1. Dass „die Volks­wa­gen AG“ den Käu­fer ei­nes vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nen Fahr­zeugs arg­lis­tig über des­sen Schad­stoff­emis­sio­nen ge­täuscht hat, setzt vor­aus, dass we­nigs­tens ein Mit­glied ih­res Vor­stands Kennt­nis von der Ent­wick­lung und der Ver­wen­dung der die Schad­stoff­emis­sio­nen ma­ni­pu­lie­ren­den Soft­ware hat­te. Die sub­stan­zi­ier­te Dar­le­gung, dass die­se Vor­aus­set­zung er­füllt ist, ge­hört zur Schlüs­sig­keit ei­nes Kla­ge­vor­trags.
  2. Ein VW-Ver­trags­händ­ler, der in der Rechts­form ei­ner GmbH im ei­ge­nen Na­men und auf ei­ge­ne Rech­nung Fahr­zeu­ge ver­kauft, oh­ne mit der Volks­wa­gen AG ge­sell­schafts­recht­lich oder per­so­nell ver­floch­ten zu sein, muss sich ein et­wa arg­lis­ti­ges Ver­hal­ten der Volks­wa­gen AG im Zu­sam­men­hang mit dem VW-Ab­gas­skan­dal nicht zu­rech­nen las­sen. Denn als Fahr­zeug­her­stel­le­rin ist die Volks­wa­gen AG nicht Ge­hil­fin des Ver­trags­händ­lers bei der Er­fül­lung von Ver­käu­fer­pflich­ten, son­dern Drit­te i. S. von § 123 II 1 BGB.

LG Bam­berg, Ur­teil vom 22.07.2016 – 11 O 62/16

Sach­ver­halt: Die Klä­ge­rin nimmt die Be­klag­te im Zu­sam­men­hang mit dem im Sep­tem­ber 2015 be­kannt ge­wor­de­nen VW-Ab­gas­skan­dal auf Rück­ab­wick­lung ei­nes Kfz-Kauf­ver­tra­ges in An­spruch.

Sie kauf­te von der Be­klag­ten mit Ver­trag vom 03.06.2011 ei­nen ge­brauch­ten VW Golf Plus mit ei­ner Lauf­leis­tung von 8.923 km zum Preis von 18.500 €. In dem An­ge­bot der Be­klag­ten, das dem Kauf­ver­trag zu­grun­de lag, heißt es un­ter „Aus­stat­tung“ un­ter an­de­rem: „Ab­gas­kon­zept EU5“.

Das Fahr­zeug der Klä­ge­rin ist mit ei­nem EA189-Die­sel­mo­tor aus­ge­stat­tet und des­halb vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fen. In dem Fahr­zeug kommt ei­ne Soft­ware zum Ein­satz, die sei­nen Stick­oxid(NOX)-Aus­stoß op­ti­miert, so­bald der Pkw auf ei­nem Prüf­stand ei­nen Emis­si­ons­test ab­sol­viert. Von die­ser Ma­ni­pu­la­ti­on hat­te die Klä­ge­rin bei Ab­schluss des Kauf­ver­tra­ges kei­ne Kennt­nis.

Die Be­klag­te ist ei­ne VW-Ver­trags­händ­le­rin mit meh­re­ren Stand­or­ten in Ober­fran­ken. Der Ver­trieb von Fahr­zeu­gen er­folgt im ei­ge­nen Na­men und auf ei­ge­ne Rech­nung. Die Be­klag­te und die Volks­wa­gen AG sind recht­lich un­ab­hän­gi­ge ju­ris­ti­sche Per­so­nen. Auf der In­ter­net­sei­te der Be­klag­ten be­fin­den sich un­ter an­de­rem das Lo­go des VW-Kon­zerns und Links auf des­sen In­ter­net­sei­te. Zu den Nie­der­las­sun­gen der Be­klag­ten ge­hört ei­ne von ihr so be­zeich­ne­te „VW-Ver­kaufs­stel­le B.“ Auf der In­ter­net­sei­te der Be­klag­ten heißt es un­ter an­de­rem, die Be­klag­te sei „Ihr kom­pe­ten­ter Part­ner für Volks­wa­gen“, und ihr „Volks­wa­gen-Au­to­haus“ sei „ei­ne of­fi­zi­el­le Ver­kaufs­stel­le des Volks­wa­gen Zen­trum B.“ Die Ein­rich­tung der Ver­kaufs­stel­le B. ist nach den Vor­ga­ben der Volks­wa­gen AG ge­stal­tet und weist un­ter an­de­rem ein pro­mi­nent sicht­ba­res VW-Lo­go über dem Ein­gangs­be­reich auf.

Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 12.10.2015 er­klär­te die Klä­ge­rin ge­gen­über der Be­klag­ten die An­fech­tung we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung. Sie be­haup­tet, das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug hal­te die ein­schlä­gi­gen Eu­ro-5-Emis­si­ons­grenz­wer­te zwar auf dem Prüf­stand, aber nicht beim re­gu­lä­ren Be­trieb im Stra­ßen­ver­kehr ein, weil in ei­ner Test­si­tua­ti­on ei­ne Soft­ware ei­ne Re­du­zie­rung der Schad­stoff­emis­sio­nen be­wir­ke. Dies sei der Fahr­zeug­her­stel­le­rin, der Volks­wa­gen AG, bei Ab­schluss des streit­ge­gen­ständ­li­chen Kauf­ver­tra­ges be­kannt ge­we­sen. Des­halb – so meint die Klä­ge­rin – ha­be die Volks­wa­gen AG sie arg­lis­tig ge­täuscht, und die­se Täu­schung müs­se sich die Be­klag­te, die zu der Volks­wa­gen AG in ei­nem be­son­de­ren Ver­trau­ens- und Nä­he­ver­hält­nis ste­he, zu­rech­nen las­sen. Die Volks­wa­gen AG sei näm­lich im Ver­hält­nis zur Be­klag­ten nicht Drit­ter i. S. von § 123 II BGB. Viel­mehr ha­be die Be­klag­te durch ihr Auf­tre­ten nach au­ßen den Rechts­schein ge­setzt, dass sie zur Volks­wa­gen AG ge­hö­re.

Die Kla­ge hat­te kei­nen Er­folg.

Aus den Grün­den: I. … Ein An­fech­tungs­recht der Klä­ge­rin nach § 123 I BGB be­steht nicht.

1. Die Klä­ge­rin hat ei­ne arg­lis­ti­ge Täu­schung durch die Volks­wa­gen AG nicht schlüs­sig vor­ge­tra­gen.

Arg­list i. S. des § 123 I BGB er­for­dert zu­min­dest be­ding­ten Vor­satz. Die Wis­sens­zu­rech­nung er­folgt über § 166 I BGB (Pa­landt/El­len­ber­ger, BGB, 75. Aufl. [2016], § 166 Rn. 3). Bei ju­ris­ti­schen Per­so­nen kommt es in­so­weit auf die ver­tre­tungs­be­rech­tig­ten Or­ga­ne an (vgl. Be­ckOK-BGB/Schä­fer, Stand: 01.05.2016, § 166 Rn. 15; MünchKomm-BGB/Schu­bert, 7. Aufl. [2015], § 166 Rn. 8 ff.), bei ei­ner Ak­ti­en­ge­sell­schaft al­so auf den Vor­stand (§ 78 I AktG). Das Wis­sen schon ei­nes Mit­glieds des in der An­ge­le­gen­heit ver­tre­tungs­be­rech­tig­ten Or­gans ist das Wis­sen der Ge­sell­schaft (BGH, Urt. v. 06.04.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 [287] = NJW 1964, 1367).

Die Klä­ge­rin hat in­des nicht sub­stan­zi­iert dar­ge­legt, dass der Vor­stand der Volks­wa­gen AG bzw. ei­nes sei­ner Mit­glie­der Kennt­nis von der ver­bau­ten Ma­ni­pu­la­ti­ons­soft­ware hat­te. Die pau­scha­le Be­haup­tung, „die Volks­wa­gen AG“ (Schrift­satz vom 29.06.2016, S. 6) ha­be hin­sicht­lich der Ab­gas­wer­te ge­täuscht, ge­nügt nicht. Schon des­halb war die Kla­ge ab­zu­wei­sen (vgl. auch LG Mün­chen II, Urt. v. 05.07.2016 – 14 O 404/16).

