- Ein Käufer, der einen Gebrauchtwagen nicht von privat, sondern von einem Kfz-Händler erwirbt, darf erwarten, dass der Verkäufer das Fahrzeug vor dem Verkauf auch ohne besonderen Anlass in einem gewissen Rahmen – Sichtprüfung von außen und innen, Funktionsprüfung – untersucht hat. Eine „echte“ Untersuchungspflicht trifft den Händler aber nur, wenn es konkrete Anhaltspunkte für einen Sachmangel gibt.
- Seiner generellen Untersuchungspflicht kann sich der Händler nicht dadurch entziehen, dass er ein Fahrzeug bei einer staatlich anerkannten Prüforganisation (z. B. einem Technischen Überwachungsverein) zur Hauptuntersuchung vorführt, mag diese auch – hier: zu Unrecht – positiv enden.
- Bedient sich ein Verkäufer zur Untersuchung eines Gebrauchtwagens eines Dritten, so wird dieser als sein Erfüllungsgehilfe tätig. Dementsprechend muss sich der Verkäufer ein Verschulden des Dritten nach § 276 II BGB zurechnen lassen. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Verkäufer einen privaten Dritten mit der Untersuchung des Fahrzeugs beauftragt oder ob er hierfür einen Technischen Überwachungsverein in Anspruch nimmt.
OLG Oldenburg, Urteil vom 28.02.2014 – 11 U 86/13
(nachfolgend: BGH, Urteil vom 15.04.2015 – VIII ZR 80/14)
Sachverhalt: Die Klägerin verlangt vom dem Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises für einen gebrauchten Pkw.
Mit Kaufvertrag vom 03.08.2012 erwarb die Klägerin von dem Beklagten, einem gewerblichen Autohändler, einen 13 Jahre alten gebrauchten Pkw Opel Zafira mit einer Laufleistung von 144.000 km zum Preis von 5.000 €. Noch am Tag des Fahrzeugkaufs war die Hauptuntersuchung (TÜV) durchgeführt und war das Fahrzeug mit einer TÜV-Plakette versehen worden. Unmittelbar nach dem Kauf fuhr die Klägerin zu ihrem rund 900 km entfernten Wohnort. Weil auf der Fahrt dorthin der Motor mehrfach ausging, ließ die Klägerin das Fahrzeug untersuchen.
Sie hat behauptet, bei der Untersuchung seien verschiedene Mängel festgestellt worden, insbesondere eine übermäßig starke Korrosion an den Brems- und Kraftstoffleitungen sowie am Unterboden. Das Fahrzeug sei – worauf sie beim Kauf nicht hingewiesen worden sei – nicht verkehrssicher.
Mit Schreiben vom 30.08.2012 erklärte die Klägerin deshalb die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung sowie hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Der Beklagte hat behauptet, er habe das Fahrzeug vor dem Verkauf durchgesehen und nur vordergründigen Rost festgestellt. Er meint, da das Fahrzeug vom TÜV nicht beanstandet worden sei, habe er auch nicht gegen Untersuchungs- und Hinweispflichten verstoßen.
Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines für die Klägerin positiven Sachverständigengutachtens stattgegeben. Es hat gemeint, der Beklagte habe sich nicht auf das Ergebnis der Hauptuntersuchung verlassen dürfen, sondern habe nach eigener gründlicher Sichtprüfung die Klägerin auf die starke Durchrostung hinweisen müssen.
Dagegen wandte sich der Beklagte mit seiner Berufung, die keinen Erfolg hatte.
Aus den Gründen: II. … Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten … zur Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von 5.000 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückgabe des gekauften Fahrzeugs, … verurteilt. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung greifen nicht durch.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch folgt aus §§ 142, 985, 951, 818 BGB. Der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag ist nichtig aufgrund einer wirksamen Anfechtung der Klägerin gemäß § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung.
1. Aufgrund des vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens vom 03.06.2013 steht fest, dass bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine fortgeschrittene Korrosion im Bereich der Längsträger, der Fahrwerksteile und sämtlicher Zuleitungen am Motor besteht sowie eine überdurchschnittliche Korrosion an den vorderen Bremsleitungen. Nach den glaubhaften Ausführungen des Sachverständigen, die durch dem Gutachten angefügte Lichtbilder bestätigt werden, seien die Korrosionen offensichtlich, und anlässlich des Verkaufs seien offensichtlich auch keine Wartungsarbeiten durchgeführt worden. Der Zustand des Fahrzeugs sei unterdurchschnittlich. Insbesondere die Korrosion an den vorderen Bremsleitungen hätte bei der noch am Verkaufstag durchgeführten Hauptuntersuchung (TÜV) beanstandet werden müssen.
