Ein Kfz-Händler, der beim Verkauf eines Neufahrzeugs ein Fahrzeug in Zahlung nimmt und über das Baujahr dieses Fahrzeugs arglistig getäuscht wird, ist nicht darauf beschränkt, wegen der unrichtigen Angabe des Baujahrs Gewährleistungsansprüche geltend zu machen. Vielmehr kann er den mit dem Neuwagenkäufer geschlossenen Kaufvertrag im Ganzen wegen arglistiger Täuschung anfechten.
BGH, Urteil vom 24.01.1968 – VIII ZR 54/67
Sachverhalt: Die Klägerin handelt mit Kraftfahrzeugen. Am 09.12.1965 kaufte die Beklagte – vertreten durch ihren Bruder B – zwei neue Audi-Pkw zum Preis von insgesamt 16.440 DM von der Klägerin, die von der Beklagten einen Mercedes-Pkw zum Preis von 15.280 DM in Zahlung nahm. Den restlichen Kaufpreis zahlte die Beklagte in bar. Die Fahrzeuge wurden alsbald übergeben.
Der Mercedes-Pkw war laut Fahrzeugbrief am 11.06.1965 auf die Beklagte zugelassen worden.
Der von B Unterzeichnete Bestellschein vom 09.12.1965 enthielt folgenden Vermerk: „Mercedes B 65 wird für 15.280 in Zahlung genommen“. Zu diesem Preis will die Klägerin das Fahrzeug an den Automobilkaufmann A, der den Pkw vor dem 09.12.1965 besichtigt hatte, verkauft haben. A übernahm den Pkw noch am 09.12.1965. Am 11.12.1965 fuhr er mit dem Wagen nach Hamburg und versuchte dort, ihn zum Übernahmepreis zu verkaufen, was aber misslang. Inzwischen hatte A festgestellt, dass der Mercedes aus dem Baujahr 1962 stammte. Die Klägerin nahm den Pkw von A zurück und ließ ihn von der Deutsche Automobil Treuhand GmbH schätzen. Nach dieser Schätzung betrug der Marktwert des Mercedes am Tag der Untersuchung (17.12.1965) 7.900 DM. In der Schätzungsurkunde vom 24.12.1965 ist vermerkt: „Nach der Fahrgestell-Nummer stammt das Fahrzeug aus dem Baujahr 1962; Stand des Kilometerzählers: …“.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.12.1965 focht die Klägerin gegenüber der Beklagten den Kaufvertrag vom 09.12.1965 und die Eigentumsübertragung wegen arglistiger Täuschung mit der Begründung an, B habe sie über das Baujahr des Mercedes arglistig getäuscht. Nach den Angaben des B sei bei der Festsetzung des Anrechnungswertes von 15.280 DM davon ausgegangen worden, dass der Wagen aus dem Baujahr 1965 stamme.
Die Klägerin erwirkte am 31.12.1965 eine einstweilige Verfügung, in der der Beklagten aufgegeben wurde, sich jeder Verfügung hinsichtlich der beiden Audi-Pkw zu enthalten und die Fahrzeuge an den Gerichtsvollzieher als Verwahrer herauszugeben. Dieser stellte daraufhin die Fahrzeuge durch Pfändung bei der Beklagten sicher.
Mit der Klage will die Klägerin erreichen, dass die Beklagte verurteilt wird, Zug um Zug gegen Herausgabe des Mercedes-Pkw nebst Fahrzeugschein und Fahrzeugbrief sowie Rückzahlung von 1.160 DM ihr Einverständnis damit zu erklären, dass der Gerichtsvollzieher die beiden Audi-Pkw nebst Fahrzeugbriefen und Serviceheften an die Klägerin herausgibt.
