Dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen und deshalb möglicherweise mangelhaften Neuwagens ist eine Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) selbst dann nicht i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB unzumutbar, wenn Verkäuferin des Fahrzeugs die Volkswagen AG ist und man annimmt, dass diese den Käufer arglistig getäuscht habe. Denn es fehlt aufseiten des Käufers an einem die Unzumutbarkeit der Nachbesserung begründenden Vertrauensverlust, weil die Volkswagen AG vom VW-Abgasskandal betroffene Fahrzeuge in enger Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-Bundesamt und damit unter staatlicher Aufsicht nachbessert, sodass eine ordnungsgemäße Nachbesserung gewährleistet ist.
LG Hagen, Urteil vom 07.10.2016 – 9 O 58/16
Sachverhalt: Der Kläger bestellte bei der beklagten Volkswagen AG am 27.01.2015 einen Neuwagen (VW Tiguan 2.0 TDI BMT Sport & Style). Das Fahrzeug wurde ihm am 08.04.2015 übergeben, nachdem die Beklagte dem Kläger am 29.03.2015 einen Kaufpreis in Höhe von 46.852,87 € in Rechnung gestellt hatte.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.10.2015 verlangte der Kläger als Nacherfüllung die Lieferung eines mangelfreien VW Tiguan, weil das ihm gelieferte Fahrzeug vom VW-Abgasskandal betroffen ist. Er ließ die Beklagte auffordern, sich bis zum 30.10.2015 zu einer Ersatzlieferung bereit zu erklären; sollte dies nicht geschehen, werde er – der Kläger – vom Kaufvertrag zurücktreten. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 25.11.2015, dass sie das Fahrzeug des Klägers nicht zurücknehmen werde, weil es sicher und fahrbereit sei und uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt werden könne. Fahrzeuge, die wie der VW Tiguan des Klägers mit einem EA189-Dieselmotor ausgestattet seien, würden nach Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt auf ihre – der Beklagten – Kosten eine „technische Lösung“ erhalten. Im Übrigen erklärte die Beklagte, dass sie bis zum 31.12.2016 darauf verzichte, die Einrede der Verjährung zu erheben, soweit mögliche Ansprüche des Klägers im Zusammenhang mit der in seinem Fahrzeug zum Einsatz kommenden Software noch nicht verjährt seien.
Der Kläger erklärte daraufhin mit Anwaltsschreiben vom 20.01.2016 den Rücktritt vom Kaufvertrag. Er forderte die Beklagte unter Fristsetzung auf, an ihn 43.418,55 € Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu zahlen und ihm außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.514,95 € zu ersetzen. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 03.02.2016, dass der Kläger sein Fahrzeug nicht zurückgeben könne.
Der Kläger meint, ein Kfz-Käufer könne erwarten, dass die Stickoxidemissionen des Fahrzeugs im regulären Straßenverkehr nicht wesentlich höher seien als auf dem Prüfstand. Bei seinem Fahrzeug, so behauptet der Kläger, erkenne indes eine Software, ob sich der VW Tiguan auf einem Prüfstand befinde. Sei dies der Fall, dann sorge die Software – eine nach Auffassung des Klägers unzulässige Abschalteinrichtung – für eine Verringerung des Stickoxidausstoßes. Damit sei das streitgegenständliche Fahrzeug mangelhaft, weil es keine Beschaffenheit aufweise, die bei einem Neuwagen üblich sei und die der Käufer deshalb erwarten könne (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB).
Eine Frist zur Nachbesserung habe er – der Kläger – der Beklagten schon deshalb nicht setzen müssen, weil die Beklagte seinerzeit zu einer Nachbesserung überhaupt nicht in der Lage gewesen sei. Abgesehen davon lasse sich der Mangel, der dem streitgegenständlichen Fahrzeug anhafte, nicht durch die von der Beklagten (jetzt) vorgesehene Installation eines Softwareupdates beseitigen.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückgewähr des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
1. Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus § 346 I BGB i. V. mit §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 440, 323 BGB.
a) Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob das gekaufte Fahrzeug mangelhaft i. S. des § 434 I BGB ist. Denn selbst wenn man unterstellt, dass ein Mangel jedenfalls insoweit besteht, als dem Fahrzeug i. S. des § 434 I 3 BGB eine Eigenschaft, die der Kläger nach den öffentlichen Äußerungen der Beklagten erwarten konnte, fehlt, weil sich aus der Beschreibung des Fahrzeugs eine bestimmte Schadstoffklasse ergibt, deren Emissionswerte nicht eingehalten werden, bestünde kein Anspruch des Klägers.
b) Es fehlt nämlich an einer wirksamen Setzung einer Frist zur Nacherfüllung, die gemäß § 323 I BGB aber Voraussetzung für einen Rücktritt ist.
Mit Schreiben vom 19.10.2015 hat der Kläger zwar eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt, er hat allerdings ausschließlich die Lieferung einer mangelfreien Sache und nicht die Beseitigung des Mangels begehrt.
Die begehrte Nachlieferung war aber i. S. des § 275 I BGB unmöglich. Es handelt sich vorliegend nämlich um einen sogenannten Gattungskauf. Bei einem Gattungskauf ist Gegenstand des Kaufvertrags der Parteien die Lieferung eines Kraftfahrzeugs als Gattungsschuld, nicht aber als Stückschuld (Speziesschuld). Eine Gattungsschuld ist in der Regel anzunehmen, wenn ein nicht vorrätiges Fahrzeug beim Händler bestellt wird. Eine Stückschuld liegt dagegen vor, wenn ein konkretes Fahrzeug ab Lager, ein Ausstellungsfahrzeug oder ein „nach Maß“ zu produzierendes Fahrzeug gekauft wird (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.03.1995 – 13 U 34/94, BeckRS 1995, 04651).
Vorliegend wurde das zu einem festgelegten Zeitpunkt zu liefernde Fahrzeug in der schriftlichen Neuwagenbestellung aber nicht individuell bestimmt, sondern nach generellen Merkmalen beschrieben. Das Gericht schließt sich auch insoweit der Auffassung des OLG Düsseldorf an, dass bei dieser Beurteilung die auch im vorliegenden Fall erfolgte Aufzählung einiger als Sonderausstattung gewünschter Zubehörteile dieser Einschätzung nicht entgegensteht. Durch die Angabe der Sondersausstattung wird kein "nach Maß" zu produzierendes Fahrzeug bestellt, sondern festgelegt, welche besonderen Eigenschaften der aus einer vorgegebenen Gattung zu leistende Kaufgegenstand aufweisen soll.
Bei einem Gattungskauf erlischt der Anspruch auf Nachlieferung aber, wenn die gesamte Gattung untergegangen ist und nicht mehr hergestellt wird. Es dürfte unstreitig sein, dass Automodelle mit dem streitgegenständlichen Motortyp nicht mehr gebaut werden. Soweit noch Auslaufmodelle vorhanden sind, wären diese von der Abgasproblematik ebenfalls betroffen und daher keine Fahrzeuge in einem mangelfreien Zustand. Ein Fahrzeug aus der neuen Modellreihe kann der Käufer nicht verlangen, weil es nicht zur geschuldeten Gattung gehört (vgl. Steenbuck, MDR 2016, 185 [187]).
c) Es liegt keiner der Fälle vor, in denen die Fristsetzung zur Nacherfüllung entbehrlich ist:
Die als Nacherfüllung hier allein infrage kommende Nachbesserung des Fahrzeugs durch die Beklagte ist für den Kläger nicht unzumutbar i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB.
Die Unzumutbarkeit ist im Bezug auf den Käufer zu prüfen. Sie kann sich aus der Art des Mangels oder aus anderen tatsächlichen Umständen ergeben. Solche Umstände wären hinsichtlich der Person des Verkäufers etwa Unzuverlässigkeit, eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl. [2016], § 440 Rn. 8).
