Die falsche Angabe der Laufleistung eines auf einer Internetplattform – hier: „autoscout24.de“ – zum Kauf angebotenen Gebrauchtwagens (2.040 km statt 204.032 km) ist irreführend i. S. von § 5 I 1, I 2 Nr. 1 UWG, wenn sie dazu führt, dass ein Algorithmus der Internetplattform das Angebot blickfangmäßig herausgestellt als „TOP ANGEBOT“ auszeichnet. Das gilt auch dann, wenn ein potenzieller Käufer den angegebenen Kilometerstand möglicherweise schon angesichts des verlangten Kaufpreises (hier: 1.100 €) nicht ernst nimmt oder durch ein in das Internetinserat eingebundenes Bild des Kilometerzählers über den wahren Kilometerstand des Fahrzeugs aufgeklärt wird.
OLG Köln, Beschluss vom 09.03.2020 – 6 W 25/20
Sachverhalt: Der Beklagte bot auf der Internetplattform „autoscout24.de“ einen Pkw VW Golf unter Angabe einer Laufleistung von 2.040 km für 1.100 € zum Kauf an. Das Angebot war vonseiten der Plattformbetreiberin (AutoScout24 GmbH) als „TOP ANGEBOT“ ausgewiesen. Tatsächlich betrug der Kilometerstand des in Rede stehenden Fahrzeugs 204.032. Dies ergab sich auch aus einem in das Angebot eingefügten Foto des Kilometerzählers.
Nachdem der auf Unterlassung in Anspruch genommene Beklagte gegenüber dem Kläger eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben und dem Kläger vorgerichtlich entstandene Kosten erstattet hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit insgesamt für erledigt erklärt. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO dem Kläger auferlegt. Es hat gemeint, dass dem Kläger mangels einer irreführenden geschäftlichen Handlung des Beklagten kein Unterlassungsanspruch zugestanden habe. Für die mit dem Internetinserat angesprochenen Verkehrskreise sei angesichts des Kaufpreises von 1.100 € erkennbar, dass die Angabe der Laufleistung (2.040 km) offensichtlich auf einem Eingabefehler beruhe. Diesbezüglich würden sie auch durch das Foto vom Kilometerzähler ausreichend aufgeklärt. Daran ändere die Auszeichnung als „TOP ANGEBOT“ nichts, weil die angesprochenen Verkehrskreise offensichtlich nicht von einem ernst gemeinten Angebot ausgingen.
Die sofortige Beschwerde des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Gründen: II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Nachdem beide Parteien das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war über die Verfahrenskosten nach § 91a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Im Regelfall kommt es für die Frage der Kostentragung darauf an, wer ohne die Erledigungserklärung nach dem bisherigen Sach- und Streitstand obsiegt hätte.
2. Vorliegend wäre der Beklagte ohne die Erledigungserklärungen nach dem bisherigen Sach- und Streitstand unterlegen. Denn dem Kläger stand ein Unterlassungsanspruch aus den §§ 3, 5 I 1, I 2 Nr. 1, § 8 I, III Nr. 3 UWG zu.
a) Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 I 1 und I 2 Nr. 1 UWG irreführend, wenn sie zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung enthält. Für die Beurteilung, ob eine geschäftliche Handlung irreführend ist, kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den maßgeblichen Verkehrskreisen hervorruft. Sie ist irreführend, wenn das Verständnis, das sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (vgl. BGH, Urt. v. 05.02.2015 – I ZR 136/13, GRUR 2015, 906 Rn. 18 m. w. Nachw. – TIP der Woche).
Die Frage, ob eine Angabe irreführend ist, richtet sich nach dem Verständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und verständigen Mitglieds des angesprochenen Verkehrskreises (BGH, Urt. v. 02.10.2003 – I ZR 150/01, BGHZ 156, 250, 252 f. – Marktführerschaft; Urt. v. 07.07.2005 – I ZR 253/02, GRUR 2005, 877, 879 – Werbung mit Testergebnis). Dabei muss sich die Irreführungsgefahr nicht bei der Gesamtheit des Verkehrs realisieren. Ausreichende, aber zugleich notwendige Voraussetzung ist vielmehr der Eintritt der Gefahr der Irreführung bei einem erheblichen Teil des von der Werbeaussage angesprochenen Verkehrskreises. Das ist im Wege einer Prognoseentscheidung anhand der normativ zu bewertenden Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BGH, Urt. v. 08.03.2012 – I ZR 202/10, GRUR 2012, 1053 Rn. 20 m. w. Nachw. – Marktführer Sport).
b) Adressaten der streitgegenständlichen Werbung sind (potenzielle) Kunden von Gebrauchtwagen. Zu diesen allgemeinen Verkehrskreisen gehört auch der zur Entscheidung berufene Senat, sodass der Senat die Verkehrsauffassung selbst beurteilen kann (vgl. BGH, Urt. v. 08.03.2012 – I ZR 202/10, GRUR 2012, 1053 Rn. 22 – Marktführer Sport).
c) Es kann dahingestellt bleiben, ob ein potenzieller Käufer, der die Angabe über den Kilometerstand im Text sieht, diese schon deshalb nicht ernst nimmt, weil ein Kaufpreis von 1.100 € bei einem Kilometerstand von nur 2.040 völlig abwegig ist und er darin sofort einen Fehler erkennen wird.
