- Dass die vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge i. S. des § 434 I BGB mangelhaft sind, ergibt sich daraus, dass das Kraftfahrt-Bundesamt der Volkswagen AG auferlegt hat, diese Fahrzeuge technisch zu überarbeiten, um ihre Vorschriftsmäßigkeit wiederherzustellen und einen Verlust der Betriebserlaubnis abzuwenden.
- Der Mangel, an dem ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug leidet, ist nicht geringfügig i. S. des § 323 V 2 BGB, da er nicht kurzfristig in einer beliebigen Kfz-Werkstatt beseitigt werden kann. Vielmehr bedarf es zur Mangelbeseitigung eines mit einem hohen zeitlichen Aufwand entwickelten und vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegebenen Softwareupdates. Dass dieses Update schlussendlich in einer Vertragswerkstatt mit einem verhältnismäßig geringen Zeit- und Kostenaufwand installiert werden kann, macht den Mangel, der einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeug anhaftet, nicht zu einem geringfügigen Mangel i. S. des § 323 V 2 BGB.
- Setzt der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs dem Verkäufer gemäß § 323 I BGB eine Frist zur Nachbesserung, so muss er hinsichtlich der Angemessenheit dieser Frist berücksichtigen, dass der VW-Abgasskandal eine Vielzahl von Fahrzeugen in ganz Deutschland betrifft und diese nur sukzessive im Rahmen eines – noch dazu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abzustimmenden – Gesamtkonzepts nachgebessert werden können. Eine angemessene Frist zur Nachbesserung muss deshalb deutlich länger sein als die Nachbesserungsfrist bei einem „normalen“ Fahrzeugmangel. Das ist dem Käufer auch zuzumuten, da er das mangelhafte Fahrzeug bis zur Nachbesserung uneingeschränkt nutzen kann.
- Die – nicht Partei des Kaufvertrags gewordene – Volkswagen AG kann dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs sowohl wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) als auch gemäß § 823 II BGB i. V. mit §§ 6 I, 27 I EG-FGV Schadensersatz leisten müssen. Insoweit trifft die Volkswagen AG eine sekundäre Darlegungslast, der sie durch den Vortrag genügt, auf welcher Ebene unterhalb der Vorstandsebene die Entscheidung getroffen wurde, eine Manipulationssoftware zu entwickeln und zu verwenden, ob diese Entscheidung Angehörigen einer höheren Hierarchieebene mitgeteilt wurde und wem sie gegebenenfalls mitgeteilt wurde und welche Budgets für die Entwicklung der Software in Anspruch genommen wurden. Ein solcher Vortrag ist der Volkswagen AG zumutbar, zumal gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine derart unternehmenswesentliche Entscheidung wie die, eine Manipulationssoftware zu entwickeln und zu verwenden, nicht unterhalb der Vorstandsebene getroffen und dem Vorstand auch nicht verheimlicht wurde.
- Davon, dass das sittenwidrige Verhalten und der Verstoß der Volkswagen AG gegen ein Verbotsgesetz (§§ 6 I, 27 I EG-FGV) ursächlich für den Kaufentschluss eines Käufers waren, der ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug erworben hat, ist nach der Lebenserfahrung auszugehen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Käufer im Verkaufsgespräch konkret geäußert hat, dass er ein besonders schadstoffarmes Fahrzeug erwerben wolle.
LG Kleve, Urteil vom 31.03.2017 – 3 O 252/16
Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten zu 1 auf der Grundlage einer Bestellung vom 05.06.2014 und der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten zu 1 einen gebrauchten VW Golf Variant Match 1.6 TDI zum Preis von 17.900 €. Das am 21.03.2013 erstzugelassene Fahrzeug wies damals eine Laufleistung von 19.990 km auf.
Es wurde von der Volkswagen AG (Beklagte zu 2) hergestellt und ist mit einem Motor des Typs EA189 ausgestattet und deshalb vom VW-Abgasskandal betroffen.
Mit Anwaltsschreiben vom 07.12.2015 erklärte der Kläger daher gegenüber der Beklagten zu 1 die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag. Weiter hilfsweise setzte er der Beklagten zu 1 eine Frist zur Nachbesserung bis zum 17.12.2015.