2. Selbst wenn die Klä­ge­rin ei­ne der Volks­wa­gen AG zu­re­chen­ba­re Täu­schung sub­stan­zi­iert vor­tra­gen und nach­wei­sen könn­te, müss­te sich die Be­klag­te dies nicht ent­ge­gen­hal­ten las­sen. Die Volks­wa­gen AG ist im Ver­hält­nis zur Be­klag­ten Drit­ter i. S. von § 123 II BGB.

a) All­ge­mein kann der­je­ni­ge nicht als un­be­tei­lig­ter Drit­ter an­ge­se­hen wer­den, des­sen Ver­hal­ten dem des Er­klä­rungs­emp­fän­gers we­gen be­son­ders en­ger Be­zie­hun­gen zwi­schen bei­den oder we­gen sons­ti­ger be­son­de­rer Um­stän­de bil­li­ger­wei­se gleich­zu­set­zen ist. Drit­ter ist mit­hin nicht, wer im La­ger des Er­klä­rungs­emp­fän­gers steht und als des­sen Ver­trau­ens­per­son er­scheint, so­fern dies dem Er­klä­rungs­emp­fän­ger zu­re­chen­bar ist (vgl. MünchKomm-BGB/Arm­brüs­ter, 7. Aufl. [2015], § 123 Rn. 64; Be­ckOK-BGB/Wendt­land, Stand: 01.05.2016, § 123 Rn. 22). Die Vor­schrift des § 123 II BGB ist eng aus­zu­le­gen, so­dass im Zwei­fel von ei­ner An­fecht­bar­keit aus­zu­ge­hen ist (MünchKomm-BGB/Arm­brüs­ter, a. a. O., § 123 Rn. 65).

b) In Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur wird die Ab­gren­zung re­gel­mä­ßig ein­zel­fall­be­zo­gen vor­ge­nom­men. Auf die Auf­lis­tun­gen bei MünchKomm-BGB/Arm­brüs­ter, a. a. O., § 123 Rn. 66 ff., und bei Stau­din­ger/Sin­ger, BGB, Neu­be­arb. 2012, § 123 Rn. 51 ff., wird ver­wie­sen. Kei­ner der dort dis­ku­tier­ten Fäl­le ist hier ex­akt ein­schlä­gig.

Greift man auf die über­ge­ord­ne­ten all­ge­mei­nen Grund­sät­ze zu­rück, kommt ei­ne Zu­rech­nung des Han­delns der Volks­wa­gen AG auf die Be­klag­te nicht in Be­tracht. Die Volks­wa­gen AG war in kei­ner Wei­se am Zu­stan­de­kom­men des streit­ge­gen­ständ­li­chen Kauf­ver­trags be­tei­ligt und konn­te dar­auf kei­nen Ein­fluss neh­men. Die Be­klag­te han­del­te im ei­ge­nen Na­men und auf ei­ge­ne Rech­nung. Die Volks­wa­gen AG und die Be­klag­te sind recht­lich un­ab­hän­gi­ge ju­ris­ti­sche Per­so­nen oh­ne ge­sell­schafts­recht­li­che oder per­so­nel­le Ver­flech­tun­gen. Die Volks­wa­gen AG als Her­stel­ler ist nicht Er­fül­lungs­ge­hil­fe (§ 278 BGB) der Be­klag­ten als Ver­käu­fer. Al­lein der Um­stand, dass die Be­klag­te VW-Ver­trags­händ­le­rin ist, be­grün­det kein be­son­de­res Ver­trau­ens- und Nä­he­ver­hält­nis: Her­stel­ler und Händ­ler ver­fol­gen nicht per se gleich­lau­fen­de Ge­winn­in­ter­es­sen in Be­zug auf das Ver­kaufs­ge­schäft mit dem End­kun­den. Die Be­klag­te ist der Wirt­schafts­stu­fe des Her­stel­lers nicht wie ein Han­dels­ver­tre­ter oder Funk­ti­ons­agent funk­tio­nal zu­ge­ord­net, son­dern steht als selbst­stän­di­ges Ab­satz­or­gan auf ei­ner an­de­ren Wirt­schafts­stu­fe. Die Volks­wa­gen AG ist nicht be­rech­tigt, für die Be­klag­te Ver­trä­ge an­zu­bah­nen oder Ver­hand­lun­gen zu füh­ren. Sie ist da­mit grund­sätz­lich Drit­ter i. S. von § 123 II BGB (vgl. MünchKomm-BGB/Arm­brüs­ter, a. a. O., § 123 Rn. 67).

c) Ei­ne Zu­rech­nung un­ter Bil­lig­keits- oder Rechts­scheins­ge­sichts­punk­ten schei­det eben­falls aus: Die Be­klag­te hat in kei­ner Wei­se den An­schein er­weckt, dass die Volks­wa­gen AG die Klä­ge­rin über of­fen­ba­rungs­pflich­ti­ge Tat­sa­chen auf­klä­ren wer­de oder dass sie selbst zum Volks­wa­gen-Kon­zern ge­hö­re.

