1. Ein – hier fabrikneues – Motorrad, bei dem der zweite Gang in den Leerlauf springt, wenn mithilfe der Motorbremse, insbesondere beim Einfahren in eine Kurve, ein Gangwechsel vorgenommen werden soll, ist mangelhaft i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F. Das Fahrzeug eignet sich nämlich weder für die gewöhnliche Verwendung, das heißt die problemlose Nutzung im Straßenverkehr, noch weist es eine übliche und deshalb von einem Käufer zu erwartende Beschaffenheit auf.
  2. Die Lieferung eines mangelhaften Motorrads stellt keine nur unerhebliche Pflichtverletzung des Verkäufers i. S. von § 323 V 2 BGB dar, wenn der Mangel die Fahrsicherheit des Motorrads beeinträchtigt und deshalb als erheblich anzusehen ist.
  3. Bei der Berechnung des Nutzungswertersatzes, den der Käufer eines fabrikneuen Motorrads dem Verkäufer bei einer Rückabwicklung des Kaufvertrags schuldet, ist von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 100.000 km auszugehen. Die Annahme einer zu erwartenden Laufleistung von 250.000 bis 300.000 km wie bei Pkw kommt nicht in Betracht, da Motorräder einen geringeren Hubraum als Pkw haben.
  4. Waren Aufwendungen (§ 284 BGB) eines Fahrzeugkäufers, der wegen eines Mangels wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten ist, nicht vollständig vergeblich, weil er das Fahrzeug – gegebenenfalls mit mangelbedingten Einschränkungen – tatsächlich genutzt hat, so ist die Höhe der vom Verkäufer zu ersetzenden Aufwendungen nach der Formel erstattungsfähige Aufwendungen = gesamte Aufwendungen ? (gesamte Aufwendungen × \(x\)) zu berechnen. Dabei ist \(x = \frac{\text{gefahrene Kikometer}}{\text{erwartete Gesamtlaufleistung}}.\)

LG Münster, Urteil vom 24.05.2024 – 10 O 94/21

Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten, die gewerblich mit Motorrädern handelt, im November 2019 ein Motorrad. Zur Finanzierung des Kaufpreises in Höhe von 17.275 € schloss der Kläger einen Darlehensvertrag mit einer Laufzeit von sieben Jahren zu einem Zinssatz von 2,87 % p. a.

Der Kläger ersetzte den Originalschalthebel des Motorrads durch einen Zubehörschalthebel, für den er 129,95 € aufwandte. Zudem erwarb der Kläger für das Motorrad verschiedene Anbau- und Zubehörteile (u. a. einen Halter von ein Navigationsgerät, einen Sturzbügel, einen Tankrucksack mit Adapterring und eine Hinterradabdeckung), die auf die Maschine zugeschnitten sind und für die er anderweitig keine Verwendung hat. Hierfür wandte der Kläger insgesamt 1.063,97 € auf.

Im Juni 2020 wandte sich der Kläger erstmals an eine Niederlassung des Motorradherstellers und rügte die Funktionstüchtigkeit von Schaltung beziehungsweise Getriebe des Motorrads in Verbindung mit der Motorbremse. Darüber informierte der Hersteller die Beklagte. Daraufhin wurde das Motorrad in Abstimmung mit der Beklagten mehrfach in der Niederlassung des Herstellers untersucht. Ein konkreter Mangel konnte zwar nicht festgestellt werden, doch wurden vorsorglich verschiedene Teile des Motorrads ausgetauscht.

Nach einigen Probefahrten mit dem Motorrad rügte der Kläger, dass weiterhin Probleme mit dem zweiten Gang bestünden. Der Hersteller konnte bei weiteren Untersuchungen des Motorrads keinen Fehler feststellen.

