1. Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagens, der das Fahrzeug von einem redlichen Vertragshändler erworben hat, kann seine auf den Abschluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung auch dann nicht wirksam anfechten, wenn dem Hersteller des Fahrzeugs eine arglistige Täuschung zur Last fällt. Denn der Hersteller ist im Verhältnis zum Vertragshändler Dritter i. S. des § 123 II 1 BGB.
  2. Wissen eines in den VW-Abgasskandal involvierten Fahrzeugherstellers – hier: der AUDI AG – ist einem rechtlich selbstständigen Vertragshändler auch nicht in analoger Anwendung von § 166 I BGB zuzurechnen. Denn der Fahrzeughersteller ist nicht Gehilfe des Vertragshändlers (Verkäufers) bei der Erfüllung von gegenüber einem Fahrzeugkäufer bestehenden Verkäuferpflichten.

LG Dortmund, Urteil vom 23.01.2017 – 25 O 30/16
(nachfolgend: OLG Hamm, Beschluss vom 18.05.2017 und vom 19.06.2016 – 2 U 39/17)

Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten, die als Vertragshändlerin unter anderem Fahrzeuge der Marken Volkswagen, Audi und Škoda verkauft, am 03.01.2014 einen Pkw der Marke Audi zum Preis von 60.606 €.

Nachdem der Kläger dieses Fahrzeug anderthalb Jahre benutzt hatte, erfuhr er im Spätsommer des Jahres 2015 durch die Berichterstattung in der Tagespresse vom sogenannte VW-Abgasskandal. Davon ist auch das Fahrzeug des Klägers betroffen: Der Pkw ist mit einer Software ausgestattet, die den Stickoxidausstoß reduziert, sobald sie erkennt, dass das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert. Auf dem Prüfstand sind deshalb die Stickoxidemissionen geringer als beim normalen Betrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr.

Vor diesem Hintergrund erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten – die von der den Schadstoffausstoß manipulierenden Software auch erst durch die mediale Berichterstattung im September 2015 Kenntnis erlangte – mit anwaltlichem Schreiben vom 15.10.2015 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB). Gleichzeitig forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm den um eine Nutzungsentschädigung verminderten Kaufpreis Zug um Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Pkw zurückzuzahlen, und setzte ihr hierfür eine Frist bis zum 26.10.2015. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 26.10.2015 mit, dass sie diesem Begehren nicht entsprechen wolle.

Der Kläger macht ausdrücklich keine kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche geltend, sondern stützt sich ausschließlich auf die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Er behauptet, wesentlich für seinen Kaufentschluss seien seinerzeit die vermeintlich niedrigen Stickoxidemissionen des streitgegenständlichen Fahrzeugs gewesen, und ist der Auffassung, die AUDI AG habe ihn hinsichtlich dieser Emissionen arglistig getäuscht. Dieses Verhalten – so meint der Kläger weiter – müsse sich die Beklagte jedenfalls unter Billigkeitsgesichtspunkten zurechnen lassen, zumal die AUDI AG nicht „Dritter“ i. S. des § 123 II BGB sei.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags nach Anfechtungserklärung zu (§ 812 I 1 Fall 1 BGB). Der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag ist nicht gemäß § 142 I BGB wegen Anfechtung gemäß § 123 I BGB nichtig.

Der Beklagten kann zunächst ein arglistiges Verhalten nicht vorgehalten werden, da diese von den Abgasmanipulationen im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses unstreitig keinerlei Kenntnis hatte und – genauso wie der Kläger – von der zugrunde liegenden Problematik erst durch die mediale Berichterstattung erfahren hat.

Auch die Zurechnung eines etwaigen arglistigen Verhaltens des Herstellers kommt vorliegend nicht in Betracht. Es kann insoweit dahinstehen, ob tatsächlich ein arglistiges Täuschungsverhalten der Herstellerin des Fahrzeugs, welches der Kläger erworben hat, vorliegend zu bejahen ist. Denn jedenfalls findet eine Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Vertragshändler und Hersteller nicht statt.

Im Verhältnis zur Beklagten ist die AUDI AG jedenfalls „Dritter“ i. S. des § 123 II BGB, sodass eine durch sie begangene Täuschung nur dann zur Anfechtung berechtigen würde, wenn der Anfechtungsgegner die Täuschung kannte oder kennen musste.

