Ein Kraftfahrzeug ist dann ein fabrikneuer Neuwagen, wenn es unbenutzt ist, das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird es keine durch eine längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate liegen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02 unter II 3). „Unbenutzt“ ist ein Kraftfahrzeug nicht schon dann, wenn es noch nicht zum Straßenverkehr zugelassen und noch nicht gefahren wurde. Vielmehr ist auch ein von einem Kraftfahrzeughersteller oder -händler als Ausstellungsfahrzeug genutztes Fahrzeug nicht mehr „ubenutzt“.
AG München, Urteil vom 17.12.2021 – 271 C 8389/21
Sachverhalt: Die Parteien streiten darüber, ob ein Pkw wegen des Fehlens einer vereinbarten Beschaffenheit mangelhaft ist und die Klägerin deshalb zur Minderung des Kaufpreises berechtigt ist.
Die Klägerin bestellte am 07.10.2019 in der Münchener Niederlassung der Beklagten einen Pkw Mercedes-Benz SLC 300 als Neufahrzeug. Dessen Listenpreis lag 7.184,80 € über dem – von der Klägerin zwischenzeitlich gezahlten – Kaufpreis von 54.604,10 €. Der am 07.11.2018 hergestellte Pkw befand sich bei Abschluss des Kaufvertrags in einer Niederlassung der Beklagten in Köln, wo er ausgestellt worden und von potenziellen Käufern – aber nicht von der Klägerin – besichtigt worden war. Zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen oder gefahren worden war das Fahrzeug vor der Auslieferung an die Klägerin jedoch nicht.
Nachdem der Mercedes-Benz SLC 300, wie von den Parteien vereinbart, nach München überführt und der Klägerin am 31.10.2019 übergeben worden war, nahm diese am 11.11.2019 eine Pannenhilfe in Anspruch, um den Pkw zur Niederlassung der Beklagten zu bringen. Dort wurde die Fahrzeugbatterie erneuert.
Mit Schreiben vom 17.11.2019 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Minderung des Kaufpreises.
Sie behauptet, mit der Beklagten vereinbart zu haben, dass ihr ein fabrikneues Fahrzeug geliefert werde. Tatsächlich habe sie jedoch ein bereits benutztes und beschädigtes Vorführfahrzeug, also einen Gebrauchtwagen, erhalten. Sie habe davon, dass der Mercedes-Benz SLC 300 in einer Niederlassung der Beklagten ausgestellt gewesen sei, nichts gewusst; ihr sei lediglich bekannt gewesen, dass der Pkw ein Lagerfahrzeug sei. Das Fahrzeug habe nicht nur eine veraltete Batterie aufgewiesen. Vielmehr seien Dellen an der Verkleidung des Überrollbügels und im Teppichboden und übliche Gebrauchspuren wie Lackabschürfungen, Abschürfungen an den Sitzen sowie Kratzer an den Einstiegsleisten und Ähnliches vorhanden.
Die fehlende Fabrikneuheit – so macht die Klägerin geltend – rechtfertige eine Minderung des Kaufpreises um 5.000 €. Denn im Zeitpunkt des Kaufs habe die Beklagte einen Vorführwagen mit ähnlicher Ausstattung, der im Rahmen von Probefahrten 3.002 km zurückgelegt habe, für 47.490 € zum Kauf angeboten.
Die Beklagte ist der auf Zahlung von 5.000 € gerichteten Klage entgegengetreten und hat bestritten, dass der Pkw der Klägerin bei der Übergabe Dellen, Abschürfungen und Kratzer aufgewiesen habe. Das Fahrzeug sei – wie geschuldet – ein Neuwagen gewesen, da es bei der Übergabe an die Klägerin weder gebraucht noch beschädigt gewesen sei. Insbesondere seien mit dem – nicht zugelassenen – Pkw keine Probefahrten unternommen worden; dieser sei mithin auch kein Vorführfahrzeug gewesen. Im Verkaufsgespräch sei der Klägerin eingehend erklärt worden, dass es sich um ein Ausstellungsfahrzeug handele, und die Klägerin habe sich ungeachtet dessen für das Fahrzeug entschieden. Als Ausgleich für die Vorbenutzung als Ausstellungsfahrzeug habe die Klägerin einen ganz erheblichen Nachlass auf den Listenpreis erhalten.
Ein Minderungsrecht – so hat die Beklagte geltend gemacht – habe die Klägerin nicht. Jedenfalls aber sei sie – auch angesichts des bereits erfolgten Nachlasses – nicht in der geltend gemachten Höhe zur Minderung des Kaufpreises berechtigt. Bei dem von der Klägerin herangezogenen Vergleichsfahrzeug führten dessen Laufleistung und eine verkürzte Gewährleistungsfrist zu einem erheblich größeren Preisabschlag.
Die Klage hatte lediglich in Höhe von 1.000 € Erfolg.
Aus den Gründen: II. Die Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.000 € gemäß § 434 I 1, § 437 Nr. 2 Fall 2, § 441 BGB.
