1. Es ist nicht glaubhaft, dass der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs vom Kauf Abstand genommen hätte, wenn er gewusst hätte, dass in dem Fahrzeug eine seinen Schadstoffausstoß manipulierende Software zum Einsatz kommt. Denn zum einen beeinträchtigt die Software nicht die Nutzbarkeit des Fahrzeugs, und zum anderen kann sie innerhalb von weniger als einer Stunde mit einem Aufwand von unter 100 € beseitigt werden.
  2. Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen – und deshalb möglicherweise mangelhaften – Fahrzeugs muss dem Verkäufer grundsätzlich gemäß § 323 I BGB eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (§ 439 I BGB) setzen, bevor er wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten kann. Bei der Bemessung dieser Frist ist zugunsten des Verkäufers zu berücksichtigen, dass die den Schadstoffausstoß manipulierende Software, die in dem Fahrzeug zum Einsatz kommt, seien Betrieb nicht beeinträchtigt. Ebenso ist zugunsten des Verkäufers zu berücksichtigen, dass eine Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) nur in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt erfolgen kann.
  3. Die – mögliche – Pflichtverletzung eines Kfz-Verkäufers, die in der Lieferung eines vom VW-Abgasskandal betroffenen und deshalb möglicherweise mangelhaften Fahrzeugs liegt, ist i. S. von § 323 V 2 BGB unerheblich und rechtfertigt deshalb keinen Rücktritt des Käufers vom Kaufvertrag. Denn der – unterstellte – Mangel lässt sich durch die Installation eines Softwareupdates beseitigen, und diese Maßnahme erfordert einen Kostenaufwand von weniger als 100 €, sodass die Mangelbeseitigungskosten im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind.

LG München II, Urteil vom 05.07.2016 – 14 O 404/16

Sachverhalt: Die Klägerin begehrt im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages.

Ihr Ehemann E bestellte bei der Beklagten am 10.01.2012 einen VW Tiguan zum Preis von 36.682,59 €. Die Beklagte erteilte E am 27.01.2012 eine Auftragsbestätigung und stellte ihm unter dem 06.04.2012 den Kaufpreis in Rechnung, den E vollständig zahlte. Das bestellte Fahrzeug wurde am 02.05.2012 auf E zugelassen und am 12.12.2013 auf seine Ehefrau, die Klägerin, umgemeldet.

Der VW Tiguan ist mit einem EA189-Dieselmotor ausgestattet und deshalb – wie zahlreiche andere Fahrzeugn der Beklagten – vom VW-Abgasskandal betroffen. In dem Fahrzeug kommt – was die Beklagte ausdrücklich einräumt – eine Software zum Einsatz, die seine Stickoxid(NOX)-Emissionen optimiert, sobald der Pkw auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert.

Mit Schreiben vom 21.10.2015 hat E, der Käufer des Fahrzeugs, seine Ansprüche „aus und im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Kaufvertrag“ an die Klägerin abgetreten. E ist im Februar 2016 verstorben; die Klägerin ist Alleinerbin geworden.

Mit Schreiben des späteren Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 27.11.2015 wurde gegenüber der Beklagten die Anfechtung des streitgegenständlichen Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung und hilfsweise der Rücktritt von diesem Vertrag erklärt.

Die Klägerin meint, indem die Beklagte E eine EG-Übereinstimmungsbescheinigung (COC) übergeben habe, habe sie ihm zugesichert, dass der Stickoxid(NOX-)Ausstoß des streitgegenständlichen Fahrzeugs – wie in der Bescheinigung vermerkt – lediglich 119,8 mg/km betrage. Mit Blick darauf – so meint die Klägerin weiter – falle der Beklagten hinsichtlich des Mangels, der dem streitgegenständlichen Pkw anhafte, eine arglistige Täuschung zur Last, sodass der Kaufvertrag wirksam angefochten worden sei. Da die Beklagte sich arglistig verhalten habe, könne ihre in der Lieferung eines mangelhaften Fahrzeugs liegende Pflichtverletzung im Übrigen nicht i. S. § 323 V 2 BGB unerheblich sein.

Die im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Die … Klage erwies sich als unbegründet, da weder die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 123 I BGB gegeben sind noch diejenigen für einen wirksamen Rücktritt vom Kaufvertrag nach §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 440 Satz 1 BGB.

Die Voraussetzungen einer erfolgreichen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 I BGB liegen nach Auffassung des Gerichts nicht vor, da seitens der Klägerpartei weder der erforderliche Vorsatz aufseiten der beklagten Partei nachgewiesen werden konnte, noch hinreichend substanziierter Vortrag zur Frage der Kausalität zwischen angeblicher Täuschung und Abgabe der Willenserklärung vorliegt.

