- Nach gefestigter Rechtsprechung ist ein Kaufvertrag über eine bewegliche Sache nach einem Rücktritt, einer Anfechtung oder einem Widerruf dort rückabzuwickeln, wo sich die Kaufsache im Zeitpunkt des Rücktritts, der Anfechtung oder des Widerrufs vertragsgemäß befindet („Austauschort“). Dieser einheitliche Erfüllungsort ist in der Regel der Ort, an dem der Käufer seinen Wohnsitz hat, sodass der Käufer regelmäßig gestützt auf § 29 I ZPO bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Amts- oder Landgericht eine auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtete Klage erheben kann.
- Zwar kann sich der frühere Antragsteller eines selbstständigen Beweisverfahrens gemäß § 486 II 2 ZPO in einem nachfolgenden Rechtsstreit weder als Kläger noch als Beklagter auf die Unzuständigkeit des von ihm im selbstständigen Beweisverfahren angerufenen Gerichts berufen. Der frühere Antragsgegner ist indes mangels Anwendbarkeit des § 39 ZPO selbst dann nicht gehindert, die Zuständigkeit des Gerichts zu rügen, wenn er im selbstständigen Beweisverfahren keine Zuständigkeitsrüge erhoben hatte.
KG, Beschluss vom 21.03.2016 – 2 AR 9/16
Sachverhalt: Der Kläger, der ist in 15345 Altlandsberg wohnt, erwarb am 14.02.2013 in einer in 12623 Berlin gelegenen Filiale der Beklagten, die ihren Hauptsatz in 09217 Burgstädt hat, eine Polstergarnitur. Nachdem der Kläger gerügt hatte, dass diese Polstergarnitur mangelhaft sei, führte das AG Lichtenberg auf seinen Antrag ein selbstständiges Beweisverfahren durch. Nach Abschluss dieses Verfahrens erhob der Kläger beim AG Lichtenberg eine Hauptsacheklage mit dem Antrag, die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der Polstergarnitur zu verurteilen.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 03.12.2015 die Zuständigkeit des AG Lichtenberg gerügt und zur Begründung geltend gemacht, dass es sich bei ihrer in Berlin gelegenen Filiale lediglich um eine (unselbstständige) Verkaufsstelle und nicht um eine selbstständige Niederlassung handele.
Nachdem das AG Lichtenberg mit Verfügung vom 20.01.2016 ebenfalls Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit geäußert und darauf hingewiesen hatte, dass gemäß § 29 I ZPO (auch) das Gericht am Wohnsitz des Klägers zuständig sei, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 28.01.2016 eine Verweisung des Rechtsstreits an das AG Strausberg beantragt. Die Beklagte hat der beantragten Verweisung mit Schriftsatz vom 02.02.2016 widersprochen, weil „nach der geänderten Rechtsprechung des BGH“ Nacherfüllungsansprüche grundsätzlich am Sitz des Verkäufers zu erfüllen seien.
Mit Beschluss vom 19.02.2016 hat das AG Lichtenberg den Rechtsstreit gleichwohl an das AG Strausberg verwiesen. Dieses hat sich mit Beschluss vom 29.02.2016 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und „das Verfahren … an das AG Berlin-Lichtenberg zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts zurückgereicht“. Zur Begründung hat es ausgeführt, indem der Kläger beim AG Lichtenberg die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens beantragt und anschließend dort Klage erhoben habe, habe er zu erkennen gegeben, dass er die Beklagte an deren Sitz oder dort, wo sich die Niederlassung der Beklagten befinde, in Anspruch nehmen wolle. Damit habe der Kläger das ihm nach § 35 ZPO zustehende Wahlrecht bereits ausgeübt, sodass eine Verweisung des Rechtsstreits nicht mehr in Betracht komme.
Das AG Lichtenberg hat die Sache schließlich dem Kammergericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das Kammergericht hat das AG Strausberg als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.
Aus den Gründen: II. 1. Das Kammergericht ist gemäß § 36 II ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil das AG Lichtenberg als das zuerst mit dem Rechtsstreit befasste Gericht zu seinen Bezirk gehört und das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der BGH wäre.
2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 I Nr. 6 ZPO sind auch der Sache nach gegeben, weil sowohl das AG Lichtenberg als auch das AG Strausberg sich rechtskräftig im Sinne der Vorschrift (vgl. zum Begriff BGH, Beschl. v. 04.06.1997 – XII AZR 13/97, NJW-RR 1997, 1161) für unzuständig erklärt haben. Dabei ist es insoweit unschädlich, dass das AG Lichtenberg die Parteien vor dem Erlass seines Beschlusses vom 18.01.2016 nicht angehört hat, denn es hat beiden Parteien seine Entscheidung nachträglich bekannt gemacht, was ebenfalls ausreicht (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. [2016], § 36 Rn. 25). Gleichfalls unschädlich ist schließlich, dass das AG Strausberg die Sache nicht selbst dem Kammergericht vorgelegt hat, sondern die Akten zunächst an das AG Lichtenberg zurückgesandt hat, wenngleich dieses Vorgehen zu einer weiteren überflüssigen Verzögerung des Rechtsstreits zulasten der rechtssuchenden Parteien beigetragen hat.
