Gibt ein Gebrauchtwagenhändler die Laufleistung eines Fahrzeugs mit dem Zusatz „lt. Vorbesitzer“ an, gibt er damit deutlich zu erkennen, dass er für die Laufleistung nicht einstehen will. Es liegt deshalb weder eine Beschaffenheitsgarantie noch eine Beschaffenheitsvereinbarung, sondern lediglich eine Wissensmitteilung vor.
LG Berlin, Urteil vom 18.07.2014 – 8 O 19/14
Sachverhalt: Die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft (Ltd.), begehrt von der Beklagten, die gewerblich mit Gebrauchtwagen handelt, die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Pkw. Außerdem verlangt sie die Erstattung von Reparaturkosten und die Freistellung von vorgerichtlich enstandenen Rechtsanwaltskosten.
Der Geschäftsführer der Klägerin entdeckte auf der Internetplattform „mobile24.de“ ein von der Beklagten für 9.880 € angebotenes Fahrzeug der Marke M. Dessen Kilometerstand war mit 114.000 angegeben. Die Internetanzeige veranlasste den Geschäftsführer der Klägerin, ein Telefonat mit der Beklagten zu führen. Anschließend übersandte die Klägerin der Beklagten eine Anhängerkupplung, die am 16.07.2013 bei der Beklagten eintraf.
Am 18.07.2013 fuhr der Geschäftsführer der Klägerin zur Beklagten nach Berlin. Dort unterzeichneten die Parteien unter dem Datum des 17.07.2013 einen schriftlichen Kaufvertrag über ein Fahrzeug der Marke M zum Preis von 10.000 €. In diesem Vertrag heißt es unter anderem:
„Kilometerstand lt. Vorbesitzer: 114.940
Besondere Vereinbarungen / Angaben laut Vorbesitzer: … Händlergeschäft, Käufer ist vom Fach, Käufer ist probegefahren, … Gesamtfahrleistung nicht zugesichert, … nicht aus der Internet-Werbung …
Die umseitigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen wurden vom Käufer gelesen, verstanden und akzeptiert.“
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Gebrauchtwagen-Verkaufsbedingungen) heißt es unter „VI. Sachmangel“ unter anderem:
„1. …
Ist der Käufer eine juristische Person des öffentlichen Rechts, ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen oder ein Unternehmer, der bei Abschluss des Vertrages in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt, erfolgt der Verkauf unter Ausschluss jeglicher Sachmängelansprüche.
Weitergehende Ansprüche bleiben unberührt, soweit der Verkäufer aufgrund Gesetz zwingend haftet oder etwas anderes vereinbart wird, insbesondere im Falle der Übernahme einer Garantie.“
Ausweislich des Protokolls der Hauptuntersuchung vom 17.07.2013 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 114.940 auf.
Unter dem 18.07.2013 unterzeichneten die Parteien einen Garantievertrag. Das erworbene Fahrzeug wurde dem Geschäftsführer der Klägerin ebenfalls am 18.07.2013 übergeben.
Am 19.07.2013 reklamierte der Geschäftsführer der Klägerin gegenüber der Beklagten erstmalig einen Leistungsverlust des Fahrzeugs. Nach einem erneuten Leistungsverlust führte die Klägerin das Fahrzeug in einer M-Vertragswerkstatt vor.
Am 11.08.2013 teilte die Klägerin der Beklagte mit, der Kilometerstand des Fahrzeugs habe im August 2008 bereits 219.000 betragen. Nachdem die Beklagte auf diese Mitteilung nicht reagiert hatte, erklärte die Klägerin – die am 15.08.2013 für 875,07 € Mängelbeseitigungsarbeiten an dem Fahrzeug hatte durchführen lassen – am 25.09.2013 den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte unter Fristsetzung die Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. … Die Klägerin hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags über das Fahrzeug … aufgrund eines wirksamen Rücktritts nach den § 437 Nr. 2 BGB i. V. mit §§ 440, 323, 326 V BGB, noch liegen die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß den §§ 123 I, 142, 346, 812 I BGB vor. Auch Schadensersatzansprüche stehen der Klägerin nicht zu.
