Die Klage des vom Kaufvertrag zurückgetretenen Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises ist regelmäßig am (Wohn-)Sitz des Verkäufers zu erheben (entgegen OLG Köln, Beschl. v. 28.03.2011 – 3 U 174/10, DAR 2011, 260).
LG Stralsund, Beschluss vom 13.10.2011 – 6 O 211/11
Sachverhalt: Der in S. wohnhafte Kläger nimmt den in K. – und damit im Bezirk des LG Marburg – wohnhaften Beklagten auf Kaufpreisrückzahlung in Anspruch, nachdem er von einem mit dem Beklagten geschlossenen Kfz-Kaufvertrag zurückgetreten ist. Außerdem verlangt der Kläger Ersatz der Kosten, die er für eine – nach seinen Angaben werterhöhende – Reparatur des Fahrzeugs aufgewendet hat.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29.08.2011 gerügt, das LG Stralsund sei örtlich nicht zuständig. Er sei vor seinem Wohnsitzgericht, dem LG Marburg, zu verklagen. Mit Schreiben vom 31.08.2011 – das Verfahren war zu diesem Zeitpunkt noch Kammersache – hat der Kammervorsitzende die Beteiligten darauf hingewiesen, dass seines Erachtens eine örtliche Zuständigkeit des LG Stralsund bestehe. Hierzu hatte der Kläger bereits in der Klageschrift näher ausgeführt und sich auf eine Rechtsprechungsfundstelle bezogen. Mit Beschluss vom 20.09.2011 ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichtersache übertragen worden. Der nunmehr verfahrensleitende Berichterstatter hat die Parteien mit Schreiben vom 28.09.2011 darauf aufmerksam gemacht, dass er die Auffassung des Kammervorsitzenden zur Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht teile, dies näher begründet und den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 12.10.2011 seinen Standpunkt verteidigt und vertieft; insbesondere hat er sich nunmehr auch auf eine Entscheidung des BGH vom 13.04.2011 – VIII ZR 220/10 – bezogen. Hilfsweise hat er Verweisung an das LG Marburg beantragt.
Das LG Stralsund hat sich daraufhin für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an LG Marburg verwiesen.
Aus den Gründen: II. Das LG Stralsund ist – auch unter Berücksichtigung der jüngsten Ausführungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 12.10.2011 – örtlich nicht zuständig. Der Kläger hat für den Fall, dass das erkennende Gericht bei seiner unter dem 28.09.2011 geäußerten Einschätzung verbleiben sollte, Verweisung an das LG Marburg beantragt. Das Gericht hält an seiner Auffassung fest. Der Eventualfall ist damit eingetreten. Der Rechtsstreit war daher unter Ausspruch der eigenen Unzuständigkeit antragsgemäß an das LG Marburg zu verweisen (vgl. § 281 I 1 ZPO).
1. Das LG Stralsund ist örtlich nicht zuständig.
a) Der Beklagte ist außerhalb des hiesigen Bezirks ansässig. Auf §§ 12 f. ZPO kann eine Klage vor dem hiesigen Gericht somit nicht gestützt werden. Denkbar ist eine Zuständigkeit des hiesigen Gerichts daher allein – anderweitige Gerichtsstandsbestimmungen, die eine Anrufung des LG Stralsund rechtfertigen könnten, macht auch der Kläger nicht geltend – auf der Grundlage des § 29 I ZPO. Diese Regelung greift hier indes nach zutreffender Auffassung nicht ein.
b) Das Gericht geht – wie bereits unter dem 28.09.2011 ausgeführt – im Anschluss unter anderem an LG Krefeld (Beschl. v. 27.07.1977 – 2 O 262/77, MDR 1977, 1018) und Stöber(NJW 2006, 2661 [2662 ff.], davon aus, dass Erfüllungsort und damit zugleich Gerichtsstand für die auf § 346 I BGB gestützte Rückzahlungsklage des Käufers nach Rücktritt vom Kaufvertrag – wie sie hier vorliegt – gemäß § 29 I ZPO i. V. mit §§ 270 IV, 269 I BGB der (Wohn-)Sitz des Verkäufers ist (so u. a. auch AnwKomm-BGB/Schwab, 2005, § 269 Rn. 40 ff.; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl. [1991], § 467 Rn. 97, 99, für die Wandelung nach altem Recht; Döhmel, Der Leistungsort bei Rückabwicklung von Verträgen, 1997, S. 109 ff., 134 ff., ebenfalls zur Wandelung nach früherem Recht).
