- Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens muss den Käufer vor Abschluss des Kaufvertrags ungefragt darüber aufklären, dass er selbst das Fahrzeug von einem nicht in den Fahrzeugpapieren eingetragenen („fliegenden“) Zwischenhändler erworben hat.
- Bei einem Gebrauchtwagen stellt ein fachgerecht behobener Bagatellschaden keinen Sachmangel dar.
LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 24.02.2012 – 2 O 126/09
(nachfolgend: OLG Naumburg, Urteil vom 14.08.2012 – 1 U 35/12)
Sachverhalt: Der Kläger nimmt den Beklagten auf Rückabwicklung eines Kaufvertrages über gebrauchten Pkw in Anspruch.
Er erwarb das am 27.03.2002 erstzugelassene Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 08.02.2008 von dem Beklagten zu einem Kaufpreis von 10.200 €. Im Kaufvertrag ist die Gesamtfahrleistung nach den Angaben des Vorbesitzers mit 69.985 km und die Zahl der Halter laut Fahrzeugbrief/Zulassungsbescheinigung Teil II zutreffend mit „1“ angegeben. Die Frage, ob das Fahrzeug als Mietwagen genutzt wurde, ist verneint. Unter „Zahl, Art und Umfang von Vorschäden lt. Vorbesitzer“ heißt es: „Fahrzeug mit Gebrauchsspuren, teilw. nachlackiert“.
Im Fahrzeugbrief eingetragener Halter war der Zeuge Z, der das Fahrzeug am 17.01.2008 zu einem Kaufpreis von 4.500 € mit einem Turboladerschaden an die A-GmbH in veräußert hatte. Als Übergabedatum ist im Ankaufschein der 11.01.2008 genannt; die Zahl der Vorbesitzer ist mit zwei angegeben. Als Laufleistung sind 59.629 km mit dem Zusatz „lt. letztem Werkstattbesuch“ angegeben. Die A-GmbH veräußerte das Fahrzeug zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt an die Firma X, die den Turboladerschaden mit einem Reparaturkostenaufwand von 1.289,22 € behob und das Fahrzeug mit Kaufvertrag vom 15.01.2008 für 7.200 € an den Beklagten veräußerte. Als Übergabedatum ist der 21.01.2008 angeführt; der Kilometerstand ist mit 70.800 angegeben. Zuvor hatte die Firma X das Fahrzeug im Internet mit einem Kilometerstand von 69.000 zu einem Preis von 7.890 € zum Kauf angeboten.
Im November 2008 zeigte der Kläger dem Beklagten einen vorgeblich bei Vertragsschluss verschwiegenen und in der Werkstatt des Beklagten durch Spachtel- und Lackierarbeiten behobenen Unfallschaden an. Mit Anwaltsschreiben vom 09.02.2009, das dem Beklagten am 12.02.2009 zuging, erklärte der Kläger die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Der Kläger hat den geltend gemachten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags zunächst auf den behaupteten Vorschaden und im weiteren Verlaufe des Rechtsstreits auf eine Vornutzung des Fahrzeugs als Mietwagen gestützt. Nachdem der Beklagte ergänzenden zu den Umständen, unter denen er das Fahrzeug erworben hat, vorgetragen hat, vertritt der Kläger nunmehr die Ansicht, der Beklagte habe vor Abschluss des Kaufvertrages darauf hinweisen müssen, dass das Fahrzeugs durch einen „fliegenden Händler“ zwischenerworben worden sei.
Die Klage hatte überwiegend Erfolg.
Aus den Gründen: I. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags.
1. Dieser folgt allerdings nicht aus dem von ihm behaupteten verschwiegenen Unfallschaden. Nach den Feststellungen des Sachverständigen S in seinem Gutachten vom 29.06.2010 waren zwar im Bereich der Fahrertür sowie der Seitenwand hinten links bei Schichtdickenmessungen des Fahrzeuglacks Anhaltspunkte für Reparaturarbeiten festgestellt worden. Bei einer daraufhin erfolgten Öffnung der Innenverkleidungen ließen sich allerdings keine Instandsetzungsspuren finden. Hieraus hat der Sachverständige den plausiblen Schluss gezogen, dass in beiden Bereichen zwar autonome Beschädigungen vorgelegen haben, diese aber auf eine nur geringe Schadenintensität hindeuten. Es ist damit davon auszugehen, dass allenfalls ein fachgerecht behobener Bagatellschaden vorlag, der keinen Sachmangel darstellt.
2. Auch die vom Kläger behauptete Vornutzung des Fahrzeugs als Mietwagen ist durch die Aussage des Zeugen Z nicht bestätigt worden. Dieser hat vielmehr eine rein private Nutzung bekundet. Da in der Zulassungsbescheinigung weitere Fahrzeughalter nicht eingetragen sind, kann auch die Nutzung durch einen anderweitigen Dritten als Mietwagen ausgeschlossen werden. Die Angabe im Kaufvertrag vom 08.02.2008 ist damit zutreffend.