Der Kläger hält sein Fahrzeug für mangelhaft und behauptet, in dem Pkw komme eine von der Beklagten zu 2 installierte Software – die aus Sicht des Klägers eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt – zum Einsatz, die erkenne, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert. In diesem Fall werde die Abgasaufbereitung so „optimiert“, dass der Stickoxid(NOX)-Ausstoß verhältnismäßig niedrig sei. Beim regulären Betrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr würden dagegen Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt, sodass die NOX-Emissionen dann erheblich höher seien als während eines Emissionstests auf dem Prüfstand. Deshalb würde das Fahrzeug zwar auf dem Prüfstand den einschlägigen Euro-5-Emissionsgrenzwert einhalten; beim regulären Betrieb des Fahrzeugs würde dieser Grenzwert jedoch überschritten.
Eine Beseitigung dieses – erheblichen – Mangels sei nicht möglich, da eine Verringerung des NOX-Ausstoßes zwangsläufig zu einem höheren CO2-Ausstoß führe. Außerdem hätten Tests an „nachgebesserten“ Fahrzeugen unter anderem ergeben, dass der Kraftstoffverbrauch um bis zu acht Prozent gestiegen sei und es zu Leistungsverlusten insbesondere im höheren Drehzahlbereich komme. Jedenfalls hätte eine Nachbesserung zur Folge, dass Verschleißteile (z. B. Dichtungen) schneller gewechselt werden müssten und sich die Lebensdauer des Motors verkürze.
Der Kläger meint, eine Nachbesserung sei ihm überdies nicht zumutbar, weil sie nur unter Beteiligung der Beklagten zu 2 stattfinden könne und diese ihn – den Kläger – arglistig getäuscht habe. Das arglistige Verhalten der Beklagten zu 2 müsse sich die Beklagte zu 1 als Vertragshändlerin zurechnen lassen.
Weiter ist der Kläger der Auffassung, dass ihm die Beklagte zu 2 unter anderem deshalb Schadensersatz leisten müsse, weil sie ihn betrogen (§ 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB) und in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich geschädigt (§ 826 BGB) habe. Die behauptete Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 2 will der Kläger festgestellt haben.
Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.
Aus den Gründen: Klageantrag zu 1
Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des … Fahrzeugs gemäß §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323, 346 I, 348 BGB gegen die Beklagte zu 1.
Das Fahrzeug war bei Gefahrübergang mangelhaft i. S. des § 434 I BGB. Denn auch nach dem Vorbringen der Beklagten ist ein Softwareupdate notwendig, um den entsprechenden Auflagen des Kraftfahrt-Bundesamtes zu genügen und nicht den Verlust der allgemeinen Betriebserlaubnis zu riskieren. Selbst wenn das Kraftfahrt-Bundesamt vorliegend im Wege einer nachträglichen Nebenbestimmung mitgeteilt hat, dass zunächst eine Rücknahme der Genehmigung nicht erfolgen soll, kann daraus nicht hergeleitet werden, dass es die Genehmigung uneingeschränkt für wirksam erachtet. Gerade dies ist wohl nicht der Fall, da das Kraftfahrt-Bundesamt sich gerade an dem Nachrüstungsverfahren beteiligen lässt und die erforderlichen Maßnahmen dahin gehend prüft, ob die geplanten Schritte die erforderlichen Kriterien für die erteilte Genehmigung nachträglich erfüllen. Daher kann aus dem derzeitigen Fehlen des beim Rückruf aufzuspielenden Softwareupdates auch auf die Mangelhaftigkeit des klägerischen Fahrzeugs geschlossen werden (ebenso LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15).
Die Beklagtenseite kann sich auch nicht erfolgreich auf die behauptete Unerheblichkeit des Mangels i. S. des § 323 V 2 BGB berufen.
Für die technische Vorbereitung der beabsichtigten Mangelbeseitigung ist vorliegend nach dem Beklagtenvortrag ein erheblicher zeitlicher Vorlauf erforderlich. So rekurriert die Beklagte selbst darauf, dass ihr eine Mangelbeseitigung innerhalb weniger Wochen nicht möglich sei, sondern erst im Laufe des Rechtsstreits im Januar 2017 erfolgen könne. Erst nach Ablauf dieser erheblichen Zeitspanne soll dann der Mangel innerhalb einer halben Stunde behoben werden können. Es handelt sich daher offensichtlich nicht um eine einfache technische Maßnahme, die kurzfristig und ohne weitere Vorbereitungen hätte vorgenommen werden können (LG München I, Urt. v. 14.04.2016 – 23 O 23033/15).
