- Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen (hier: ein Audi Q3 2.0 TDI) ist i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB mangelhaft, da er nicht die Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Ein durchschnittlicher Neuwagenkäufer darf nämlich davon ausgehen, dass in dem von ihm erworbenen Fahrzeug keine Software zum Einsatz kommt, die erkennt, ob das Fahrzeug einen Emissionstest absolviert, und (nur) in diesem Fall für eine Verringerung des Stickoxidausstoßes sorgt.
- Eine Nachbesserung (§ 439 I Fall 2 BGB) eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagens durch die Installation eines Softwareupdates ist unmöglich. Denn zum einen kann ein Softwareupdate nicht dazu führen, dass das Fahrzeug die einschlägigen Emissionsgrenzwerte nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch beim regulären Betrieb im Straßenverkehr einhält. Hierfür bedürfte es vielmehr einer Hardwarelösung. Zum anderen verbliebe selbst dann, wenn sich der Mangel durch die Installation eines Softwareupdates beseitigen ließe, offensichtlich ein merkantiler Minderwert, nachdem der flächendeckende Betrug der Volkswagen AG zu einem erheblichen Vertrauensverlust gegenüber VW-Dieselmotoren geführt hat.
- Der Mangel, der einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagen anhaftet, wäre auch dann nicht geringfügig i. S. des § 323 V 2 BGB, wenn er sich durch die Installation eines Softwareupdates beseitigen ließe und diese mit einem Kostenaufwand von rund 100 € verbunden wäre. Das gilt schon deshalb, weil nicht lediglich auf die Kosten abgestellt werden kann, die für die tatsächliche Installation des Softwareupdates in einer VW-Vertragswerkstatt anfallen. Vielmehr muss auch der erhebliche Kostenaufwand berücksichtigt werden, der mit der Entwicklung des Softwareupdates verbunden war.
- Die zu erwartende Gesamtlaufleistung eines Audi Q3 2.0 TDI beträgt 250.000 km.
LG Heilbronn, Urteil vom 15.08.2017 – 9 O 111/16
Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten, einer Audi-Vertragshändlerin, auf der Grundlage einer Bestellung vom 20.01.2014 einen neuen Audi Q3 2.0 TDI zum Preis von 29.200 €. Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 02.02.2014 übergeben. Es ist mit einem EA189-Dieselmotor und einer Software ausgestattet, die erkennt, ob der Pkw auf einem Prüfstand einem Emissionstest absolviert oder ob er im realen Straßenverkehr betrieben wird. In einer Prüfsituation aktiviert die Software einen bestimmten Betriebsmodus („Modus 1“), in dem die Abgasrückführungsrate höher ist und deshalb der Stickoxid(NOX)-Ausstoß geringer ist als in dem Modus, in dem das Fahrzeug ansonsten betrieben wird („Modus 0“).
Der Kläger erklärte deshalb mit Anwaltsschreiben vom 22.07.2016 die Anfechtung und den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, ihm bis zum 05.08.2016 den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw zurückzuzahlen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 22.07.2016 mit, dass sein Fahrzeug technisch sicher und fahrbereit sei, und erklärte einen bis zum 31.12.2017 befristeten Verjährungsverzicht.
Die zuletzt im Wesentlichen auf Zahlung von 29.200 € nebst Zinsen gerichtete Klage hatte größtenteils Erfolg.
Aus den Gründen: Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 22.156,96 € aus §§ 346 I, 437 Nr. 2 Fall 1, 440, 323 BGB.
Das erworbene Fahrzeug war bei Übergabe mit einem Sachmangel behaftet, da es nicht die Beschaffenheit aufwies, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten konnte (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB).
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Fahrzeug mit einer Umschaltsoftware ausgestattet ist, die die Abgasrückführung in zwei verschiedenen Modi betreibt, je nachdem, ob es sich auf dem Prüfstand (Modus 1) oder im realen Fahrbetrieb (Modus 0) befindet. Die mithilfe dieser Vorrichtung auf dem Prüfstand erzielten Abgaswerte weichen damit nicht nur deshalb von denjenigen im realen Fahrbetrieb ab, weil der durchgeführte Fahrzyklus nicht dem realen Fahrbetrieb entspricht, sondern weil die Abgasrückführungsrate im Prüfbetriebsmodus (Modus 1) höher ist als auf der Straße (Modus 0).