3. Das AG Strausberg ist jedenfalls aufgrund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des AG Lichtenberg gemäß § 281 II 4 ZPO zuständig geworden. Die genannte Bestimmung entzieht auch einen sachlich fehlerhaften und zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich der Überprüfung. Dies folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die der Prozessökonomie dienen und Zuständigkeitsstreitigkeiten vermeiden soll. Die Bindungswirkung entfällt nur ausnahmsweise dann, wenn der Beschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist. Dies ist etwa der Fall, wenn er auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, nicht von dem gesetzlichen Richter erlassen worden ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deswegen als willkürlich betrachtet werden muss. Die Beschlussbegründung muss sich bei Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernen, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist, da sie nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschl. v. 09.06.2015 – X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschl. v. 19.02.2013 – X ARZ 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 7; Beschl. v. 17.05.2011 – X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9).
a) Die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmefalls sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar lässt sich auf der Grundlage des bisherigen Vorbringens der Parteien nicht eindeutig beurteilen, ob das AG Lichtenberg nach § 21 ZPO für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständig gewesen wäre. Denn unstreitig ist der Verkauf der streitgegenständlichen Polstergarnitur durch eine im Bezirk des AG Lichtenberg gelegene Filiale der Beklagten erfolgt. Ob die entsprechende Niederlassung über die nach § 21 ZPO notwendige Selbstständigkeit verfügt, beurteilt sich nicht nach den internen Verhältnissen sondern danach, ob nach außen der Anschein einer selbständigen Niederlassung erweckt wird (BGH, Urt. v. 18.01.2011 – X ZR 71/10, BGHZ 188, 85 = NJW 2011, 2056 Rn. 20). Bei einem mit dem Vertrieb im Stammhaus hergestellter Waren betrauten Ladengeschäft ist ein derartiger Anschein regelmäßig zu bejahen (OLG München, Urt. v. 08.03.2001 – 29 U 5451/00, OLGR 2001, 254; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 21 Rn. 8). Ob sich allein aus dem Hinweis der Beklagten auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedigungen und den dort in Ziffer I 1 geregelten „Widerrufsvorbehalt“, der einer AGB-rechtlichen Prüfung im Hinblick auf § 305c I BGB ohnehin nicht standhalten dürfte, tatsächlich etwas anderes ergibt, erscheint ausgesprochen zweifelhaft und hätte der weiteren Aufklärung durch das verweisende Gericht bedurft. Der in dieser Unterlassung liegende Rechtsverstoß wiegt indessen (noch) nicht so schwer, dass er eine Durchbrechung der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses rechtfertigen würde, zumal eine solche im Interesse der Prozessökonomie und zum Schutz der Parteien vor langwierigen Zuständigkeitsstreitigkeiten auf echte Ausnahmefälle beschränkt bleiben muss.
b) Entgegen der Auffassung des AG Strausberg war eine Verweisung auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger sein Wahlrecht unter mehreren in Betracht kommenden Gerichtsständen bereits verbindlich ausgeübt hätte (§ 35 ZPO). Wird eine Klage bei einem unzuständigen Gericht erhoben, was vorliegend entsprechend den obigen Ausführungen aufgrund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses (§ 281 II 4 ZPO) zu unterstellen ist, kann der Kläger nach allgemeiner Auffassung das ihm nach § 35 ZPO zustehende Wahlrecht noch dadurch ausüben, dass er die Verweisung des Rechtsstreits an ein zuständiges Gericht seiner Wahl beantragt (OLG München, Beschl. v. 23.11.2006 – 31 AR 138/06, MDR 2007, 1153, 1154; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 35 Rn. 3). Weshalb dies nicht mehr möglich sein soll, wenn die Klage – wie hier – am mutmaßlichen Gerichtstand der Niederlassung erhoben worden ist, und die Wahl in diesem Fall – wie das AG Strausberg ohne nähere Begründung annimmt – auf den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten beschränkt sein soll, erschließt sich nicht.