Zudem musste der Hersteller hierfür zunächst die Genehmigung des Kraftfahrt-Bundesamtes einholen. Eine Mangelbeseitigungsmaßnahme, die der vorherigen behördlichen Prüfung und Genehmigung bedarf, ist aber ebenfalls nicht als unerheblich anzusehen (LG München I, Urt. v. 14.04.2016 – 23 O 23033/15).
Außerdem steht einer „Unerheblichkeit“ des Mangels entgegen, dass dieser gerade nicht in einer beliebigen Werkstatt zu einem Preis von unter 100 € beseitigt werden kann, sondern erst nach Entwicklung spezieller Software. Dass das Aufspielen dieser Software nach deren aufwendigen und genehmigungsbedürftigen Entwicklung dann für die Stellen, denen die Software zur Verfügung gestellt wird, keinen großen Arbeitsaufwand mehr darstellt, begründet nicht die Unerheblichkeit im Rechtssinne.
Zwar wurde hier nicht bereits mit Schreiben vom 07.12.2015 wirksam der Rücktritt erklärt, da die Voraussetzungen für einen unmittelbaren Rücktritt nicht vorlagen. Jedoch ist mit Schreiben vom 07.12.2015 zugleich zur Mangelbeseitigung aufgefordert worden. Die im Schreiben vom 07.12.2015 gesetzte Frist ist zwar unangemessen kurz, setzte dann jedoch eine angemessene Frist in Gang.
Die Angemessenheit der Frist beurteilt sich zwar vorrangig nach dem Interesse des Käufers, der gerade bei Alltagsgeschäften die kurzfristige Reparatur oder den sofortigen Austausch der mangelhaften Sache beanspruchen kann (vgl. BT-Drs. 10/6040, S. 234). Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Käufer dem Verkäufer die Zeit zugestehen muss, die dieser für die geforderte Art der Nacherfüllung bei objektiver Betrachtung benötigt, weshalb letztendlich die Frage der Angemessenheit der Frist nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden kann (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl. [2014], Rn. 902 f.).
Zweck des Rechts zur zweiten Andienung ist einerseits das Interesse des Gläubigers (Käufers) an alsbaldiger Klarheit darüber, ob der Schuldner (Verkäufer) die geschuldete Leistung noch erbringen kann und wird; andererseits soll dem Schuldner (Verkäufer) die letzte Möglichkeit gegeben werden, die Leistung tatsächlich noch zu erbringen. Die Frist muss daher so lang bemessen sein, dass der Verkäufer in der Lage ist, die bereits begonnene Erfüllung noch zu vollenden. Sie braucht allerdings nicht so lang zu sein, dass der Verkäufer die Möglichkeit hat, erst dann mit der Leistungsvorbereitung zu beginnen (vgl. jurisPK-BGB/Alpmann, 7. Aufl. [2014], § 323 Rn. 24).
Bei der Bemessung der Frist ist zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um eine Ausnahmesituation handelt. So betrifft der vom Kläger gerügte Mangel sehr viele Fahrzeuge in ganz Deutschland. Zwar ist dieser Umstand grundsätzlich nicht dem Kläger, sondern dem Fahrzeughersteller zuzurechnen, aber aufgrund der umfangreichen und weitreichenden Thematik ist es nachvollziehbar, dass die Nacherfüllung vorliegend nur anhand eines Gesamtkonzepts erfolgen kann, das zu einer gesamtheitlichen Problemlösung führt. Hierbei hat eine Nachbesserung auch zu berücksichtigen, dass es nicht nur um das individuelle Fahrzeug des Klägers geht, sondern, dass bei einer Vielzahl an Fahrzeugen eine gleichlautende Nachbesserung erforderlich ist. Diese kann verständlicherweise nur durch eine sukzessive und geplante Vorgehensweise durchgeführt werden. Bei einer solchen Vorgehensweise kann sodann aber nicht mehr mit denjenigen Fahrzeugen begonnen werden, bezüglich derer bereits Gewährleistungsrechte geltend gemacht wurden. Es ist nachvollziehbar, dass ein Vorgehen dabei nach Gruppierungen erfolgen muss, bei denen gleichartige Mangelgruppen – vorliegend dieselben Motortypen – der Reihe nach nachgebessert werden.