Zunächst weist das Gericht darauf hin, dass nach seiner Auffassung schon keine Täuschungshandlung … vorliegt. Mit Bezug auf das Vorliegen einer Typgenehmigung ist festzustellen, dass das Fahrzeug – wie die beklagte Partei zutreffend vorträgt – über eine wirksame EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse „Euro 5“ verfügt. Diese Genehmigung besteht nämlich auch nach der Entscheidung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 27.01.2016 (betreffend den ersten untersuchten Fahrzeugtyp Amarok) fort. Eine etwaige Zusicherung der EG-Typgenehmigung kann deshalb eine Täuschung nicht begründen.

Auch eine etwaige Abweichung der realen Emissionswerte im Vergleich zu den angegebenen Werten liegt nach Auffassung des Gerichts nicht vor. Denn nach den gesetzlichen Vorgaben für die Erlangung der EG-Typgenehmigung ist – wofür sich der Gesetzgeber bewusst entschieden hat – nur der synthetische Fahrzyklus unter Laborbedingungen maßgeblich. In diesem Zusammenhang ist auch bekannt, dass die in den Herstellerangaben angegebenen Werte den Laborbedingungen entsprechen und nicht im normalen Fahrbetrieb erzielt werden.

Bereits aus diesen Gründen hält das Gericht das Vorliegen einer Täuschung für nicht gegeben. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung bereits daran scheitert, dass klägerseits nicht das Vorliegen von Vorsatz bei der Beklagten nachgewiesen werden konnte bzw. ein solcher Vorsatz auch nicht substanziiert vorgetragen wurde:

Nach herrschender Ansicht (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2001 – V ZR 14/00, NJW 2001, 2326, 2327) erfordert das Vorliegen von Arglist Vorsatz insofern, als der Handelnde die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen muss. Von der Klägerpartei wird eine derartige Kenntnis der Beklagten pauschal behauptet. Es wird jedoch übersehen, dass die Beklagte in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft organisiert ist. Eine Wissenszurechnung hat in diesem Falle nach zutreffender Ansicht über § 166 I BGB (vgl. hierzu Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., § 166 Rn. 2 m. w. Nachw.) zu erfolgen. Nach § 166 I BGB ist Voraussetzung einer Zurechnung von Wissen an den Vertretenen (hier: die Aktiengesellschaft), dass die vertretungsberechtigten Organe ein entsprechendes Wissen hatten (vgl. BGH, Urt. v. 06.04.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287). Bei einer Aktiengesellschaft … erfolgt die gesetzliche Vertretung durch den Vorstand (vgl. § 78 II 1 AktG). Der Nachweis, dass der Vorstand bzw. eines der Mitglieder des Vorstandes der Beklagten entsprechende Kenntnis von der verbauten Software hatte, konnte klägerseits jedoch nicht geführt werden; die pauschale Behauptung einer allgemeinen Kenntnis der Beklagten genügt im Übrigen nicht für einen diesbezüglich schlüssigen Sachvortrag.

Ob und inwieweit möglicherweise ein Mitglied oder mehrere Mitglieder des Vorstands Kenntnis hiervon hatten, wird gegebenenfalls im Rahmen etwaiger Ermittlungsverfahren geklärt. Für die vorliegende Zivilklage ist weder ausreichender Sachvortrag noch Beweis zur Frage des Vorsatzes der Beklagten erbracht.

Bereits aus diesem Grunde hat eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht durchgegriffen.

Im Übrigen fehlt es klägerseits auch an hinreichend substanziiertem Sachvortrag bezüglich der Ursächlichkeit zwischen der angeblichen Täuschung des Ehemanns der Klägerin und der Entscheidung zum Abschluss des Kaufvertrags. Wie die beklagte Partei zutreffend vorträgt, war bei lebensnaher Betrachtung für die Kaufentscheidung des Ehemanns der Klägerin allenfalls das Vorliegen der EG-Typgenehmigung für die Emissionsklasse "Euro 5" sowie die Funktionsfähigkeit des Fahrzeugs von Bedeutung. Die erforderliche Typgenehmigung liegt jedoch auch nach der Entscheidung des Kraftfahrt-Bundesamtes vor, sodass das Fahrzeug uneingeschränkt nutzbar ist.

Es ist ferner – wie auch die beklagte Partei zutreffend vorträgt – nicht glaubhaft, dass der Käufer des Fahrzeugs bei Kenntnis der Software vom gesamten Vertrag Abstand genommen hätte, zumal die Software die Nutzbarkeit des Fahrzeugs nicht beeinträchtigt und sich innerhalb von weniger als einer Stunde mit einem Aufwand von unter 100 € beseitigen lässt.

