- Das Verhalten eines Bieters auf der Internetplattform eBay ist rechtsmissbräuchlich, wenn es dem Bieter als „Abbruchjäger“ von vornherein nicht um den Erwerb der Waren, sondern allein darum geht, nach einer unberechtigt abgebrochenen Auktion Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 I, III, 281 I BGB) verlangen zu können. Abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss darauf zulassen, dass ein Bieter im Sinne eines rechtlich zu missbilligenden Verhaltens als „Abbruchjäger“ vorgeht, lassen sich indes nicht aufstellen. Es hängt vielmehr von einer dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ab, ob die jeweils vorliegenden Indizien den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen als „Abbruchjäger“ tragen.
- Ein Indiz dafür, dass ein Bieter rechtsmissbräuchlich als „Abbruchjäger“ vorgeht, kann vorliegen, wenn der Bieter nach einem unberechtigten Auktionsabbruch mit der Geltendmachung seiner Ansprüche zunächst in der Annahme zuwartet, der Verkäufer werde die Ware zwischenzeitlich anderweitig veräußern, um anschließend anstelle der – nun nicht mehr verfügbaren – Ware Schadensersatz verlangen zu können. Ein solches Verhalten kann insbesondere dann für einen Rechtsmissbrauch sprechen, wenn dem Bieter bekannt war, dass der Verkäufer die Ware unmittelbar nach dem Auktionsabbruch ein weiteres Mal bei eBay zum Kauf angeboten hat.
BGH, Beschluss vom 20.07.2021 – VIII ZR 91/19
Sachverhalt: Der Beklagte bot Mitte Juli 2014 auf der Internetplattform eBay ein Gebrauchtfahrzeug unter Vorgabe eines Startpreises von 1 € zum Kauf gegen Höchstgebot an. Am 16.07.2014 beendete er die Auktion vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger mit einem Betrag von 1.368 € Höchstbietender.
Nach den seinerzeit geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay kam ein Kaufvertrag mit dem Höchstbietenden auch bei vorzeitiger Beendigung einer Auktion zustande, es sei denn, der Anbieter war zur Rücknahme des Angebots „gesetzlich“ berechtigt.
Am 13.08.2014 forderte der Kläger den Beklagten unter Fristsetzung auf, ihm das Fahrzeug angebotene Fahrzeug gegen Zahlung von 1.368 € zu liefern. Dies lehnte der Beklagte ab und teilte mit, die Auktion sei vorzeitig beendet worden, weil sich das Fahrzeug nicht mehr in dem Zustand befunden habe, in dem es bei eBay eingestellt worden sei. Mit Schreiben vom 29.12.2015 trat der Kläger daraufhin von dem mit dem Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurück und forderte Schadensersatz, den er im Januar 2016 auch gerichtlich geltend machte.
Seine auf Zahlung von 3.500 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat in beiden Instanzen überwiegend Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat den Beklagten ausgehend davon, dass das angebotene Fahrzeug bei Abbruch der Auktion einen Wert von 4.150 € gehabt habe, zur Zahlung von 2.782 € nebst Zinsen verurteilt. Dabei hat es zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei zwar als sogenannter Abbruchjäger einzustufen, der bei seinen in größerem Umfang abgegebenen niedrigen Geboten darauf spekuliere, dass Verkäufer die Auktion ohne berechtigenden Grund im Sinne der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay abbrächen. Dieses Verhalten ziele darauf ab, die Ware entweder extrem günstig zu bekommen oder einen entsprechenden Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Es lägen aber keine besonderen Umstände vor, die diese dem „Abbruchjäger“ eigene Absicht im vorliegenden Fall rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig erscheinen ließen.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen wollen. Er hat das Rechtsmittel zurückgenommen, nachdem der VIII. Zivilsenat des BGH auf seine Absicht hingewiesen hatte, die Revision durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Aus den Gründen: [4] II. 1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 552a Satz 1, § 543 II 1 ZPO).
[5] Das Berufungsgericht hat die Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 543 II 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO) zugelassen, weil nicht geklärt sei, unter welchen Voraussetzungen das Schadensersatzbegehren eines „Abbruchjägers“ bei einer Internetauktion als rechtsmissbräuchlich einzustufen sei.
