Nach einem wirksamen Rücktritt vom Kaufvertrag sind die gegenseitigen Rückgewährpflichten entgegen der herrschenden Meinung nicht einheitlich an dem Ort zu erfüllen, an dem sich die Kaufsache vertragsgemäß befindet. Vielmehr muss der Erfüllungsort für jede Rückgewährpflicht gesondert bestimmt werden. Dies hat zur Folge, dass der Käufer eine Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises – auch mit Blick auf § 29 I ZPO – in der Regel bei dem für den Wohn- bzw. Geschäftssitz des Verkäufers zuständigen Gericht erheben muss.
LG München I, Beschluss vom 27.05.2016 – 31 O 4974/16
Sachverhalt: Der Kläger, der seinen Wohnsitz im Bezirk des LG München I hat, hat den Rücktritt von einem mit dem Beklagten geschlossenen Kfz-Kaufvertrag erklärt. Gestützt darauf verlangt er von dem Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs.
Das LG München I hat sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das LG Bielefeld verwiesen.
Aus den Gründen: Der Kläger ist der Ansicht, dass beim LG München I ein gemeinsamer Erfüllungsort und somit auch ein Gerichtsstand besteht. Er beruft sich hierzu auf die herrschende Meinung, wonach dieser an demjenigen Ort ist, wo sich der Kaufgegenstand – nach beiderseitiger Erfüllung des Kaufvertrags – vertragsgemäß befindet, also in der Regel am Wohn- bzw. Geschäftssitz des Käufers (vgl. z. B. Palandt/Grüneberg, 75. Aufl. [2016], § 269 Rn. 16).
Diese Ansicht ist jedoch nicht überzeugend.
So ist die „streitige Verpflichtung“, auf welche es nach § 29 ZPO zur Bestimmung des Gerichtsstands ankommt, vorliegend die geltend gemachte Zahlungsverpflichtung, welche als Geldschuld grundsätzlich am Sitz der Beklagten zu erfüllen ist (vgl. §§ 269, 270 BGB). Hieran ändert die Tatsache nichts, dass diese Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs zu erfolgen hat. Es handelt sich hierbei lediglich um eine bloße Modalität der eingeklagten Zahlungsverpflichtung als zwangsläufige gesetzliche Folge eines wirksamen Rücktritts (vgl. § 348 BGB). Das Interesse des Klägers besteht hierbei primär am Erhalt des Geldes und nicht an der Rückgabe der Kaufsache.
Dem steht von daher auch die (ältere) Entscheidung des BGH vom 09.03.1983 – VIII ZR 11/82 – nicht entgegen (ebenso LG Stralsund, Beschl. v. 13.10.2011 – 6 O 211/11). Denn dort ging es vorwiegend um die Frage, wer die nach vollzogener Wandelung entstandenen Kosten für den Rücktransport zu tragen hat bzw. wo sich der Erfüllungsort für die Rückgabe- bzw. Rücknahmeverpflichtung befindet. Zwar hat der BGH darin die diesbezügliche herrschende Meinung dargestellt, sich jedoch dazu nicht eindeutig geäußert, sondern betont, dass man zum selben Ergebnis kommen würde, würde man von einem für die Käufer- und die Verkäuferverpflichtungen unterschiedlichen Erfüllungsort ausgehen. Weil es somit im Fall des BGH auf die vorliegende Streitfrage nicht ankam, kann diese Entscheidung auch nicht als Bejahung dieser Frage gewertet werden (Stöber, NJW 2006, 2661 [2662]).
Ergänzend wird zur Begründung der hier vertretenen Ansicht Bezug genommen auf die überzeugenden und eingehenden Ausführungen folgender Gerichtsentscheidungen: LG Stralsund, Beschl. v. 13.10.2011 – 6 O 211/11; LG Tübingen, Urt. v. 17.09.2015 – 5 O 68/15; LG Krefeld, Beschl. v. 27.07.1977 – 2 O 262/77; AG Hechingen, Urt. v. 02.02.2012 – 2 C 463/11; sowie auf die Ausführungen von Stöber, NJW 2006, 2661 ff. (vgl. auch BeckOK-BGB/Lorenz, Stand: 01.11.2015, § 269 Rn. 33).