3. Dem Kläger steht jedoch gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 I, 311 II BGB zu, nach dessen Inhalt er die Rückgängigmachung des Vertrages verlangen kann (Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 311 Rn. 55).
a) Der Kläger beruft sich zu Recht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Offenbarungspflicht des Zwischenerwerbs eines Gebrauchtwagens durch einen sogenannten fliegenden Zwischenhändler (BGH, Urt. v. 16.12.2009 – VIII ZR 38/09, NJW 2010, 858), der sich – soweit erkennbar – auch die obergerichtliche Rechtsprechung angeschlossen hat (OLG Brandenburg, Urt. v. 12.01.2011 – 7 U 158/09, juris), und der auch das erkennende Gericht folgt.
Den Verkäufer eines Gebrauchtwagens trifft die Pflicht, den Käufer im Zuge der Vertragsverhandlungen ungefragt über alle diejenigen Umstände aufzuklären, die für seine Entschließung von wesentlicher Bedeutung sein können. Hierzu gehört auch der Zwischenerwerb durch gewerbliche Kfz-Händler, die nicht im Fahrzeugbrief bzw. in der Zulassungsbescheinigung angegeben sind. Ohne einen entsprechenden Hinweis geht der Käufer davon aus, dass der Verkäufer das Fahrzeug von dem im Fahrzeugbrief eingetragenen (letzten) Halter erworben hat. Hat der Verkäufer dagegen das Fahrzeug von einem dem Käufer nicht mitgeteilten Dritten erworben, besteht die grundsätzliche Gefahr, dass es während dessen Besitzzeit zu Manipulationen am Kilometerzähler oder sonstigen Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Zugleich wird die Angabe solcher Fahrzeugmerkmale im Kaufvertrag entwertet, die der Verkäufer ausdrücklich auf die Angaben des Vorbesitzers stützt, wie im Streitfall für die Gesamtfahrleistung, die Nutzungsart sowie etwaige Vorschäden geschehen. Die in den vorgelegten Urkunden angegebenen unterschiedlichen Laufleistungen des streitgegenständlichen Fahrzeugs machen die Bedeutung der Offenbarungspflicht in besonderer Weise deutlich. Die Firma X ist als fliegender Zwischenhändler im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung unabhängig davon anzusehen, dass sie vor Weiterveräußerung des Fahrzeugs einen Turboladerschaden behoben hat.
b) Der Anspruch aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen wird durch den grundsätzlichen Vorrang der kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften nach Gefahrübergang jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn die Verletzung der Aufklärungspflicht auf vorsätzlichem Verhalten des Verkäufers beruht (BGH, Urt. v. 16.12.2009 – VIII ZR 38/09, NJW 2010, 858). Hiervon ist auszugehen, weil der Beklagte das Fahrzeug unmittelbar selbst von dem Zwischenhändler erworben hat.
c) Der Anspruch besteht im Ausgangspunkt in Höhe des vereinbarten Kaufpreises.
Anders als der Beklagte meint, ist der Anspruch trotz der unstreitigen Angabe des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 15.09.2009, das Fahrzeug sei finanziert, auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises abzüglich des Wertes der gezogenen Nutzungen und nicht lediglich auf Rückzahlung einer Anzahlung sowie der bis zur letzten mündlichen Verhandlung geleisteten Nettokreditraten gerichtet. Abgesehen davon, dass die Parteien zur Finanzierungsdauer keine Angaben gemacht haben und deshalb schon nicht erkennbar ist, ob das Darlehen nicht zwischenzeitlich vollständig getilgt ist, streitet zugunsten des Klägers der Inhalt der Kaufvertragsurkunde vom 08.02.2008. Danach jedoch ist der Kaufpreis bis auf einen Betrag von 200 € durch die Inzahlungnahme eines anderweitigen Fahrzeugs zum Preis von 10.000 € getilgt worden. Die weitere Angabe, der Kläger sei Bestandskunde des Beklagten, legt die Vermutung nahe, dass sich die Finanzierung auf das in Zahlung genommene Fahrzeug bezog. Zwar erscheint es denkbar, dass entgegen dem Wortlaut der Vertragsurkunde mit dem Kaufpreis für das in Zahlung genommene Fahrzeug die Finanzierung abgelöst und für das streitgegenständliche Fahrzeug ein neues Darlehen gewährt worden ist. Der Einwand des Beklagten hätte bei dieser Sachlage jedoch näherer Darlegung bedurft, zu der er unschwer auch in der Lage gewesen wäre, weil er selbst behauptet, das Darlehen vermittelt zu haben. Erforderlich wäre insbesondere Vortrag dazu gewesen, in welcher Höhe das etwaige frühere Darlehen noch valutierte und ob und in welcher Höhe demgemäß ein etwa verbleibender Rest als Anzahlung auf den Kaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug verwendet worden ist.