Ein solches Gesamtkonzept hat der Fahrzeughersteller vorliegend erstellt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nicht nur der Fahrzeughersteller dieses Konzept erstellen und prüfen muss, was in Bezug auf die Beklagte bereits nicht beeinflusst werden kann, sondern dass vorliegend dieses Konzept auch mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmt werden musste.
Diese Umstände stellen erhebliche Abweichungen von einem „üblichen“ Mangel eines Kraftfahrzeugs dar, der grundsätzlich nur eine relativ kurze Nacherfüllungsfrist rechtfertigt. Aufgrund dieser Umstände ist die Frist im vorliegenden Fall deutlich länger zu bemessen als bei normalen Kraftfahrzeugmängeln (vgl. LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15).
Eine länger zu bemessende Frist ist auch … gerechtfertigt bzw. dem Kläger zuzumuten, da er das erworbene Fahrzeug, wie dies auch vom Fahrzeughersteller mitgeteilt wurde, uneingeschränkt weiter nutzen kann, es verkehrssicher sowie voll funktionsuntüchtig ist und das Kraftfahrt-Bundesamt ausdrücklich davon absieht, die erteilte Genehmigung zu entziehen. Auch dies stellt eine Abweichung von „üblichen“ Mängeln dar, da in den meisten Fällen eine erhebliche Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Fahrzeugs vorliegt, gegebenenfalls sogar völlige Unbenutzbarkeit. Hiergegen spricht auch nicht, dass der Kläger moniert, das Fahrzeug halte nicht die erforderlichen Abgasgrenzwerte ein, da dies nicht dazu führt, dass das Fahrzeug verkehrs- und gebrauchsuntauglich wäre.
Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (hier u. a. auch Freigabe der Software für diese Motorengruppe bereits im November 2016) ist jedoch lediglich ein Zuwarten bis zum Ende des Jahres 2016 noch als „gerade angemessen“ anzusehen (ebenso schon LG Kleve, Urt. v. 02.12.2016 – 3 O 153/16). Die hier angebotene Nachbesserung erst im Januar 2017 ist daher als verspätet zu bewerten.
Die Aufrechterhaltung des Klageantrags zu 1 in der Verhandlung vom 24.01.2017 ist als (erneute, konkludente) Rücktrittserklärung entsprechend §§ 133, 157 BGB anzusehen.
Der Kläger kann den Kaufpreis jedoch nur abzüglich der erlangten Gebrauchsvorteile für die Nutzung des Fahrzeugs erlangen. Nach zutreffender Ansicht (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 03.07.2014 – I-3 U 39/12, BeckRS 2014, 14180) sind die Nutzungsvorteile bei einem Gebrauchtwagenkauf entsprechend folgender Formel zu berechnen:
$$\text{Gebrauchsvorteil} = {\frac{\text{Bruttokaufpreis}\times\text{gefahrene Kilometer}}{\text{erwartbare Restlaufleistung}}}.$$
Unter Berücksichtigung der klägerischen Angaben legt das Gericht entsprechend § 287 ZPO zugrunde, dass das streitgegenständliche Fahrzeug zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vom 24.01.2017 in der Besitzzeit des Klägers 41.500 km gefahren wurde.
Für das streitgegenständliche Fahrzeug ist entsprechend § 287 ZPO eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zu erwarten. Soweit die Klägerseite pauschalierend vorträgt, dass „Fahrzeuge dieser Art Kilometerlaufleistungen bis zu 500.000 km“ aufwiesen ist dies rechtlich unbeachtlich, da es nicht auf Maximalwerte ankommt, sondern die zu erwartende Gesamtlaufleistung. Diese ist gerade auch für diesen Motor mit 250.000 km zu veranschlagen (ebenso LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 83/16, NJW-RR 2016, 1397 [1399] für das vergleichbare Fahrzeug Audi A1 mit … 2,0-Liter-Dieselmotor vom Typ EA189). Bei Abschluss des Kaufvertrags hatte der Kläger daher noch eine Laufleistung von 230.000 km zu erwarten. Daher hat der Kläger Nutzungsvorteile in Höhe von 3.229,78 € zu erstatten. Dem kann der Kläger nicht erfolgreich entgegenhalten, dass sein Fahrzeug während seiner Besitzzeit mangelhaft war, weil hiermit keine – jedenfalls keine maßgebliche – Beeinträchtigung der Nutzung einherging.