Am 19.02.2021 setzte der Kläger der Beklagten – erfolglos – eine Frist von 14 Tagen zur Beseitigung des Mangels. Mit E-Mail vom 15.04.2021 unterbreitete er der Beklagten folgenden Vorschlag:

„Mein Angebot, um die Sache ohne Gericht zeitnah aus der Welt zu schaffen, wäre eine Erstattung von 16.700 €. […] Bitte teilen Sie [meinem Rechtswalt] morgen schriftlich mit, wie Sie weiter vorgehen möchten.“

Zugleich bat der Kläger die Beklagte, schriftlich mit seinem Rechtsanwalt zu kommunizieren.

Die Beklagte reagierte zunächst nicht.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.04.2021 setzte der Kläger der eine weitere, am 14.05.2021 endende Frist zur Nachbesserung. Die Beklagte bat mit Schreiben vom 26.04.2021 um eine Verlängerung der Nachbesserungsfrist, weil die Werkstatt aktuell überlastet sei und es Schwierigkeiten bei der Ersatzteillieferung gebe. Eine Fristverlängerung lehnte der spätere Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 29.04.2021 ab und forderte die Beklagte auf, bis zum 14.05.2021 „ein vernünftiges, realitätsnahes – der Sach- und Rechtslage angepasstes – Angebot für die einvernehmliche Rückabwicklung des Kaufvertrags zu unterbreiten“. Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 14.05.2021, sie nehme das Vergleichsangebot des Klägers vom 15.04.2021 an.

Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 19.05.2021 den Rücktritt vom Kaufvertrag über das Motorrad und forderte die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich eines Nutzungswertersatzes in Höhe von 922,48 €, mithin zur Rückzahlung von 16.352,52 € auf. Zudem verlangte er Aufwendungsersatz in Höhe von (129,95 € + 1.063,97 € =) 1.193,92 € sowie den Ersatz von Finanzierungskosten in Höhe von 445,62 €.

Im Zeitpunkt des Rücktritts wies das Motorrad eine Laufleistung von 8.010 km auf.

Der Kläger behauptet, erstmals im Mai 2020 sei es zu einem Problem mit der Gangschaltung beziehungsweise dem Getriebe des Motorrads gekommen. Wenn man das Motorrad bei eingelegtem zweiten Gang mittels der Motorbremse abbremse und, insbesondere beim Einfahren in eine Kurve, die Gänge wechsele, sprängen diese plötzlich heraus.

Er ist der Auffassung, dass er sich mit der Beklagten nicht einvernehmlich auf eine Rückabwicklung des Kaufvertrags geeinigt habe. Sein Angebot vom 15.04.2021 sei befristet gewesen („morgen“); jedenfalls aber habe es die Beklagte am 14.05.2021 nicht mehr annehmen können (§ 147 II BGB). Mit ihrem Schreiben vom 14.05.2021 habe ihm die Beklagte daher allenfalls ihrerseits ein Angebot unterbreitet (§ 150 I BGB), das er jedoch nicht angenommen habe.

Bei der Bemessung des Wertersatzes – so meint der Kläger – sei eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 150.000 km anzusetzen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und behauptet, dass bei dem Motorrad der zweite Gang herausspringe, sei darauf zurückzuführen, dass der Kläger den Originalschalthebel nach der Übergabe des Motorrads durch einen Zubehörschalthebel ausgetauscht habe. Abgesehen davon – so hat die Beklagte geltend gemacht – gehe der am 19.05.2021 erklärte Rücktritt des Klägers ins Leere, weil sich die Parteien zuvor einvernehmlich auf eine Rückabwicklung des Kaufvertrags geeinigt hätten. Jedenfalls sei der Wertersatz, den ihr der Kläger im Falle einer Rückabwicklung des Kaufvertrags schulde, anhand einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 80.000 km zu berechnen. Aufwendungen müsse sie dem Kläger allenfalls Zug um Zug gegen Herausgabe der von dem Kläger erworbenen Anbau- und Zubehörteile ersetzen.

Die Klage hatte größtenteils Erfolg.

Aus den Gründen: I. Der Antrag zu 1 ist überwiegend begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 15.891,27 €, Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Motorrads, aus § 433 I 2 BGB, § 434 I 2 Nr. 1 BGB a.F., § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323 I, 346 I, II 1 Nr. 1, §§ 348, 320 I 1 BGB. Der Anspruch setzt sich aus dem zurückzuzahlenden Kaufpreis in Höhe von 17.275 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 1.383,73 € zusammen.