Jedenfalls lässt der klägerische Sachvortrag jegliche substanziierte Einlassung zur Frage der Kausalität zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung vermissen. Nach herrschender und zutreffender Ansicht (vgl. Palandt/Ellenberger, a. a. O., § 123 Rn. 30) trägt jedoch die Klägerpartei die Behauptungs- und Beweislast für die Ursächlichkeit der Täuschung. Zwar kann diese im Wege des Anscheinsbeweises nachgewiesen werden (vgl. Palandt/Ellenberger, a. a. O., § 123 Rn. 30), aus den genannten Gesichtspunkten waren jedoch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, die die Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises hätten ausfüllen können.

Die erklärte Anfechtung des Kaufvertrags wegen angeblicher arglistiger Täuschung greift deshalb insgesamt nicht durch.

Auch der hilfsweise erklärte Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 440 Satz 1, 323 BGB greift nach Auffassung des Gerichts nicht durch, da … jedenfalls die im Rahmen des § 323 I BGB erforderliche Frist zur Nachbesserung … nicht gesetzt wurde und eine solche auch nicht nach § 323 II Nr. 3 BGB entbehrlich ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist für eine Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung i. S. des § 323 II Nr. 3 BGB erforderlich, dass die Klägerpartei darlegt, dass das Interesse der Beklagten an der Vornahme der Nachbesserung so gering ist, dass bei einer Interessenabwägung ihr Interesse an einer sofortigen Rücktrittsausübung überwiegen würde.

Auch hierfür fehlt es nach Auffassung des Gerichts an einem hinreichend substanziierten Sachvortrag der Klägerpartei. Weder ist das Interesse der Beklagten an der Vornahme der technischen Maßnahmen gering, noch hat die Klägerin ein Interesse an einem sofortigen Rücktritt. Zutreffend weist die beklagte Partei darauf hin, dass die Klägerin das voll funktionsfähige Fahrzeug weiterhin uneingeschränkt im Straßenverkehr nutzen kann und eine Gebrauchsbeeinträchtigung nicht besteht.

Darüber hinaus sind die Kosten des erwähnten Softwareupdates, welches zu einer Beseitigung des angeblichen Mangels führen würde, im Verhältnis zu den Kosten und dem Wert des Fahrzeugs als gering anzusehen (vgl. hierzu ebenso LG Stralsund, Urt. v. 03.03.2016 – 6 O 236/15).

Ebenso kann eine Unzumutbarkeit der Nachfristsetzung i. S. des § 323 II Nr. 3 BGB … nicht damit begründet werden, dass die beklagte Partei aufgrund des technischen Vorlaufs hierfür einen größeren Zeitraum benötigt. Hierbei ist nach zutreffender Ansicht zu berücksichtigen, dass die Manipulationssoftware als solche – wie ausgeführt – den Betrieb des Fahrzeugs nicht beeinträchtigt (vgl. hierzu ebenso LG Stralsund, Urt. v. 03.03.2016 – 6 O 236/15). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass eine Nachbesserung im konkreten Fall ohne eine Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt technisch nicht durchführbar ist. Auch dies ist bei der Bemessung der Nachfristsetzung zu berücksichtigen (vgl. hierzu LG Regensburg, Verf. v. 01.03.2016 – 3 O 2161/15 (2)).

Im streitgegenständlichen Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin keinerlei Nachbesserungsfrist gesetzt hat. Bereits aus diesem Grunde greift der erklärte Rücktritt nach § 323 I BGB nicht durch.

Nach Auffassung des Gerichts scheitert der erklärte Rücktritt ergänzend daran, dass eine angebliche Pflichtverletzung der Beklagten als unerheblich i. S. von § 323 V 2 BGB anzusehen ist.

Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist der unterstellte Mangel durch das erwähnte Softwareupdate mit einem Aufwand von weniger als 100 € und entsprechend weniger als 1 % des Kaufpreises (in Höhe von 36.682,59 €) behebbar. Wie das LG Bochum (Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15) zutreffend ausführt, liegt ein solcher Mängelbeseitigungsaufwand unterhalb der sogenannten Bagatellgrenze.

Nach § 323 V 2 BGB kam ein Rücktritt vom Kaufvertrag deshalb nicht in Betracht.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es auf die Frage der Erheblichkeit des Mangels nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall in jedem Falle ankommt. Etwas anderes kann nur angenommen werden (vgl. LG München I, Urt. v. 14.04.2016 – 23 O 23033/15), wenn das Gericht zur Bejahung einer arglistigen Täuschung über einen Sachmangel kommt. Zu einer derartigen Einschätzung ist das Gericht im vorliegenden Fall aber gerade nicht gelangt.

Mangels wirksamer Anfechtung bzw. wirksamen Rücktritts waren sämtliche Klageanträge abzuweisen. …

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