Ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug, das erkennt, dass es sich auf einem Rollenprüfstand befindet, und in dieser Prüfungssituation die Abgasaufbereitung optimiert, während im normalen Fahrbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb sind, ist zwar mangelhaft. Dieser – behebbare – Mangel berechtigt den Käufer jedoch nach § 323 V 2 BGB nicht zum Rücktritt, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand lediglich 100 € und damit nur etwa 0,26 % des Kaufpreises beträgt.
LG Bochum, Urteil vom 16.03.2016 – I-2 O 425/15
Sachverhalt: Am 16.06.2014 bestellte der Kläger bei der beklagten Kfz-Händlerin verbindlich einen VW Tiguan zum Preis von 37.827 €. Das Fahrzeug, das mit einem TDI-Dieselmotor (VW EA189) ausgestattet ist, wurde am 04.08.2014 auf den Kläger zugelassen und ihm am selben Tag übergeben.
Bestandteil der Abgasbehandlung bei Dieselfahrzeugen ist die Abgasrückführung, die kein Teil der Abgasreinigungsanlage ist. Während des Verbrennungsprozesses wird eine Mischung aus Luft und Kraftstoff verbrannt. Aus der Reaktion von Stickstoff und Sauerstoff entstehen Stickoxide. Diese werden bei der Abgasrückführung aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet, um einen Teil der Frischluft zu ersetzen. Während dieses Vorgangs verlassen die rückgeführten Gase den Motor nicht. Dabei entscheidet eine „Umschaltlogik“ darüber, welcher von zwei verschiedenen Abgasrückführungsmodi zur Anwendung kommt. Bei Modus 1 kommt es zu einer relativ hohen Abgasrückführungsrate, während die Abgasrückführungsrate beim Modus 0 geringer ist. Unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben. Der Modus 1 findet dagegen ausschließlich im Prüfstandsverfahren Anwendung.
Im September 2015 informierte die US-amerikanische Environmental Protection Agency die Öffentlichkeit darüber, dass sie der Volkswagen AG, der AUDI AG und der Volkswagen Group of America, Inc. vorwerfe, in verschiedenen Diesel-Pkw eine Software eingesetzt zu haben, die erkenne, wenn das Fahrzeug einem offiziellen Emissionstest unterzogen werde, und nur dann das volle Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs aktiviere. In Deutschland hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) über zwei Millionen VW-Markenfahrzeuge zurückgerufen und Volkswagen „auferlegt, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen … Der am 07.10.2015 durch VW vorgelegte Maßnahmenplan findet in der Anordnung Berücksichtigung“ (KBA-Pressemitteilung vom 16.10.2015). Hiervon wird auch das Fahrzeug des Klägers betroffen sein. Wann dies konkret der Fall sein wird, ist dem Kläger noch nicht mitgeteilt worden. Bis heute verfügt das Fahrzeug des Klägers noch über sämtliche erforderlichen Genehmigungen, und insbesondere ist die EG-Typengenehmigung weiterhin unverändert wirksam, sodass er es uneingeschränkt nutzen darf.
Mit Anwaltsschreiben vom 14.10.2015 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte – vergeblich – auf, einer Rückabwicklung zuzustimmen. Entsprechend der Laufleistung seines Fahrzeugs (14.600 km) lässt er sich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 3.700 € anrechnen. Mit Schreiben vom 15.10.2015 teilte die Beklagte mit, dass der Hersteller „die technischen Maßnahmen zur Beseitigung der fehlerhaften Software“ zurzeit mit Hochdruck erarbeite und dass es Ziel des Herstellers sei, dass „trotz der Korrektur der Software keine Fahrverhaltensveränderungen am Fahrzeug hervorgerufen werden“.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Dem Kläger steht – derzeit – kein Anspruch auf Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Beklagten zu. Zwar ist das von ihm erworbene Fahrzeug mangelhaft. Dieser Mangel ist jedoch nicht so erheblich, dass er einen … Rücktritt begründen könnte.
Das vom Kläger erworbene Fahrzeug ist mangelhaft.