Daher steht dem Kläger lediglich ein Anspruch auf Rückzahlung von (17.900 € [Kaufpreis] − 3.229,78 € [Gebrauchsvorteile] =)14.670,22 € zu.
Rechtshängigkeitszinsen hieraus kann der Kläger ab dem 26.10.2016 gemäß §§ 291, 288 BGB verlangen.
Ein weitergehender Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises steht dem Kläger auch nicht gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB im Hinblick auf die vorrangig erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zu. Denn der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass die Beklagte zu 1 arglistig i. S. des § 123 BGB handelte. Der Kläger behauptet selbst schon nicht, dass die Beklagte zu 1 als bloße Händlerin von der Abgasmanipulation zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses wusste. Ein arglistiges Verhalten des Fahrzeugherstellers muss sich die Beklagte zu 1 nicht zurechnen lassen, denn bei dieser handelt es sich um eine rechtlich selbstständige Vertragshändlerin, die als solche Produkte des Herstellers vertreibt, die sie nicht selbst herstellt und in deren Herstellung sie auch nicht einbezogen ist. Eine Wissenszurechnung nach § 166 I BGB scheidet demnach aus (vgl. LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15).
Darüber hinaus hätte der Kläger aber auch bei einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ebenfalls seine Bereicherung (hier: die Nutzungsvorteile) an die Beklagte zu 1 zurückzugewähren, worauf sich die Beklagte zu 1 auch berufen hat.
Klageantrag zu 2
Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2 einen Anspruch auf Schadloshaltung gemäß §§ 826, 249 ff. BGB und § 823 II BGB i. V. mit §§ 6 I, 27 I EG-FGV.
Die Einwirkung auf die Steuerungssoftware während des Prüfstandtests mit der beabsichtigten Folge, dass die damit manipulierten Ergebnisse sich verfälschend zugunsten der Beklagten sowohl bei der Schadstoffklassen-Eingruppierung („Euro-Normen“) auswirken als auch in Werte, welche die Kaufinteressenten entweder unmittelbar oder etwa über „Vergleichstests“ verschiedener Fahrzeuge in den Medien erreichen, Eingang finden und so die Kaufentscheidung manipulierend beeinflussen, stellt ein sittenwidriges vorsätzlich Verhalten dar. Denn andere Gründe, als durch diese Manipulation unberechtigterweise auf Kosten der Erwerber Umsatz und Gewinn zu steigern, sind nicht ersichtlich.
Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt in der Manipulation bei der Beklagten zu 2 ein Verstoß gegen das Verbot von Inverkehrgabe und Handel ohne gültige Bescheinigung in § 27 I EG-FGV und … gegen die Pflicht zur Erteilung einer gültigen Bescheinigung gemäß § 6 I EG-FGV, und hierbei handelt es sich jeweils um Verbotsgesetze i. S. des § 823 II BGB. Hierzu wird auf die insoweit überzeugenden Ausführungen in dem Aufsatz „Herstellerhaftung im Abgasskandal“ von Harke in VuR 2017, 83 ff. verwiesen.
Die sittenwidrige Schädigung und der Verstoß gegen das Verbotsgesetz sind nach Auffassung der Kammer auch kausal für die Kaufentscheidung des Klägers gewesen. Es ist anerkannt, dass bei täuschenden (bzw. manipulativen) Verhalten für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung es ausreichend ist, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. etwa BGH, Urt. v. 12.05.1995 – V ZR 34/94, NJW 1995, 2361 [2362], zu § 123 BGB). Von der Manipulation bei der Beklagten zu 2 ist hier der Motor und damit der wertvollste und elementarste Bestandteil des Kfz betroffen. Die manipulierten Daten haben Einfluss auf die Schadstoffklassen-Eingruppierung und die Zulassung. Nach der Lebenserfahrung ist daher davon auszugehen, dass sie auf die Kaufentscheidung des Klägers Einfluss hatten, ohne dass es darauf ankommt, ob er im Ankaufsgespräch konkret äußerte, ein besonders schadstoffarmes Fahrzeug erwerben zu wollen.