[6] Die Rechtsmissbräuchlichkeit eines Verhaltens ist aber einer allgemeinen Klärung regelmäßig nicht zugänglich, da es hierfür stets auf eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ankommt, wobei die Annahme eines Rechtsmissbrauchs auf besondere Einzelfälle beschränkt bleiben muss (BGH, Urt. v. 12.11.2014 – VIII ZR 42/14, NJW 2015, 548 Rn. 11; Urt. v. 27.04.1977 – IV ZR 143/76, BGHZ 68, 299, 304). Dementsprechend hat der Senat zwischenzeitlich in seinem – erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen – Urteil vom 22.05.2019 ausgeführt, dass sich abstrakte, verallgemeinerungsfähige Kriterien, die den zwingenden Schluss auf ein Vorgehen als „Abbruchjäger“ im Sinne einer rechtlich zu missbilligenden Verhaltensweise erlaubten, nicht aufstellen lassen (BGH, Urt. v. 22.05.2019 – VIII ZR 182/17, NJW 2019, 2475 Rn. 25). Darüber hinaus hat der Senat in dem genannten Urteil die Vorgehensweise eines bloßen „Schnäppchenjägers“, der lediglich gezielt die Chance wahrnimmt, Waren zu einem deutlich unter ihrem Marktwert liegenden Preis zu erwerben (vgl. auch Senat, Urt. v. 28.03.2012 – VIII ZR 244/10, NJW 2012, 2723 Rn. 20 f.; Urt. v. 12.11.2014 – VIII ZR 42/14, NJW 2015, 548 Rn. 10; Urt. v. 24.08.2016 – VIII ZR 100/15, BGHZ 211, 331 Rn. 43), von dem zu missbilligenden Verhalten eines „Abbruchjägers“ abgegrenzt und ausgeführt, die Annahme eines Rechtsmissbrauchs komme etwa dann in Betracht, wenn die Absicht eines Bieters von vornherein auf das Scheitern des Vertrags (durch Abbruch der Auktion) gerichtet ist, um daraufhin Schadensersatzansprüche geltend machen zu können (Senat, Urt. v. 22.05.2019 – VIII ZR 182/17, NJW 2019, 2475 Rn. 24).
[7] Für eine darüber hinausgehende abstrakte Klärung oder das Aufstellen von Leitlinien durch das Revisionsgericht fehlt es an einer tatsächlichen Grundlage (etwa in Gestalt typischer Fallgruppen). Es hängt vielmehr von der dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der konkreten Einzelfallumstände ab, ob die jeweils vorliegenden Indizien den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen als „Abbruchjäger“ tragen (s. wiederum Senat, Urt. v. 22.05.2019 – VIII ZR 182/17, NJW 2019, 2475 Rn. 25).
[8] 2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Der Beklagte kann – wovon das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht ausgegangen ist – dem Schadensersatzanspruch des Klägers nach §§ 280 I, III, 281 I BGB vorliegend den Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) nicht entgegenhalten.
[9] a) Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige und umfassende Prüfung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und muss auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben (BGH, Urt. v. 12.11.2014 – VIII ZR 42/14, NJW 2015, 548 Rn. 11; Urt. v. 27.04.1977 – IV ZR 143/76, BGHZ 68, 299, 304). Die Beurteilung, ob das Verhalten eines Bieters auf der Internetplattform eBay, der an einer Vielzahl von Auktionen teilgenommen hat, als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, ist dabei in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten. Sie kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Sachverhalt rechtsfehlerfrei festgestellt, alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt sowie den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat und ob seine Wertung gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senat, Urt. v. 22.05.2019 – VIII ZR 182/17, NJW 2019, 2475 Rn. 22; Urt. v. 15.03.2017 – VIII ZR 270/15, NJW 2017, 1474 Rn. 20; Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 154/14, BGHZ 204, 145 Rn. 16).
[10] b) Hieran gemessen gibt die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Schadensersatzverlangen des Klägers sei nicht rechtsmissbräuchlich, keine Veranlassung zu revisionsrechtlicher Beanstandung. Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Differenzierung zwischen einem bloßen „Schnäppchenjäger“ und einem „Abbruchjäger“ (teilweise) nicht nach denselben Kriterien wie der Senat in seiner erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Entscheidung vom 22.05.2019 – VIII ZR 182/17, NJW 2019, 2475 Rn. 24 – vorgenommen hat, ist unschädlich. Denn in der Sache hat das Berufungsgericht letztlich dieselbe Wertung zugrunde gelegt, indem es das bloße Ausnutzen der Chancen und Risiken einer Internetauktion (etwa durch die Abgabe einer Vielzahl von niedrigen Geboten) ohne hinzukommende besondere Umstände nicht hat ausreichen lassen, um ein Bieterverhalten in der Gesamtwürdigung als von der Rechtsordnung missbilligenswert einzustufen.