Auch nach den Darlegungen der Beklagten ist darin eine Umschaltlogik verbaut, die dafür sorgt, dass das Fahrzeug im Prüfstandsbetrieb andere Emissionswerte vortäuscht, als es im normalen Straßenverkehr einhalten kann. Dies hat nichts mit dem Unterschied zwischen dem synthetischem Prüfstandsbetrieb und Alltagsbetrieb zu tun. Selbstverständlich unterscheiden sich die Emissionswerte im Alltagsbetrieb eines Fahrzeugs von denen in einem synthetischen Prüfzyklus. Das ergibt sich schon daraus, dass sie von einer Vielzahl von Faktoren wie Fahrverhalten, Verkehrsfluss usw. abhängig sind, die im Prüfzyklus nur standardisiert stattfinden. Dennoch besteht bei einem die Prüfstandswerte nicht manipulierenden Fahrzeug die Gewähr dafür, dass die Vermeidung schädlicher Emissionen im Straßenverkehr mit derselben Effektivität wie auf dem Prüfstand erfolgt. Dies ist bei dem klägerischen Pkw jedoch nicht der Fall. Hier sorgt eine technische Vorrichtung dafür, dass im Prüfstandsbetrieb eine Abgasreinigung vorgetäuscht wird, die im Alltagsbetrieb schon grundsätzlich nicht stattfindet. Dabei ist entgegen der Ansicht der Beklagten unerheblich, ob dies durch Manipulationen der Abgasrückführung oder Abschaltung des Emissionskontrollsystems erfolgt. Welche technischen Maßnahmen der Fahrzeughersteller gewählt hat, um in unzulässiger Weise bessere Emissionswerte vorzutäuschen, ist ohne Belang. Ebenso ist unerheblich, ob man diese Software als „Schummelsoftware“ bezeichnet oder nicht.
Ein Rücktritt des Klägers ist jedoch gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen, da die Pflichtverletzung der Beklagten unerheblich ist.
Im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung gemäß § 323 V 2 BGB ist eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Im Rahmen dieser umfassenden Interessenabwägung ist bei behebbaren Mängeln grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung abzustellen (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290). Hier ist nach derzeitigem Erkenntnisstand der Mangel behebbar. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat dem von der Volkswagen AG vorgelegten Maßnahmenplan zugestimmt, sodass nach Durchführung der festgelegten Maßnahmen nach Einschätzung des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Beseitigung des Mangels erfolgt sein wird.
Von einer Geringfügigkeit eines behebbaren Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ist nach dem BGH in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13, BGHZ 201, 290). Bei einem Mangelbeseitigungsaufwand von nur knapp 1 % des Kaufpreises liegt dieser ohne Zweifel unterhalb der Bagatellgrenze (BGH, Urt. v. 14.09.2005 – VIII ZR 363/04, juris Rn. 43). Bei dem Fahrzeug des Klägers wird die Mängelbeseitigung nach Behauptung der Beklagten einen Kostenaufwand von ca. 0,26 % des Kaufpreises des Pkw verursachen und liegt damit unterhalb der regelmäßig zu beachtenden Bagatellgrenze.
Für eine Abweichung vom Regelfall besteht hier keine Veranlassung. Erhebliche Umstände hierfür hat der Kläger nicht dargetan. Zwar hat er die Höhe der Mängelbeseitigungskosten bestritten. Dies erfolgte jedoch ins Blaue hinein und ist daher unbeachtlich. Der Kläger hat nichts dafür vorgetragen, warum das Einspielen eines Softwareupdates, so wie dies mit dem Kraftfahrt-Bundesmt abgestimmt ist, höhere Kosten als 100 € verursachen soll. Selbst wenn man zu den Kosten der Einspielung der Software noch anteilige Entwicklungskosten des Updates hinzurechnen würde, so ist plausibel und nachvollziehbar, dass auch dann die Mängelbeseitigungskosten nicht mehr als 100 € betragen, da die Entwicklungskosten auf mehr als zwei Millionen betroffene Fahrzeuge umzulegen sind.
