1. Arg­list setzt kein ziel­ge­rich­te­tes oder ver­werf­li­ches Ver­hal­ten vor­aus. Viel­mehr ge­nügt, wenn der Ver­käu­fer ins Blaue hin­ein An­ga­ben ge­gen­über dem Käu­fer macht, die sich spä­ter als falsch her­aus­stel­len. Des­halb muss sich ein Kfz-Ver­käu­fer den Vor­wurf der Arg­list ge­fal­len las­sen, wenn er ei­nen Ge­braucht­wa­gen, der tat­säch­lich er­heb­lich be­schä­digt ist, in ei­nem In­ter­net­in­se­rat oh­ne ge­naue Prü­fung als „un­fall­frei“ be­wirbt.
  2. Will der Ver­käu­fer ei­ne im Vor­feld des Ver­trags­schlus­ses (hier: in ei­nem In­ter­net­in­se­rat) ab­ge­ge­be­ne Er­klä­rung kor­ri­gie­ren, muss er sich an der Fehl­vor­stel­lung ori­en­tie­ren, die sei­ne Er­klä­rung beim Käu­fer her­vor­ge­ru­fen hat. Dem ge­nügt ein Ver­käu­fer, der ei­nen Ge­braucht­wa­gen als „un­fall­frei“  an­ge­prie­sen hat, nicht, wenn er le­dig­lich mit­teilt, die „Sei­ten­wand hin­ten“ sei nachla­ckiert wor­den. Denn ein Käu­fer wird da­von aus­ge­hen, dass nur Ba­ga­tell­schä­den über­la­ckiert wor­den sind.
  3. Die zu er­war­ten­de Ge­samt­lauf­leis­tung ei­nes 1996 erst­zu­ge­las­se­nen Opel Ti­gra be­trägt 200.000 Ki­lo­me­ter.

LG Hei­del­berg, Ur­teil vom 28.01.2015 – 1 S 22/13

Sach­ver­halt: Der Klä­ger be­gehr­te die Rück­ab­wick­lung ei­nes Kauf­ver­trags über ei­nen Ge­braucht­wa­gen.

Am 14.05.2010 kauf­te der Klä­ger von dem Be­klag­ten ei­nen Pkw Opel Ti­gra (Erst­zu­las­sung: 25.03.1996) zum Preis von 2.800 €. Auf die­ses Fahr­zeug war er auf­grund ei­nes In­ter­net­in­se­rats vom 13.05.2010, in dem der Wa­gen als „un­fall­frei“ an­ge­bo­ten wor­den war, auf­merk­sam ge­wor­den.

Im Kauf­ver­trag war un­ter „Aus­stat­tung“ am En­de aus­ge­führt: „Sei­ten­wand hin­ten links nachla­ckiert“. Dar­über hin­aus war die Sach­män­gel­haf­tung des Ver­käu­fers auf ein Jahr be­schränkt.

Als der Klä­ger das Au­to im Au­gust 2011 dem TÜV vor­führ­te, wur­de ihm dort mit­ge­teilt, dass es ei­nen schwer­wie­gen­den Un­fall­scha­den hin­ten links so­wie ei­nen Riss des Fahr­zeug­rah­mens im vor­de­ren Be­reich, 10 cm von den Rad­läu­fen links und rechts ent­fernt, er­lit­ten ha­be.

Der Klä­ger hat be­haup­tet, die­se Män­gel hät­ten be­reits bei der Über­ga­be des Fahr­zeugs vor­ge­le­gen. Der Be­klag­te ha­be ihm bei Ab­schluss des Kauf­ver­tra­ges ge­sagt, dass „al­les ein­ge­tra­gen und in Ord­nung“ sei; auf die Män­gel sei er nicht hin­ge­wie­sen wor­den. Der Klä­ger hat ge­meint, in­dem der Be­klag­te das Fahr­zeug als „un­fall­frei“ an­ge­bo­ten ha­be, ha­be er ei­ne Ga­ran­tie für die Un­fall­frei­heit über­nom­men.

Der Be­klag­te hat sich dem­ge­gen­über auf die Ein­re­de der Ver­jäh­rung be­ru­fen, weil der Klä­ger die Män­gel erst deut­lich spä­ter als ein Jahr nach Ab­schluss des Kauf­ver­tra­ges gel­tend ge­macht ha­be. Er hat au­ßer­dem die An­sicht ver­tre­ten, aus der In­ter­net­an­zei­ge vom 13.05.2010 kön­ne der Klä­ger kei­ne Rech­te her­lei­ten, weil dort aus­drück­lich zu le­sen sei, dass Irr­tü­mer, Ein­ga­be­feh­ler und ein Zwi­schen­ver­kauf vor­be­hal­ten blie­ben. Zu­dem ha­be er im Kauf­ver­trag rich­tig­ge­stellt, dass die Sei­ten­wand hin­ten links nachla­ckiert wor­den sei.

