- Ein gebrauchtes Kraftfahrzeug eignet sich nicht für die gewöhnliche Verwendung i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F., wenn ein grundsätzlich dem Verschleiß unterliegendes Bauteil des Fahrzeugs (hier: die Steuerkette) bei Gefahrübergang (§ 446 Satz 1 BGB) verschleißbedingt schon derart geschädigt ist, dass es dringend ausgetauscht werden muss, um zu vermeiden, dass es in naher Zukunft zu einer Fehlfunktion oder zu einem Schaden kommt.
- Bei einem Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG streitet bei einer ordnungsgemäßen Dokumentation der Auslieferung ein Anscheinsbeweis dafür, dass das Schreiben in den Briefkasten des Empfängers eingelegt wurde.
LG Landshut, Urteil vom 28.01.2022 – 54 O 2750/19
Sachverhalt: Der Kläger kaufte von dem Beklagten mit Vertrag vom 04.01.2019 einen gebrauchten Pkw Kia Sorento. Dieses Fahrzeug wurde dem Kläger am gleichen Tag mit einem Kilometerstand von 177.120 übergeben.
Mit Schreiben seines späteren Prozessbevollmächtigten vom 06.08.2019 erklärte der Kläger den Rücktritt von dem am 04.01.2019 geschlossenen Kaufvertrag. Er macht geltend, der Kia Sorento weise einen Mangel auf, der zu einem Defekt an der Kardanwelle und zu lauten Motorgeräuschen geführt habe. Außerdem sei das Schaltgetriebe schadhaft. Er, der Kläger, habe mit dem Pkw am 19.06.20219 auf einer Fahrt von Polen nach Landshut in der Nähe von Prag infolge des Risses der Steuerkette einen Motorschaden erlitten. Wegen dieses Motorschadens habe das Fahrzeug abgeschleppt werden müssen. Eine Nachbesserung des Pkw habe der Beklagte abgelehnt, und zwar sowohl vor der Fahrt, bei der es zu dem Motorschaden gekommen sei, als auch später. Sein – des Klägers – Prozessbevollmächtigter habe dem Beklagten mit Schreiben vom 26.06.2019 erfolglos eine Frist zur Nachbesserung gesetzt.
Der Beklagte hat den Zugang dieses Schreibens bestritten. Er hat die Aufrechnung gegen die Klageforderungen (Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 6.000 € nebst Rechtshängigkeitszinsen; Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 571,44 € nebst Rechtshängigkeitszinsen) erklärt, und insoweit geltend gemacht, er könne von dem Kläger eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.000 € sowie Schadensersatz in Höhe eines 2.259,80 € (Reparaturkosten) übersteigenden Betrags verlangen. Der Kläger habe einen Schaden verursacht, weil er das streitgegenständliche Fahrzeug trotz der erheblichen Motorgeräusche bis nach Polen und zurück bewegt habe. Daraus sei ihm, dem Beklagten, ein Schaden entstanden; denn der Kläger hätte den Eintritt des Motorschadens durch eine Reparatur des Pkw verhindern können. Die Fristsetzung im Schreiben vom 26.06.2019 sei im Übrigen unwirksam, weil der Kläger das Fahrzeug zu ihm, dem Beklagten, hätte verbringen müssen.
Die Klage hatte ganz überwiegend Erfolg.
Aus den Gründen: Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückzahlung eines Kaufpreisanteils in Höhe von 5.363,36 € Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Kia Sorento zu (§ 433 I 2 BGB, § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F., § 437 Nr. 2, § 323 I, § 346 I, 348 BGB).
1. Die Parteien haben am 04.01.2019 einen Kaufvertrag über den gebrauchten Kia Sorento abgeschlossen. Der Kläger trat bei diesem Vertrag ausweislich der Kaufvertragsurkunde (Anlage K 1) als Verbraucher auf, der Beklagte als gewerblicher Kfz-Händler als Unternehmer.
2. Das Fahrzeug ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme mangelhaft i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F.
Nach den Feststellungen des Sachverständigen S hat der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs einen massiven Motorschaden erlitten, der durch den Riss der Steuerkette verursacht wurde. Die massiven Schädigungen zeigen sich darin, dass die Kipphebel der Ventilsteuerungen gebrochen sind und ein Teil des Stirndeckels ausgeschlagen ist. Für die Einzelheiten darf auf die Gutachten des Sachverständigen S verwiesen werden.
