ZR 97/62, NJW 1964, 39). In Wirklichkeit geht die Rechtsprechung des Reichsgerichts (Nachw. über sie: RGRK-BGB/Scheffler, 11. Aufl., vor § 812 Anm. 25) aber weiter und hat in der Tat einen Bereicherungsanspruch gegen den Täuschenden auch in Fällen zuerkannt, in denen nach der Saldotheorie kein „Überschuss“ und damit keine Bereicherung mehr vorhanden war (vgl. z. B. RG, Urt. v. 15.10.1904 – V 104/04, RGZ 59, 92; Urt. v. 04.10.1910 – II 32/10, Warn 1910 Nr. 406; in diesen Entscheidungen wird der Anspruch des getäuschten Grundstückskäufers auf Rückzahlung des Kaufpreises bejaht, obschon das gekaufte Grundstück bei ihm zwangsversteigert worden war und nicht zurückgewährt werden konnte, und der Täuschende wird darauf verwiesen, etwaige anstelle des Anspruchs auf Grundstücksrückgabe getretene Entschädigungsansprüche geltend zu machen). Diese Rechtsprechung bedeutet demnach, dass zugunsten des arglistig Getäuschten ausnahmsweise die Zweikondiktionentheorie angewandt wird (Larenz, a. a. O., § 25 II b), dass also, wie das Berufungsgericht es ausdrückt, nicht saldiert wird.
Der so zu verstehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts stimmt der wohl überwiegende Teil des neueren Schrifttums zu (Fikentscher, a. a. O., § 100 VI 3; Flume, a. a. O., S. 103, 173 f.; Larenz, a. a. O., § 25 II b; ders., Lehrbuch des Schuldrechts II, 9. Aufl., S. 396 Fn. 1; Staudinger/Seufert, BGB, 11. Aufl., § 812 Rn. 34; Soergel/Mühl, BGB, 10. Aufl., § 818 Rn. 43; Medicus, Bürgerliches Recht, 2. Aufl., § 12 II 3 b; a. A. Erman/Seiler, BGB, 4. Aufl., § 818 Anm. 6 B a cc; RGRK-BGB/Scheffler, a. a. O., vor § 812 Anm. 25).
3. Der erkennende Senat tritt der Rechtsprechung des Reichsgerichts bei.
Wie Larenz (Lehrbuch des Schuldrechts I, 9. Aufl., § 25 II b) dargelegt hat, stellt die Saldotheorie letztlich eine von der Rechtsprechung aus Billigkeitsgründen vorgenommene Gesetzeskorrektur dar, die dem Umstand Rechnung trägt, dass die eine Leistung um der anderen willen gemacht wurde, und es daher für berechtigt hält, auch die bei nichtigem Vertrag entstehenden Rückgewährpflichten als von einander abhängig anzusehen. Es lässt sich deshalb rechtfertigen und ist in der Rechtsprechung auch so gehandhabt worden, dass bei besonderer Fallgestaltung, abweichend von der Saldotheorie, als billig ein Ausgleich angesehen wird, bei dem der Untergang des Gegenstands, den der Bereicherungsgläubiger empfangen hat, auf Gefahr des Bereicherungsschuldners geht (vgl. dazu v. Caemmerer, a. a. O., S. 333, 387). Dieses Ergebnis erscheint jedenfalls als recht und billig in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der arglistig getäuschte Käufer die gekaufte Sache nicht mehr zurückgewähren kann, ohne dass ihm ein Verschulden an der Unmöglichkeit der Rückgewähr nachgewiesen werden kann. Das Berufungsgericht verweist nicht zu Unrecht auf die Regelung beim Rücktritt. Es führt dazu aus, nach § 327 Satz 2 BGB hafte derjenige, welcher den Rücktritt nicht zu vertreten habe, nur nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, brauche also die empfangene, bei ihm untergegangene Sache nach § 818 III BGB nicht herauszugeben oder zu ersetzen, Trotzdem könne er nach § 346 BGB in vollem Umfang Rückgewähr des von ihm Hingegebenen beanspruchen. Im Falle arglistiger Täuschung müsse der Getäuschte ebenso gestellt werden wie beim Rücktritt der zum Rücktritt berechtigte, an der Vertragsauflösung unschuldige Teil.
