Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens muss den Käufer ungefragt darüber aufklären, dass er das Fahrzeug von einem nicht im Fahrzeugbrief eingetragenen „fliegenden“ Zwischenhändler erworben hat. Ohne einen solchen Hinweis darf der Käufer davon ausgehen, dass der Veräußerer das Fahrzeug von der Person erworben hat, die als letzter Halter im Kfz-Brief eingetragen ist.
OLG Brandenburg, Urteil vom 12.01.2011 – 7 U 158/09
Sachverhalt: Der Kläger nimmt den beklagten Gebrauchtwagenhändler auf Schadensersatz wegen der fehlgeschlagenen Veräußerung eines gebrauchten Kraftfahrzeugs in Anspruch.
Er hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 11.917,43 € nebst Zinsen, weitere monatliche Zinsen in Höhe von 30,14 &euro und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.150,49 € nebst Zinsen zu zahlen.
Das Landgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 21.09.2009 unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 11.894,36 € sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.150,49 € jeweils nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte sei dem Kläger aus §§ 280 I, 311a II, 437 Nr. 3 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil er – der Beklagte – nicht das Eigentum am streitgegenständlichen Fahrzeug erworben habe und das Fahrzeug deshalb nicht dem Kläger habe übereignen können. Ein fehlendes Verschulden des Beklagten könne nicht festgestellt werden. Der Beklagte habe dem Kläger den gezahlten Kaufpreis in Höhe von 10.999 €, die dem Kläger für die Finanzierung des Erwerbs entstandenen Kreditbearbeitungskosten in Höhe von 314,97 €, die in der Zeit bis November 2008 entstandenen und gezahlten Zinsen in Höhe von 241,12 €, die vom Kläger gezahlte Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von 94,57 € und die von ihm entrichteten Beiträge zur Kraftfahrzeugversicherung in Höhe von 244,32 € zu erstatten. Die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien als notwendige Rechtsverfolgungskosten ebenfalls zu ersetzen. Nicht erstattungsfähig seien hingegen die geltend gemachten Stornogebühren in Höhe von 23,05 € und monatliche Zinsen in Höhe von 30,14 € für die Zeit ab Dezember 2008.
Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der außerdem widerklagend die Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.150,49 € nebst Zinsen verlangt. Sowohl das Rechtsmittel als auch die Widerklage hatten keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. … 1. Für die Klage kann dahinstehen, ob – wie vom Landgericht angenommen – der Beklagte dem Kläger das Eigentum am streitgegenständlichen Kraftfahrzeug nicht hat verschaffen können und deshalb der Gewährleistungshaftung aus §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB unterliegt; insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte über die von ihm in der mündlichen Verhandlung beim Landgericht dargestellten Maßnahmen hinaus die Eigentumsverhältnisse am Fahrzeug aufzuklären gehalten gewesen ist. Denn der Beklagte schuldet die Leistung von Schadensersatz in Höhe des Betrags seiner Verurteilung durch das angefochtene Urteil bereits aus §§ 311 II Nr. 1, 241 II, 280 I BGB, da er den Kläger nicht gehörig darüber aufgeklärt hat, dass er – der Beklagte – das Fahrzeug nicht von der in den Fahrzeugbrief eingetragenen ursprünglichen Eigentümerin N, sondern von dem Zwischenveräußerer P erlangt hat.
a) Der Anwendungsbereich des § 311 II Nr. 1 BGB ist eröffnet, da – unstreitig – die Parteien in Vertragsverhandlungen eingetreten sind, die schließlich zum Abschluss des Kaufvertrags vom 18.02.2008 geführt haben. Die vom Kläger unter dem 14.04.2008 und vom Beklagten im Schriftsatz vom 04.05.2010 erklärten Anfechtungen des Kaufvertrags stehen der Anwendbarkeit des § 311 II BGB und der daraus folgenden Haftung des Beklagten nicht entgegen, da die Möglichkeit und Durchführung der Anfechtung die Schadensersatzpflicht aus vorvertraglichem Verschulden nicht ausschließt, sondern neben jene tritt (BGH, NJW 2006, 845 [847]; NJW-RR 2002, 308 [309 f.]; Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 311 Rn. 13).
b) Der Beklagte hat seine vorvertraglichen Pflichten verletzt, indem er den Kläger nicht gehörig über die Umstände des Erwerbs des Fahrzeugs aufgeklärt hat.