1. Die Parteien haben im November 2019 einen Kaufvertrag über das streitgegenständliche Motorrad geschlossen. Auf das Vertragsverhältnis sind die kaufrechtlichen Bestimmungen in der bis einschließlich 31.12.2021 geltenden Fassung anwendbar (Art. 229 § 58 EGBGB).

2. Das Fahrzeug war im Zeitpunkt des Gefahrübergangs auch mangelhaft.

a) Es eignete sich nach der Überzeugung des Gerichts jedenfalls nicht für die gewöhnliche Verwendung und es wies nicht die Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F.).

Die gewöhnliche Verwendung einer Sache ist dabei objektiv aus der Art der Sache und den Verkehrskreisen, denen der Käufer angehört, abzuleiten. Die gewöhnliche und erwartbare Beschaffenheit ist die Normalbeschaffenheit von Sachen derselben Art mit demselben Qualitätsstandard, die ein Durchschnittskäufer erwarten kann (vgl. hierzu insgesamt Grüneberg/​Weidenkaff, BGB, 83. Aufl. [2024], § 434 Rn. 27).

Die gewöhnliche Verwendung eines Motorrads ist die Nutzung im Straßenverkehr. Insbesondere bei einem Neukauf geht der Käufer berechtigterweise davon aus, dass er das Fahrzeug dort problemlos fortbewegen kann. Er darf erwarten, dass Schaltung und Getriebe einwandfrei funktionieren (vgl. Grüneberg/​Weidenkaff, a. a. O., § 434 Rn. 67), insbesondere, dass sich alle Gänge problemlos hoch- und runterschalten lassen.

Das Gericht ist nach erfolgter Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens samt Ergänzungsgutachten davon überzeugt, dass bei dem streitgegenständlichen Motorrad der zweite Gang in den Leerlauf springt, wenn man mit dem Motorrad mittels Motorbremse bei eingelegtem zweiten Gang beim Anbremsen, insbesondere auf Grund der Einfahrt in eine Kurve, die Gänge wechselt. Denn zu diesem Ergebnis ist der gerichtlich bestellte Sachverständige nach eingehender Begutachtung des streitgegenständlichen Fahrzeugs samt mehrerer mit einer Kamera dokumentierter Probefahrten gelangt. Der Gutachter konnte die vom Kläger beschriebenen Schaltprobleme in seinem ersten Gutachten vollumfänglich bestätigen (Bl. 6 des Gutachtens vom 05.04.2022). Im Rahmen einer Probefahrt auf einer Strecke von 26 km ist der zweite Gang nach Angaben des Gutachters insgesamt viermal im Schubbetrieb in den Leerlauf gesprungen (Bl. 6 des Gutachtens vom 05.04.2022). Dies bestätigt auch die Fotodokumentation (Anlage 3 zum Gutachten).

Diese Fehlfunktion basiert zur Überzeugung des Gerichts nicht auf einer Fehlbedienung des Klägers beziehungsweise des Sachverständigen. Die Einwendung der Beklagten, dass das Herunterschalten vom dritten in den zweiten Gang sowohl durch den Kläger als auch durch den Gutachter bei zu hohen Drehzahlen erfolgt sei, überzeugt nicht. Das Handbuch gibt hierzu keinen konkreten Rahmen für ein Herunterschalten vor. Etwaige Warnhinweise beschränken sich darauf, dass ein Herunterschalten bei zu hohen Motordrehzahlen zu einem Blockieren des Hinterrads oder zu einer Beschädigung des Motors führen könnte (Abschnitt „Schalten“ des Fahrerhandbuchs). Die weiteren Vorgaben zum Schalten (kraftvolle Pedalbewegung mit Durchlauf des gesamten Stellwegs) wurden durch den Sachverständigen eingehalten. Es ist zudem nicht dargelegt, welche Drehzahlen „zu hoch“ sein sollen, um ein Herunterschalten vorzunehmen. Das Handbuch enthält keinen Hinweis darauf, in einem bestimmten Drehzahlbereich nicht zu schalten, damit der Gang nicht herausspringt. Die Drehzahlanzeige reicht bis zu 12.000 U/min, und auf der Anzeige ist lediglich der Bereich ab 10.000 U/min rot markiert. Die Nennleistung des Motorrads entfaltet sich nach Angaben des Sachverständigen bei 9.500 U/min Dass der Drehzahlbereich zwischen 5.000 und 8.000 U/min, in dem der Sachverständige schaltete, zu hoch sein könnte, um ein Herunterschalten bei einem mangelfreien Motorrad problemlos durchführen zu können, ist vor diesem Hintergrund nicht anzunehmen. Ein Bedienungsfehler ist unter diesen Voraussetzungen nicht ersichtlich.