Die Beklagte hat bestritten, dass die Klägerin über das Baujahr des Mercedes-Pkw arglistig getäuscht worden sei. Diesen Wagen habe sie kurz vor dem Tod ihres 1963 verstorbenen Ehemanns erhalten und zunächst nicht benutzt. Dann sei aber das Fahrzeug am 11.06.1965 zugelassen worden. Der für den Wagen ursprünglich ausgestellte Fahrzeugbrief sei wegen Verschmutzung, der Kilometerzähler wegen eines Fehlers ersetzt worden. Im Zeitpunkt der Verkaufsverhandlungen habe die Laufleistung des Fahrzeugs etwa 5.500 km betragen. Als B mit dem Wagen zu der Klägerin gefahren sei, habe der neue Kilometerzähler einen Kilometer stand von 212 angezeigt.
Das Landgericht hat dem Klageantrag entsprochen; das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage erstrebte, hatte ebenfalls keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht hält für erwiesen, dass die Klägerin beim Abschluss des Kaufvertrags vom 09.12.1965 durch den Bruder der Beklagten B arglistig getäuscht worden ist; er habe bei den Kaufverhandlungen falsche Angaben über das Baujahr des in Zahlung gegebenen Mercedes gemacht und mehrmals erklärt, der Wagen stamme aus dem Baujahr 1965. Die Anfechtung des Kaufvertrags durch die Klägerin sei daher begründet.
II. Die Revision macht geltend, die Anfechtung des Kaufvertrags sei deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Klägerin bereits am Nachmittag des 10.12.1965 durch ein Telefongespräch zwischen B und dem Sohn der Inhaber der Klägerin, S, der die Kaufverhandlungen mit B geführt hatte, davon Kenntnis erhalten habe, dass der Mercedes-Pkw aus dem Baujahr 1962 stammte. Dies habe die Klägerin in dem Schriftsatz vom 02.03.1966 (S. 5) zugegeben. Sie habe also nach ihrem eigenen Vortrag Kenntnis von dem Anfechtungsgrund oder jedenfalls das Bewusstsein gehabt, dass das Rechtsgeschäft, soweit es in der Anrechnung des Mercedes auf den Kaufpreis für die beiden neuen Audi-Wagen bestand, fehlerhaft sein könne. Deshalb habe sie durch ihr weiteres Verhalten den Kaufvertrag bestätigt und auf das Anfechtungsrecht verzichtet, indem sie es zugelassen habe, dass A mit dem Wagen noch nach Hamburg gefahren sei. Die Klägerin habe auch keine Veranlassung gehabt, den Wagen von A zurückzunehmen. Ihr sei ferner entgegenzuhalten, dass B bei dem Telefongespräch am 10.12.1965, in dem er das Verlangen, den Mercedes niedriger bewerten zu lassen, abgelehnt habe, schließlich auch darauf hingewiesen habe, dann müsse das Geschäft eben rückgängig gemacht und der Wagen dürfe nicht mehr gefahren werden.
Diese Ausführungen ergeben nicht, dass dem Berufungsgericht ein Rechtsverstoß unterlaufen ist. Das Berufungsgericht hat zur Frage der behaupteten Bestätigung des Kaufvertrags ausgeführt, selbst wenn die Klägerin volle und bestimmte Kenntnis ihres Anfechtungsgrundes am 10.12.1965 gehabt haben sollte, so könnte in der Fahrt des A mit dem Wagen nach Hamburg am folgenden Tage keine Bestätigung des Vertrags zwischen den Parteien gesehen werden. Die Klägerin habe weder die Möglichkeit noch Veranlassung gehabt, diese Fahrt zu verhindern, sodass es nicht als Bestätigung anzusehen sei, wenn sie sich insoweit passiv verhalten hat. Eine Bestätigung des Vertrags liege auch dann nicht vor, wenn A den Wagen von der Klägerin nur als deren Kommissionär übernommen hat. Eine Ingebrauchnahme einer durch anfechtbaren Vertrag erlangten Sache könne zwar den Verzicht auf ein Anfechtungsrecht bedeuten, jedoch sei es von den Umständen des Falls abhängig, wie ein solches Verhalten zu bewerten sei. Weitaus näher liege hier die Annahme, die Klägerin habe den A erteilten Verkaufsauftrag, der unterstellt werde, nicht zurückgezogen, sondern versucht, den Wagen ohne Verlust abzusetzen, um die Anfechtung des Vertrags und einen aller Voraussicht nach auf sie zukommenden Rechtsstreit zu vermeiden. Ein solcher Versuch sei rechtmäßig gewesen, hätte überdies auch im eigenen Interesse der Beklagten gelegen. Ein eindeutiger Verzichtswille der Klägerin sei somit nicht feststellbar.