2. Dieser erhebliche Mangel bestand auch bereits bei Übergabe des Fahrzeugs an die Klägerin. Zwar ist das Sachverständigengutachten erst zehn Monate nach Übergabe erstellt worden, sodass vorhandene Korrosionen weiter fortgeschritten waren. Jedoch hatte die Klägerin den gekauften Pkw bereits 14 Tage nach Abschluss des Kauvertrags aufgrund einer Motorpanne schon auf der Rückfahrt an ihrem Heimatort in einer VW-Vertragswerkstatt überprüfen lassen.
Aus dem Prüfbericht vom 17.08.2012 … geht hervor, dass sowohl an den Bremsleitungen als auch an der Karosserie die betreffenden Korrosionen aufgefallen waren und mit Ausrufungszeichen als nicht in Ordnung beanstandet wurden. Die Klägerin ließ das Fahrzeug daraufhin von einem privaten Gutachter … begutachten. Dieser stellte am 17.09.2012 ebenfalls eine sehr starke Durchrostung an den Bremsleitungen und erheblichen Rost am Unterboden fest. Der Gutachter spekulierte in seinem Gutachten, dass das Fahrzeug lange im Wasserbereich gestanden haben müsse. Zur Überzeugung des Senats steht daher fest, dass der von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen festgestellte erhebliche Korrosionsmangel bereits bei Übergabe des Fahrzeugs vorhanden und die Verkehrssicherheit beeinträchtigt war.
3. Diesen erheblichen Mangel hat der Beklagte der Klägerin bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen. Zwar konnte die Klägern nicht beweisen, dass der Beklagte positive Kenntnis von den Korrosionsschäden hatte. Der Beklagte hat aber bewusst gegen die ihm obliegende Untersuchungspflicht als Gebrauchtwagenhändler verstoßen, die ihn beim Verkauf eines Gebrauchtwagens trifft. Bei Beachtung seiner Untersuchungspflicht wäre ihm die überdurchschnittliche Korrosion aufgefallen, und er hätte die Klägerin darüber aufklären müssen. Er war sich bewusst, dass er die Klägerin nicht über mögliche vorhandene, für ihn als Fachmann einfach zu erkennende Mängel, aufklären konnte. Dies ist dem arglistigen Verschweigen eines Mangels gleichzusetzen. Er hat die Klägerin als Käuferin nicht darüber aufgeklärt, dass er den verkauften Pkw allenfalls einer ganz oberflächlichen Sichtprüfung unterzogen und sich allein auf den TÜV verlassen hatte.
In Rechtsprechung und Literatur ist unstreitig, dass einen Gebrauchtwagenhändler beim Verkauf eines Gebrauchtwagens Untersuchungspflichten treffen, wobei zwischen einer echten und einer generellen Untersuchungspflicht zu unterscheiden ist (vgl. die umfangreiche Darstellung bei Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn. 3843 ff.).
Eine echte Untersuchungspflicht trifft den Autohändler nur dann, wenn er einen konkreten Verdacht auf Fahrzeugmängel hat. Ein entsprechender Pflichtverstoß des Beklagten liegt nicht vor. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte konkrete Verdachtsmomente für eine Durchrostung der Bremsleitungen hatte.
