Ein Neuwagenkäufer, der vom Verkäufer ausdrücklich die Beseitigung vorhandener Mängel verlangt, verhält sich treuwidrig, wenn er anschließend geltend macht, die umfangreichen Nachbesserungsarbeiten hätten die Fabrikneuheit des Fahrzeugs beseitigt.

OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2011 – I-2 U 68/11
(nachfolgend: BGH, Urteil vom 06.02.2013 – VIII ZR 374/11)

Sachverhalt: Der Kläger bestellte bei der Beklagten am 30.11.2009 einen neuen BMW 320d zum Preis von 39.000 €. Er nimmt die Beklagte auf Rückzahlung einer auf den Kaufpreis geleisteten Anzahlung von 10.000 € sowie auf Erstattung der Kosten für ein Privatgutachten in Anspruch und verlangt die Freistellung von sämtlichen Verbindlichkeiten gegenüber der C-GmbH, die mit der Finanzierung des (Rest-)Kaufpreises befasst ist.

Das bestellte Fahrzeug ist dem Kläger unstreitig nicht übergeben worden.

Vielmehr monierte der Kläger am 29.12.2009, dem für die Übergabe vereinbarten Termin, dass der BMW Schäden im Bereich der linken hinteren Seitenwand und im Bereich des Kofferraumdeckels aufweise, und veranlasste die Erstellung eines Privatgutachtens. Ausweislich dessen weist das Fahrzeug Verformungen der hinteren linken Seitenwand im Radbogenbereich auf, ist die hintere Stoßstange im linken Flankenbereich angeschlagen und sind die Motorhaube und der Kofferraumdeckel an der Lackoberfläche milchig blass.

Mit Schreiben vom 04.01.2010 wandte sich der damalige Anwalt des Klägers an die Beklagte und forderte sie unter Berufung auf das vorgenannte Gutachten zur Nachbesserung bis zum 15.01.2011 auf.

Nachdem die Beklagte Arbeiten an dem Fahrzeug ausgeführt hatte, erfolgte am 14.01.2010 ein erneuter Übergabeversuch. Der Kläger lehnte eine Übernahme des Pkw jedoch mit der Begründung ab, er sei nicht verpflichtet, die Nachbesserung zu akzeptieren, da er zum einen sein Wahlrecht nach § 439 BGB nicht endgültig ausgeübt habe. Zum anderen sei die von der Beklagten vorgenommene Nachbesserung, wie eine Überprüfung durch den Privatgutachter gezeigt habe, nicht ordnungsgemäß.

Die Beklagte teilte diese Auffassung nicht und verwies den Kläger auf ein von ihr eingeholtes Gutachten, das die Mangelfreiheit des Fahrzeugs bestätige. Der Kläger erklärte daraufhin mit Schreiben vom 04.03.2011 und vom 30.03.2011 den Rücktritt vom Kaufvertrag.

In erster Instanz hat er behauptet, entgegen den Angaben im Schreiben vom 04.01.2010 habe er nie eine Nachbesserung, sondern immer die Nachlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs gewünscht. Sein damaliger Anwalt habe insoweit weisungswidrig gehandelt, weshalb er ihm auch das Mandat entzogen habe. Dessen ungeachtet habe der für ihn tätige Privatgutachter aber anlässlich einer Nachbesichtigung am 19.01.2010 festgestellt, dass die tatsächlich vorgenommene Nachbesserung nur unzureichend sei. Er sei daher, so meint der Kläger, zu Recht von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten.

Das Landgericht hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens antragsgemäß zur Rückabwicklung des Kfz-Kaufvertrages verurteilt. Es hat ausgeführt, der Kläger sei zum Rücktritt berechtigt, weil die Nachbesserung nach den Ausführungen des Sachverständigen als fehlgeschlagen angesehen werden müsse. Der Gutachter habe festgestellt, dass die Verkratzungen zwar weitestgehend, aber nicht vollständig beseitigt worden seien. Da der Kläger zunächst auf die Lieferung eines Neufahrzeuges „verzichtet“ habe, rechtfertigten ausnahmsweise die geringfügigen Beanstandungen den Rücktritt.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung und beanstandet unter anderem, dass der gegebenenfalls vorhandene Mangel nur unerheblich und somit nach § 323 V 2 BGB ein Rücktritt ausgeschlossen sei. Darüber hinaus sei fraglich, ob überhaupt ein Mangel vorliege. Denn entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil habe der Gutachter keine Lackschäden bestätigt, sondern leichte Verkratzungen, die durch Polieren beseitigt werden könnten und lediglich einen Kostenaufwand von etwa 150 € erforderten.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Der Kläger kann weder Rückzahlung seiner auf den Kaufpreis geleisteten Anzahlung noch Erstattung der für das Privatgutachten … aufgewandten Kosten noch Freistellung von seinen aus dem Finanzierungsvertrag resultierenden Zahlungsverbindlichkeiten verlangen.

