Ein Gebrauchtwagenverkäufer handelt schon dann arglistig, wenn er ohne tatsächliche Grundlage – „ins Blaue hinein“ – unrichtige Angaben zur Mangelfreiheit oder zu wesentlichen Eigenschaften des Fahrzeugs macht (hier: „nur kleine Blechschäden“), die geeignet sind, den Kaufentschluss des Käufers zu beeinflussen. Der die Arglist begründende Vorwurf liegt in einem solchen Fall in dem Umstand, dass der Käufer davon ausgehen darf, der Verkäufer werde keine Erklärungen „ins Blaue hinein“ abgeben, und der Verkäufer diese für ihn erkennbare Vorstellung ausnutzt.
BGH, Urteil vom 18.03.1981 – VIII ZR 44/80
Diese Entscheidung ist zum „alten“ Schuldrecht und vor Inkrafttreten der ZPO-Reform 2002 ergangen. Sie kann nicht ohne Weiteres auf das seit dem 01.01.2002 geltende Recht übertragen werden (so ist z. B. an die Stelle der Wandelung der Rücktritt vom Kaufvertrag getreten). Die genannten Vorschriften existieren heute möglicherweise nicht mehr oder haben einen anderen Inhalt.
Sachverhalt: Die Kläger kauften am 28.06.1977 von der Beklagten als der örtlichen Niederlassung der Daimler-Benz AG in M. einen gebrauchten Pkw Mercedes-Benz 450 SLC zum Gesamtpreis von 52.000 DM. Sie bezahlten den Kaufpreis sofort und erhielten das Fahrzeug ausgehändigt.
Grundlage des Kaufvertrags war die schriftliche „Gebrauchtfahrzeug-Bestellung“ der Kläger vom 28.06.1977 auf einem Formular der Beklagten. In dem im Übrigen vorgedruckten Formulartext war als Tag der Erstzulassung der 10.10.1976 und in der Spalte „km-Leistung lt Angabe des Vorbesitzers“ vermerkt: ca. 10.000 km. Nach dem weiteren Formulartext wurde das Fahrzeug gekauft „wie besichtigt, unter Ausschluss jeglicher Haftung für Rechtsmängel und Sachmängel“. Maschinenschriftlich war der Vordruck in der Spalte „Bemerkungen“ durch die Worte ergänzt: „… Nur kleine Blechschäden“.
Die vereinbarten und auf der Rückseite des Formulars abgedruckten „Bedingungen für den Verkauf gebrauchter Kraftfahrzeuge“ enthalten unter VI. Klauseln, die jede Gewährleistung fü Sachmängel sowie Ansprüche auf Wandelung, Minderung und Schadensersatz ausschließen.
Den verkauften Pkw hatte die Beklagte zuvor durch Kaufvertrag vom 26.04.1977 von einer Firma C zum Preis von 50.477,25 DM erworben. In diesem Kaufvertrag war in englischer Sprache darauf hingewiesen, dass einige Lackierungsarbeiten und kleinere Karosseriearbeiten am Wagen ausgeführt seien.
Mit der Behauptung, der Pkw habe entgegen einer ausdrücklichen Zusage des Verkäufers der Beklagten einen schweren Unfall mit Schäden an der Front- und Heckpartie gehabt, haben die Kläger durch Schriftsatz vom 26.06.1978 Klage erhoben, darin Wandelung des Kaufvertrages geltend gemacht und Zahlung von 49.000 DM nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des gekauften Pkw gefordert. Dabei haben sie sich auf ein von ihnen eingeholtes Gutachten des Sachverständigen G vom 11.04.1978 gestützt, nach dessen Inhalt die vordere Quertraverse ersetzt worden, das vordere Versteifungsblech ausgerichtet gewesen und beide vorderen Radhäuser mangelhaft repariert seien. Knickstellen und Stauchungen im vorderen Wagenbereich wiesen auf einen Unfall hin, der linke vordere Kotflügel sei ausgerichtet und neu lackiert, der rechte neu lackiert; im Heckbereich sei das Abschlussblech neu eingeschweißt und ein Teil des Wagens neu lackiert.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die auf 43.600 DM nebst Zinsen beschränkte Berufung der Kläger blieb ebenfalls erfolglos. Auf die Revision der Kläger wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen: I. 1. Das Berufungsgericht versagt den Klägern einen Rückzahlungsanspruch und lässt dabei dahingestellt, wann die behaupteten Unfallschäden an dem verkauften Pkw entstanden sind. Für die Revisionsinstanz ist deshalb davon auszugehen, dass die in dem Privatgutachten des Sachverständigen G beschriebenen Reparaturstellen als Anzeichen für einen früheren Unfall bereits vorhanden waren, als der Pkw den Klägern übergeben wurde.