Diesen Erwägungen tritt der Senat bei. Zwar weicht die Saldotheorie bewusst von den Rücktrittsregeln, insbesondere der Vorschrift des § 350 BGB ab, wonach es dem Rücktritt nicht entgegensteht, wenn der Gegenstand, den der Rücktrittsberechtigte empfangen hat, durch Zufall untergegangen ist. Gerade in dieser Abweichung wird ein Vorzug der Saldotheorie gesehen (vgl. Esser, a. a. O., § 105 II Satz 2; Staudinger/Seufert, a. a. O., § 812 Rn. 45a). Das trifft für „normale“ Bereicherungsfälle auch zu. Aber der Gedanke des Berufungsgerichts, der Betrüger dürfe – auch bei der Abwicklung nach der Anfechtung durch seinen Vertragsgegner – nicht besser stehen als ein Rücktrittsschuldner, leuchtet ein (vgl. hierzu auch schon RG, Urt. v. 15.10.1904 – V 104/04, RGZ 59, 92).
Zu dem Vergleich des Berufungsgerichts zu der Lage beim Rücktritt ist noch zu bemerken, dass der Senat auch keine Bedenken trägt, der Auffassung des Berufungsgerichts über die Vorschrift des § 327 Satz 2 BGB zu folgen. Die Bedeutung dieser Bestimmung ist zwar nicht unumstritten. Nach ihrem Wortlaut gilt sie für den Gegner dessen, der den Rücktritt erklärt, und würde damit nur einen sehr begrenzten Anwendungsbereich haben, etwa beim Rücktritt nach § 636 I 1 BGB, nicht aber für die Mehrzahl der Fälle des gesetzlichen Rücktrittrechts in §§ 325, 326 BGB, weil das Rücktrittsrecht dort nur bei Verschulden des Gegners entsteht. Nach der herrschenden Meinung (Staudinger/Kaduk, BGB, 10./11. Aufl., § 327 Rn. 29 m. w. Nachw.) ist der Sinn der Vorschrift, dass stets der Rückgewährpflichtige, der den Rücktritt nicht zu vertreten hat, nur insoweit haftet, als er noch bereichert ist. § 327 Satz 2 BGB kommt also auch dem zugute, der mit Recht den Rücktritt erklärte. Diesen Standpunkt hat auch der erkennende Senat im Urteil vom 11.07.1968 – VII ZR 41/66 – schon eingenommen; er bleibt dabei.
4. Beeinflusst danach die Entwertung des Mercedes-Pkw wegen der vom Beklagten begangenen arglistigen Täuschung den Bereicherungsanspruch des Klägers nicht, so braucht die in der Revisionsverhandlung erörterte Frage nicht entschieden zu werden, ob dasselbe Ergebnis aus einer Anwendung des § 819 BGB folgen würde. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ließe sich die Annahme rechtfertigen, dass der Beklagte die Anfechtbarkeit des Vertrags gekannt hat und deshalb nach § 142 II BGB so zu behandeln ist, als ob er „den Mangel des rechtlichen Grundes“ von Anfang an gekannt hätte. Das würde nach den §§ 819, 818 IV BGB zur Haftung „nach den allgemeinen Vorschriften“ führen, das heißt gemäß den §§ 292, 989 ff., 275, 279 BGB (vgl. hierzu Larenz, a. a. O., § 25 II b; Erman/Seiler, a. a. O., § 818 Anm. 7 b). Es ergibt sich die Frage, ob die Anwendung der Saldotheorie schon dann auszuscheiden hat, wenn einer der Beteiligten verschärft haftet, und auf die Fälle zu beschränken ist, in denen beide Partner nur auf die Bereicherung haften (vgl. dazu Larenz, a. a. O., § 25 II b; Weintraud, Die Saldotheorie, 1931, S. 72). Doch kann es wie gesagt offenbleiben, ob die Anwendung des § 819 BGB zu dem Ergebnis führt, dass sich wegen der Verschlechterung des Mercedes-Pkw die Haftung des Beklagten nicht mindert. Wie dargelegt kann ihm eine derartige Minderung schon deshalb nicht zugutekommen, weil er arglistig getäuscht hat.
5. Da die Saldotheorie nicht zu seinen Gunsten eingreift, haftet er auf Wertersatz für das, was er erhalten hat. Der von ihm erlangte Wert von 6.400 DM ist nach wie vor in seinem Vermögen vorhanden. Andererseits braucht der Kläger den Mercedes-Pkw nur in dem beschädigten Zustand herauszugeben und nicht zusätzlich Wert- oder Schadensersatz zu leisten. Das Berufungsgericht hat also zutreffend entschieden, und die Revision ist … zurückzuweisen.