[11] c) Soweit die Revision demgegenüber geltend macht, die Gesamtwürdigung der vom Berufungsgericht festgestellten Indizien gebiete es, das Verhalten des Klägers als eine „rechtlich anstößige Abbruchjagd“ anzusehen, setzt sie lediglich ihre eigene Beurteilung an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts, zeigt aber einen Rechtsfehler nicht auf.
[12] So lässt die Vielzahl der vom Kläger in den der betreffenden Auktion vorangegangenen Monaten bei eBay auf diverse Gegenstände abgegebenen Gebote und die erhebliche Gesamtsumme der dabei gebotenen Geldbeträge keinen Rückschluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu, da eine solche Vorgehensweise in einer den Internetauktionen immanenten und nicht zu missbilligenden Weise darauf abzielt, im Ergebnis nur bei einer geringen Anzahl dieser Auktionen zu einem für den Bieter aufbringbaren „Schnäppchenpreis“ zum Zuge zu kommen (vgl. Senat, Urt. v. 22.05.2019 – VIII ZR 182/17, NJW 2019, 2475 Rn. 28 f.). Auch der Umstand, dass der Kläger für seine Gebote auf eBay zwei verschiedene Benutzerkonten verwendete, lässt einen Zusammenhang mit einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen als „Abbruchjäger“ nicht erkennen. Dass der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits mehrere Gerichtsverfahren wegen Schadensersatzes nach abgebrochenen eBay-Auktionen geführt hat, ist allein ebenfalls kein hinreichendes Indiz dafür, dass es dem Kläger in all diesen Fällen und insbesondere auch vorliegend von vornherein nicht um den Erwerb der Waren, sondern allein um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegangen wäre.
[13] Entgegen der Auffassung der Revision folgt ein fehlendes Erwerbsinteresse des Klägers an dem vom Beklagten angebotenen Fahrzeug auch nicht aus dem vom Berufungsgericht bei seiner Prüfung des Rechtsmissbrauchs nicht ausdrücklich benannten Umstand, dass der Kläger seinen Schadensersatzanspruch erst knapp 18 Monate nach dem Auktionsabbruch gerichtlich geltend gemacht hat. Zwar weist die Revision zu Recht darauf hin, dass es sich um ein Indiz für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen als „Abbruchjäger“ handeln kann, wenn ein Bieter nach einem unberechtigten Auktionsabbruch mit der Geltendmachung seiner Ansprüche zunächst in der Annahme zuwartet, der Verkäufer werde die Ware zwischenzeitlich anderweitig veräußern, um anschließend anstelle der (nun nicht mehr verfügbaren) Ware Schadensersatz verlangen zu können. Dies kann insbesondere dann für einen Rechtsmissbrauch sprechen, wenn dem Bieter – wie in dem Senatsurteil vom 24.08.2016 zugrunde liegenden Sachverhalt – bekannt war, dass der Verkäufer die Ware unmittelbar nach dem Auktionsabbruch ein weiteres Mal zum Verkauf bei eBay eingestellt hat (Senat, Urt. v. 24.08.2016 – VIII ZR 182/15, WM 2016, 2145 Rn. 11; s. auch Senat, Urt. v. 22.05.2019 – VIII ZR 182/17, NJW 2019, 2475 Rn. 33).
[14] Damit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Vielmehr hätte – worauf die Revisionserwiderung zutreffend hingewiesen hat – der Kläger, nachdem er den Beklagten unter Fristsetzung zur Lieferung des Fahrzeugs aufgefordert und der Beklagte dies ernsthaft und endgültig verweigert hatte (§ 281 II Fall 1 BGB), bereits im August 2014 zur Geltendmachung von Schadensersatz übergehen können. Insofern lässt das Zuwarten mit der gerichtlichen Geltendmachung bis Januar 2016 allein – aber auch in der Gesamtschau mit dem sonstigen Verhalten des Klägers – nicht darauf schließen, dass dieser das vom Beklagten angebotene Fahrzeug gar nicht erwerben, sondern – von vornherein – ausschließlich Schadensersatzansprüche infolge eines unberechtigten Auktionsabbruchs geltend machen wollte.