Auch der BGH hat in seiner Entscheidung vom 09.03.1995 – IX ZR 134/94 – Folgendes festgestellt:
„Durch die Zug-um-Zug-Vereinbarung haben die Parteien für die Verpflichtung zur Zahlung der Bürgschaftssumme und diejenige zur Abtretung der Grundschuld ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis geschaffen. Das hat jedoch im Grundsatz keinen Einfluss auf den Leistungsort. Auch bei gegenseitigen Verträgen muss grundsätzlich der Leistungsort für jede Verpflichtung gesondert bestimmt werden; er ist daher nicht notwendig einheitlich … Die Rechtsprechung auch des BGH hat zwar bei bestimmten Vertragstypen einen einheitlichen Erfüllungsort von Leistung und Gegenleistung angenommen … Dabei handelt es sich aber überwiegend um Werk- oder Dienstverträge. Sie sind durch die an einem bestimmten Ort zu erbringende Werk- oder Dienstleistung geprägt; deshalb ist es dort gerechtfertigt, diesen Ort als gemeinsamen Erfüllungsort für Leistung und Gegenleistung anzusehen. Das lässt sich auf den Bürgschaftsvertrag nicht übertragen. Bei ihm steht die Zahlungspflicht des Bürgen im Vordergrund … Diese ist eine Schickschuld, bei der der Leistungsort beim Schuldner liegt, der Leistungserfolg dagegen beim Gläubiger eintritt (§ 270 BGB). Das weist auf keinen dieser Orte als einheitlichen Vertragsmittelpunkt hin.“
Das LG Stralsund (Beschl. v. 13.10.2011 – 6 O 211/11) weist zudem auf die in den letzten Jahren generell festzustellende Tendenz des BGH hin, sich bei der Erfüllungsorts- und Gerichtsstandsbestimmung auf die gesetzliche Ausgangsregel des § 269 I BGB zurück zu besinnen und im Zweifel – unter Aufgabe älterer Entscheidungen – einem einheitlichen Gerichtsstand je nach Vertragstypus zu verneinen, so z. B. für die Klage auf Zahlung des Anwalthonorars (vgl. BGH, Urt. v. 11.11.2003 – X ARZ 91/03; hierzu auch Stöber, NJW 2006, 2661 [2663]). Da sich der BGH in dieser Entscheidung nicht zu der hier vorliegenden Frage äußert, kann jedenfalls nicht festgestellt werden, dass bzw. ob der BGH an der oben genannten Entscheidung vom 09.03.1995 weiterhin festhält, sofern man diese überhaupt als Bestätigung der herrschenden Meinung ansehen will (vgl. oben).
Das OLG München schließt sich in der, vom Kläger genannten Entscheidung vom 13.01.2014 – 19 U 3721/13 – zwar der herrschenden Meinung an. Sofern es zur Begründung jedoch insbesondere anführt, dass es dem mutmaßlichen Willen der Parteien entspricht, den Ort der vertragsmäßigen Belegenheit der Kaufsache als einheitlichen Leistungsort nicht nur für die Rücknahmeverpflichtung, sondern auch für den Kaufpreisrückgewähranspruch anzusehen, da der Käufer möglichst so gestellt werden müsse, als ob er den Vertrag nicht geschlossen hätte, wird damit lediglich der mutmaßliche Wille des Käufers dargelegt und berücksichtigt, nicht jedoch derjenige des Verkäufers. Dessen mutmaßlicher Wille hingegen dürfte nämlich dahin gehen, an seinem Wohnsitz verklagt zu werden bzw. dort die Rückzahlungsverpflichtung mittels Banküberweisung zu tätigen und nicht etwa das Geld dem Käufer in bar zu überbringen (vgl. Prechtel, NJW 1999, 3617: Geldschuld als Schickschuld gem. §§ 270 IV 1, 269 I BGB). Auch wenn man davon ausgeht, dass der Erfüllungsort für die Rückgabe der Kaufsache grundsätzlich am Sitz des Käufers liegt, lässt sich somit ein (gemeinsamer) „mutmaßlicher Wille“ des Verkäufers dahin gehend, dass deshalb auch dort die Rückzahlung zu tätigen ist und er – als Konsequenz hieraus (§ 29 ZPO) – diesbezüglich auch im dortigen Gerichtsstand gegebenenfalls verklagt werden kann, nicht begründen und stellt lediglich eine bloße Fiktion dar.
Das Bayerische Oberste Landesgericht verweist im Beschluss vom 09.01.2004 – 1Z AR 140/03 – lediglich auf die herrschende Meinung, insbesondere auf die Entscheidung des BGH vom 09.03.1983 – VIII ZR 11/82. Eine eigenständige Begründung bzw. Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Ansicht enthält diese Entscheidung indes nicht, sondern erachtet diese „so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden kann“. Da diese eher apodiktische Feststellung aus den oben genannten Gründen nicht nachvollziehbar ist, wird der Verweisungsbeschluss nach § 281 I 1 ZPO als zwingend erachtet.
Ergänzend sei hierzu noch angeführt, dass ein Gericht bei der Auslegung und Anwendung von Normen einer vorherrschenden Meinung nicht zu folgen braucht.
„Es ist selbst dann nicht gehindert, eine eigene Rechtsauffassung zu vertreten und seinen Entscheidungen zugrunde zu legen, wenn alle anderen Gerichte – auch die im Rechtszug übergeordneten – den gegenteiligen Standpunkt einnehmen. Die Rechtspflege ist wegen der Unabhängigkeit der Richter konstitutionell uneinheitlich“ (BVerfG, Beschl. v. 03.11.1992 – 1 BvR 1243/88).