Für die Fra­ge, ob das Rück­tritts­recht ei­nes Käu­fers we­gen der Lie­fe­rung ei­ner man­gel­haf­ten Sa­che ge­mäß § 323 V 2 BGB aus­ge­schlos­sen ist, ist auf den Zeit­punkt der Rück­tritts­er­klä­rung ab­zu­stel­len. Ist zu die­sem Zeit­punkt die Man­gel­ur­sa­che trotz meh­re­rer vor­aus­ge­gan­ge­ner Re­pa­ra­tur­ver­su­che nicht be­kannt und des­we­gen nicht ab­seh­bar, ob und mit wel­chem Auf­wand der Man­gel be­sei­tigt wer­den kann, wird ein zum Zeit­punkt des Rück­tritts er­heb­li­cher Man­gel nicht zu ei­nem ge­ring­fü­gi­gen Man­gel, wenn sich nach­träg­lich her­aus­stellt, dass der Man­gel mit ver­hält­nis­mä­ßig ge­rin­gem Auf­wand be­ho­ben wer­den kann (Be­stä­ti­gung von Se­nat, Urt. v. 05.11.2008 – VI­II ZR 166/07, NJW 2009, 508 und Urt. v. 09.03.2011 – VI­II ZR 266/09, NJW 2011, 1664).

BGH, Ur­teil vom 15.06.2011 – VI­II ZR 139/09

Sach­ver­halt: Die Par­tei­en strei­ten um die Rück­ab­wick­lung ei­nes Kauf­ver­trags über ei­nen Pkw. Das Fahr­zeug hat­te der Klä­ger un­ter In­zah­lung­ga­be ei­nes Ge­braucht­wa­gens im Mai 2003 als Neu­fahr­zeug bei dem Be­klag­ten – ei­nem Ver­trags­händ­ler des Her­stel­lers – zu ei­nem Kauf­preis von 25.860 € nebst ge­son­dert be­rech­ne­tem Zu­be­hör be­stellt und im Sep­tem­ber 2003 er­hal­ten.

Der Klä­ger rüg­te in der Fol­ge­zeit ei­ne Viel­zahl von Män­geln, die zu ei­ner Rei­he von Werk­statt­auf­ent­hal­ten führ­ten, und zwar un­ter an­de­rem Män­gel an der Len­kung des Fahr­zeugs. Na­ment­lich ge­stützt auf Kor­ro­si­ons­er­schei­nun­gen und Farb­ab­plat­zun­gen im Be­reich des Fahr­zeug­un­ter­bo­dens so­wie auf ei­nen Sä­ge­zahn­ab­rieb der Rei­fen trat er schließ­lich mit An­walts­schrei­ben vom 23.11.2005 vom Kauf­ver­trag zu­rück.

Das Land­ge­richt hat – un­ter Ab­zug ei­ner Nut­zungs­ent­schä­di­gung – der auf Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses nebst Zin­sen Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Fahr­zeugs ge­rich­te­ten Kla­ge weit­ge­hend, näm­lich in Hö­he von 22.291,31 € zu­züg­lich 552,31 € an­tei­li­ger vor­ge­richt­li­cher Rechts­an­walts­kos­ten, statt­ge­ge­ben. Da­bei hat es zum ei­nen vor­han­de­ne Ro­st­an­haf­tun­gen am Un­ter­bo­den des Fahr­zeugs und zum an­de­ren Feh­ler an der vor­de­ren Achs­ein­stel­lung als Män­gel an­ge­se­hen, die den er­klär­ten Rück­tritt recht­fer­tig­ten. Das Ober­lan­des­ge­richt hat auf die Be­ru­fung des Be­klag­ten die Kla­ge un­ter Ab­än­de­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils ins­ge­samt ab­ge­wie­sen. Mit sei­ner Re­vi­si­on er­strebt der Klä­ger die Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils. Das Rechts­mit­tel hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: [4]    I. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat zur Be­grün­dung im We­sent­li­chen aus­ge­führt:

[5]    Die Kor­ro­si­on an dem an der Un­ter­sei­te des Fahr­zeugs an­ge­schraub­ten Fahr­ge­stell und den dort be­find­li­chen Guss­tei­len stel­le be­reits kei­nen Sach­man­gel dar. Dem­ge­gen­über stel­le die nach dem ein­ge­hol­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten feh­ler­haft ein­ge­stell­te Achs­geo­me­trie des Fahr­zeugs zwar ei­nen Man­gel dar, der sich in Form von Lenk­schwie­rig­kei­ten und In­sta­bi­li­tä­ten ins­be­son­de­re bei hö­he­ren Ge­schwin­dig­kei­ten auf die Ver­kehrs­si­cher­heit aus­ge­wirkt so­wie in ei­nem un­gleich­mä­ßi­gen Ver­schleiß der Rei­fen nie­der­ge­schla­gen ha­be. In­so­weit sei es auch un­schäd­lich, dass der Klä­ger sein Rück­tritts­ver­lan­gen nicht ge­nau auf die­sen Man­gel ge­stützt ha­be, des­sen Ur­sa­che den Par­tei­en vor Er­stel­lung des Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens un­be­kannt ge­we­sen sei, so­dass selbst der Be­klag­te die mit der Len­kung be­ste­hen­den Pro­ble­me durch an­de­re, im Er­geb­nis aber er­folg­lo­se Maß­nah­men zu be­sei­ti­gen ver­sucht ha­be. Gleich­wohl recht­fer­ti­ge die­ser Man­gel, des­sen Aus­wir­kun­gen der Klä­ger im­mer wie­der mo­niert und da­bei mit dem Sä­ge­zahn­ab­rieb so be­schrie­ben ha­be, dass sein Rück­tritts­ver­lan­gen grund­sätz­lich auch hier­auf ge­stützt wer­den kön­ne, ei­nen Rück­tritt nicht. Denn der Man­gel sei un­ge­ach­tet der von ihm aus­ge­hen­den Be­ein­träch­ti­gung der Fahr­si­cher­heit un­er­heb­lich i. S. von § 323 V 2 BGB. In die da­zu vor­zu­neh­men­de In­ter­es­sen­ab­wä­gung sei näm­lich auch ein­zu­stel­len, dass die mit ma­xi­mal 1.300 € an­zu­set­zen­den Kos­ten ei­ner Man­gel­be­sei­ti­gung noch nicht ein­mal bei fünf Pro­zent des vom Klä­ger ge­zahl­ten Kauf­prei­ses lä­gen. Au­ßer­dem sei zu be­rück­sich­ti­gen, dass der Klä­ger – ver­bun­den mit Arg­list­vor­wür­fen – im­mer wie­der un­be­rech­tig­te Män­gel­rü­gen er­ho­ben und den Be­klag­ten auch in­so­weit zu zahl­rei­chen Nach­bes­se­rungs­ver­su­chen ver­an­lasst ha­be. Dies recht­fer­ti­ge es, den Klä­ger hin­sicht­lich des ein­zig be­ste­hen­den Man­gels auf das ihm nach §§ 437 Nr. 1439 BGB ver­blei­ben­de Nach­er­fül­lungs­recht zu ver­wei­sen, zu­mal ei­ne Nach­bes­se­rung noch mög­lich sei und der Klä­ger die An­nah­me ei­ner Nach­er­fül­lung hin­sicht­lich des ihm da­mals selbst noch un­be­kann­ten Man­gels bis­lang nicht end­gül­tig ab­ge­lehnt ha­be.

[6]    II. Die­se Be­ur­tei­lung hält recht­li­cher Nach­prü­fung nicht in al­len Punk­ten stand. Es kann da­hin­ste­hen, ob in den vom Be­ru­fungs­ge­richt fest­ge­stell­ten Ro­st­an­haf­tun­gen an der Fahr­zeug­un­ter­sei­te ein Man­gel des Fahr­zeugs liegt. Nicht frei von Rechts­feh­lern ist je­den­falls die An­nah­me des Be­ru­fungs­ge­richts, der Man­gel der vor­de­ren Achs­ein­stel­lung sei ei­ne un­er­heb­li­che Pflicht­ver­let­zung i. S. von § 323 V 2 BGB, so­dass dem Klä­ger kein Rück­tritts­recht nach § 437 Nr. 2 BGB zu­ste­he, son­dern er sich auf ei­ne Nach­er­fül­lung ver­wei­sen las­sen müs­se. Der Klä­ger kann viel­mehr ge­mäß §§ 437 Nr. 2, 440, 323 I und II, 346 I, 348 BGB von dem Be­klag­ten die Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses ab­züg­lich ge­zo­ge­ner Ge­brauchs­vor­tei­le Zug um Zug ge­gen Rück­ge­währ des ge­kauf­ten Fahr­zeugs be­an­spru­chen, da die Be­sei­ti­gung des Man­gels durch den Be­klag­ten zum Zeit­punkt der Rück­tritts­er­klä­rung nach mehr­fa­chen ver­geb­li­chen Be­sei­ti­gungs­ver­su­chen fehl­ge­schla­gen war.

[7]    1. Zu­tref­fend sieht das Be­ru­fungs­ge­richt es al­ler­dings als un­schäd­lich an, dass der Klä­ger für den von ihm er­klär­ten Rück­tritt nicht die feh­ler­haf­te Achs­ein­stel­lung her­an­ge­zo­gen hat, die erst im Zu­ge des im Pro­zess ein­ge­hol­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens fest­ge­stellt wor­den ist. Zwar muss, wenn der Rück­tritt – wie hier – auf ein Fehl­schla­gen bis­her er­folg­ter Nach­bes­se­rungs­ver­su­che ge­stützt wird, der be­tref­fen­de Man­gel zu­vor hin­rei­chend kon­kret an­ge­spro­chen und zur Nach­bes­se­rung ge­stellt wor­den sein. Das ist vor­lie­gend je­doch ge­sche­hen. Denn der Klä­ger hat sich bei sei­nem Rück­tritt auch auf ei­nen fort­be­ste­hen­den Sä­ge­zahn­ab­rieb der Rei­fen ge­stützt, für den die bei der bis­he­ri­gen Feh­ler­su­che nicht als feh­ler­haft er­kann­te Achs­ein­stel­lung je­den­falls mit­ur­säch­lich war. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat des­halb die vom Klä­ger über den Sä­ge­zahn­ab­rieb be­an­stan­de­te feh­ler­haf­te Achs­ein­stel­lung, wel­che der Be­klag­te bis da­hin trotz di­ver­ser Nach­bes­se­rungs­ver­su­che, die al­le nicht an der rich­ti­gen Stel­le an­ge­setzt hat­ten, nicht hat­te be­sei­ti­gen kön­nen, mit Recht als ge­eig­net an­ge­se­hen, den er­klär­ten Rück­tritt zu recht­fer­ti­gen.