Entsprechende Verstöße im Hause der Beklagten zu 2 sind dieser auch entsprechend §§ 31, 166 I BGB unmittelbar zuzurechnen. Zwar trifft es zu, dass der Kläger die Voraussetzungen dieser Zurechnungsnormen darzulegen und zu beweisen hat. Jedoch hat die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast insoweit nicht genügt.
Eine sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Gegner zumutbar nähere Angaben machen kann (vgl. etwa BeckOK-ZPO/Bacher, 24. Edition [2017], § 284 Rn. 85 m. w. Nachw.).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Klägerseite kann nicht näher dazu vortragen, in welcher Organisationseinheit der Beklagten die Entscheidung für die Entwicklung der Software gefallen ist und bis zu welcher „höheren Ebene“ diese Entscheidung wann „weiterkommuniziert“ wurde. Dagegen lässt die Beklagte zu 2 vortragen, dass sie die „genaue Entstehung“ der zum Einsatz kommenden Software „umfassend aufklären lässt“ und daher den derzeitigen Ermittlungsstand auch substanziiert darstellen kann.
Eine derartige Mitteilung ist auch zumutbar. Angesichts des Zeitablaufes und der Bedeutung für die Beklagte dürften detaillierte Erkenntnisse vorliegen, und es nicht erkennbar, welche weiteren „Nachforschungsschritte“ noch erforderlich sind.
Eine Information des Vorstands der Beklagten ist auch nicht von vornherein abwegig. Der Vorstand hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen (sog. Compliance; vgl. MünchKomm-AktG/Spindler, AktG, 4. Aufl. [2014], § 91 Rn. 52 f.) Im Hinblick auf gesetzliche Pflichten (vgl. etwa §§ 76, 77, 91 II AktG) ist davon auszugehen, dass bei der Beklagten organisatorische Maßnahmen (u. a. etwa durch Einrichtung von Innenrevision und Controlling, vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 12. Aufl. [2016], § 91 Rn. 10) in der Weise getroffen wurden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet ist. Die Beeinflussung der Motorsteuersoftware einer ganzen Motorenreihe speziell für den NEFZ-Prüfstand erscheint – auch unter Berücksichtigung des bei Entwicklung gegebenen Blickwinkels – als eine derart wesentliche Entscheidung. Wenn die Entwicklung einer Elektroniksteuerungssoftware mit einem größeren finanziellen Aufwand verbunden ist, müssen hierfür auch entsprechende Budgets in Anspruch genommen worden sein.
Dementsprechend hatte das Gericht bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Rechtslage gerade im Hinblick auf die sekundäre Darlegungslast weitergehend erörtert und der Beklagten zu 2 durch einen Auflagenbeschluss aufgegeben vorzutragen, auf welcher „Ebene unterhalb der Vorstandsebene“ die Entscheidung getroffen worden ist, die Motorsteuerungssoftware zu verändern, welche Budgets hierfür eingesetzt worden sind und ob und an wen jeweils die Entscheidungen an darüber befindliche Hierarchieebenen weiterkommuniziert wurden.
Soweit die Beklagtenseite im Schriftsatz vom 21.03.2017 statt Erfüllung des Auflagenbeschlusses Ausführungen zur Unzumutbarkeit der Auflagenerfüllung macht, gebietet diese Ausführungen nicht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, da sie aus den vorgenannten Gründen nicht zutreffen. Insbesondere bestehen sehr wohl erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass diese unternehmenswesentliche Entscheidung gerade nicht unterhalb der Vorstandsebene getroffen und vor den Vorständen auch gerade nicht „verheimlicht“ worden ist.
Deshalb muss in der hier zur Entscheidung stehenden prozessualen Lage mangels substanziierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte davon ausgegangen werden, dass diese Entscheidung vom Vorstand angeordnet oder doch jedenfalls „abgesegnet“ worden ist (ebenso LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017 – 3 O 139/16, DAR 2017, 83).