1. Die Parteien haben einen Kaufvertrag über ein bestimmtes Auto geschlossen. Bei Übergabe an die Klägerin hatte es nicht die vereinbarte Beschaffenheit, denn es war kein Neuwagen.
a) Zwischen den Parteien Ist unstreitig, dass ein Neuwagen geschuldet war. Diese Vereinbarung ergibt sich, ohne dass es hierauf noch ankommt, auch aus der schriftlichen Bestellung (Anlage K 1 zur Klageschrift), in der von „Neuwagen-Verkaufsbedingungen“ sowie von einer „Auslieferung des Neuwagens“ die Rede ist.
b) Die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagtenseite konnte vorliegend keinen Beweis dafür erbringen, dass zusätzlich im Verkaufsgespräch der Klägerin eingehend erklärt worden ist, dass es sich um ein Ausstellungsfahrzeug handele. Der hierfür von der Beklagtenseite angebotene Zeuge Z hat bei seiner Einvernahme erklärt, sich nicht mehr genau genug an das Verkaufsgespräch zu erinnern, um sagen zu können, welchen spezifischen Begriff er gegenüber der Klägerin verwendet habe.
Um die Art des Fahrzeugs zu beschreiben, hat der Zeuge bei seiner Einvernahme den Begriff „Bestandsfahrzeug“ benutzt und erläutert, dass er mit diesem Begriff meine, dass dies Fahrzeuge seien, die schon gebaut seien und in Niederlassungen entweder in Ausstellungen stehen oder darauf warten würden, dass sie in die Ausstellung kommen. Er habe der Klägerin erklärt, dass er nicht genau sagen könne, wie schnell das Fahrzeug zu ihr komme, denn wenn das Fahrzeug in der Ausstellung stehe, könne es etwas länger dauern, wenn es aber anderswo in der Filiale stehe, sei es schneller verfügbar und könne auch schneller überführt werden.
Diese Angaben des Zeugen stellen damit keinen Nachweis dafür dar, dass eingehend erklärt worden ist, dass konkret ein Ausstellungsfahrzeug vorliege. Vielmehr hat er nach seinen Angaben selbst nicht gewusst, ob es sich bei dem Bestandsfahrzeug um ein solches in einer Ausstellung oder ein anderweitig gelagertes Fahrzeug handele, und hat der Klägerin deshalb auch nicht sagen können, wie schnell es geliefert werden würde. Das Gericht hat keinerlei Zweifel an den Angaben des Zeugen, der bei seiner Aussage einen ruhigen, gewissenhaften und insgesamt glaubwürdigen Eindruck machte und dessen Angaben auch glaubhaft erschienen, indem sie etwa den Vortrag seines Arbeitgebers gerade nicht umfassend bestätigten.
Soweit die Klägerin nach Ende der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2021 mit Schriftsätzen vom 15.11. und vom 27.11.2021 noch zu verschiedenen Punkten der Zeugenaussage vorträgt, ist dieser Vortrag verspätet gemäß § 296a ZPO, soweit damit nicht nur eigene Rechtsauffassungen und Wertungen geschildert, sondern neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden.
Es bestand vorliegend auch kein Anlass zur Wiedereröffnung des Verfahrens. Denn entgegen dem klägerischen Vorbringen hat in der mündlichen Verhandlung am 05.11.2021 im Anschluss an die Vernehmung des Zeugen sowohl eine Erörterung des Ergebnisses der Beweisaufnahme (§ 279 III ZPO) als auch sodann eine Verhandlung der Parteien zur Sache (§ 285 II ZPO) stattgefunden; bei Letzterem haben die Parteien vorliegend insbesondere erneut Möglichkeiten zur gütlichen Streitbeilegung ausgelotet.
Beides ergibt sich auch aus dem Protokoll zur mündlichen Verhandllung vom 05.11.2021. Dort heißt es auf Seite 6:
„Das Ergebnis der Beweisaufnahme wird mit den Parteien erörtert.“
sowie
„Mit den Parteien wird nochmals die Möglichkeit eines Vergleichsschlusses erörtert. Eine gütliche Einigung kann derzeit noch nicht erreicht werden. Beide Parteien erklären aber ihre Bereitschaft, eventuell noch in der Zeit bis zu einem deswegen nach hinten verlegten Verkündungstermin möglicherweise noch einmal untereinander zu reden und die Möglichkeit eines Vergleichs auszuloten.“
Überdies erschiene eine Wiederaufnahme auch deswegen nicht veranlasst, weil es zum einen auf die Passagen der Zeugenaussage, auf die die Klägerin sich bezieht, für die Frage, ob ausdrücklich der Begriff „Ausstellungsfahrzeug“ verwendet wurde, nicht ankommt, und zum anderen, weil der Beweis durch die Beklagtenseite durch die Zeugenaussage gerade nicht geführt wurde.