Der Zweck der vom Kläger beanstandeten Vorrichtung besteht einzig darin, niedrigere Abgaswerte vorzutäuschen. Mit einer solchen Umschaltsoftware versehene Fahrzeuge sind – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht vorschriftsmäßig.
Das Vorhandensein der Umschaltsoftware im System des erworbenen Fahrzeugs stellt eine negative Abweichung von der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Fahrzeuge dar. Der Durchschnittskäufer eines Neufahrzeugs darf objektiv erwarten, dass in dem von ihm erworbenen Fahrzeug eine solche, auf Täuschung der zuständigen Kontrollinstanzen angelegte und vorschriftswidrige Vorrichtung nicht vorhanden ist. Beworben wurden die Fahrzeuge vom Hersteller mit den Abgaswerten, die sie im Testbetrieb (Modus 1) erreicht hatten. Dieses ist eine Beschaffenheitsgarantie i. S. des § 434 I 3 BGB, da auch der Beklagten diese Werte bekannt waren. Beim Käufer wurde dadurch nicht nur der Eindruck erweckt, dass diese Fahrzeuge im Realbetrieb zumindest ähnliche Werte erreichen, es wurde vor allem der Eindruck erweckt, die Motoren dieser Fahrzeuge würden im Realbetrieb betreffend die Abgasreinigung genau so betrieben wie im Testbetrieb. Dass dem nicht so war, ist eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit.
Die Genehmigung des Softwareupdates durch das Kraftfahrt-Bundesamt ist offensichtlich auch politisch motiviert und dient dem Schutz eines systemrelevanten Motorenherstellers (VW-Konzern). Sie besagt gerade nichts darüber, ob das Fahrzeug nach dem Softwareupdate die beim Verkauf zugesagte Beschaffenheit erreicht. Zur Überzeugung des Gerichts ist das auch nicht der Fall, wie ein einfaches Gedankenexperiment zeigt:
Die Ingenieure der Motorenentwicklung hätten, wenn sie durch das jetzige Update die Möglichkeit gesehen hätten, die zugesagten Abgaswerte zu erreichen, dieses Update gleich bei der Produktion des Motors eingebaut – sie hätten sich also die Entwicklung und Programmierung des Modus 0 schlicht erspart und die Fahrzeuge im Modus 1 hergestellt und ausgeliefert. Dass jemand zusätzlichen Aufwand betreibt, um das zu erreichen, was er ohne vorherigen Aufwand bereits hatte, ist in der auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Automobilbranche nicht vorstellbar. Es wurde vielmehr „geschummelt“, um den Test zu bestehen, sodann das Fahrzeug mit den bei einem korrekten Test nicht erreichbaren Abgaswerten beworben und damit auch mit dieser – nicht erreichbaren – Beschaffenheit verkauft. Um diese Unkorrektheit bei Nachprüfungen zu verheimlichen, wurde weiter entschieden, diese „Schummelsoftware“ in alle Fahrzeuge einzubauen und nicht nur in die Fahrzeuge, die offiziell getestet wurden. Genau dieses System kann nur als flächendeckendes Betrugssystem bewertet werden, das zu einem so erheblichen Vertrauensverlust gegenüber Dieselmotoren des Herstellers VW führt, dass ein nicht nachbesserbarer merkantiler Minderwert nach den Gesetzen des freien Marktes offensichtlich gegeben ist. Die betroffenen Fahrzeuge sind auf dem Gebrauchtwagenmarkt nur mit erheblichem Abschlag zu veräußern. Das tief sitzende Misstrauen der Kunden zeigt sich insbesondere in den rückläufigen Zulassungszahlen für neue Dieselfahrzeuge, obwohl diese der Euro-6-Norm entsprechen sollen. Dieses hat negative Auswirkung auf die Preisentwicklung der gebrauchten Euro-5-Diesel wie dem streitgegenständlichen. Nach einem Bericht der Zeitschrift „Der Spiegel“ in der Ausgabe vom 05.08.2017 (dort S. 15) sind die Preise für gebrauchte Dieselfahrzeuge um bis zu 25 % gefallen und sind die Zulassungszahlen für Dieselfahrzeuge im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13 % gesunken. Ergänzend wird auf die umfangreichen und im Internet zugänglichen Untersuchungen des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen zu diesem Thema verwiesen.