Bei der Durchführung von Vertragsverhandlungen ist jeder Vertragspartner verpflichtet, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck vereiteln können und daher für den anderen Teil von wesentlicher Bedeutung sind, wenn und soweit der andere Teil die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten kann (BGH, Urt. v. 16.12.2009 – VIII ZR 38/09, NJW 2010, 858; Urt. v. 13.06.2007 – VIII ZR 236/06, NJW 2007, 3057 [3059]; Urt. v. 04.04.2001 – VIII ZR 32/00, NJW 2001, 2163 [2164]). Ein solcher Umstand liegt bei der Veräußerung eines gebrauchten Kraftfahrzeugs regelmäßig vor, wenn – wie hier mit dem Erwerb von dem nicht im Fahrzeugbrief eingetragenen Zwischenveräußerer P geschehen – der Verkäufer das Fahrzeug zuvor von einem „fliegenden Zwischenhändler“ erworben hat, weshalb der Verkäufer dies ungefragt dem Käufer mitzuteilen hat; denn ohne einen solchen Hinweis darf der Käufer davon ausgehen, dass der Veräußerer das Fahrzeug von der als letztem Halter in den Fahrzeugbrief eingetragenen Person erworben hat, wohingegen in Fällen des Erwerbs von einem „fliegenden Zwischenhändler“ stets der Verdacht naheliegt, dass es zu Manipulationen am Fahrzeug oder sonstigen Unregelmäßigkeiten gekommen ist (BGH, Urt. v. 16.12.2009 – VIII ZR 38/09, NJW 2010, 858; OLG Bremen, Urt. v. 08.10.2003 – 1 U 40/03, NJW 2003, 3713 f.; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 10. Aufl. Rn. 1599). Diese Pflicht hat der Beklagte verletzt, wobei, nachdem der Beklagte in der Berufung klargestellt und damit den diesbezüglichen Vortrag des Klägers in der ersten Instanz zugestanden hat, dass er das Fahrzeug nicht als Kommissionsware verkauft hat, dahinstehen kann, ob die beschriebene Pflichtenstellung auch im Falle der Durchführung eines Kommissionsgeschäfts besteht.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass entgegen seiner Behauptung der Beklagte den Kläger am 18.02.2008 nicht in Kenntnis davon gesetzt hat, dass er – der Beklagte – das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von der im Fahrzeugbrief eingetragenen ursprünglichen Eigentümerin N, sondern vom Zwischenveräußerer P erhalten hat. Das folgt aus der überzeugenden Aussage der Zeugin K. Die Zeugin hat den Vortrag des Klägers, dass eine solche Aufklärung durch den Beklagten nicht erfolgt sei, bestätigt. Nach ihrer Aussage ist am 18.02.2008 nicht darüber gesprochen worden, wie der Beklagte an das Fahrzeug gelangt ist; zur Voreigentümerin N habe der Beklagte lediglich geäußert, dass es sich um eine ältere Dame handele, die das Fahrzeug gepflegt habe. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Bekundungen. Die Zeugin K hat den Gang der Geschehnisse am 18.02.2008 detailliert und anschaulich dargestellt. Aus ihrer Aussage erschließt sich ein in jederlei Hinsicht nachvollziehbares, ausgewogenes und lebensnahes Bild des Ablaufs des Besuchs des Klägers im Betrieb des Beklagten und der dabei geführten Verhandlungen sowie der Durchführung der vom Zeugen S begleiteten Probefahrt. Dabei hat die Zeugin zwischen der Wiedergabe eigener Wahrnehmungen und außerhalb ihrer Wahrnehmungen liegenden Umständen zu trennen gewusst; so hat sie auf die Frage, ob die Tür zwischen Büro und Werkstatt offen gestanden habe, geantwortet, dass sie das nicht wisse, weil sie mit dem Rücken zu dieser Tür gesessen habe. Daraus, dass es sich bei der Zeugin um die Ehefrau des Klägers handelt, kann nicht ihre Unglaubwürdigkeit oder die fehlende Glaubhaftigkeit ihrer Aussage hergeleitet werden …