Neben der echten Untersuchungspflicht besteht jedoch die Pflicht des Verkäufers zu einer generellen Untersuchung. Hintergrund der generellen Untersuchungspflicht eines Gebrauchtwagenhändlers ist die Tatsache, dass ein durchschnittlicher gebrauchter Pkw entweder technisch fehlerhaft oder zumindest fehleranfällig ist. Gebrauchtwagenhändler nehmen für den Handel mit einem Gebrauchtfahrzeug in der Regel beim Verkauf einen höheren Preis als sie ihn beim Einkauf gezahlt haben. Wesentliche Voraussetzung ihrer Kalkulation ist eine sorgfältige Untersuchung des zu verkaufenden Fahrzeugs. Dies rechtfertigt auch die Pflicht zur generellen Untersuchung. Beim gewerblichen Verkauf eines Gebrauchtfahrzeugs kann der Käufer bei einem Händler ohne eigene Werkstatt regelmäßig eine Überprüfung auf leicht erkennbare Mängel erwarten, betreibt er eine Werkstatt, gehört sogar eine eingehendere Untersuchung zu seinen Pflichten. Dies entspricht auch der schutzwürdigen Erwartung des Käufers (vgl. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3883 ff. m. w. Nachw.). Im Hinblick darauf, dass die Gefahr von versteckten Mängeln bei Gebrauchtwagen, je älter sie sind, wächst und der Kunde in aller Regel die Sachkunde des Gebrauchtwagenhändlers durch einen höheren Kaufpreis als beim Privatkauf üblich mitvergütet, kann der Käufer darauf vertrauen, dass der Kfz-Händler, der eine fehlerfreie Ware schuldet, das Fahrzeug zumindest in einem gewissen Rahmen überprüft. Gegenstand dieser Überprüfung ist eine Sichtprüfung von außen und innen sowie eine Funktionsprüfung. Dabei kann sich aufgrund der besonderen Sachkunde des Kfz-Händlers weiterer Aufklärungsbedarf aufdrängen, wie zum Beispiel bei Rostschäden (OLG Köln, Urt. v. 13.03.2001 – 3 U 173/00, SP 2002, 288). Unterlässt der Autohändler die Untersuchung oder führt er diese so oberflächlich durch, dass er schuldhaft Mängel übersieht, so ist dieses Verhalten als vorsätzliche Pflichtverletzung zu werten, wenn der Autoverkäufer über die nur oberflächliche Überprüfung nicht aufklärt. Dieses bewusste Fehlverhalten rechtfertigt den Arglisteinwand (OLG Köln, Urt. v. 13.03.2001 – 3 U 173/00, SP 2002, 288).
Der Beklagte hat gegen die ihm obliegende generelle Untersuchungspflicht verstoßen, indem er das verkaufte Kfz offensichtlich nicht einer eigenen sorgfältigen Sichtprüfung unterzogen und die Klägerin auf die massiv fortgeschrittene Durchrostung der Leitungen und des Unterbodens hingewiesen hat. Die Durchrostungen wären bereits bei einer einfachen Sichtprüfung des Unterbodens aufgefallen. Der Beklagte kann sich auch nicht damit entlasten, er habe den Pkw noch am Tag des Verkaufs dem TÜV vorgeführt und dieser habe das Fahrzeug nicht beanstandet. Bedient sich ein Verkäufer zur Erfüllung seiner Untersuchungspflicht eines Dritten zur Begutachtung des zu verkaufenden Fahrzeugs, so handelt das beauftragte Unternehmen als Erfüllungsgehilfe (§ 278 Satz 1 BGB) und ein Prüfverschulden ist dem Verkäufer gemäß § 276 II BGB zuzurechnen (BGH, Urt. v. 14.04.2010 – VIII ZR 145/09, NJW 2010, 2426; Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3893). Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Verkäufer einen privaten Gutachter beauftragt oder den Technischen Überwachungsverein (TÜV). Zwar nimmt der auf privatwirtschaftlicher Basis organisierte TÜV hoheitliche Aufgaben auf dem Gebiet der Kfz-Überwachung wahr. Gleichwohl beinhaltet die Überprüfung der Fahrzeugsicherheit durch den TÜV nicht von vornherein und ohne jeden Zweifel die Fehlerfreiheit der Überprüfung. Ein Gebrauchtwagenhändler kann sich jedenfalls von seiner eigenen generellen Untersuchungspflicht nicht entlasten, indem er das zu verkaufende Fahrzeug dem TÜV vorstellt und den Käufer auf die erhaltene Prüfplakette verweist.
Aufgrund des Arglisteinwands der Klägerin ist der nichtige Kaufvertrag rückabzuwickeln …
Der Senat hat die Revision gemäß § 543 II Nr. 2 ZPO zugelassen, da bisher die Reichweite der generellen Untersuchungspflicht eines Gebrauchtwagenhändlers bei Vorstellung des zu verkaufenden Fahrzeugs noch am Tag des Verkaufs beim TÜV höchstrichterlich nicht entschieden ist und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Hinweis: Der BGH hat die Revision des Beklagten mit Urteil vom 15.04.2015 – VIII ZR 80/14 – zurückgewiesen.