Diese Würdigung des Sachverhalts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die dagegen von der Revision vorgebrachten Gesichtspunkte sind nicht erheblich.
III. Auch die weiteren Rügen der Revision greifen nicht durch.
1. Die Beklagte hat in der Berufungsbegründung gebeten, eine Auskunft des Technischen Überwachungsvereins in G. darüber einzuholen, ob der Mercedes-Pkw im Jahre 1965 als fabrikneu abgenommen worden ist. Das Berufungsgericht hat diesen Beweis nicht erhoben. Darin liegt entgegen der Ansicht der Revision kein Rechtsverstoß. Mit dem angebotenen Beweis wollte die Beklagte begründen, dass dem Baujahr 1962 keine erhebliche Bedeutung für die Bewertung des Fahrzeugs und den Entschluss der Klägerin, ihn in Zahlung zu nehmen, beizulegen sei. Die Revision führt dazu aus, wenn das Fahrzeug am 11.06.1965 noch fabrikneu war und bei der Inspektion am 11.12.1965, über die dem Berufungsgericht eine Rechnung vorgelegt worden ist, laut dieser Rechnung einen Kilometerstand von 5.433 hatte, so könne die Schätzung der Deutsche Automobil Treuhand GmbH nur so erklärt werden, dass der Schätzer angenommen habe, der Wagen sei schon 100.000 km gelaufen und zeige auf dem zweiten Tachometer rund 1.600 km an. Diese Erwägung der Revision ist schon deshalb unbeachtlich, weil sie neues tatsächliches Vorbringen enthält. Ob der Mercedes bei der Zulassung am 11.06.1965 noch als fabrikneu angesehen wurde, ist deshalb unerheblich, weil er jedenfalls bei der Inzahlungnahme durch die Klägerin nicht fabrikneu, sondern bis zur Auswechslung des Tachometers unstreitig etwa 5.000 km gelaufen war. Es kann überdies dahingestellt bleiben, ob die Schätzung des Wagens aufgrund der Untersuchung vom 17.12.1965 von unrichtigen Vorstellungen über die Laufzeit des Wagens beeinflusst worden ist. Denn die Erwägungen des Berufungsgerichts, aus denen es die Täuschung über das Baujahr als ursächlich für den Vertrag vom 09.12.1965 angesehen hat, beruhen nicht auf der dem Gericht vorgelegten Schätzungsurkunde und rechtfertigen die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Täuschung über das Baujahr für den Abschluss des Kaufvertrags zu den vereinbarten Bedingungen ursächlich war.
2. Schließlich kann die Revision auch nicht mit der Erwägung durchdringen, die vom Berufungsgericht angenommene arglistige Täuschung berühre allenfalls nur den Austauschvertrag hinsichtlich des Mercedes-Wagens, sodass die Klägerin diesen Wagen zurückgeben müsse und nur Anspruch auf Zahlung des noch nicht getilgten Kaufpreises für die beiden Audi-Wagen erheben könne. Denn die Klägerin ist nicht darauf beschränkt, Gewährleistungsansprüche wegen der festgestellten unrichtigen Angaben über das Baujahr zu erheben, sondern berechtigt, den Vertrag im Ganzen anzufechten. Aus der von der Revision angeführten Entscheidung des Senats vom 18.01.1967 – VIII ZR 209/64, BGHZ 46, 338 = WM 1967, 228 = NJW 1967, 553 – ergibt sich nichts, was dieser rechtlichen Beurteilung entgegensteht.
IV. Demnach war die Revision der Beklagten … als unbegründet zurückzuweisen.