2. Die in dem angefochtenen Urteil angenommene grundsätzliche Zulässigkeit eines formularmäßigen vollständigen Gewährleistungsausschlusses beim Verkauf gebrauchter Kraftfahrzeuge entspricht der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senat, Urt. v. 11.06.1979 – VIII ZR 224/78, BGHZ 74, 383 [386 ff. und 392 f.] m. w. Nachw., ferner Senat, Urt. v. 21.01.1981 – VIII ZR 10/80, WM 1981, 323 [unter II 1], sowie Urt. v. 28.01.1981 – VIII ZR 88/80, BGHZ 79, 281 = WM 1981, 322 [unter II 3 c]). Die Revision erhebt insoweit keine Einwendungen.
3. Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass die sechsmonatige Verjährungszeit für nicht arglistig verschwiegene Fehler und zugesicherte Eigenschaften des verkauften Pkw (§ 477 I BGB) bei Klageerhebung bereits verstrichen gewesen sei, begegnet keinen rechtlichen Bedenken und wird von der Revision nicht angegriffen.
II. Das Berufungsgericht führt weiter aus, der Beklagten könne arglistiges Verschweigen eines Mangels oder arglistiges Vorspiegeln einer Eigenschaft nicht vorgeworfen werden, sodass weder der Gewährleistungsausschluss nach § 476 BGB unwirksam noch die Verjährung nach § 477 I BGB nicht eingetreten sei.
Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
1. Positive Kenntnis eines über die äußerlich sichtbaren Reparaturstellen als Unfallspuren hinausgehenden Schadens hatten die für die Beklagte handelnden Personen unstreitig nicht. Sie konnten also, wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt, auch keine mit solcher Kenntnis zu begründende Offenbarungspflicht (Senat, Urt. v. 21.01.1981 – VIII ZR 10/80, WM 1981, 323 [unter II 3 a] m. w. Nachw.) verletzen.
2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob sich die sichtbaren Reparaturstellen an der Karosserie und am Lack so eindeutig als handgreifliche Anhaltspunkte für einen erheblichen Unfall darstellten, dass sich daraus eine Pflicht der Beklagten zur Untersuchung des Fahrzeugs oder zu einem die Kläger informierenden Hinweis auf die Verdachtsmomente ergab, für deren schuldhafte Verletzung der Gebrauchtwagenverkäufer ebenfalls einzustehen hat (Senat, Urt. v. 21.01.1981 – VIII ZR 10/80, WM 1981, 323 [unter II 3 b aa] m. w. Nachw.). Die Beklagte kann sich nach der hier zu unterstellenden Sachlage (vgl. oben zu I 1) schon deshalb nicht auf den Haftungsausschluss berufen, weil „schriftlichen Klausel "nur kleine Blechschäden“ ohne tatsächliche Grundlage („ins Blaue hinein“) eine unrichtige Erklärung abgegeben hat.
a) Der erkennende Senat hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Arglist i. S. von § 476 BGB schon dann anzunehmen ist, wenn der Verkäufer ohne tatsächliche Grundlage unrichtige Angaben über Mängelfreiheit oder über wesentliche Eigenschaften des Fahrzeugs macht, die geeignet sind, den Kaufentschluss des Käufers mit zu beeinflussen (Senat, Urt. v. 29.01.1975 – VIII ZR 101/73, BGHZ 63, 382 [388] unter Hinweis auf zwei unveröffentlichte, zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ergangene Senatsurteile vom 02.02.1966 und vom 10.07.1968 – VIII ZR 284/63 und VIII ZR 167/66 –, ferner Senat, Urt. v. 16.03.1977 – VIII ZR 283/75, NJW 1977, 1055 f. = WM 1977, 584 [unter II 2 c und III 1 a ee]; Senat, Urt. v. 11.06.1979 – VIII ZR 224/78, BGHZ 74, 383 [391 f., unter cc]). Für den Bereich des Gebrauchtwagenhandels rechtfertigt sich diese Abgrenzung schon aus der Interessenlage beider Vertragspartner und aus deren Erkenntnismöglichkeiten. Zugunsten des Verkäufers ist zu berücksichtigen, dass er – gerade auch als gewerblicher Händler – vielfach auf Angaben des Voreigentümers angewiesen ist. Mit der sich daraus ergebenden Unsicherheit muss der Käfer rechnen und deshalb grundsätzlich auch einen formularmäßigen Haftungsausschluss hinnehmen. Das Äquivalent für ihn ist die Möglichkeit, den Wagen selbst oder durch einen Dritten zu prüfen oder den Verkäufer zu eindeutigen Erklärungen zu veranlassen.