Der Sachverständige konnte auch plausibel den Einwand der Beklagten, dass er die Getriebeteile nicht ausgebaut und untersucht habe, entkräften. Er habe eine Untersuchung der gegenständlichen Getriebebauteile bisher wegen Garantieansprüchen unterlassen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist deshalb aber nicht offen, ob das Getriebe tatsächlich einen Fehler aufweist. Der Sachverständige konnte aufgrund seiner Befunde bei den Probefahrten sicher sagen, dass das Getriebe einen Fehler aufweist, da andere Ursachen, insbesondere ein falsches Schaltverhalten, nicht in Betracht kämen. Anders lässt sich auch nicht erklären, warum sich das Problem nur beim zweiten Gang zeigte. Ein Ausbau der Getriebeteile war zur vollständigen Beantwortung der Beweisfragen daher nicht notwendig und konnte unterbleiben.

b) Nach der Überzeugung des Gerichts lag der Mangel am streitgegenständlichen Motorrad auch bereits bei Gefahrübergang am 14.11.2019 vor.

aa) Für das Vorliegen des Mangels bereits bei Gefahrübergang ist der Kläger nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweisbelastet. Auf die Vermutung des § 477 BGB a.F. kann sich der Kläger nicht berufen, da er ein Auftreten des Mangels innerhalb der ersten sechs Monate nach Übergabe (bis zum 14.05.2020) nicht nachweisen konnte. Die von der Beklagten bestrittene Behauptung des Klägers, das Herausspringen des zweiten Gangs sei erstmals im Mai 2020 aufgetreten, hat der Kläger nicht unter Beweis gestellt. Vielmehr gibt er sogar selbst in einer E-Mail vom 16.02.2021 an: „Das Ganze läuft seit 06.2020.“

bb) Der Kläger konnte aber beweisen, dass der Mangel bereits bei Übergabe vorlag.

Für Gewährleistungsrechte ist es ausreichend, wenn der Mangel im Zeitpunkt der Übergabe noch nicht aufgetreten ist, aber die Ursache schon bestand. Dann ist der Kaufgegenstand bereits wegen der bestehenden Ursache mangelhaft (BGH, Urt. v. 29.03.2006 – VIII ZR 173/05, BGHZ 167, 40 Rn. 35; Grüneberg/​Weidenkaff, a. a. O., § 434 Rn. 7).

So liegt der Fall hier, da der nachträgliche Einbau des Zubehörschalthebels – als einzige in Betracht kommende Veränderung an dem Fahrzeug – zur Überzeugung des Gerichts nicht zu der Fehlfunktion geführt hat. Der Sachverständige stellte nachvollziehbar dar, dass zwischen dem Zubehörschalthebel und dem Rahmen nach seiner Messung noch 0,8 mm lägen, sodass die Gänge durchweg vollständig geschaltet werden könnten. Auch die Überprüfung mit eingebautem Originalschalthebel weise keine erheblichen Unterschiede zwischen den Hebeln auf, die die Hebekraft beeinflussen könnten. Bei einer weiteren Probefahrt auf einer Strecke von 24 km hätten sich die vorbezeichneten Schaltprobleme auch mit dem Originalschalthebel gezeigt. Aus technischer Sicht bestünden zwischen dem serienmäßigen Schalthebel und dem Zubehörschalthebel außer der optischen Erscheinung keine Unterschiede (Bl. 8 des Ergänzungsgutachtens vom 31.1.2024 und Abbildung 5 auf Bl. 9 dieses Gutachtens). Da beide Hebel gleich lang seien, habe der Zubehörschalthebel keinen Einfluss auf das Einlegen der Gänge gehabt.