Keinesfalls ist in der vorliegenden Konstellation das Verhalten der AUDI AG dem Verhalten der Beklagten gleichzusetzen. Unstreitig handelt es sich bei der Beklagten um eine eigenständige juristische Person und nicht um eine hundertprozentige Konzerntochter der Herstellerin. Zwar verwendet die Beklagte zu Werbezwecken das Audi-Firmenlogo und nutzt eine Verlinkung zur Internetpräsenz von Audi; dies geschieht allerdings lediglich in ihrer Eigenschaft als Vertragshändlerin. Allein die Verwendung des Firmenlogos und der Firmenbezeichnung erweckt auch nicht den Anschein, die Beklagte, die ausdrücklich unter dem Namen H firmiert, sei eine Konzerntochter. Vielmehr entspricht es gerade im vertragsgebundenen Autohandel der Üblichkeit, dass zugelassene Vertragspartner, auch anderer Automarken, ihren Handel unter Verwendung der Firmenlogos des zugrundeliegenden Herstellers betreiben. Dem Vertragspartner der Beklagten wird allein durch Verwendung der Unternehmensbezeichnung H deutlich, dass eben gerade diese Unternehmensgruppe hinter dem Kaufvertragsabschluss steht.

In ihrer Funktion als Vertragshändler der AUDI AG verfolgt die Beklagte eigene Interessen, die von denen der Herstellerin sowohl wirtschaftlich als auch inhaltlich abweichen. Während Geschäftszweck der Beklagte der Handel mit Neu- und Gebrauchtfahrzeugen sowie das Angebot von Service- und Wartungsleistungen ist, liegt der Geschäftszweck der Herstellerin in der Produktion und Entwicklung von Fahrzeugen sowie der Belieferung der Vertragshändler. Insoweit ist die Beklagte rechtlich selbstständig und trägt mithin auch das unternehmerische Risiko ihrer Geschäftstätigkeit alleinverantwortlich. Insofern hat die Beklagte auch keinen Rechtsschein gesetzt, der zu einem anderen Ergebnis führen würde.

Auch eine Wissenszurechnung im Verhältnis zwischen Vertragshändler und Hersteller in entsprechender Anwendung des § 166 BGB findet nicht statt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist gerade der Vorlieferant des Verkäufers nicht als dessen Gehilfe bei der Erfüllung der Verkäuferpflichten gegenüber dem Käufer anzusehen; im Umkehrschluss ist auch der Hersteller der Kaufsache nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers, der die Sache an seine Kunden verkauft (BGH, Urt. v. 02.04.2014 – VIII ZR 46/13 Rn. 31). Auch Billigkeitserwägungen können hier unter Hinweis auf obige Ausführungen nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

Eine Zurechnung des arglistigen Verhaltens des Herstellers zulasten des Verkäufers scheidet mithin aus. …

Hinweis: Mit Beschluss vom 18.05.2017 – 2 U 39/17 – hat das OLG Hamm darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung des Klägers gemäß § 522 II ZPO als unbegründet zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe. In dem Hinweisbeschluss heißt es:

„Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht gegen die Beklagte mangels wirksamer Anfechtung des Kaufvertrags kein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch zu. Die Angriffe der Berufung gegen das landgerichtliche Urteil greifen nicht durch.

Die im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses unstreitig gutgläubige Beklagte hat den Kläger nicht gemäß § 123 I BGB getäuscht. Eine etwaige Täuschungshandlung der AUDI AG (Herstellerin) ist der Beklagten (Verkäuferin) unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zurechenbar. Vielmehr handelt es sich bei der AUDI AG um einen „Dritten“ i. S. des § 123 II 1 BGB, ohne dass die Beklagte die etwaige Täuschung kannte oder kennen musste.

Die Beklagte ist eine eigenständige juristische Person und bloße Vertragshändlerin. Zwischen dem Hersteller und dem Verkäufer ist in rechtlicher Hinsicht zu unterscheiden. Daher entspricht es auch der gefestigten BGH-Rechtsprechung, dass der Hersteller nicht Erfüllungsgehilfe des Händlers ist (vgl. BGH, Urt. v. 02.04.2014 – VIII ZR 46/13, NJW 2014, 2183 Rn. 31). Dementsprechend muss sich auch im Rahmen des § 123 BGB ein Automobilvertragshändler nicht das Wissen des Herstellers zurechnen lassen (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 30.06.2016 – 7 W 26/16, juris; LG Bamberg, Urt. v. 22.07.2016 – 11 O 62/16, jurs; LG Regensburg, Urt. v. 15.06.2016 – 3 O 2161/15, juris; LG München II, Urt. v. 15.11.2016 – 12 O 1482/16, juris; LG Hechingen, Urt. v. 10.03.2017 – 1 O 165/16, juris; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 21.06.2016 – 4 O 441/16, juris; LG Landau (Pfalz), Urt. v. 11.07.2016 – 2 O 17/16, juris; LG Düsseldorf, Urt. v. 23.08.2016 – 6 O 413/15, juris; LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15, juris; LG Stralsund, Urt. v. 03.03.2016 – 6 O 236/15, juris; LG Bielefeld, Urt. v. 02.05.2016 – 3 O 318/15, juris).