Macht der Verkäufer Angaben über den Wert oder den Zustand des Fahrzeugs, insbesondere über dessen Mängelfreiheit, so erübrigt sich aus der Sicht des Käufers eine weitere Überprüfung, weil er im redlichen Handelsverkehr davon ausgehen darf, dass der Verkäufer seine Erklärungen nicht „ins Blaue hinein“ abgibt. Der die Arglist begründende Vorwurf gegenüber dem Verkäufer liegt in einem solchen Fall in dem Umstand, dass er die für ihn erkennbare Vorstellung des Käufers ausnutzt.
b) aa) Wenn der von den Klägern gekaufte Pkw einen Unfall gehabt hatte, bei dem unter anderem die vordere Quertraverse hatte ausgewechselt und die vorderen Radkästen hatten ausgerichtet werden müssen und bei dem auch an der Heckpartie nicht ganz unerhebliche Reparaturen ausgeführt waren, war die in den Vertrag aufgenommene Erklärung „nur kleine Blechschäden“ objektiv unrichtig. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob mit dieser Erklärung eine Eigenschaft i. S. von § 459 II BGB zugesichert wurde (keine früheren Schäden außer den Blechschäden) oder ob die Tatsache des früheren Unfallschadens als wertmindernder Fehler i. S. von § 459 I BGB aufzufassen ist. Die Haftungserweiterung nach § 476 BGB gilt für beides.
bb) Für ihre unrichtige Erklärung hatte die Beklagte keine hinreichende tatsächliche Grundlage. Die noch dazu ganz allgemein gehaltenen Erklärungen des Voreigentümers waren angesichts der sichtbaren Hinweise auf Karosserieschäden vor allem an beiden vorderen Kotflügeln kein verlässlicher Anhaltspunkt dafür, dass weitere Reparaturen nicht ausgeführt waren. Das Interesse jedes Verkäufers an einem möglichst hohen Kaufpreis ist besonders für einen Fahrzeughändler wie die Beklagte so offensichtlich, dass sie die nur pauschalen Angaben des Voreigentümers („The information herein contained are subject to our own knowledge, paint repair was carried out, some minor body work too“) nicht ungeprüft zum Gegenstand einer eigenen Zusicherung oder Erklärung über Mängelfreiheit machen durfte. Anders hätte es möglicherweise sein können, wenn die Erklärung ausdrücklich als auf Angaben des Voreigentümers beruhend formuliert wäe. Ohne diesen Hinweis aber mussten die Kläger annehmen, die Beklagte selbst mit ihrer Facherfahrung und Werkstattausrüstung stehe hinter der in das Formular aufgenommenen Erklärung.
Unerheblich ist, dass die Kläger nach der Aussage des Zeugen M nicht ausdrücklich nach früheren Unfällen „gefragt“ haben. Abgesehen davon, dass die von dem Zeugen bekundete „Feststellung“ der Zweitklägerin, das Fahrzeug habe einen Unfall gehabt, sinngemäß die entsprechende Frage mitumfasst, war durch die „Feststellung“ das Interesse der Käufer deutlich geworden, für den endgültigen Kaufentschluss und die Preisvereinbarung etwas über frühere Unfälle zu erfahren. Die danach abgegebene Erklärung „nur kleine Blechschäden“ war unter diesen Umständen arglistig.
c) Die Haftung der Beklagten ist nicht durch positive Kenntnis der Kläger von dem Mangel (§ 460 BGB) ausgeschlossen. Dass die Kläger üer die äußerlich erkennbaren Lackreparaturstellen hinaus etwas von weiteren Schäden gewusst hatten, behauptet auch die Beklagte nicht.
d) Hat die Beklagte arglistig einen Mangel verschwiegen oder eine Eigenschaft arglistig vorgespiegelt, so greift auch die kurze Verjährung nicht ein (§ 477 I BGB). Durch die Klageerhebung wurde die Verjährung unterbrochen.
III. Eine endgültige Sachentscheidung war noch nicht möglich, weil bisher nicht feststeht, ob die von den Klägern behaupteten früheren Schäden bereits bei der Übergabe des Pkw vorhanden waren, und weil auch die Höhe des etwaigen Rückzahlungsanspruchs noch aufzuklären ist.