c) Das Gericht schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen vollumfänglich an, da dieser von einer richtigen und vollständigen Tatsachengrundlage ausgegangen ist und keine Zweifel an seiner fachlichen Kompetenz oder Unparteilichkeit bestehen.

3. Der Kläger hat auch eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt (§ 323 I BGB).

Die Frist soll dem Schuldner eine letzte Gelegenheit zur Erbringung der geschuldeten Leistung eröffnen und braucht daher nicht so bemessen zu werden, dass der Schuldner die noch nicht begonnene Leistung erst anfangen und fertigstellen kann. Der Schuldner soll vielmehr in die Lage versetzt werden, die bereits in Angriff genommene Leistung zu vollenden (Grüneberg/​Grüneberg, BGB, 83. Aufl. [2024], § 323 Rn. 14, § 281 Rn. 10). Im Rahmen von Gewährleistungsrechten ist die maßgebliche Leistung die Nacherfüllung gemäß § 439 I BGB. Der Beklagten war seit Juni 2020 bekannt, dass es am klägerischen Motorrad Probleme mit dem zweiten Gang gab. Der Kläger setzte ihr erstmals am 19.02.2021 eine Frist von 14 Tagen zur Nacherfüllung. Diese war in Anbetracht des bereits vorangegangenen Zeitraums, in der die Beklagte das Problem kannte und auch die Möglichkeit hatte, das Problem zu finden, angemessen.

Auf die weitere anwaltliche Fristsetzung vom 22.04.2021 bis zum 14.05.2021, die im Übrigen ebenfalls erfolglos ablief, kommt es daher nicht an.

4. Der Kläger hat den Rücktritt auch gemäß § 349 BGB mit Schreiben vom 19.05.2021 erklärt. Hierdurch hat sich das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt.

5. Der Rücktritt ist schließlich auch nicht ausgeschlossen.

a) Zunächst haben die Parteien keinen außergerichtlichen Vergleich über die Rückabwicklung des Motorradkaufvertrags vor Ausübung des Rücktrittsrechts geschlossen. Zwar hat der Kläger der Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 15.04.2021 erklärt, dass er bereit sei, das Fahrzeug gegen Zahlung von 16.700 € zurückzugeben. Dieses Angebot ist allerdings erloschen (§ 146 Fall 2 BGB).

Es kann dahinstehen, ob die Aufforderung am Ende der E-Mail, sich bis „morgen“ bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zu melden, nach Auslegung vom objektiven Empfängerhorizont gemäß §§ 133, 157 BGB als Befristung i. S. des § 148 BGB anzusehen ist. Jedenfalls ist das Angebot nach § 147 II BGB am 14.05.2021 nicht mehr annahmefähig gewesen.

Nach § 147 II BGB kann der einem Abwesende gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, bis zu dem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Die nach § 147 II BGB zu bemessende Bindungsfrist besteht aus drei Komponenten, der Transportfrist des Angebots, der Überlegungsfrist („Deliberationsfrist“) des Angebotsempfängers und der Transportfrist für die Annahmeerklärung (MünchKomm-BGB/​Busche, 9. Aufl. [2021], § 147 Rn. 35).