1. Es kann dahinstehen, ob das streitgegenständliche Fahrzeug mangelhaft i. S. des § 434 BGB war, denn der Verkauf des Fahrzeugs erfolgte unter Ausschluss jeglicher Sachmängelansprüche. Insofern ging der von der Klägerin am 25.09.2013 erklärte Rücktritt ins Leere.
a) Die von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Gebrauchtwagen-Verkaufsbedingungen sehen … den Ausschluss jeglicher Sachmängelansprüche vor, soweit der Käufer ein Unternehmer ist, der bei Abschluss des Vertrages in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
Hier handelt es sich bei der Klägerin um eine Limited, mithin ein Unternehmen. Für die durch sie vorgenommenen Geschäfte gilt die Vermutung des § 344 I HGB, wonach die von einem Kaufmann vorgenommenen Geschäfte im Zweifel als zum Betriebe des Handelsgewerbes gehörig gelten.
b) Die Gebrauchtwagen-Verkaufsbedingungen der Beklagten sind wirksam in den Vertrag der Parteien einbezogen worden. Dies folgt aus dem von beiden Parteien unterzeichneten Kaufvertragsformular vom 17.07.2013, auf dem ausdrücklich auf die umseitigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen wird (§§ 305 I, 310 I BGB).
c) Soweit die Klägerin behauptet hat, ein Kaufvertrag sei auf der Grundlage der Internetanzeige bereits am 12.07.2013 telefonisch und ohne Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschlossen worden, konnte sie diese Behauptung nicht zur Überzeugung des Gerichts beweisen (§ 286 I ZPO). Denn die von der Klägerin benannte Zeugin W hat den klägerischen Vortrag zu einem telefonischen Vertragsabschluss nicht bestätigt. Vielmehr hat sie nachvollziehbar ausgeführt, am Telefon seien lediglich unverbindliche Informationen ausgetauscht worden. Sie führte weiter aus, ein endgültiger Vertragsschluss erfolge grundsätzlich nicht mündlich im Rahmen eines ersten Telefonats, da zu diesem Zeitpunkt die Person des Gesprächspartners nicht eindeutig, zum Beispiel durch Vorlage eines Personalausweises, identifiziert sei. Die in sich schlüssige Aussage der Zeugin wirkte auf die Kammer plausibel und glaubhaft. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Zeugin als Ehefrau des beklagten Autohausinhabers ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat. Die Zeugin ließ aber gerade keine einseitige Belastungstendenz erkennen. Vielmehr räumte sie ein, dass der Geschäftsführer der Klägerin sein Kommen angekündigt und auch schon vorab eine Anhängerkupplung übersandt habe. Gleichwohl blieb die Zeugin bei ihrer eindeutigen Aussage, wonach ein Vertragsschluss erst vor Ort am 18.07.2013 erfolgt sei, und zwar nach einer ausführlichen Besichtigung und einer erneuten Verhandlung über den Kaufpreis. Dies ist nachvollziehbar, da es nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass die Kaufentscheidung für ein Fahrzeug ohne Besichtigung desselben getroffen wird. Zudem weicht auch der schließlich vereinbarte Kaufpreis von 10.000 € von dem im Internet angekündigten Kaufpreis in Höhe von 9.880 € ab. Dass auf der Kaufvertragsurkunde das Datum des 17.07.2013 aufgeführt ist, steht der Annahme eines Vertragsschlusses am 18.07.2013 vor Ort nicht entgegen. Denn die Zeugin erläuterte, dass es sich hierbei um einen versehentlichen Schreibfehler handeln müsse. Davon geht auch die Kammer aus, da die Unterschriftsleistung durch den Geschäftsführer der Klägerin nicht im Streit steht und der Geschäftsführer unstreitig erst am 18.07.2013 beim Autohaus der Beklagte eintraf.
Eine Vernehmung des Geschäftsführers der Klägerin von Amts wegen (§ 448 ZPO) war nicht angezeigt, da diese erst dann in Betracht kommt, wenn die Würdigung des Verhandlungsergebnisses noch keine Überzeugung des Gerichts begründen konnte. Dies war hier aus den genannten Gründen nicht der Fall. Auch lag kein sogenannter Anbeweis vor (vgl. hierzu Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 448 Rn. 4).