Denn der vom Kläger am 04.03.2010 erstmals erklärte und am  30.03.2010 wieder­holte Rücktritt von dem am 30.11.2009 geschlossenen Kaufvertrag über einen neuen BMW 320d, der sich mangels Übergabe und Gefahrübergang nach den §§ 433, 323 BGB und nicht – wie im angefochtenen Urteil ausgeführt – nach den §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 323, 326, 346 ff. BGB beurteilt (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl. [2011], § 434 Rn. 8a), ist nicht gerechtfertigt.

1. Zuzugestehen ist dem Kläger zwar, dass der von ihm gekaufte Wagen nicht nur am ersten, für den 29.12.2009 vorgesehenen Übergabetermin, sondern auch zum maßgeblichen Zeitpunkt der späteren Rücktrittserklärung(en) mangelbehaftet war.

a) So war der BMW bei der vorgesehenen Auslieferung an den Kläger unstreitig an der Seitenwand hinten links im Bereich des Radbogens und der angrenzenden Stoßfängerverkleidung beschädigt und wies Eindellungen und Kratzer auf. Darüber hinaus fanden sich – ebenfalls unstreitig – Lackkratzer am gesamten Pkw sowie einige wenige Lackeinschlüsse.

Bereits die Beschädigung hinten links genügt jedoch, um sowohl nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB als auch nach § 434 I 1 BGB einen Mangel des BMW zu bejahen. Denn der Käufer eines Neufahrzeuges kann ein völlig unbenutztes und unbeschädigtes Fahrzeug erwarten, sodass jede nicht ganz unerhebliche Beschädi­gung – wie die vorliegende am Radlauf – einen Mangel begründet und die verein­barte Beschaffenheit „Fabrikneuheit“ aufhebt (vgl. BGH, Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 185/79, NJW 1980, 2127).

b) Eine andere Beurteilung ergibt sich, sobald man auf den für die Berechtigung des Rücktrittsverlangens des Klägers maßgeblichen Zustand des BMW im März 2010 nach erfolgter Nachbesserung durch die Beklagte abstellt.

(1) Zu diesem Zeitpunkt mag der Wagen zwar aufgrund der von der Beklagten durchgeführten Mängelbeseitigungsarbeiten unter Berücksichtigung vorgenannter Rechtsprechung des BGH nicht mehr „fabrikneu“ gewesen sein. Die fehlende Neu­wagenqualität kann nunmehr aber nicht mehr als Mangel und Pflichtverletzung der Beklagten i. S. der §§ 433 I 2, 434 BGB gewertet werden, jedenfalls aber wäre eine Berufung des Klägers auf die mangelnde Fabrikneuheit treuwidrig und daher nicht zu berücksichtigen. Denn die Ausbesserung und Reparatur ist nicht ohne Wis­sen des Klägers erfolgt, sondern sogar auf dessen ausdrückliche Aufforderung zur Nacherfüllung gemäß § 439 BGB. Entsprechend den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil kann der Kläger insoweit angesichts des eindeutigen Wortlaut des Schreibens vom 04.01.2010 nicht mit der Behauptung eines weisungswidrigen Vorgehens seines ehemaligen Prozessbevollmächtigten, die in zweiter Instanz auch nicht mehr aufrechterhalten wird, gehört werden. Hat er damit zugleich in Kenntnis der Tatsache, dass umfängliche Arbeiten erforderlich werden, Mangelbeseitigung verlangt – im Schreiben vom 04.01.2010 heißt es hierzu wörtlich:

„Überschlägig hat der Sachverständige zur Reparatur dieser Beule Kosten in Höhe von mindestens 2.000 € kalkuliert. Diese Beule kann nicht ohne weiteres ‚herausgedrückt‘ wer­den. Vielmehr muss der Radlauf gespachtelt und breitflächig nachlackiert werden.“

– so kann er nachträglich nicht geltend machen, die von ihm verlangte Reparatur habe die Neuwagenqualität beseitigt. Ein derartiges Vorgehen wäre mit dem Grundsatz des venire contra factum proprium nicht vereinbar.

(2) Gleichwohl liegen Mängel vor. Denn nach den von keiner Seite angegriffenen und in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. L sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch in seiner ergän­zenden mündlichen Anhörung vor dem Senat sind trotz der Nachbesserungen der Beklagten nach wie vor – nahezu umlaufend um das gesamte Fahrzeug – Ober­flächenverkratzungen und Lackschäden vorhanden, die von dem nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB zu erwartenden, gewöhnlichen Zustand eines Neufahrzeugs abwei­chen und daher einen Mangel begründen. Neben den insoweit bereits im vom Kläger eingeholten Privatgutachten dokumentierten Kratzern und Lackschäden hat der gerichtliche Gutachter  zusätzlich weitere „Verkratzungen“ im Bereich der Front­verkleidung … festgestellt, deren Entstehungszeitpunkt und Verursachung bzw. Verantwortlichkeit zwischen den Par­teien streitig sind.