Das Amts­ge­richt hat die Kla­ge mit der Be­grün­dung ab­ge­wie­sen, Ge­währ­leis­tungs­an­sprü­che des Klä­gers sei­en ver­jährt. Zwar ha­be der Opel Ti­gra bei der Über­ga­be ei­nen Man­gel auf­ge­wie­sen, weil er nicht un­fall­frei ge­we­sen sei. Es feh­le aber an ei­ner Arg­list des Be­klag­ten. Aus dem Ver­merk im Kauf­ver­trag „Sei­ten­wand hin­ten links nachla­ckiert“ kön­ne nicht auf ei­ne Kennt­nis des Be­klag­ten von dem Un­fall­scha­den ge­schlos­sen wer­den, zu­mal auch der Klä­ger die­sen Schluss nicht ge­zo­gen ha­be.

Die Be­ru­fung des Klä­gers war über­wie­gend er­folg­reich.

Aus den Grün­den: II. … 1. Der Klä­ger hat ge­gen den Be­klag­ten ei­nen An­spruch auf Rück­zah­lung von 2.845 € Zug um Zug ge­gen Rück­über­eig­nung des streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeugs aus §§ 437 Nr. 3, 434, 280, 281 BGB.

a) Der von dem Klä­ger er­wor­be­ne Pkw wies zum Zeit­punkt der Über­ga­be ei­nen Sach­man­gel auf, weil er ei­nen Un­fall­scha­den hin­ten links hat­te. Dies steht nach dem Er­geb­nis des Gut­ach­tens des Sach­ver­stän­di­gen H zur Über­zeu­gung der Kam­mer fest.

Der Sach­ver­stän­di­ge hat aus­ge­führt, dass im hin­te­ren Be­reich des lin­ken Sei­ten­teils deut­lich er­höh­te Lack­schicht­di­cken von bis zum 2 mm, über dem Rad­lauf 1 bis 4 mm, im Ma­xi­mum 5 mm vor­han­den sei­en. Dies sei ei­ne er­kenn­ba­re Un­re­gel­mä­ßig­keit der Nachla­ckie­rung mit er­heb­li­chen re­pa­ra­tur­tech­ni­schen Män­geln, die auf ei­ne un­fach­män­ni­sche und un­voll­stän­di­ge Re­pa­ra­tur des Sei­ten­teils hin­deu­te­ten. Es sei­en noch Rest­ver­for­mun­gen des Sei­ten­teils und der Rad­haus­scha­le er­kenn­bar. Die fest­stell­ba­ren Spu­ren deu­te­ten auf ei­ne nicht un­er­heb­li­che De­for­ma­ti­on des Sei­ten­teils hin (Ein­del­lung o. Ä.), wo­bei nicht ein­deu­tig be­ur­teilt wer­den kön­ne, ob der Scha­den von ei­nem Un­fall im recht­li­chen Sin­ne her­rüh­re. Un­ter­stel­le man kei­ne wei­te­re Re­pa­ra­tur zwi­schen Kauf und Be­gut­ach­tung, kön­ne auf das Vor­han­den­sein des Man­gels am Sei­ten­teil be­reits vor dem Kauf­da­tum ge­schlos­sen wer­den.

Aus die­sen Aus­füh­run­gen er­gibt sich das Vor­lie­gen ei­nes Un­fall­scha­dens zum Zeit­punkt der Über­ga­be des Fahr­zeugs. Die Nachla­ckie­rung be­stand un­strei­tig zum Zeit­punkt des Kaufs, für wei­te­re Re­pa­ra­tu­ren wäh­rend der Be­sitz­zeit des Klä­gers be­ste­hen kei­ner­lei An­halts­punk­te und wer­den vom Be­klag­ten auch nicht gel­tend ge­macht. Der Sach­ver­stän­di­ge hat ei­ne nicht un­er­heb­li­che De­for­ma­ti­on des lin­ken Sei­ten­teils fest­ge­stellt, das heißt ei­ne über ei­nen Ba­ga­tell­scha­den hin­aus­ge­hen­de Be­schä­di­gung des Fahr­zeugs. Ob die­se auf ei­nem Ver­kehrs­un­fall im Sin­ne ei­ner Kol­li­si­on mit ei­nem an­de­ren Fahr­zeug oder auf ei­ne sons­ti­ge Scha­dens­ein­wir­kung zu­rück­zu­füh­ren ist, ist un­er­heb­lich, ent­schei­dend ist, dass das Fahr­zeug zum Über­ga­be­zeit­punkt be­reits ei­nen grö­ße­ren Scha­den er­lit­ten hat­te.

b) Auf­grund die­ses Sach­man­gels kann der Klä­ger im We­ge des Scha­dens­er­sat­zes die Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags ver­lan­gen.