Kurz zusammengefasst hat der Sachverständige festgestellt, dass die Steuerkette um 1,08 % gelängt war, was eine ungewöhnliche Längung, auch unter Berücksichtigung einer Fahrleistung von über 170.000 km, darstellt. Die Steuerketten seien grundsätzlich wartungsfrei, wenn sie auch selbstverständlich als stark beanspruchtes Bauteil eines Verbrennungsmotors dem Verschleiß unterlägen. Vorliegend hat der Sachverständige durch einen externen Dienstleister feststellen können, dass die Längung der Steuerkette stark unregelmäßig war. Folgen dieser unregelmäßigen Längung waren Schwankungen in den Steuerzeiten des Motors in Bezug auf die Ventilansteuerung und somit pulsierende Zu- und Abnahmen der Kettenspannung. Dies wiederum hatte die Folge einer deutlichen Geräuschentwicklung am Motor, was auch durch die Zeugen B und K bestätigt werden konnte. Insbesondere dem Zeugen B, einem Bekannter des Klägers, sind die „komischen Geräusche“ aufgefallen; der Motor soll sehr laut gewesen sein. Der Zeuge B wollte ausschließen, dass der Kläger zu viel Gas gegeben hat, also der Motor „aufgeheult“ hat. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist diese Geräuschentwicklung ohne Weiteres mit der übermäßigen Kettenlängung und der Pulsation der Kettenspannung in Einklang zu bringen. Auch der Zeuge K, der Stiefsohn des Klägers, hat diese Geräusche, die er mit einem Traktor verglichen hat, feststellen können.
Wie der Sachverständige nachvollziehbar und stringent ausgeführt hat, war die Kette erheblichem Verschleiß ausgesetzt, der letzten Endes zum Riss der Kette auf der Fahrt von Polen nach Landshut führte. Der Verschleiß war nach Angaben des Sachverständigen dabei so stark, dass er als Langzeitschaden zu klassifizieren ist.
Nachdem der Kläger bis zum Eintritt des Motorschadens keine 10.000 km zurückgelegt hat, dürfte dieser Verschleiß bereits zum Zeitpunkt der Übergabe des Pkw an den Kläger vorgelegen haben. Angesichts der auch für den Laien gut nachvollziehbaren Erkenntnisse des Sachverständigen S ist daher der Schaden an der Steuerkette bereits bei der Übergabe des Fahrzeugs vorhanden gewesen und somit als Mangel anzusehen.
Darüber hinaus kann sich der Kläger erfolgreich auf die Vermutung des § 477 I BGB a.F. berufen. Der Beweis des Gegenteils ist dem Beklagten nicht gelungen.
Der Beklagte kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass es sich generell um ein Verschleißteil handele. Ist ein grundsätzlich dem Verschleiß unterliegendes Bauteil eines Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs derart durch den Verschleiß geschädigt, dass eine Fehlfunktion oder ein Schaden in naher Zukunft bevorsteht, sodass ein Austausch dringend erforderlich ist, liegt keine Eignung für die gewöhnliche Verwendung i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F. mehr vor. Denn die gewöhnliche Verwendung wäre eine Nutzung des Fahrzeugs ohne laute Motorgeräusche und ohne Risiko eines Motorschadens wegen des bevorstehenden Risses der Steuerkette. Vielmehr wäre die Steuerkette auszutauschen gewesen. Der Käufer eines Fahrzeugs hat einen Anspruch darauf, dass die Bauteile innerhalb der Gewährleistungszeit keinen Schaden erleiden aufgrund eines Zustands, der bereits bei Übergabe angelegt war und einen Schaden erwarten ließ.
Der Sachverständige hat darüber hinaus in seinem Gutachten vom 08.09.2021 einen Gewaltbruch durch ein Fehlverhalten des Klägers ausschließen können. Insbesondere konnte er ausschließen, dass der Kläger durch Überschreiten des normalen Drehzahlbereichs den Motor beziehungsweise die Steuerkette übermäßig verschlissen beziehungsweise geschädigt hat. Dies auch aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dem Fahrzeug entgegen der Aussagen des Klägers und des Zeugen K um ein Fahrzeug mit einem Automatikgetriebe handelt, welches derartige Schädigungen aufgrund seiner Programmierung ausschließen kann.
3. Der Kläger hat dem Beklagten erfolglos eine Frist zu Behebung des Mangels gesetzt. Dies durch Schreiben des Prozessbevollmächtigen des Klägers vom 26.06.2019 (Anlage K 3). Der Beklagte hat zwar bestritten, das Schreiben erhalten zu haben; allerdings hat der Klägervertreter als Anlagen K 8 und K 9 den Nachweis für ein Einwurf-Einschreiben vorgelegt, für welches der Anscheinsbeweis des Zugangs spricht (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 130 Rn. 21). Das reine Bestreiten des Beklagten des Zugangs ist daher nicht ausreichend, da er das Gegenteil nicht bewiesen hat.