Ferner ist im Rahmen der Pflichtverletzung, die die Beklagte gemäß § 323 V 2 BGB treffen muss, zu berücksichtigen, dass sie selbst davon abhängig ist, welche Nachbesserungsmaßnahmen seitens des Herstellers des Fahrzeugs angeboten werden. Sie kann daher erst nacherfüllen, sobald der Fahrzeughersteller geeignete Mittel hierzu zur Verfügung stellt. Dies ist mittlerweile der Fall. Es ist dem Kläger zuzumuten, die Durchführung der mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmten Mängelbeseitigungsmaßnahmen abzuwarten. In der Zwischenzeit kann er sein Fahrzeug uneingeschränkt nutzen. Dass er während der Nutzung seines Fahrzeugs der Umwelt einen höheren Schaden zufügt, als er es beim Kauf des Fahrzeugs erwartete, verärgert ihn zu Recht, beruht aber nicht auf einem Verschulden der Beklagten, sondern der Volkswagen AG. Die Beklagte hat die Manipulationen ebenso wenig zu vertreten wie der Kläger.
Auch aus dem Umstand, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Nachbesserung solcher Fahrzeuge wie dem des Klägers angeordnet hat, folgt nicht, dass der Mangel erheblich wäre. Eher kann daraus abgeleitet werden, dass er nicht so erheblich ist, dass die Typengenehmigung der betroffenen Fahrzeuge sofort zu widerrufen gewesen wäre. Gerade aus der Tatsache, dass das Kraftfahrt-Bundesamt der Volkswagen AG die Möglichkeit einräumt, den Mangel nachzubessern, folgt, dass die Durchführung dieser Nachbesserungsmaßnahme dem einzelnen Fahrzeugkäufer zumutbar ist.
Auch dass – wie der Kläger behauptet – die Typengenehmigung für sein Fahrzeug vom Kraftfahrt-Bundesamt hätte entzogen werden können, macht den Mangel nicht zu einem erheblichen, denn die Typenzulassung ist gerade nicht entzogen worden, was ebenfalls eher für eine Unerheblichkeit des Mangels spricht.
Der Vortrag des Klägers hinsichtlich der Wertminderung seines Fahrzeugs und der Verkaufsbemühungen ist unsubstanziiert. Er trägt keinerlei konkrete Verkaufsbemühungen vor. Es ist derzeit unmöglich festzustellen, ob es nach Durchführung der geplanten Maßnahmen zu einer dauerhaften Wertminderung des klägerischen Pkw kommen wird. Auf die fehlende Substanziierung seines Vortrags wurde der Kläger durch Schriftsatz vom 23.02.16 der Beklagten hingewiesen, sodass es keines weiteren gerichtlichen Hinweises bedurfte.
Die Durchführung der Nacherfüllung ist dem Kläger zuzumuten. Sein lediglich pauschaler abweichender Vortrag steht dem nicht entgegen. Einer früheren Information über den Mangel seines Fahrzeugs durch die Beklagte bedurfte es nicht, da er sein Fahrzeug uneingeschränkt nutzen kann und deswegen eine erhebliche Verletzung einer Informationspflicht durch die Beklagte, wollte man sie als vertragliche Nebenpflicht annehmen, nicht erkennbar ist.
Da der Kläger nicht berechtigt ist, vom Kaufvertrag zurückzutreten, stehen ihm auch die weiter geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht zu …
Für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung besteht keine Veranlassung. Die Voraussetzungen des § 156 II ZPO liegen ersichtlich nicht vor, und eine Wiedereröffnung gemäß § 156 I ZPO ist nicht geboten. In dem weiteren Sachvortrag vertieft der Kläger, im Wesentlichen gestützt auf Berichterstattung aus dem amerikanischen Raum, seinen Vortrag zu einem Minderwert des klägerischen Fahrzeugs. Ob und inwieweit dies auf den deutschen Rechts- und Marktraum übertragen werden kann, ist rein spekulativ.