Nach alledem geht das Gericht von einem Vertragsschluss am 18.07.2013 im Autohaus der Beklagten aus. Bei diesem Kaufvertrag sind die Allgemeinen Verkaufsbedingungen wirksam einbezogen worden, mit der Folge des Haftungsausschlusses für Sachmängelansprüche.
d) Dem Haftungsausschluss steht keine Garantieübernahme der Beklagten entgegen. Denn die im Vertragsformular angegebene Kilometerlaufleistung des Fahrzeugs stellt allenfalls eine einfache Beschaffenheitsangabe i. S. des § 434 I 1 BGB und nicht eine Beschaffenheitsgarantie nach § 444 Fall 2 BGB dar. Der BGH führt dazu aus (BGH, Urt. v. 29.11.2006 – VIII ZR 92/06):
„Die Frage, ob die Angabe der Laufleistung lediglich als Beschaffenheitsangabe (§ 434 I 1 BGB) oder aber als Beschaffenheitsgarantie (§ 444 Fall 2 BGB) zu werten ist, ist unter Berücksichtigung der beim Abschluss eines Kaufvertrages über ein Gebrauchtfahrzeug typischerweise gegebenen Interessenslage zu beantworten (vgl. Senat, Urt. v. 25.06.1975 – VIII ZR 244/73, WM 1975, 895 [unter III 2]). Dabei ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob der Verkäufer ein Gebrauchtwagenhändler oder eine Privatperson ist.
Handelt es sich bei dem Verkäufer um einen Gebrauchtwagenhändler, so ist die Interessenlage typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass der Käufer sich auf die besondere, ihm in aller Regel fehlende Erfahrung und Sachkunde des Händlers verlässt. Er darf daher darauf vertrauen, dass der Händler für Erklärungen zur Beschaffenheit des Fahrzeuges, die er in Kenntnis dieses Umstandes abgibt, die Richtigkeitsgewähr übernimmt. Der Senat hat deshalb zum alten, bis zum 31.12.2001 geltenden Kaufrecht in ständiger Rechtsprechung entschieden, der Kaufinteressent könne und dürfe den Angaben des Gebrauchtwagenhändlers über die Laufleistung des Fahrzeugs besonderes Vertrauen entgegenbringen und davon ausgehen, der Händler wolle sich für die Kilometerangabe ‚stark machen‘, mithin zusichern – in heutiger Terminologie: garantieren –, dass die bisherige Laufleistung nicht wesentlich höher liege als die angegebene (vgl. Senat, Urt. v. 25.06.1975 – VIII ZR 244/73, WM 1975, 895 [unter III 2 und 3]; Urt. v. 13.05.1998 – VIII ZR 292/97, WM 1998, 1590 [unter II]; Urt. v. 15.02.1984 – VIII ZR 327/82, WM 1984, 534 [unter II 1]; Urt. v. 18.02.1981 – VIII ZR 72/80, WM 1981, 380, [unter II 1b aa]). Wolle der Händler für die von ihm angegebene Laufleistung nicht einstehen, müsse er dies gegenüber dem Käufer hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen, indem er etwa darauf hinweise, dass er die Laufleistung nicht überprüft habe (vgl. Senat, Urt. v. 13.05.1998 – VIII ZR 292/97, WM 1998, 1590 [unter II]).“
Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass allenfalls von einer Beschaffenheitsvereinbarung auszugehen ist, die dem Gewährleistungsausschluss unterfällt. Denn hier hat die Beklagte durch den Zusatz „lt. Vorbesitzer“ zu erkennen gegeben, dass sie nicht uneingeschränkt für die angegebene Laufleistung einstehen will. Dies hat sie hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, auch durch den handschriftlichen Zusatz „Gesamtfahrleistung nicht zugesichert“. Durch diese Klarstellung hat die Beklagte der Angabe des Tachostandes die Bedeutung einer bloßen Wissenserklärung verliehen.