Dem kann der Be­klag­te nicht die Ein­re­de der Ver­jäh­rung ent­ge­gen­hal­ten. Er hat sei­ne Ge­währ­leis­tungs­pflicht im Kauf­ver­trag zwar grund­sätz­lich wirk­sam auf ein Jahr be­schränkt (§ 475 II BGB). Ge­mäß § 438 III BGB gel­tend je­doch die re­gel­mä­ßi­gen Ver­jäh­rungs­fris­ten, wenn der Ver­käu­fer den Man­gel arg­lis­tig ver­schwie­gen hat. Dies war hier der Fall.

Der Be­klag­te hat dem Klä­ger den Scha­den an dem Fahr­zeug arg­lis­tig ver­schwie­gen. Arg­list setzt kein ziel­ge­rich­te­tes oder ver­werf­li­ches Ver­hal­ten vor­aus. Es ge­nügt, wenn der Ver­käu­fer ins Blaue hin­ein An­ga­ben ge­gen­über dem Käu­fer macht, die sich spä­ter als falsch her­aus­stel­len. Der Be­klag­te hat hier das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug in der In­ter­net­an­zei­ge vom 13.05.2010 als un­fall­frei be­wor­ben. Dies mag, wenn man den Aus­füh­run­gen des Be­klag­ten zur Häu­fig­keit und Feh­ler­an­fäl­lig­keit von In­ter­net­an­zei­gen folgt, ei­ne ver­se­hent­li­che Falsch­an­ga­be ge­we­sen sein. Wenn der Be­klag­te je­doch auf die­ses ihm als feh­ler­an­fäl­lig be­kann­te Me­di­um zur Plat­zie­rung von An­zei­gen zu­rück­greift, gibt er sei­ne An­ga­ben ins Blaue hin­ein, näm­lich oh­ne ge­naue Prü­fung, ab. Dies ge­nügt für die An­nah­me von Arg­list. Auf­grund der An­zei­ge war al­so bei Ver­trags­schluss klar, dass der Klä­ger mit der von dem Be­klag­ten her­vor­ge­ru­fe­nen Vor­stel­lung in die Kauf­ver­trags­ver­hand­lun­gen ging, dass es sich um ein Fahr­zeug han­del­te, das noch kei­ne grö­ße­ren Schä­den er­lit­ten hat­te. Der Be­klag­te wä­re nun­mehr ver­pflich­tet ge­we­sen, sei­ne feh­ler­haf­ten An­ga­ben in der Ver­kaufs­an­zei­ge in den Kau­ver­trags­ver­hand­lun­gen zu kor­ri­gie­ren. Dies hat er nicht ge­tan. Die An­ga­be „Sei­ten­wand hin­ten nachla­ckiert“ ist kei­ne ord­nungs­ge­mä­ße Kor­rek­tur. Die­se An­ga­be ist zwar be­züg­lich des un­ter der La­ckie­rung be­find­li­chen Zu­stands of­fen und be­inhal­tet rein sprach­lich auch die Mög­lich­keit, dass ein grö­ße­rer Scha­den nachla­ckiert wor­den ist. Ei­ne ord­nungs­ge­mä­ße Kor­rek­tur ei­ner ins Blaue hin­ein ge­mach­ten fal­schen An­ga­be über ein Ge­braucht­fahr­zeug muss sich aber an der Fehl­vor­stel­lung ori­en­tie­ren, die bei dem Käu­fer her­vor­ge­ru­fen wor­den ist. Nach­dem die­ser auf­grund der An­ga­be „un­fall­frei“ da­von aus­ge­hen durf­te, dass das Fahr­zeug noch kei­ne grö­ße­ren Schä­den er­lit­ten hat­te, muss­te der Be­klag­te deut­lich auf das mög­li­che Vor­han­den­sein auch grö­ße­rer Schä­den hin­wei­sen. Der Käu­fer, der mit der Vor­stel­lung ei­nes un­fall­frei­en Fahr­zeugs in die Kauf­ver­trags­ver­hand­lun­gen geht, wird bei ei­ner sol­chen An­ga­be aber da­von aus­ge­hen, dass es sich bei den nachla­ckier­ten Stel­len um die Über­la­ckie­rung von Ba­ga­tell­schä­den han­delt.