d) Weiter kann dahingestellt bleiben, ob derjenige, der die Diskrepanz nicht unmittelbar von sich aus erkennt, durch das Bild des Tachometers ausreichend darauf hingewiesen und aufgeklärt wird, dass der Kilometerstand tatsächlich 204.032 beträgt, und somit ein etwaiger Irrtum hinreichend und rechtzeitig aufgeklärt wird.
e) Denn der Kläger hat sich bereits in der Klageschrift auf einen weiteren Aspekt gestützt, der die Angabe von nur 2.040 km im Text unlauter erscheinen lässt, und das unabhängig davon, ob es sich bei der fehlerhaften Angabe um ein Versehen handelte oder diese auf einer bewussten Entscheidung beruhte. Die Kilometerstandsangabe im Text ist nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers neben dem Preis entscheidend für die Bewertung eines Angebots durch den Algorithmus der Internetplattform. Vor allem aus dem Verhältnis von Kilometerstand und Kaufpreis errechnet der Algorithmus danach die Günstigkeit und Wertigkeit eines Angebots, der dann mit einem blickfangmäßig hervorgehobenen Hinweis im entsprechenden Angebot unmittelbar rechts von der Preisangabe erscheint. Da unbestritten ist, dass die Bewertung als „TOP ANGEBOT“ neben dem Preis vor allem mit dem angegebenen Kilometerstand zusammenhängt, führte die fehlerhafte Angabe im Angebotstext zu einer Bewertung als „TOP ANGEBOT“, obwohl das Angebot wegen der hohen tatsächlichen Laufleistung tatsächlich nicht die Kriterien für ein „TOP ANGEBOT“ erfüllte. Auch das ist unstreitig geblieben.
f) Damit liegt eine blickfangmäßig hervorgehobene unwahre Bewertung vor, die nicht ausreichend aufgeklärt wird. Denn vor dem Hintergrund der blickfangmäßig hervorgehobenen Bewertung als „TOP ANGEBOT“ reicht zur Aufklärung nicht allein die nicht am Blickfang teilhabende wahre Kilometerangabe auf dem Foto des Tachometers. Dies gilt jedenfalls, solange ein Verbraucher nicht auch darüber aufgeklärt wird, dass sich die Bewertung als „TOP ANGEBOT“ maßgeblich am Kilometerstand und am Preis bemisst. Solange er nicht weiß, wie sich die Bewertung zusammensetzt, und er möglicherweise annimmt, dass auch noch andere Umstände eine maßgebliche Rolle spielen, wie etwa Vertrauenswürdigkeit des Verkäufers, Ausstattung des Fahrzeugs etc., das heißt solange Zweifel bestehen, ob das Siegel „TOP ANGEBOT“ weiterhin gültig ist, besteht eine Irreführungsgefahr i. S. des § 5 UWG. Aus dem Angebot selbst erfährt der Interessent, dass die Preisbewertung Aufschluss gibt über das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Angebots verglichen mit ähnlichen Fahrzeugmodellen, die innerhalb der letzten 14 Monate inseriert wurden. Die Marktpreis-Berechnung basiere auf einem intelligenten Algorithmus, in den über 10 Millionen Datensätze und mehr als 70 Kriterien einflössen. Generell werde von einem guten Fahrzeugzustand ausgegangen. Aus diesen Erläuterungen kann der Interessent nicht die Bedeutung des Kilometerstands für die Auszeichnung als „TOP ANGEBOT“ erkennen, sodass eine bloße Aufklärung über den tatsächlichen Kilometerstand nicht gleichzeitig und zwingend auch den Rückschluss auf eine fehlerhafte Vergabe der Auszeichnung „TOP ANGEBOT“ zulässt und damit der Interessent weiterhin von einem „TOP ANGEBOT“ ausgehen kann.
g) Bei einem als „TOP ANGEBOT“ ausgezeichneten Fahrzeug besteht auch die Gefahr, dass sich potenzielle Käufer näher mit dem Angebot beschäftigen und gegebenenfalls auch den Verkäufer kontaktieren, was zwar noch keine Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb des Wagens darstellt, aber eine damit unmittelbar zusammenhängende vorgelagerte Entscheidung und damit eine geschäftliche Entscheidung i. S. des § 5 I 1 UWG (vgl. Bornkamm/Feddersen in: KBF, UWG, 38. Aufl. § 5 Rn. 1.196 mwN).
h) Weiter steht der Umstand, dass die Bewertung als „TOP ANGEBOT“ nicht von dem Beklagten selbst vorgenommen worden ist, sondern auf einem Algorithmus der Plattform beruht, einem Unterlassungsanspruch nicht entgegen, weil es unstreitig geblieben ist, dass der Algorithmus auf die von den Anbietern zur Verfügung gestellten Daten, insbesondere auf den angegebenen Preis und den angegebenen Kilometerstand, zurückgreift und damit die Bewertung als „TOP ANGEBOT“ letztlich auf einer eigenen Handlung des Beklagten bzw. seines Mitarbeiters beruht und ihm damit als Teil seines Angebots zuzurechnen ist.
i) Da der Unterlassungsanspruch verschuldensunabhängig ist, kommt es auch nicht auf die Ursache der Falschangabe an. So oder so liegt eine Angabe vor, die zur Irreführung i. S. des § 5 UWG geeignet ist, sodass der Unterlassungsanspruch ursprünglich begründet war und erst durch die Erledigung unbegründet geworden ist. …