Die Transportfrist für Angebot und Annahmeerklärung sind bei dem genutzten E-Mail-Verkehr zu vernachlässigen. Hinsichtlich der Deliberationsfrist ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Beklagte als Unternehmerin mit der Problematik bereits vorbefasst war und sämtliche Umstände bekannt waren. Der Kläger hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er zum einen an einer schnellen Lösung interessiert ist und zum anderen eine Kommunikation über seinen Prozessbevollmächtigten wünscht. Die Beklagte korrespondierte im Anschluss zwar mit dem Prozessbevollmächtigten, ging aber im Schreiben vom 26.04.2021 nicht auf das Angebot vom 15.04.2021, sondern auf das anwaltliche Schreiben vom 22.04.2021 ein. Spätestens ab diesem Zeitpunkt musste der Kläger unter diesen Umständen nach objektivem Maßstab nicht mehr damit rechnen, dass sein Angebot vom 15.04.2021 noch angenommen werden würde.

Die Annahmeerklärung der Beklagten vom 14.05.2021 geht als solche ins Leere und ist gemäß § 150 I BGB als ein neues Angebot zu werten, welches der Kläger jedoch seinerseits nicht angenommen hat.

b) Des Weiteren ist die Pflichtverletzung der Beklagten nicht unerheblich i. S. des § 323 V 2 BGB. Die Erheblichkeitsprüfung erfordert eine umfassende Interessenabwägung (Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 323 Rn. 32). Der Mangel beeinflusst die Fahrsicherheit des Motorrads und ist deswegen als erheblich anzusehen.

6. Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises für das Motorrad besteht nur abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 1.383,73 € (§ 346 I, II 1 Nr. 1 BGB).

Die Beklagte hat im Rahmen des Rückgewährschuldverhältnisses einen Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung für den Gebrauch des Motorrads durch den Kläger. Dem steht der Mangel nicht entgegen. Der Kläger konnte das Motorrad trotz des Problems mit dem zweiten Gang nutzen. Würde er keinen Nutzungsersatz zahlen müssen, wäre er zu Unrecht bereichert.

a) Da Gebrauchsvorteile (§ 100 BGB) nicht in natura herausgegeben werden können, ist Wertersatz zu leisten (vgl. Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 323 Rn. 8).

b) Für die Berechnung des Nutzungsersatzes hat das Gericht die folgende Formel zugrunde gelegt (vgl. Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 346 Rn. 10; Eggert, in: Reinking/​Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl., Rn. 3563):

$${\frac{\text{Kaufpreis}\times\text{gefahrene Kilometer}}{\text{erwartete Gesamtlaufleistung}}}.$$

Nach den insoweit unstreitigen Angaben der Parteien belief sich der Kilometerstand im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Klägers auf 8.010 km. Eine weitere Nutzung des Motorrads – mit Ausnahme der Probefahrten durch den Sachverständigen – wurde nicht vorgetragen. Die abweichende Angabe des Sachverständigen in seinem Erstgutachten (Anlage 1, Bild 5) beruhte auf einer Verwechselung mit den Kilometern, die bis zum nächsten Servicetermin in der Werkstatt gefahren werden konnten.

Das Gericht schätzt die Gesamtlaufleistung eines durchschnittlichen Motorrads der Marke Triumph M. (Baujahr 2019) analog § 287 ZPO auf 100.000 km. Bei Autos ist eine Gesamtlaufleistung von 250.000 bis 300.000 km anerkannt (Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 346 Rn. 10). Da Motorräder im Vergleich zu Autos einen geringeren Hubraum haben, haben sie auch eine geringe Gesamtlaufleistung. Zudem wird ein Motorrad schon aus Witterungsgründen auf das Jahr gesehen weniger genutzt als ein Auto. Der Wert von 100.000 km liegt auch im Bereich dessen, was in anderen Urteilen angenommen wird (vgl. zur Laufleistung die Rechtsprechungsübersicht von Eggert, in: Reinking/​Eggert, a. a. O., Rn. 3574).

Den unstreitigen Kaufpreis in Höhe von 17.275 € zugrunde gelegt, ergibt sich folgende Berechnung:

$${\frac{\text{11.275 €}\times\text{8.010 km}}{\text{100.000 km}} = \text{1.383,73 €}}.$$

7. Der Anspruch auf Zahlung von (17.275 € ? 1.383,73 €) = 15.891,27 € ist Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Motorrads an die Beklagte durchsetzbar (§§ 348, 320 I 1 BGB).