e) Soweit die Rechtsprechung erwägt, bei Käufen über das Internet strengere Maßstäbe an die Beurteilung von Beschaffenheitsvereinbarungen und Garantien anzulegen, weil der Käufer hier in besonderem Maße auf die Angebotsbeschreibung des Verkäufers angewiesen ist (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 29.11.2006 – VIII ZR 92/06), sind diese besonderen Maßstäbe hier nicht zu berücksichtigen. Zwar hatte die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug auch im Internet angeboten. Der vorliegend in Rede stehende Kaufvertrag kam aber – wie bereits ausgeführt wurde – vor Ort nach ausführlicher Prüfung der Kaufsache zustande; der Vertrag wurde mithin weder über das Internet noch über das Telefon geschlossen.
f) Die von der Beklagten angegebene Laufleistung unterfällt dem allgemeinen Gewährleistungsausschluss.
Zwar ist die Frage, ob ein vereinbarter Haftungsausschluss in uneingeschränktem Sinne aufzufassen ist, nicht nur nach dem Wortlaut der Ausschlussbestimmung, sondern nach dem gesamten Vertragstext zu beurteilen (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.1966 – V ZR 188/63, WM 1966, 1183 [unter III]). Dies könnte dazu führen, dass die Parteien in ihrem Kaufvertrag zwar einerseits die Gewährleistung ausschließen, zugleich aber eine bestimmte Soll-Beschaffenheit des Fahrzeugs, nämlich eine bestimmte Laufleistung, vereinbaren. Der BGH führt hierzu aus (BGH, Urt. v. 29.11.2006 – VIII ZR 92/06):
„Beide Regelungen stehen dann, zumindest aus der Sicht des Käufers, gleichrangig nebeneinander und können deshalb nicht in dem Sinne verstanden werden, dass der umfassende Gewährleistungsausschluss die Unverbindlichkeit der Beschaffenheitsvereinbarung zur Folge haben soll (a. A. Emmert, NJW 2006, 1765 [1768]). Denn bei einem solchen Verständnis wäre letztere für den Käufer – außer im Falle der Arglist des Verkäufers (§ 440 Fall 1 BGB) – ohne Sinn und Wert. Eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung der Kombination von Beschaffenheitsvereinbarung und Gewährleistungsausschluss kann deshalb nur dahin vorgenommen werden, dass der Haftungsausschluss nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit (§ 434 I 1 BGB), sondern nur für solche Mängel gelten soll, die darin bestehen, dass die Sache sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (§ 434 I 2 Nr. 1 BGB) bzw. sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und keine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB).“
Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn die Angabe der Laufleistung war aufgrund der klarstellenden Zusätze – wie bereits ausgeführt wurde – eine reine Wissensangabe und gerade nicht eine Beschaffenheitsvereinbarung, für welche die Beklagte einstehen wollte.
2. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags nach Anfechtung wegen arglistiger Täuschung in Bezug auf die Laufleistung des Fahrzeugs zu. Voraussetzung des § 123 BGB wäre ein Vorspiegeln oder Entstellen von Tatsachen, des weiteren ein Verschweigen von Tatsachen im Umfang einer bestehenden Aufklärungspflicht (Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl., § 123 Rn. 3 ff.). Hierfür fehlen aus den oben genannten Gründen die Anhaltspunkte. Die Beklagte hat alle Informationen, die sie hatte, an die Klägerin weitergegeben. Sie ist ihrer Pflicht, über den Zustand des Pkw aufzuklären, voll nachgekommen. Hinsichtlich der Laufleistung ist ihr auch keine Angabe ins Blaue hinein vorzuwerfen, da sie durch den Zusatz „lt. Vorbesitzer“ gerade klargestellt hat, dass eine eigene Überprüfung nicht erfolgt ist. Da keine allgemeine Untersuchungspflicht für Gebrauchtwagenhändler besteht, der Händler grundsätzlich nur zu einer fachmännischen Besichtigung verpflichtet ist (BGH, Urt. v. 19.06.2013 – VIII ZR 183/12), ist der Beklagte kein Vorwurf zu machen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der am 17.07.2013 erfolgreich durchgeführten Hauptuntersuchung.
3. Dem von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch steht ebenfalls der Haftungsausschluss entgegen …
4. Vorprozessuale Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin mangels eines Anspruchs in der Hauptsache ebenfalls nicht ersetzt verlangen …