(3) Es kann dahinstehen, ob ein weiterer Mangel des Fahrzeugs unter Umständen darin besteht, dass – wie der Kläger behauptet – der Schaden am Radlauf hinten links nicht vollständig bzw. ordnungsgemäß beseitigt worden ist. Der Sachverstän­dige Dipl.-Ing. L hat hierzu zwar in seinem schriftlichen Gutachten, dessen überzeugenden Feststellungen der Senat sich anschließt und zu eigen macht, aus­geführt, dass der Schaden im Grundsatz sach- und fachgerecht behoben sei. Wie er im Rahmen seiner ergänzenden Anhörung aber weiter erläutert hat, sind die im Reparaturbereich zu findenden Hologrammerscheinungen, Oberflächenunregel­mäßigkeiten im Untergrund und eine fotografisch kaum darstellbare Kante in der handwerklichen Ausführung der Arbeiten begründet, wobei diese keiner „perfekten Reparatur“ entsprächen, sondern etwa einem Reparaturerfolg von 75 %  bei maximal erreichbaren 90 % – nach den Angaben des Gutachters ist für einen Fachmann eine Reparatur stets zu erkennen – gleichkäme.

Denn wie nachfolgend ausgeführt, ergäbe sich auch bei Annahme eines Reparatur­defizits keine Rücktrittsberechtigung des Klägers.

2. Eine Rückabwicklung des Kaufvertrages scheitert aber – ungeachtet dessen, ob hinsichtlich der erstmals vom Sachverständigen Dipl.-Ing. L aufgezeigten Oberflächenkratzern an der Stoßfängerabdeckung vorne, die nicht Gegenstand des Privatgutachtens waren, das klägerische Mängelbeseitigungsverlangen vom 04.01.2010 eine i. S. des § 323 BGB ausreichende Fristsetzung zur Nacherfüllung be­inhaltet – an der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nach § 323 V 2 BGB.

Entscheidendes Gewicht im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung und der insoweit vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung anhand objektiver Beurteilungs­kriterien, die neben dem objektiven Ausmaß der Qualitätsabweichung die Aus­wirkungen des Mangels auf die Gebrauchstauglichkeit (Fahrsicherheit und -komfort), den Wert des Fahrzeugs und den Instandsetzungsaufwand einschließen, kommt nach Auffassung des Senats vorliegend nicht den reinen Mängelbeseitigungskosten, sondern der Tatsache zu, dass nach den nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen sämtliche Mängel lediglich optischer Natur sind und auch für den sorgfältigen Betrachter kaum wahrnehmbar sind. So hat der Gut­achter angegeben, dass die Abweichungen an der linken hinteren Seitenwand nur dann wahrnehmbar seien, wenn man seitlich neben dem Fahrzeug kniet und den Reparaturbereich ganz genau und prüfend bei entsprechendem Lichteinfall betrach­tet. Ähnliches gilt für die Lackschäden und -kratzer. Auch zu diesen hat der Sach­verständige ausgeführt, dass sie – abgesehen von denen im Eckbereich des Stoß­fängers – nur bei genauer Prüfung und entsprechender Beleuchtung zu sehen seien. Unterstrichen werden die Ausführungen und Feststellungen des Gutachters durch die von diesem gefertigten Lichtbilder. Auch anhand dieser lässt sich erkennen, dass es sich um marginale, dem durchschnittlichen Betrachter auf erste Sicht nicht er­kennbare Lackschäden handelt. Angesichts dessen kommt es – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht entscheidend darauf an, dass für eine weitere Nachbear­beitung des BMW und Behebung der noch vorhandenen Schäden insgesamt Kosten von maximal 3.000 € netto anfallen würden. Denn selbst wenn man zugunsten des Klägers in diesem Zusammenhang trotz der insoweit fraglichen formellen Voraussetzungen auch die Arbeiten am Stoßfänger, für die der Sachverständige rund 500 € veranschlagt hat, neben den reinen Polierkosten in Höhe von 400–500 € und den für die Nachbesserung an der Seitenwand entstehenden Kosten von 1.500–2.000 € berücksichtigt und so in Relation zu dem Gesamtkaufpreis von 39.000 € zu einem Mangelbeseitigungsaufwand von mehr als 7 % gelangt, verbleibt es dabei, dass die Mängel bei einer Gesamtbetrachtung nicht derart unzuträglich sind, dass sie eine Rücktrittsreife begründen können.

Soweit der Kläger mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 02.11.2011 meint, für die Frage der Erheblichkeit oder Unerheblichkeit der Pflichtverletzung sei auf den Kaufpreisverlust – bei einer Veräußerung des BMW 320d zum jetzigen Zeitpunkt sei, wie selbst die Beklagte einräumen müsse, allenfalls noch ein Kaufpreis von 25.000 € zu erzielen – abzustellen, kann er hiermit weder gehört werden, noch bietet sein Vorbringen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Denn der vom Kläger angesprochene mögliche Kaufpreisverlust beruht nicht auf den in Rede stehenden Mängel und der der Beklagten anzulastenden Pflichtverletzung, sondern ist Folge des Zeitablaufs. Ebenso wenig wie dieser – wie der Kläger im Rahmen seiner Berufungserwiderung zutreffend ausführt – einem Käufer zum Nachteil gereichen darf, darf er zum Vorteil eines Käufers verwandt werden …

Hinweis: Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Der BGH (Urt. v. 06.02.2013 – VIII ZR 374/11) hat das Urteil des OLG Hamm aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

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