aa) Für Gegenteiliges – das heißt für einen einheitlichen Gerichtsstand an dem Ort, an dem sich die Kaufsache nach Rücktritt bestimmungsgemäß befindet – gibt das geltende Recht entgegen der zumindest bislang herrschenden Auffassung (u. a. … OLG Saarbrücken, Beschl. v. 06.01.2005 – 5 W 306/04, NJW 2005, 906; LG Freiburg, Urt. v. 07.11.2008 – 8 O 98/08, juris; unlängst OLG Köln, Beschl. v. 28.03.2011 – 3 U 174/10, DAR 2011, 260 …), nichts her. Entgegen verbreiteter Auffassung ergibt sich für einen entsprechenden Einheitsgerichtsstand – der mit der differenzierenden und auf die jeweilige einzelne Vertragspflicht abstellenden gesetzlichen Systematik der § 269 f. BGB, § 29 ZPO erkennbar nicht in Einklang steht – insbesondere nichts aus der Rechtsprechung des BGH. Das von Vertretern der wohl noch herrschenden Auffassung (u. a. OLG Köln, Beschl. v. 28.03.2011 – 3 U 174/10, DAR 2011, 260) wiederholt zitierte Urteil des BGH vom 09.03.1983 – VIII ZR 11/82, NJW 1983, 1479 = WM 1983, 561 – ist für die Frage, an welchem Ort der zurückgetretene Käufer die Kaufpreisrückzahlung einklagen kann, unergiebig, da es sich nicht mit einer Rückzahlungsklage beschäftigt, sondern mit der Klage des Käufers gegen den Verkäufer auf Rücknahme der Kaufsache und insoweit die Frage nach dem Erfüllungsort für die Rückzahlung des Kaufpreises gerade – als nicht entscheidungserheblich – offenlässt (… hierauf verweist zurecht und dezidiert Stöber, NJW 2006, 2661 [2662], li. Sp. unter III). Tatsächlich besteht richtigerweise kein durchgreifender Grund, dem zurückgetretenen Käufer eine Klage auf Kaufpreisrückzahlung an seinem „Heimatgericht“ entgegen Wortlaut und Systematik der gesetzlichen Regelung zu eröffnen. Soweit hier verbreitet auf das vertragliche Synallagma, die Ortsnähe für den Fall einer Beweisaufnahme über die dem Rücktritt zugrunde liegenden Mängel und die „Verantwortlichkeit“ des Verkäufers für den Prozess verwiesen wird, handelt es sich durchweg um sachfremde Erwägungen, die mit dem Leitbild der gesetzlichen Regelung nichts zu tun haben und bei konsequenter Betrachtung – zu der sich bezeichnenderweise nahezu niemand versteigt – zur Folge haben müssten, dass bei allen gegenseitigen Verträgen stets ein einheitlicher Erfüllungsort und Gerichtsstand anzunehmen wäre. Insbesondere müsste im Hinblick auf das vertragliche Synallagma konsequenterweise auch für die wechselseitige Erfüllung der Primärpflichten aus einem Kaufvertrag, von dem keine Partei zurückgetreten ist, ein einheitlicher Ort anzunehmen sein. Dies wird indes geradezu durchweg – auch von den Vertretern der hier abgelehnten Auffassung zum rücktrittsrechtlichen „Austauschort“ – abgelehnt (vgl. zum Ganzen statt aller dezidiert und durchweg überzeugend LG Krefeld, Beschl. v. 27.07.1977 – 2 O 262/77, MDR 1977, 1018, und Stöber, NJW 2006, 2661 [2662 ff.], jeweils m. w. Nachw.).
bb) Die Ausführungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 12.10.2011 rechtfertigen keine andere Sicht.