Die Art des Mangels führt nicht zu einer Unzumutbarkeit im vorgenannten Sinne. Der erhöhte Abgasausstoß führt im gewöhnlichen Fahrbetrieb nämlich zu keinerlei funktioneller Beeinträchtigung in der Nutzung des Fahrzeugs. Insbesondere verfügt das Fahrzeug nach wie vor über alle erforderlichen Genehmigungen zur Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr.
Eine Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass eine Nacherfüllung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp nicht innerhalb einer überschaubaren Frist angeboten wird. Das Gericht schließt sich insoweit der Auffassung des LG Paderborn im Urteil vom 17.05.2016 – 2 O 381/15 – an, wonach gegen die Unzumutbarkeit unter diesem Gesichtspunkt spricht, dass das Fahrzeug ohne spürbare Beeinträchtigungen weiter genutzt werden kann und erhebliche, über die bloße Zeitspanne bis zur tatsächlichen Vornahme der Nachbesserungsarbeiten hinausgehende Unannehmlichkeiten oder sonstige Nachteile, die mit der angebotenen Nacherfüllung durch die Beklagte einhergehen, nicht ersichtlich sind und auch im vorliegenden Fall von dem Kläger jedenfalls nicht hinreichend substanziiert vorgetragen worden sind. Auch im vorliegenden Fall hat die Beklagte im Schreiben vom 19.10.2015 auf die Einrede der Verjährung verzichtet.
Die Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht aus der behaupteten arglistigen Täuschung.
Auch insoweit ist dem LG Paderborn zu folgen, wonach im Hinblick auf die erforderliche Wissenszurechnung substanziiert dazu vorgetragen werden muss, wann welche verantwortlichen Personen im Konzern Kenntnis von dem Einsatz der Software hatten.
Darüber hinaus ist auch die weitere Einschätzung überzeugend, wonach hier ein Verlust der Vertrauensgrundlage aufseiten des getäuschten Käufers, der Grund für den Wegfall der Nacherfüllungsmöglichkeit des Verkäufers in diesen Fällen ist, nicht angenommen werden kann, weil besondere Umstände vorliegen, die eine ordnungsgemäße Nachbesserung erwarten lassen. Das LG Paderborn weist zu Recht darauf hin, dass die Nachbesserungsarbeiten der Beklagten in enger Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-Bundesamt und damit unter staatlicher Aufsicht erfolgen und in diesem Zusammenhang das Kraftfahrt-Bundesamt und die Beklagte einen übergeordneten Maßnahmenplan vereinbart sowie darauf aufbauend konkrete Umsetzungsvereinbarungen getroffen haben, um die Nachbesserungsarbeiten an den betroffenen Fahrzeugen zu gewährleisten.
Die Fristsetzung zur Nacherfüllung ist hier auch nicht gemäß § 323 II Nr. 3 BGB entbehrlich. Zwar kann das arglistige Verschweigen eines Mangels durch den Verkäufer einen besonderen Umstand im Sinne dieser Norm darstellen, der einen sofortigen Rücktritt rechtfertigt (vgl. nur BGH, Beschl. v. 08.12.2006 – V ZR 249/05, NJW 2007, 835 Rn. 12 ff.; Urt. v. 09.01.2008 – VIII ZR 210/06, NJW 2008, 1371 Rn. 16 ff.). Im vorliegenden Fall sind aber – wie oben ausgeführt – zum einen die Voraussetzungen der Arglist nicht ausreichend dargetan. Zum anderen fehlt es – wie ebenfalls oben ausgeführt – an dem notwendigen Verlust der Vertrauensgrundlage.
Der Kläger hat nicht ausreichend dargetan, dass die von der Beklagten beabsichtigte Nachbesserung nicht zu einer Mängelbeseitigung führen werde. Es sind keine ausreichenden Anhaltspunkte vorgetragen worden, aus denen sich ergibt, dass die beabsichtigte Nachbesserung erfolglos verlaufen wird.
Ob der Rücktritt wegen einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nach § 323 V 2 BGB ausgeschlossen ist, kann dahingestellt bleiben.
2. Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
II. Ein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen aus §§ 280 I, II, 286 I, 288 I 2 BGB besteht nicht, da es an der notwendigen Hauptforderung fehlt. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten als Verzugsschaden. …