[8]    2. Zu Un­recht meint das Be­ru­fungs­ge­richt je­doch, der Klä­ger sei mit ei­nem hier­auf ge­stütz­ten Rück­tritts­recht ge­mäß § 323 V 2 BGB aus­ge­schlos­sen, weil die Pflicht­ver­let­zung des Be­klag­ten im Hin­blick dar­auf un­er­heb­lich sei, dass die feh­ler­haf­te Achs­ein­stel­lung mit ei­nem Re­pa­ra­tur­kos­ten­auf­wand von we­ni­ger als fünf Pro­zent des Fahr­zeug­kauf­prei­ses be­ho­ben wer­den kön­ne.

[9]    Das Be­ru­fungs­ge­richt hat da­bei ver­kannt, dass für die Be­ur­tei­lung der Fra­ge, ob die in der Lie­fe­rung ei­nes man­gel­haf­ten Fahr­zeugs lie­gen­de Pflicht­ver­let­zung un­er­heb­lich ist und des­we­gen das Rück­tritts­recht des Käu­fers aus­schließt, auf den Zeit­punkt der Rück­tritts­er­klä­rung ab­zu­stel­len ist (Se­nat, Urt. v. 05.11.2008 – VI­II ZR 166/07, NJW 2009, 508; Urt. v. 09.03.2011 – VI­II ZR 266/09, NJW 2011, 1664). Zu die­sem Zeit­punkt war die Ur­sa­che des Sä­ge­zahn­ab­riebs der Be­rei­fung trotz meh­re­rer vor­aus­ge­gan­ge­ner Re­pa­ra­tur­ver­su­che des Be­klag­ten noch nicht be­kannt und des­we­gen nicht ab­seh­bar, ob und mit wel­chem Auf­wand der Man­gel be­sei­tigt wer­den kann. Bei ei­ner sol­chen Kon­stel­la­ti­on kann dem Man­gel die Er­heb­lich­keit nicht ab­ge­spro­chen wer­den. Dar­an än­dert nichts, dass durch das im Ver­lauf des Rechts­streits ein­ge­hol­te Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten die Ur­sa­che des Sä­ge­zahn­ab­riebs der Rei­fen of­fen­bar ge­wor­den ist und sich her­aus­ge­stellt hat, dass die feh­ler­haf­te Achs­ein­stel­lung mit ver­hält­nis­mä­ßig ge­rin­gem Kos­ten­auf­wand kor­ri­giert wer­den kann. Denn da­durch kann ein zum Zeit­punkt des Rück­tritts er­heb­li­cher Man­gel nicht zu ei­nem ge­ring­fü­gi­gen Man­gel i. S. des § 323 V 2 BGB wer­den (Se­nat, Urt. v. 05.11.2008 – VI­II ZR 166/07, NJW 2009, 508; Urt. v. 09.03.2011 – VI­II ZR 266/09, NJW 2011, 1664).

[10]   Der vom Be­ru­fungs­ge­richt im Rah­men sei­ner Über­le­gun­gen zur Wirk­sam­keit des Rück­tritts wei­ter her­an­ge­zo­ge­ne Um­stand, dass der Klä­ger den Be­klag­ten zu­vor schon durch ei­ne Rei­he un­zu­tref­fen­der Män­gel­rü­gen zu zahl­rei­chen Nach­bes­se­rungs­ver­su­chen ver­an­lasst ha­be, ist für die Be­ur­tei­lung der Er­heb­lich­keit des zu­letzt je­den­falls noch vor­han­de­nen Man­gels der Achs­ein­stel­lung ir­re­le­vant und hat da­her au­ßer Be­tracht zu blei­ben.

[11]   III. Das Be­ru­fungs­ur­teil kann so­mit kei­nen Be­stand ha­ben; es ist da­her auf­zu­he­ben (§ 562 I ZPO). Der Se­nat ent­schei­det in der Sa­che selbst, weil die Hö­he der vom Land­ge­richt zu­er­kann­ten Zah­lungs­an­sprü­che nicht im Streit steht, so­dass es wei­te­rer Fest­stel­lun­gen nicht be­darf (§ 563 III ZPO). Da die Kla­ge hier­nach be­grün­det ist, ist die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das erst­in­stanz­li­che Ur­teil zu­rück­zu­wei­sen.

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