1. Zur Auslegung der Vermutungsregelung des § 476 BGB.
  2. Zur Beweiswürdigung hinsichtlich der Frage, ob das Kupplungssystem eines Fahrzeugs schon bei Auslieferung an den Käufer mangelhaft war.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 18.07.2007 – 13 U 164/06

Sachverhalt: Im Mai 2003 erwarb der Kläger von der Beklagten einen Pkw mit einer Laufleistung von 20 Kilometern. Im September 2003 rügte er einen Kupplungsdefekt, dessen Reparatur (Austausch von Kupplungsscheibe, Kupplungsdeckel, Schwungscheiben und Kupplungsnehmerzylinder) bei einem Kilometerstand von 4.027 ausgeführt wurde. Im Mai 2004 trat bei Kilometerstand 8.156 erneut ein Kupplungsschaden auf, der wiederum von der Beklagten durch Austausch der Teile behoben wurde. Im September 2004 trat bei Kilometerstand 12.492 erneut der gleiche Defekt auf. Mit Anwaltsschreiben vom 03.11.2004 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte erwiderte hierauf mit Anwaltsschreiben vom 17.11.2004, dass ihres Erachtens kein technischer Defekt zum dreimaligen Austausch der Kupplung geführt habe, sondern eine Fehlbedienung durch den Kläger.

Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 34.321,53 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rücknahme des Fahrzeugs, zu zahlen. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte sich seit 14.11.2004 mit der Rücknahme der Kaufsache in Verzug befinde. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Der Kläger war nicht berechtigt, den Rücktritt vom Kaufvertrag zu erklären, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung eines Rücktrittsrechts nicht vorliegen. Nach § 437 BGB ist ein Käufer nur dann berechtigt, vom Kaufvertrag zurückzutreten, wenn die Kaufsache mit einem Mangel behaftet ist – wobei es dem Kläger nicht gelungen ist nachzuweisen, dass die unstreitig aufgetretenen Kupplungsdefekte auf einem schon bei Gefahrübergang vorliegenden Grundmangel zurückzuführen sind – und zwei Nachbesserungsversuche fehlgeschlagen sind (vgl. § 440 BGB).

Das Gericht des ersten Rechtszugs hat in seiner Bewertung der festgestellten Tatsachen gemeint, vorliegend lägen die Rücktrittsvoraussetzungen vor, weil es für erwiesen erachtet hat, dass das Kupplungssystem schon bei Auslieferung des Fahrzeugs an den Kläger mangelhaft gewesen sei. Dieser Bewertung der Tatsachen kann das Berufungsgericht nicht beitreten.

Die nach dem Inkrafttreten des ZPO-Reformgesetzes erörterte Rechtsfrage, inwieweit das Berufungsgericht befugt ist, bei einer vertretbaren Beweiswürdigung des Erstgerichtes eine eigene und vom Erstgericht abweichende Beweiswürdigung vorzunehmen (vgl. hierzu u. a. BGH, Urt. v. 14.07.2004 – VIII ZR 164/03) stellt sich vorliegend nicht, weil auch bei Anlegung gleichsam revisionsrechtlicher Maßstäbe vom Erstrichter nicht ausreichend dargetan ist, dass der vom Sachverständigen angenommene Bedienungsfehler ausgeschlossen sein soll, zumal das Prozessgericht des ersten Rechtszugs keinerlei Ausführungen zur eigenen und besonderen Sachkunde auf dem in Frage stehenden Gebiet macht.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige … hat nachvollziehbar dargelegt, weshalb das Schadensbild – thermische Überlastung der Kupplungsanlage, welche sich technisch mit einem häufigen oder länger anhaltenden Durchrutschen der Kupplung erklären lasse – unter Einbeziehung der Tatsache, dass eine Häufung derartiger Schäden an Kupplungssystemen des vorliegenden Fahrzeugstyps nicht bekannt geworden sei, auf eine fehlerhafte Bedienung der Kupplung schließen lasse. Es ist gerichtsbekannt, dass die Umgebung, ja sogar eigene Verhaltensweisen, nur sehr selektiv wahrgenommen werden und eigene Verhaltensweisen sich häufig gar nicht bewusst gemacht werden. Die Erklärung des Klägers, er habe die Kupplung nicht schleifen lassen, ist von dem Standpunkt seiner subjektiven Wahrnehmung durchaus glaubhaft, sagt letztlich aber nichts darüber aus, wie er sich tatsächlich beim Fahren des Fahrzeugs verhalten hat, zumal er zuvor ein Fahrzeug mit automatischem Getriebe hauptsächlich gefahren ist.

Letztlich kann es aber dahingestellt bleiben, ob die dreimaligen Kupplungsschäden nach jeweils kurzer Laufleistung auf jeweils eine Fehlbedienung des Kupplungssystems zurückzuführen sind, denn jedenfalls kann gerichtlicherseits positiv nicht festgestellt werden, dass die Kupplungsanlage des Fahrzeuges schon bei seiner Übergabe an den Kläger mit einem Mangel behaftet war, weshalb die zu treffende Entscheidung sich als sogenannte Beweislastentscheidung darstellt, das heißt die Prozesspartei den prozessualen Nachteil zu tragen hat, die für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer behaupteten Tatsache beweisbelastet ist. Für das Vorliegen eines Grundmangels bei Gefahrübergang ist der Kläger als beweisbelastet anzusehen und muss als beweisfällig geblieben angesehen werden, weshalb er den hieraus folgenden prozessualen Nachteil zu tragen hat.

Nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen, die auch der Kläger nicht infrage stellt, muss nach Übergabe der Kaufsache der Käufer die Mangelhaftigkeit der Kaufsache beweisen. Im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs stellt § 476 BGB, Art. 5 III der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (AblEG Nr. L 171 v. 07.07.1999, S. 12) – kurz: Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie – in das nationale deutsche Recht umsetzend, jedoch eine Vermutung zugunsten des Käufers, hier also zugunsten des Klägers, auf. Dieser Vorschrift zufolge wird nämlich vermutet, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt.

Über die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der vorstehend in Bezug genommenen Norm, die durchaus als ein herausgehobenes Element der Schuldrechtsreform angesehen werden kann, hat sich im deutschen Rechtskreis sehr schnell eine breite Diskussion entwickelt, die auch heute in der Lehre noch anhält. Die Diskussion betrifft die Reichweite der Vermutung des § 476 BGB, die der Kläger, wie das Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht gezeigt hat, anders sieht als das Prozessgericht.

Während ein Teil der Lehre meint, die gesetzliche Vermutung beziehe sich auch auf die Mangelhaftigkeit der Kaufsache als solche und nicht nur auf den Zeitpunkt des Vorliegens eines vom Verbraucher nachgewiesenen Mangels (in diesem Sinne z. B. Lorenz, NJW 2004, 3020; ders., in: MünchKomm-BGB, 4. Aufl. [2004], § 476 Rn. 4; ders., DAR 2006, 611 [614]; Roth, ZIP 2004, 2025; Saenger/Vettmann, ZGS 2005, 450; im Prinzip auch – aber deutlich modifizierend – Maultzsch, NJW 2006, 3091), zieht der BGH nunmehr in gefestigter Rechtssprechung die Grenzen des Anwendungsbereichs der Vermutungsregelung deutlich enger (vgl. BGH, Urt. v. 02.06.2004 – VIII ZR 329/03, BGHZ 159, 215; Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434; Urt. v. 21.12.2005 – VIII ZR 49/05, NJW 2006, 1195; Urt. v. 29.03.2006 – VIII ZR 173/05). Danach beschränkt sich die Vermutung nur auf den Zeitpunkt des Mangels, nicht aber auf den Mangel als solchen. Witt (NJW 2005, 3468) interpretiert die Rechtsprechung des BGH nach Ansicht des erkennenden Gerichtes zutreffend dahingehend, es sei ausreichend, wenn der Käufer darlege und nachweise, dass die Kaufsache vor Ablauf von sechs Monaten seit Gefahrübergang eine Beschaffenheit aufweise, die einen Sachmangel darstellen würde, wenn sie schon bei Gefahrübergang vorhanden gewesen sein sollte.

Der vorliegend zur Beurteilung anstehende Fall weist die Besonderheit auf, dass unstreitig bei Auslieferung des Wagens an den Kläger dessen Kupplungsanlage voll funktionsfähig, mithin also gerade nicht defekt war. Wie schon in seiner Entscheidung vom 02.06.2004 (BGHZ 159, 215) der BGH hervorgehoben hat, kann hier nicht auf die defekte Kupplung als solche – dies sicherlich ein erheblicher Sachmangel – abgestellt werden, weil eben der Defekt unstreitig erst nach Gefahrübergang aufgetreten ist. Abzustellen ist vielmehr auf die Ursache des später aufgetretenen Sachmangels. Erst wenn die Ursache des unstreitigen Defekts in einer Beschaffenheit der Kaufsache liegt, kann von einem gewährleistungsrechtlich relevanten Sachmangel ausgegangen werden. Dafür aber, dass bei mehreren möglichen Schadensursachen (Sachbeschaffenheit oder Bedienungsfehler) der Defekt auf die Sachbeschaffenheit und nicht etwa auf einen Bedienungsfehler zurückzuführen ist, ist der Käufer und mithin vorliegend der Kläger beweisbelastet. Die gesetzliche Vermutung des § 476 BGB greift mithin nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erst dann ein, wenn der Käufer bewiesen hat, dass überhaupt ein Sachmangel vorliegt (der Rechtsprechung des BGH stimmen u. a. ausdrücklich zu Gsell, JuS 2005, 967; Witt, NJW 2005, 3468; Reinking, in: Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl. [2005], Rn. 1305; ders., DAR 2004, 550).

Das erkennende Gericht folgt bereits im Interesse der Rechtssicherheit der Rechtsprechung des BGH, die für sich in Anspruch nehmen dürfte, dass sie richtlinienkonform ist, denn in Art. 5 III der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie wird die Vermutung an die Vertragswidrigkeiten angeknüpft; mit anderen Worten muss also eine Vertragswidrigkeit nachgewiesen sein (a. A. wohl Roth, ZIP 2004, 2025.). Auch der deutsche Gesetzestext („zeigt sich … ein Sachmangel“) steht der höchstrichterlichen Gesetzesinterpretation keinesfalls entgegen.

Folge dieser Rechtsauslegung ist, wie bereits oben festgestellt, dass der Kläger einen Grundmangel an dem Fahrzeug zu beweisen gehabt hätte. Dieser Nachweis ist ihm ersichtlich nicht gelungen, weshalb wie erkannt zu entscheiden war …

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