c) Der gegenständliche Pkw war nach Wertung der hier konkret vorliegenden Umstände kein Neuwagen. Ein Fahrzeug ist dann ein Neuwagen, wenn es unbenutzt ist, das Modell des Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, es keine durch eine längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate liegen (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02 unter II 3). Diese konkrete Definition für die Fabrikneuheit von Fahrzeugen erscheint vorliegend gegenüber einer Heranziehung des hier deutlich weniger einschlägigen Urteils des OLG Düsseldorf zur Fabrikneuheit einer Schrankwand (OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.07.1991 – 22 U 33/91) vorzugswürdig.
aa) Vorliegend war der gegenständliche Wagen unstreitig bereits als Ausstellungsfahrzeug verwendet worden. Auch die Beklagtenseite spricht insoweit ausdrücklich von einer „Vorbenutzung als Ausstellungsfahrzeug“ (Schriftsatz vom 09.08.2021, S. 2). Das Gericht geht davon aus, dass ein „unbenutztes“ Kraftfahrzeug nicht nur bedeutet, dass es – wie hier – noch nicht zugelassen beziehungsweise noch nicht gefahren wurde, sondern dass auch eine anderweitige Benutzung des Fahrzeugs dazu führen kann, dass es nicht mehr als „unbenutzt“ im Sinne der Neuwagendefinition des BGH gilt. Bei Ausstellung eines Fahrzeugs in einer Niederlassung wird es jedenfalls von einer unbestimmten Anzahl von Personen innen und außen angefasst, Türen und Kofferraum werden vielfach geöffnet, es wird Probe gesessen, Sitze werden verstellt etc. Ein Ausstellungsfahrzeug in einer Niederlassung eines Automobilherstellers unterliegt somit einer wiederholten körperlichen Nutzung und ist daher nach Überzeugung des Gerichts nicht mehr ungenutzt.
bb) Zusätzlich war vorliegend unstreitig bei Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin die Autobatterie schadhaft. Zumindest ein erster Anschein spricht dafür, dass es sich hierbei um einen durch längere Standzeit bedingten Mangel im Sinne der oben aufgeführten Definition des BGH handelt. Eine endgültige Entscheidung hierüber ist vorliegend genauso wenig veranlasst wie eine Klärung der Frage, ob klägerseits behauptete, strittige weitere Gebrauchsspuren (Dellen, Abschürfungen und Kratzer) vorlagen, da es sich bereits nicht um ein „unbenutztes“ Fahrzeug handelt (s. oben) und die Klägerin ihren Minderungsanspruch ausdrücklich nicht auf behauptete weitere Schäden, sondern ausschließlich auf die fehlende Neuwagenbeschaffenheit stützt.
2. Da der Wagen nicht die vereinbarte Beschaffenheit hatte, war die Klägerin berechtigt, gemäß § 437 Nr. 2 Fall 2, § 441 BGB den Kaufpreis zu mindern. Ihr Schreiben vom 17.11.2019 an die Beklagte stellt die Ausübung dieses Gestaltungsrechts dar.
Die klägerische Bezifferung der Minderung im Gerichtsverfahren mit 5.000 € erscheint dem Gericht überhöht.
Bei der Minderung ist der Kaufpreis in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde; die Minderung ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln (§ 441 III BGB). Das Gericht schätzt vorliegend gemäß § 287 ZPO den Minderungsbetrag auf 1.000 €. Hierbei hat das Gericht zum einen eingestellt, dass die Vereinbarung „Neuwagen“ ein feststehender Begriff mit besonderer Relevanz beim Autokauf ist und dass es sich vorliegend um einen Vertrag über eine nicht unerhebliche Summe (54.604,10 €) handelt. Andererseits wurde eingestellt, dass bei Vertragsschluss bereits ein erheblicher Abschlag vom Listenpreis gewährt worden war und dass es sich vorliegend – anders als bei einem klägerseits als Vergleich herangezogenen, um 7.114,10 € günstigeren anderen Fahrzeug – lediglich um ein Ausstellungsfahrzeug, nicht um einen Vorführwagen handelte. Denn ein Vorführwagen zeichnet sich dadurch aus, dass er einem Händler zum Zwecke der Vorführung (Besichtigung und Probefahrt) gedient hat (vgl. BGH, Urt. v. 15.09.2010 – VIII ZR 61/09 Rn. 12). Dies ist hier nicht der Fall, da vorliegend keine Probefahrten mit dem Fahrzeug durchgeführt worden waren. Der streitgegenständliche Wagen war stattdessen vor Übergabe an die Klägerin unstreitig noch nicht zugelassen und noch von niemandem gefahren worden. Dies stellt nach Überzeugung des Gerichts eine ganz wesentliche Wertsteigerung gegenüber dem klägerseits als Vergleich herangezogenen Fahrzeug dar, das mit einer Kilometerleistung von 3.002 km zum Verkauf angeboten wurde.
Die Klageforderung war daher in Höhe von 1.000 € zuzusprechen und hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrags abzuweisen. …