Es kommen auch weitergehende – derzeit noch nicht bezifferbare – Schäden in Betracht: Die Klägerseite hat – insoweit unwidersprochen – vorgetragen, dass unter anderem Klageverfahren gegen das Kraftfahrt-Bundesamt vor dem VG Gelsenkirchen wegen der Weiterzulassung der Fahrzeuge laufen. Sollte sich die Weiterbenutzung des Fahrzeugs nachträglich als rechtswidrig darstellen, käme auch eine nachträgliche Inanspruchnahme des Klägers als Handlungsstörer in Betracht. Darüber hinaus hat der Kläger vorgetragen, in der Fahrzeugnutzung jedenfalls insoweit eingeschränkt zu sein, als er bestimmte Länder (etwa die Schweiz) mit seinem Fahrzeug nicht bereisen könne, sodass weitergehender Schadensersatz in Betracht kommt.
Klageantrag zu 3
Es war auch der Annahmeverzug festzustellen. Hier genügt das wörtliche Angebot des Klägers (§ 295 BGB), da nach ständiger Rechtsprechung des BGH einheitlicher Erfüllungsort für die Rückabwicklung des Kaufvertrags der Ort ist, an dem sich die Kaufsache bestimmungsgemäß befindet (hier: Wohnsitz des Klägers) und demnach die Beklagte zu 1 den Pkw auch dort abzuholen hat. Wegen der Mitwirkungshandlung der Beklagten zu 1 war daher das wörtliche Angebot ausreichend, um Annahmeverzug zu begründen.
Klageantrag zu 4
Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1 keinen Anspruch auf Freistellung von den Rechtsanwaltskosten gemäß § 280 I BGB. Schon vertraglich sind durch die einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen derartige Schadensersatzansprüche ausgeschlossen. Daneben hat sich die Beklagte zu 1 aber auch von dem nach § 280 I 2 BGB vermuteten Verschulden entlastet, weil keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Kenntnis von der Abgasmanipulation hatte.
Ein Anspruch auf Freistellung von Anwaltskosten kann entgegen der klägerischen Rechtsansicht auch nicht aus § 439 II BGB hergeleitet werden.
Schließlich bestehen keine Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 gemäß §§ 823 ff. BGB, da ein deliktisches Verhalten der Beklagten zu 1 gerade nicht nachgewiesen ist.
Dagegen steht dem Kläger gegen die Beklagte zu 2 ein Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten für das anwaltliche Schreiben vom 07.12.2015 gemäß §§ 826, 249 ff. BGB und § 823 II BGB i. V. mit §§ 6 I, 27 I EG-FGV zu. Hierzu wird auf die Ausführungen zu Klageantrag 2 verwiesen.
Der Höhe nach ist die Freistellung aber auf die berechtigterweise anzusetzenden Anwaltskosten beschränkt. Hier ist im Hinblick auf den anzusetzenden Gebrauchsvorteil lediglich ein Gegenstandswert von bis zu 16.000 € anzusetzen. Ferner sind die Voraussetzungen für die Geltendmachung einer mehr als 1,3-fachen Geschäftsgebühr auch nicht dargetan. Eine besondere rechtliche Schwierigkeit besteht – auch im Verhältnis zu anderen Pkw-Rückabwicklungen – nicht, zumal der Tatsachenhintergrund zum Mangel auch seinerzeit schon feststand. Allein dadurch, dass während dieses Prozesses alle in irgendeinem Zusammenhang zum Abgasskandal stehenden Entscheidungen und Presseartikel zitiert bzw. zum Aktenbestandteil gemacht wurden, kann weder ein besonderer Umfang noch eine besondere Schwierigkeit begründet werden, zumal es auch auf den damaligen Zeitpunkt der vorgerichtlichen Tätigkeit ankommt. Auch ist eine besondere Bedeutung für den Kläger nicht dargetan, da lediglich pauschal auf die allgemeine Wichtigkeit eines Autokaufs abgestellt wird, aber keinerlei individuelle Informationen (etwa Einkommens- und Vermögenssituation usw.) dargestellt werden.
Aus der klägerseitigen Berechnung ergibt sich, dass er lediglich Freistellung von den nicht anrechenbaren außergerichtlichen Kosten begehrt, sodass insoweit lediglich … 526,58 € anzusetzen sind. …