Die Volks­wa­gen AG hat­te mit dem kon­kre­ten Ver­trags­schluss er­kenn­bar nichts zu tun. Auch wenn die Be­klag­te die Ein­rich­tung ih­rer Ver­kaufs­stel­le B. nach Vor­ga­ben der Volks­wa­gen AG ge­stal­tet und über dem Ein­gangs­be­reich ein pro­mi­nent sicht­ba­res VW-Lo­go an­ge­bracht hat so­wie auf ih­rer In­ter­net­sei­te das VW-Lo­go, Web­links auf die Her­stel­ler­home­page und For­mu­lie­run­gen wie „Ihr kom­pe­ten­ter Part­ner für Volks­wa­gen“ und „of­fi­zi­el­le Ver­kaufs­stel­le des Volks­wa­gen Zen­trum B.“ ver­wen­det, be­grün­det dies mit­nich­ten ei­nen ent­spre­chen­den Rechts­schein.

Auf dem Be­stell­for­mu­lar ist als Ver­käu­fe­rin aus­drück­lich die M-GmbH an­ge­ge­ben. Der ge­sam­te Auf­tritt der Be­klag­ten – zu­min­dest im Zeit­punkt der münd­li­chen Ver­hand­lung; zur Si­tua­ti­on im Jahr 2011 feh­len kon­kre­te An­ga­ben – ist ein­deu­tig der ei­nes selbst­stän­di­gen Ver­trags­händ­lers, nicht der ei­ner werks­ei­ge­nen Nie­der­las­sung. Dies er­gibt sich schon aus der ste­ti­gen Ver­wen­dung der Fir­men­be­zeich­nung M, die die Home­page der Be­klag­ten do­mi­niert, und dar­aus, dass de­ren Lo­go … so­wohl an der Fas­sa­de der Ver­kaufs­stel­le B. als auch auf der In­ter­net­sei­te min­des­tens eben­so pro­mi­nent prangt wie das VW-Lo­go. Im Üb­ri­gen ent­hält die Home­page der Be­klag­ten un­ter „Phi­lo­so­phie und Leit­bild“ In­for­ma­tio­nen zur Ge­schich­te des Un­ter­neh­mens, aus de­nen zu er­se­hen ist, dass Al­lein­ge­sell­schaf­te­rin der Be­klag­ten die N-Al­ten­stif­tung ist. Vor die­sem Hin­ter­grund er­scheint die An­nah­me, es han­de­le sich bei der Be­klag­ten um ei­ne Kon­zern­toch­ter der Volks­wa­gen AG, vom ob­jek­ti­ven Emp­fän­ger­ho­ri­zont eher fern­lie­gend, zu­mal in Krei­sen durch­schnitt­li­cher Kfz-Käu­fer all­ge­mein be­kannt sein dürf­te, dass Ver­trags­händ­ler – auch wenn sie be­stimm­ten Wei­sungs­rech­ten des Her­stel­lers un­ter­wor­fen sind und be­stimm­te Stan­dards er­fül­len müs­sen – de­fi­ni­ti­ons­ge­mäß selbst­stän­di­ge Ge­wer­be­trei­ben­de und nicht mit dem Her­stel­ler wirt­schaft­lich iden­tisch sind.

So­weit die Klä­ge­rin sich auf ein Ur­teil des LG Mün­chen I vom 14.04.2016 – 23 O 23033/15 – be­zieht, ist der Sach­ver­halt nicht ver­gleich­bar. Die dor­ti­ge Be­klag­te war näm­lich über Be­tei­li­gun­gen tat­säch­lich mit der Volks­wa­gen AG ver­bun­den und warb in ih­rem In­ter­net­auf­tritt un­ter der Über­schrift „Ge­mein­sa­me Wur­zeln" wie folgt:

„Seit 1. März 2011 ist die [Be­klag­te] ei­ne 100 %-Toch­ter der Volks­wa­gen AG und so­mit Teil des er­folg­reichs­ten eu­ro­päi­schen Au­to­mo­bil­her­stel­lers.“ (LG Mün­chen I, Urt. v. 14.04.2016 – 23 O 23033/15, ju­ris Rn. 2, 24 ff.).

So liegt der Fall hier ge­ra­de nicht. …

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