Zudem gelten Dieselmotoren seit dem Abgasskandal als Sündenböcke insbesondere für die Feinstaubbelastung. Gemäß Presseberichten erwägen zumindest die Städte München und Stuttgart Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die auch die Euro-5-Norm nach dem Softwareupdate treffen werden. Ob das auch geschehen wäre, wenn die Motoren des Typs EA189 deutschlandweit den Abgaswerten nahe gekommen wären, die sie im Testmodus 1 erreicht haben, und dieses einen zusätzlichen Rücktrittsgrund darstellt, mag der BGH entscheiden.
Einer Aufforderung zur Nachbesserung bedurfte es demzufolge nicht, da der Schaden des merkantilen Minderwerts hierdurch nicht zu beseitigen ist.
Vielleicht wird sich sogar in der Automobilindustrie die Erkenntnis durchsetzen, dass lediglich eine Hardwarelösung zumindest bei den Euro-5-Fahrzeugen, kostenmäßig derzeit diskutiert zwischen 1.500 € bis 2.000 €, den erforderlichen Schritt für eine umweltgerechte Lösung bringen wird.
Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, die Pflichtverletzung sei unerheblich, weil die Kosten der Nachbesserung für das Fahrzeug des Klägers lediglich circa 100 € betragen würden. Es greift bereits zu kurz, lediglich auf den bloßen Aufwand der Fachwerkstatt abzustellen, der im Rahmen der tatsächlichen Nachbesserungsarbeiten entsteht. Dies ließe zu Unrecht den ganz erheblichen und kostenträchtigen Aufwand zur Entwicklung der Nachbesserungsmaßnahmen unberücksichtigt, der bei dem Hersteller des Motors (und wahrscheinlich auch dem Hersteller der verwendeten Software) entstanden ist, und vermag den eingetretenen merkantilen Minderwert des Fahrzeugs nicht zu beseitigen.
Der vom Kläger erklärte Rücktritt ist wirksam.
Nach allem steht dem Kläger in der Rechtsfolge seines erklärten Rücktritts gemäß § 346 I BGB die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen als Wertersatz (§ 346 II 1 Nr. 1 BGB) zu, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Der Nutzungsersatz wird bei Neufahrzeugen ermittelt, indem der Bruttokaufpreis mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und das Ergebnis durch die Gesamtlaufleistung geteilt wird (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl., Rn. 1166 m. w. Nachw.; LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 83/16, unter Bezug auf OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2008 – I-1 U 152/07, NJW-RR 2008, 1199, und LG Hamburg, Urt. v. 16.11.2016 – 301 O 96/16).
Die Gesamtfahrleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs schätzt das Gericht in Übereinstimmung mit den Schätzungen auch in den oben zitierten Entscheidungen für andere Fahrzeuge mit dem Motor EA189 auf 250.000 km. Die Laufleistung des Fahrzeugs betrug zum Schluss der mündlichen Verhandlung unbestritten 60.300 km. Es errechnet sich somit ein Nutzungsvorteil von 7.043,04 €
$$\left({\frac{\text{29.200 €}\times\text{60.300 km}}{\text{250.000 km}}}\right),$$
der von dem Kaufpreis abzuziehen ist. Hiernach steht dem Kläger ein Betrag von (29.200 € − 7.043,04 € =) 22.156,96 € zu.
Diesen, oder einen anderen Nutzungsvorteil hätte die Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Klageeinreichung anhand der damals gefahrenen Kilometer ermitteln und vom geforderten Zahlbetrag abziehen können; der antragsgemäß geltend gemachte Abzug Zug-um-Zug genügte nicht, zumal es nicht Aufgabe der Beklagten war, diese Nutzungsvergütung zu ermitteln. Nutzer des Fahrzeugs war der Kläger; nur ihm standen damit die erforderlichen Daten zur Verfügung. Soweit deshalb von diesem Kaufpreis eine Nutzungsentschädigung in Abzug gebracht wird, ist der Kläger unterlegen und die Klage im Übrigen abzuweisen.
Der Feststellungsantrag … ist zulässig und begründet. Der Kläger hat der Beklagten das Fahrzeug im Rücktrittschreiben durch Aufforderung zur Zahlung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs angeboten (§§ 293, 295 BGB).
Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind von der Beklagten nicht zu erstatten. Sie werden geltend gemacht für eine vorgerichtliche Tätigkeit in einer Zeit, in der seitens der Beklagten noch kein Verzug bestand. Dieser trat erst ein nach Ablauf der Frist im Schreiben vom 22.07.2016, in welchem der Rücktritt erklärt wurde. Mangels Verzug bei Entstehung der Kosten ist die Klage auch insoweit abzuweisen. …