Irrelevant ist weiterhin, ob der Kläger das Fahrzeug zum Beklagten hätte verbringen müssen, nachdem es in Prag den Motorschaden erlitten hat. Nachdem der Beklagte gar nicht reagiert hat, kommt es darauf nicht an. Außerdem würde dies der Wertung des § 439 II BGB sowie des § 439 V BGB n.F. widersprechen.
4. Mit Schreiben vom 06.08.2019 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers (Anlage K 4) den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.
5. Folge ist somit die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Der Beklagte hat somit den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zurückzuzahlen (§§ 346 I, 348 BGB). Der Beklagte rechnet mit Nutzungsersatz auf, was vorliegend als Einwand i. S. des § 346 II 1 Nr. 3 BGB anzusehen ist. Anhand der Laufleistung des Fahrzeugs, welches nach dem Motorschaden einen Kilometerstand von 184.833 aufgewiesen hat (vgl. Gutachten des Sachverständigen S vom 26.02.2021, S. 7) ergibt sich ein Nutzungsvorteil vom 636,64 €, sodass der Beklagte nur 5.363,36 € zurückzuzahlen hat.
II. Der Beklagte befindet sich im Annahmeverzug (Anlage K 4); das Feststellungsinteresse ergibt sich aus der Wirkung des § 300 I BGB.
III. Außergerichtliche Kosten kann der Kläger nicht verlangen, da sich der Beklagte zur Zeit der Beauftragung nicht im Verzug mit der Nacherfüllung, geschweige denn mit der Rückzahlung des Kaufpreises befunden hat.
IV. Die Aufrechnung des Beklagten greift nicht durch.
1. Soweit der Beklagte Nutzungsersatz aufrechnet, war dies bereits bei der Kaufpreisrückzahlung zu berücksichtigen (s. oben I 5).
2. Schadensersatz für den über die Reparaturkosten hinausgehenden Betrag des Kaufpreises, welchen der Beklagte an den Kläger zurückzahlen muss, kann er nicht verlangen.
Der Beklagte möchte mit seinem Vortrag offensichtlich darauf hinaus, dass der Kläger den Motorschaden selbst verschuldet hat und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist. Davon abgesehen, dass ein solcher Schadensersatzanspruch eher fernliegend ist, da der Kläger zum Zeitpunkt des Schadenseintritts Eigentümer des Fahrzeugs war und es vor dem Rücktritt außerhalb der Regelungen des § 346 II BGB keine rechtlich geschützte Anwartschaft des Beklagten auf Erhaltung des Werts des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs gab, ist zu berücksichtigen, dass der Kläger mehrfach den Beklagten aufgesucht hat, da er Mängel am Fahrzeug vermutet hat. Insbesondere der Zeuge K hat angegeben, dass er den Kläger einmal zum Beklagten begleitet hat, da der Kläger ihm Probleme mit dem Fahrzeug schildern wollte. Auch wenn der Zeuge K das Gespräch selbst wegen Verbleibs im Fahrzeug nicht mitbekommen hat, hat der Kläger offenbar mehrfach versucht, den Beklagten zu einer Nachbesserung von etwaigen Mängeln zu überzeugen. Offensichtlich hat der Beklagte, abgesehen von einem Austausch der Batterie, es nicht für nötig befunden, sich den Motor anzuhören oder auch anzusehen. Der Beklagte hat schlicht die Mängelrüge des Klägers nicht für ernst genommen beziehungsweise wollte ihr nicht nachgehen.
Selbst also unterstellt, ein Schadensersatzanspruch käme überhaupt in Betracht, wäre er jedenfalls nach § 254 BGB aufgrund alleinigen Eigenverschuldens des Beklagten ausgeschlossen, da der Beklagten den eingetretenen Schaden ohne Weiteres dadurch hätte vermeiden können, dass er sich in offener Gewährleistungsfrist um die geschilderten Mängel kümmerte. Demgegenüber ist dem Kläger allenfalls vorzuwerfen, dass er trotz seltsamer Motorgeräusche eine längere Reise von Landshut nach Polen und zurück angetreten hat. Allerdings kann es auf die Länge dieser Fahrt nicht ankommen, da angesichts des vom Sachverständigen festgestellten Schadensbilds ein solcher Motorschaden jederzeit auch im Stadtbereich von Landshut hätte auftreten können, was die gleiche Folge für das Fahrzeug gehabt hätte. Kosten für das Liegenbleiben in Tschechien macht der Kläger nicht geltend, sodass insoweit auch kein Schaden für den Beklagten entstanden sein kann. Sonstiges Fehlverhalten (Verschalten etc.) konnte seitens des Beklagten nicht nachgewiesen werden.
V. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 I ZPO. …