Da­mit han­del­te der Be­klag­te arg­lis­tig, so­dass nicht die im Kauf­ver­trag ver­ein­bar­te ein­jäh­ri­ge Ver­jäh­rungs­frist gilt, son­dern die Re­gel­ver­jäh­rungs­frist, die drei Jah­re be­trägt und zum Zeit­punkt der Kla­ge­er­he­bung am 25.09.2012 noch nicht ab­ge­lau­fen war.

c) Im Rah­men des gro­ßen Scha­dens­er­sat­zes kann der Klä­ger Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags ver­lan­gen. Wei­ter­hin hat er ei­nen An­spruch auf Er­stat­tung der An- und Ab­mel­de­kos­ten, die die Kam­mer al­ler­dings nur auf ins­ge­samt 45 € schätzt. Nach der Er­fah­rung der Kam­mer lie­gen die An­mel­de­kos­ten im hie­si­gen Raum zwi­schen 30 € und 40 €, die Ab­mel­de­kos­ten et­wa bei 10 €. Dar­aus er­ge­ben sich ge­mäß § 287 ZPO ge­schätz­te An- und Ab­mel­de­kos­ten in Hö­he von ins­ge­samt 45 €.

2. Ge­mäß §§ 281 V, 346 BGB hat der Klä­ger dem Be­klag­ten al­ler­dings im Ge­gen­zug den Wert der ge­zo­ge­nen Nut­zun­gen her­aus­zu­ge­ben. Er hat da­zu vor­ge­tra­gen, er sei wäh­rend sei­ner Be­sitz­zeit 7.955 km mit dem Fahr­zeug ge­fah­ren. Der An­fangs­ki­lo­me­ter­stand ha­be 97.500 be­tra­gen, der jet­zi­ge Ki­lo­me­ter­stand be­tra­ge 105.455. Nach der üb­li­chen Be­rech­nungs­me­tho­de er­ge­be sich dar­aus ein Ge­brauchs­vor­teil in Hö­he von 2.800 × 0,5 % × 7,9 = 110,60 €.

Dies ist für die Kam­mer so nicht nach­voll­zieh­bar. Die Be­rech­nungs­for­mel für die Nut­zungs­ver­gü­tung bei Ge­braucht­fahr­zeu­gen lau­tet

{\frac{\text{Brut­to­kauf­preis}\times\text{ge­fah­re­ne Ki­lo­me­ter}}{\text{vor­aus­sicht­li­che Rest­lauf­leis­tung}}}

(vgl. Rein­king/Eg­gert, Der Au­to­kauf, 12. Aufl., Rn. 3564).

Die Kam­mer legt für den vom Klä­ger er­wor­be­nen Klein­wa­gen ei­ne Ge­samt­lauf­leis­tung von 200.000 km zu­grun­de, so­dass zum Zeit­punkt des Kaufs noch von ei­ner Rest­lauf­leis­tung von 102.500 km aus­zu­ge­hen war. Aus der oben ge­nann­ten For­mel … er­gibt sich da­her ei­ne Nut­zungs­ver­gü­tung von 217,31 €.

So­weit der Be­klag­te den jet­zi­gen Ki­lo­me­ter­stand be­strei­tet und ein Mehr an ge­fah­re­nen Ki­lo­me­tern be­haup­tet, ist er für die­se ihm güns­ti­ge Tat­sa­che be­weis­pflich­tig, hat aber kei­nen Be­weis an­ge­tre­ten.

3. Nach­dem der Be­klag­te die ihm zur Er­klä­rung des Ein­ver­ständ­nis­ses mit der Rück­ab­wick­lung bis zum 10.07.2012 ge­setz­te Frist ver­strei­chen las­sen hat, be­fin­det er sich spä­tes­tens seit dem 11.07.2012 im An­nah­me­ver­zug. Dies war auf An­trag des Klä­gers fest­zu­stel­len.

Die Be­ru­fung war da­her im We­sent­li­chen er­folg­reich.

So­weit der Be­klag­te mit Schrift­satz vom 26.01.2015 die Wie­der­er­öff­nung der münd­li­chen Ver­hand­lung ge­mäß § 156 ZPO be­an­tragt hat, weil zu be­fürch­ten sei, dass die Kam­mer von ei­nem fal­schen Sach­ver­halt aus­ge­he, war dem nicht statt­zu­ge­ben, weil die Kam­mer ent­ge­gen der Be­fürch­tung des Be­klag­ten nicht von ei­nem In­ter­net­kauf aus­ge­gan­gen ist, son­dern – wie auch vom Be­klag­ten vor­ge­tra­gen – von ei­nem Kauf­ver­trags­schluss am Ge­schäfts­sitz des Be­klag­ten, nach­dem der Klä­ger durch die In­ter­net­an­zei­ge des Be­klag­ten auf das Fahr­zeug auf­merk­sam ge­wor­den war und es be­sich­tigt hat­te …

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