II. Der Feststellungsantrag zu 2 ist begründet. Der Kläger hat der Beklagten die Rückgabe des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Rückübereignung des Kaufpreises angeboten § 295 Satz 1 Fall 2 BGB). Dieses Angebot wurde jedenfalls durch die Klageerwiderung zurückgewiesen.

III. Der Kläger hat in Bezug auf die Finanzierungskosten zudem einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 1.162,62 € aus §§ 433 I 2 BGB, § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F., § 437 Nr. 3 Fall 2, § 284 BGB.

Gemäß § 284 BGB kann der Gläubiger anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte, es sei denn, deren Zweck wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden. Der Anspruch kann gemäß § 325 BGB auch bei einem Rücktritt geltend gemacht werden.

1. Die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung gemäß § 281 BGB sind erfüllt. Die Beklagte hat trotz angemessener Fristsetzung den Mangel am Motorrad nicht behoben oder eine andere Maschine nachgeliefert (§ 439 I BGB). Die Pflichtverletzung war auch aus den gezeigten Gründen nicht unerheblich i. S. des § 281 I 3 BGB. Die Beklagte hat ihre Pflichtverletzung auch zu vertreten, da sie sich nicht entlastet hat (§ 280 I 2 BGB).

2. Bei Finanzierungskosten in Form von Darlehenszinsen handelt es sich grundsätzlich auch um Aufwendungen. Aufwendungen sind vom Gläubiger im Hinblick auf den Erhalt der Leistung erbrachte freiwillige Vermögensopfer. Sie können auch in der Eingehung von Verbindlichkeiten bestehen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 284 Rn. 3). Auch Kosten einer nutzlos gewordenen Finanzierung sind über § 284 BGB ersatzfähig (Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 284 Rn. 3).

Der Kläger hat einen Darlehensvertrag mit siebenjähriger Laufzeit zu 2,87 % Zinsen p. a. abgeschlossen, um den Kauf des Motorrads zu einem Preis von 17.275 € finanzieren zu können.

3. Diese Aufwendung hat der Kläger auch im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung durch die Beklagte getätigt, das heißt im Vertrauen darauf, dass diese mangelfrei leistet oder jedenfalls nacherfüllt (zum Vertrauen s. Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 284 Rn. 6).

4. Der Billigkeit der Aufwendung stehen unter dem Gesichtspunkt des § 254 BGB keine Bedenken entgegen (zur Billigkeit s. Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 284 Rn. 6).

5. Allerdings sind Aufwendungen nur insoweit ersatzfähig, wie ihr Zweck durch die Schlechtleistung vereitelt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.10.2015 – X ZR 126/14 Rn. 31).

Infolge des Mangels am streitgegenständlichen Motorrad ist nicht die gesamte Finanzierung für den Kläger nutzlos geworden. Bezüglich der in der Zeit vom 12.11.2019 bis zur Erklärung des Rücktritts am 19.05.2021 gefahrenen 8.010 km waren die aufgewandten Darlehenszinsen nicht nutzlos. Wäre das Motorrad nicht mangelhaft gewesen, hätten die Finanzierungskosten und der Verzehr des Kaufpreises bis zum Erreichen der Gesamtlaufleistung nebeneinandergestanden und beides hätte vom Kläger getragen werden müssen. Beide Kostenfaktoren wären dann aber durch die entsprechende Nutzung des Motorrads durch den Kläger aufgewogen worden (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 08.09.2005 – 28 U 60/05). Dies gilt grundsätzlich auch für die Nutzung des Motorrads bis zum Rücktritt. Der Kläger hat an die Beklagte für die tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs – wie gezeigt – eine Nutzungsvergütung zu entrichten. Insoweit tritt in Bezug auf den tatsächlichen Gebrauch durch den Kläger keine Frustration der Finanzierungskosten ein (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 08.09.2005 – 28 U 60/05). Die bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrags zu entrichtende Nutzungsvergütung erfasst aufgrund ihrer linearen Berechnung ausschließlich die Abschreibung des Kaufpreises. Insoweit werden die mit den Finanzierungskosten verschafften Nutzungsmöglichkeiten von der Zahlung der Nutzungsvergütung nicht erfasst. Erst der Wegfall der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit nach dem Rücktritt lässt die im Vertrauen auf einen ungestörten Gebrauch des Fahrzeugs vorgenommene Finanzierung des Kaufpreises nutzlos werden.