Entgegen der Ansicht der Berufung kann von einem durchschnittlichen Fahrzeugkäufer erwartet werden, dass er zwischen einem Vertragshändler und dem Hersteller unterscheiden kann. Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen hat die Beklagte auch nicht den Anschein erweckt, eine Werksniederlassung bzw. Konzerntochter der AUDI AG zu sein. Dass ein selbstständiger Automobilvertragshändler in seinen Ausstellungsräumen Fahrzeuge der von ihm vertriebenen Marke präsentiert und das Firmenlogo des Herstellers verwendet, entspricht – wie bereits das Landgericht zutreffend dargelegt hat – der Üblichkeit. In der Rechnung vom 03.01.2014 ist zwar in der Kopfzeile die Bezeichnung ‚Audi Zentrum D.‘ aufgeführt, jedoch findet sich in der Fußzeile die genaue Firmenbezeichnung der Beklagten mit den rechtlich relevanten Angaben. Auf dem vom Kläger vorgelegten Homepage-Ausdruck dominiert in der Kopfzeile die Firma der Beklagten (H). Hieraus ist auch zu ersehen, dass die Beklagte nicht nur mit Automobilen der Marke Audi, sondern auch mit solchen der Marken Volkswagen, Škoda, SEAT und Porsche handelt. Wenn der Kläger ernsthaft behaupten will, dass er sich beim Kauf des rund 60.000 € teuren Autos nicht darüber im Klaren gewesen sei, wer überhaupt sein Vertragspartner ist, so kann diese Unwissenheit nicht der Beklagten angelastet werden.

Ebenso wenig kann eine Wissenszurechnung über eine analoge Anwendung des § 166 II BGB begründet werden. Die Beklagte hat den Kaufvertrag im eigenen Namen und für eigene Rechnung abgeschlossen. Sie hatte keine ‚vertreterähnliche‘ Position und war auch nicht ‚Verhandlungsbevollmächtigte‘ der AUDI AG; eine Situation, die mit einer Stellvertretung vergleichbar wäre, lag nicht vor.

Insoweit passt auch die von der Berufung zitierte, einen Grundstückskaufvertrag betreffende Entscheidung des OLG Köln (Urt. v. 24.03.1993 – 2 U 160/92, juris) auf den vorliegenden Fall nicht.

Die Argumentation der Berufung, dass sich nach dem Rechtsgedanken des § 166 II BGB der Vertretene nicht hinter der Unkenntnis seines Vertreters verstecken dürfe und dass sich dementsprechend auch die AUDI AG nicht hinter ihrer Vertragshändlerin, der Beklagten, verstecken dürfe, geht fehl. Denn der Kläger nimmt nicht die AUDI AG, sondern die unstreitig gutgläubige Beklagte in Anspruch. Eine Eigenhaftung des gutgläubigen Vertreters sieht § 166 II BGB aber gerade nicht vor. …“

Mit Beschluss vom 19.06.2017 – 2 U 39/17 – hat das OLG Hamm die Berufung gemäß § 522 II ZPO zurückgewiesen. In dem Beschluss heißt es unter anderem:

„II. Die Berufung des Klägers war aus den Gründen des Hinweisbeschlusses des Senats vom 18.05.2017 … gemäß § 522 II ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Die Stellungnahme des Klägers vom 12.06.2017, die sich im Wesentlichen in der Wiederholung seines früheren Vorbringens erschöpft, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Ergänzend ist lediglich Folgendes anzumerken:

Wenn es den Kläger – wie er nun vorträgt – nicht besonders interessierte, von wem er das Fahrzeug kaufte, für ihn die Person und rechtliche Stellung des Verkäufers also nebensächlich war, besteht erst recht keine Veranlassung, der Beklagten eine etwaige arglistige Täuschung der Herstellerin (AUDI AG) zuzurechnen.

Ebenso wenig kann aus der bloßen Tatsache, dass die Beklagte Fahrzeuge der Marke Audi verkauft, hergeleitet werden, dass sie sich das Verhalten der Herstellerin zurechnen lassen müsse. Die rechtlichen Unterschiede zwischen einem selbstständigen Vertragshändler und einer Niederlassung des Herstellers können nicht ergebnisorientiert eingeebnet werden. …“

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