Etwas anderes folgt schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass auf Antrag des Klägers in gleicher Sache bereits ein selbstständiges Beweisverfahren vor dem AG Lichtenberg … durchgeführt wurde. Zwar kann sich ein Antragsteller gemäß § 486 II 2 ZPO in einem nachfolgenden Streitverfahren weder als Kläger noch als Beklagter auf die Unzuständigkeit des von ihm im selbstständigen Beweisverfahren selbst angerufenen Gerichts berufen. Allerdings gilt eine entsprechende Bindungswirkung nicht für den Antragsgegner, und zwar wegen der insoweit fehlenden Anwendbarkeit von § 39 ZPO selbst dann nicht, wenn er es unterlassen hatte, die Unzuständigkeit des Gerichts bereits im selbstständigen Beweisverfahren zu rügen (OLG Celle, Beschl. v. 08.01.1999 – 1 W 23/98, NJW-RR 2000, 1737, 1738; OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.09.1997 – 21 AR 76/97, NJW-RR 1998, 1610; Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl. [2015], § 486 Rn. 4; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl. [2016], § 486 Rn. 4). Hieraus folgt, dass in derartigen Fällen eine Verweisung des Rechtsstreits möglich sein muss, wenn der Beklagte und frühere Antragsgegner im anschließenden Hauptsacheverfahren eine Zuständigkeitsrüge erhebt, was die Beklagte vorliegend getan hat.
c) Schließlich ist das AG Strausberg entgegen der rechtsirrigen Auffassung der Beklagten auch gemäß § 29 ZPO als Gericht des Erfüllungsortes für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig, ohne dass es insoweit auf die Bindungswirkung des von dem AG Lichtenberg erlassenen Verweisungsbeschluss ankäme. Zwar ist der Leistungsort nach dem maßgeblichen materiellen Recht (§§ 269, 270 BGB) grundsätzlich für jede einzelne Verpflichtung aus einem Schuldverhältnis gesondert zu ermitteln und im Zweifel am Sitz des Schuldners anzusiedeln, sofern nichts anderes vereinbart wurde oder sich aus der Natur des Schuldverhältnisses ergibt (Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl. [2016], § 269 Rn. 7, § 270 Rn. 1 m. w. Nachw.). Nach gefestigter Rechtsprechung ist jedoch bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen über bewegliche Sachen aufgrund Rücktritt, Widerruf oder Anfechtung ausnahmsweise ein einheitlicher Erfüllungsort und damit ein Gerichtsstand nach § 29 ZPO an dem Ort anzunehmen, an dem sich die Sache zum Zeitpunkt der Rückgängigmachung des Kaufvertrages vertragsgemäß befindet (sog. Austauschort), was im Regelfall auf eine Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Käufers hinausläuft (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 29 Rn. 25 – „Kaufvertrag“ m. w. Nachw.). Diese Anknüpfung an den Austauschort erscheint unter anderem deshalb gerechtfertigt, weil ein von dem Verkäufer zu vertretender Mangel zum Rücktritt geführt hat und der zurücktretende Käufer nach § 346 I BGB ihn lediglich in die Lage versetzten muss, über die Ware verfügen zu können (BGH, Urt. v. 09.03.1983 – VIII ZR 11/82, BGHZ 87, 104, 110; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. [2015], § 29 Rn. 47).
Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf eine angeblich geänderte Rechtsprechung des BGH verweist, geht dieser Einwand bereits deshalb erkennbar in die Irre, weil sich die in Rede stehende Entscheidung (BGH, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196 = NJW 2011, 2278) nicht mit der Rückabwicklung eines Kaufvertrags nach erfolgtem Rücktritt (§ 437 Nr. 2 Fall 1, § 346 BGB) beschäftigt, sondern den Nacherfüllungsanspruch des Käufers gemäß § 437 Nr. 1, § 439 BGB zum Gegenstand hat. In den Gründen der Entscheidung führt der BGH auch explizit aus, dass sich die zum Erfüllungsort von Rückgewährsansprüchen nach erfolgtem Rücktritt entwickelten Grundsätze nicht auf den Nacherfüllungsanspruch nach § 437 Nr. 1, § 439 BGB übertragen ließen, weil beide Rechtsinstitute in ihrem dogmatischen Ausgangspunkt und in ihren Rechtsfolgen so verschieden seien, dass es ersichtlich an der hierfür erforderlichen Vergleichbarkeit beider Rechte fehle (BGH, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196 = NJW 2011, 2278, Rn. 28).
Darüber hinaus verkennt die Beklagte aber auch die Auswirkungen der BGH-Entscheidung in ihrem eigentlichen Anwendungsbereich für die Geltendmachung von Nacherfüllungsansprüchen. Denn dieser Entscheidung ist keineswegs zu entnehmen, dass ein Nacherfüllungsanspruch regelmäßig am Geschäftssitz des Verkäufers zu erfüllen ist, wie die Beklagte offenbar glauben machen will. Vielmehr kommt es nach Auffassung des BGH stets auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei nach den Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entscheidend darauf abzustellen ist, dass die Nacherfüllung für Verbraucher „ohne erhebliche Unannehmlichkeiten“ möglich sein muss (BGH, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196 = NJW 2011, 2278, Rn. 34, 38 ff.). Dass die Verbringung einer mehrteiligen Polstergarnitur aus dem Großraum Berlin nach 09217 Burgstädt für einen Verbraucher sehr wohl mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden ist, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung, weshalb alles dafür spricht, dass im vorliegenden Fall Nacherfüllungsansprüche ebenfalls am Wohnsitz des Klägers zu erfüllen gewesen wären.