(1) Ob die Annahme eines Gerichtsstands am Wohnsitz des Käufers „allein der Zielsetzung der Verbrauchsgüterrichtlinie 1999/44/EG entspricht“, wie der Kläger meint, ist nicht ausschlaggebend, denn § 29 ZPO geht ebenso wenig wie die materiellrechtlichen Erfüllungsortsvorschriften der §§ 269 f. BGB, auf die insoweit abzustellen ist, auf diese Richtlinie zurück und ist daher auch nicht in deren Lichte zu interpretieren. Im Übrigen enthält die betreffende Richtlinie keine Maßgaben für den nationalen Gesetzgeber, einen „Verbraucherwohnsitzgerichtsstand“ vorzusehen. Jedenfalls kann aus ihr nicht abgeleitet werden, dass nationale Gerichte stets – auch ohne einen konkreten Bezug zu bestimmten Richtlinienbestimmungen – gehalten wären, streitentscheidende Normen „verbraucherfreundlich“ auszulegen.
(2) Auch aus der in Bezug genommenen BGH-Entscheidung vom 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, NJW 2011, 2278 – ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die Entscheidung befasst sich mit dem Gerichtsstand für die Klage auf Nacherfüllung. An der vom Kläger zitierten Stelle geht der BGH lediglich indirekt auf die Gerichtsstandsfrage für den Rückabwicklungsprozess nach erfolgtem Rücktritt ein.
Ohne sich zu dieser Frage selbst zu positionieren, stellt der BGH lediglich im Sinne einer Bestandsaufnahme des vorhandenen Meinungsspektrums fest, dass der Erfüllungsort für „Rückgewähransprüche“ – die nicht näher spezifiziert werden – „vielfach“ dort „angesiedelt“ würden, wo sich die Kaufsache vertragsgemäß befindet. Nur insoweit zitiert der Senat auch seine Entscheidung vom 09.03.1982 in Sachen VIII ZR 11/82, und zwar ausdrücklich mit dem Zusatz „zum alten Schuldrecht“ und bereits einleitend mit dem Kürzel „vgl.“. Hieraus kann substanziell nichts abgeleitet werden, zumal sich dem Zitat auch bei einer dem Kläger günstigen Betrachtung bestenfalls entnehmen lässt, dass der VIII. Zivilsenat des BGH an seiner Entscheidung vom 09.03.1982 festhält, soweit sie – inhaltlich – reicht. Die Entscheidung vom 13.04.2011 kann daher zugunsten des Klägers allenfalls dahin gedeutet werden, dass der BGH für die Klage des Käufers gegen den Verkäufer auf Rücknahme der Kaufsache auch weiterhin das Gericht am „Austauschort“ für zuständig hält. Für die Kaufpreisrückzahlungsklage ist damit höchstrichterlich unverändert nichts ausgesagt. Selbst wenn der BGH hierzu im Übrigen eine Aussage des Inhalts getroffen hätte, dass er das Wohnsitzgericht des auf Kaufpreisrückzahlung klagenden Käufers für zuständig hielte, würde sich das erkennende Gericht dem nicht anschließen, da für eine solche Auffassung – mag sie auch „Mehrheitsmeinung“ sein – keine durchgreifenden Gründe streiten, wie eingangs bereits ausgeführt.
(3) Umgekehrt bestätigt das Urteil des BGH vom 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, NJW 2011, 2278 – vielmehr die in den letzten Jahren generell festzustellende Tendenz des BGH, sich bei der Erfüllungsorts- und Gerichtsstandsbestimmung auf die gesetzliche Ausgangsregel des § 269 I BGB zurückzubesinnen und im Zweifel – oft, wie z. B. für die Klage auf Zahlung des Anwaltshonorars (vgl. BGH, Beschl. v. 11.11.2003 – X ARZ 91/03, NJW 2004, 54), unter Aufgabe älterer Entscheidungen zu einem einheitlichen Gerichtsstand je nach Vertragstypus – eine Holschuld anzunehmen (vgl. zu dieser Tendenz allgemein etwa LG Halle/Saale, Beschl. v. 10.01.2006 – 8 O 273/05, juris; LG Stralsund, Beschl. v. 04.10.2011 – 6 O 77/11 m. w. Nachw.). Insoweit sieht sich das Gericht hier in der Tendenz durchaus auf der derzeitigen „Linie“ des BGH.
2. Eine örtliche Zuständigkeit des LG Stralsund ist daher nicht begründet. Zuständig ist jedenfalls – und zwar sowohl gemäß § 29 I ZPO als auch gemäß §§ 12 f. ZPO – das Gericht am Wohnsitz des Beklagten, mithin das LG Marburg. Daher war dorthin antragsgemäß zu verweisen.