Vorliegend sind unter Berücksichtigung dieser Erwägungen 1.662,62 € erstattungsfähig.

Für die Berechnung der frustrierten Aufwendungen hat das Gericht die folgende Formel zugrunde gelegt (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 18.3.2020 – 4 U 53/19): erstattungsfähige Aufwendungen = gesamte Finanzierungskosten ? (gesamte Finanzierungskosten × \(x\)), wobei \(x = \frac{\text{gefahrene Kikometer}}{\text{erwartete Gesamtlaufleistung}}\).

Das bedeutet im vorliegenden Fall: \(x = \frac{\text{8.010 km}}{\text{100.000 km}} = 0,08 = 8\,\%\), sodass gilt: erstattungsfähige Aufwendungen = 1.807,20 € ? (1.807,20 € × 8 %) = 1.662,62 €.

6. Ohne die Pflichtverletzung der Beklagten wäre der Zweck der Aufwendung vollständig erreicht worden (zur Rentabilität s. Grüneberg/Grüneberg, a. a. O., § 284 Rn. 7).

IV. Der Kläger hat gegen die Beklagte zudem einen Anspruch auf Aufwendungsersatz für die folgenden Anbauteile in Höhe von insgesamt 1.193,92 € aus § 433 I 2, § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F., § 437 Nr. 3 Fall 2, § 284 BGB:

Zubehörschalthebel 129,95 €
Halter für Navigationssystem 107,64 €
Windschutzscheibe (Puig) 101,18 €
Sommerwindschutzscheibe (Görz) 82,80 €
Sturzbügel (HEED) 304,00 €
Kühlerschutz und Gabelprotektor 105,51 €
Tankrucksack mit Adapterring 202,85 €
Hinterradabdeckung 159,99 €

Die Voraussetzungen des § 281 BGB liegen vor. Der jeweilige Erwerb der Anbau- beziehungsweise Zubehörteile stellt auch eine billige Aufwendung dar, die für den Kläger durch die Rückgabe des Fahrzeugs im Rahmen des Rücktritts nutzlos wird. Der Kläger hat die Aufwendungen im Vertrauen darauf getätigt, die einzelnen Teile langfristig an dem Fahrzeug nutzen zu können. Er kann die einzelnen Teile auch nicht anderweitig verwenden, da es sich um maßangefertigte Produkte handelt. Ohne die Pflichtverletzung der Beklagten wären die Aufwendungen auch nicht nutzlos geworden.

Der Anspruch ist aber nur Zug um Zug gegen Herausgabe der im Tenor näher bezeichneten Teile an die Beklagte durchsetzbar (§§ 348, 320 I 1 BGB), da der Kläger sonst zu Unrecht bereichert wäre.

V. Die Zinsansprüche … bestehen gemäß §§ 291, 288 I 2 BGB, § 187 I BGB analog erst ab dem 15.07.2021. Verzugszinsen ab einem früheren Zeitpunkt sind mangels dargelegten Verzugs nicht begründet. Gründe für eine entbehrliche Fristsetzung sind nicht ersichtlich.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I 1 Fall 2 ZPO.

Da in Bezug auf den Antrag zu 4 eine Zug-um-Zug-Verurteilung auszusprechen war, ist dies bei den Kosten zu berücksichtigen. Es ist ein fiktiver Streitwert zu bilden. Der Wert des Zurückbehaltungsrechts beträgt dabei 100 % der diesbezüglichen Klageforderung, also 1.193,92 €. …

PDF erstellen