Es bedarf deshalb keiner Entscheidung darüber, inwiefern die Grundsätze des drittfinanzierten Verbundgeschäfts, auf die sich der Beklagte beruft, auf den im Streitfall bestehenden Schadensersatzanspruch überhaupt anwendbar sind. Der Anspruch ist ferner auch nicht auf Rückgabe des in Zahlung gegebenen Fahrzeugs gerichtet, unabhängig davon, ob dieses sich überhaupt noch im Besitz des Beklagten befindet. Der Käufer kann im Falle Inzahlungnahme eines Altfahrzeugs vielmehr unmittelbar den hierfür angerechneten Betrag verlangen (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl. [2012], Rn. 3768 m. w. Nachw.).
d) Der Anspruch mindert sich jedoch um den Wert der gezogenen Nutzungen. Dabei greift das Gericht auf die allgemein anerkannte Formel zurück, wonach sich der Gebrauchsvorteil aus der Multiplikation des Bruttokaufpreises mit den gefahrenen Kilometern, dividiert durch die voraussichtliche Restlaufleistung ergibt.
Beim streitgegenständlichen Fahrzeug der Mittelklasse, ausgestattet mit einem Dieselmotor, ist im Rahmen der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Schätzung von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km auszugehen. Bei einer Laufleistung von gerundet 70.000 km bei Vertragsschluss folgt hieraus eine Restlaufleistung von 180.000 km. Ausgehend von der vom Kläger unwidersprochen behaupteten eigenen Fahrleistung von gerundet 39.000 km und einem Bruttokaufpreis von 10.200 € errechnet sich folglich eine Nutzungsvergütung von 2.210 € (vgl. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3562 ff.). Da sich der Kläger selbst einen Betrag von 2.286,84 € entgegen halten lässt, ist dieser Betrag zugrunde zu legen. Es verbleibt damit eine Schadensersatzforderung in Höhe von 7.913,16 €.
e) Dieser wiederum ist ein Betrag für die Kosten der Zulassung hinzuzusetzen, deren Ersatz der Kläger gemäß § 284 BGB als vergebliche Aufwendungen verlangen kann. Das Gericht setzt hierfür im Wege der Schätzung einen Betrag von 70 € an, der allerdings in dem Umfang zu kürzen ist, in dem dem Kläger die Vorteile der Zulassung selbst zugeflossen sind. Dabei ist auf das Verhältnis von eigener Nutzung zur Restlaufleistung abzustellen (22 %). Ersatzfähig sind deshalb nur 78 % der Zulassungskosten (54,60 €). Soweit der Kläger … pauschal einen Betrag von 100 € fordert, ist der über den vorgenannten Betrag hinausgehende Teil nicht schlüssig dargelegt, worauf der Beklagte bereits in der Klageforderung hingewiesen hat.
f) Die mit Rechnung vom 22.12.2011 geforderten Reparaturkosten sind unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erstattungsfähig.
Für einen Anspruch gemäß § 284 BGB ist kein Raum, weil danach nur die Aufwendungen ersatzfähig sind, die der Gläubiger im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung billigerweise machen durfte. Im Zeitpunkt der Entstehung der Reparaturkosten allerdings waren die Umstände zum Zwischenerwerb des Fahrzeugs durch einen sogenannten fliegenden Zwischenhändler, die der Klage letztlich dem Grunde nach zum Erfolg verhelfen, bereits Gegenstand des Rechtsstreits. Der Kläger durfte deshalb angesichts der geänderten Sachlage keine Aufwendungen auf den Kaufgegenstand mehr machen, die nicht unumgänglich waren, weil er auf den weiteren Behalt des Fahrzeugs nicht vertrauen durfte.
Aus dem gleichen Grund ist auch ein Bereicherungsanspruch ausgeschlossen. Zudem tritt mit der Rückgabe des Fahrzeugs eine etwaige Bereicherung ohnehin nicht in Höhe der Reparaturkosten ein, sondern lediglich im Umfang der Wertsteigerung, die das Fahrzeug durch die Reparatur erfährt.
Insgesamt beläuft sich der Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs vom Beklagten zu leistende Schadensersatz damit auf 7.967,76 €.
4. Daneben hat der Kläger einen Anspruch auf Ersatz der ihm vorgerichtlich als Verzögerungsschaden entstandenen Rechtsverfolgungskosten …
Hinweis: Die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil hatte ebenso wenig Erfolg wie die Anschlussberufung des Klägers (s. OLG Naumburg, Urteil vom 14.08.2012 – 1 U 35/12).