Die Überzeugungskraft der Aussage der Zeugin K wird durch die Bekundungen der Zeugen S und R nicht beeinträchtigt …
Der Zeuge S hat die Behauptung des Beklagten über die Aufklärung des Klägers bereits inhaltlich nicht zu bestätigen vermocht. Danach befragt, hat der Zeuge nur allgemein und pauschal bekundet, dass das Serviceheft des Fahrzeugs, die Finanzierung und die Besitzverhältnisse besprochen worden seien. Eine Offenlegung des Erwerbs des Fahrzeugs vom Zwischenveräußerer P durch den Beklagten lässt sich dem nicht entnehmen. Soweit der Zeuge sodann ausgesagt hat, dass der Beklagte wohl später im Zusammenhang mit dem Fehlen eines Fahrzeugschlüssels den Zwischenveräußerer P offenbart haben mag, handelt es sich ersichtlich um eine bloße Vermutung und nicht die Wiedergabe einer eigenen Wahrnehmung des Zeugen; ungeachtet dessen stünde eine solche Aufklärung nach Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug der Haftung des Beklagten nicht entgegen.
Die Zeugin R hat die Behauptung des Beklagten über die Aufklärung des Klägers über die Umstände des Fahrzeugerwerbs durch ihn zwar inhaltlich bestätigt und dazu bekundet, dass – entgegen der Aussage der Zeugin K – auch sie selbst am 18.02.2008 anwesend gewesen sei. Ihre Aussage ist indes mit der Darstellung einer derartigen Vielzahl von – für das Kerngeschehen häufig unmaßgeblichen – Einzelheiten befrachtet, dass sie den Eindruck einer zur Begünstigung des Beklagten entworfenen und zurechtgelegten Schilderung vermittelt. Darauf deutet auch hin, dass die Zeugin die ihr gestellten Fragen nicht nur stets sofort hat beantworten können, sondern dabei häufig und insoweit ungefragt weiteres Randgeschehen zur Erklärung und Erläuterung ihrer jeweiligen Antworten dargestellt hat …
c) Der Beklagte hat die so geschehene Pflichtverletzung zu vertreten. Es lässt sich dem Vortrag der Parteien nichts dafür entnehmen, dass er an der Erfüllung der ihn treffenden Aufklärungspflicht gehindert gewesen ist. Das geht zu seinen Lasten, da er nach § 280 I 2 BGB darlegen und erforderlichenfalls beweisen muss, dass die Pflichtverletzung unverschuldet geschehen ist (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 70. Aufl., § 280 Rn. 40 m. w. Nachw.).
d) Der Kläger hat einen nach § 249 BGB zu erstattenden Schaden in Höhe des vom Landgericht zugesprochenen Teils der Klageforderung erlitten. Die im angefochtenen Urteil, auf das insoweit Bezug genommen wird, dazu angeführten Aufwendungen des Klägers sind ihm zu erstatten, da sie mit der Rückgabe des Fahrzeugs an die ursprüngliche Eigentümerin N nutzlos geworden sind und folglich einen Schaden des Klägers darstellen; dabei ist dem Landgericht auch darin beizutreten, dass die aufgewendeten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gleichfalls ersatzfähig sind.
Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Bedienung des aufgenommenen Darlehens durch den Kläger bestreitet … Denn dem Kläger steht nach § 250 BGB ein Zahlungsanspruch auch dann zu, wenn er das Darlehen nicht bedient hat, nachdem er durch das anwaltliche Schreiben vom 14.04.2008 den Beklagten unter Fristsetzung zur Zahlung an die kreditierende Bank aufgefordert hat. Dass das Schreiben eine Ablehnungserklärung nach § 250 Satz 1 BGB nicht enthält, ist – jetzt – unschädlich, da der Beklagte jedenfalls durch seine Rechtsverteidigung im Prozess unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er eine jede Leistung von Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert (vgl. BGH, NJW 2004, 1868 f.; 1999, 1542 [1544]; 1992, 2221 [2222]; NJW-RR 1996, 700; Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 250 Rn. 2).
e) Der dem Kläger entstandene Schaden beruht auf der in der unterlassenen Aufklärung über die Umstände des Erwerbs des Fahrzeugs liegenden Pflichtverletzung des Beklagten.
aa) Es muss davon ausgegangen werden, dass die unterbliebene Aufklärung zum Abschluss des Vertrags vom 18.02.2008 und damit zur Schädigung des Klägers geführt hat. Auch dazu hat sich der Beklagte zu entlasten; denn es ist regelmäßig zu vermuten, dass der Geschädigte sich „aufklärungsrichtig“ verhalten hätte, weshalb derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, darlegen und erforderlichenfalls beweisen muss, dass der Geschädigte den Hinweis im Falle seiner Erteilung unbeachtet gelassen und gleichwohl den Vertrag wie geschehen geschlossen hätte (BGH, Urt. v. 16.12.2009 – VIII ZR 38/09, NJW 2010, 858 [859]; BGH, NJW 2007, 3057 [3060]; 2001, 2163 [2165]; 1998, 302 [303]; Palandt/Heinrichs, a. a. O., § 280, Rn. 39). Dem Vorbringen des Beklagten lässt sich – ebenso wie dem Vortrag des Klägers – indes nichts dafür entnehmen, dass der Kläger den Vertrag vom 18.02.2008 auch dann geschlossen hätte, wenn er über die Erlangung des Fahrzeugs vom Zwischenveräußerer P aufgeklärt worden wäre.
bb) Der Kausalität der Pflichtverletzung des Beklagten für den Schaden des Klägers steht die Rückgabe des Fahrzeugs an die ursprüngliche Eigentümerin N nicht entgegen. Soweit diese – was hier letztlich dahinstehen kann – auf einem eigenen Willensentschluss des Klägers beruht haben mag, ist dieser unschädlich. Denn eine Ersatzpflicht des Schädigers besteht auch dann, wenn für ein schadenverursachendes oder -vertiefendes Verhalten des Geschädigten nach dem haftungsbegründenden Ereignis ein rechtfertigender Anlass bestand oder es durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert wurde und eine nicht ungewöhnliche oder unangemessene Reaktion auf dieses Ereignis darstellt (BGH, NJW 2001, 512 [513]; 1993, 1587 [1589]; 1988, 1143 [1145]; Palandt/Heinrichs, a. a. O., vor § 249 Rn. 41). Das ist hier der Fall. Denn das durch die unterbliebene Aufklärung über den Erwerb des Fahrzeugs vom Zwischenveräußerer P dem Kläger verheimlichte Risiko von Unregelmäßigkeiten hat sich in der – unstreitigen – Beschlagnahme des Fahrzeugs am 09.04.2008 wegen des Verdachts seiner Unterschlagung realisiert, weshalb die sodann erfolgte Rückgabe des Fahrzeugs die Folge der fehlenden Aufklärung und eine angemessene und nicht ungewöhnliche Reaktion des Klägers darauf darstellt.
f) Ein Mitverschulden des Klägers nach § 254 I BGB kann – auch und insbesondere im Hinblick auf die Rückgabe des Fahrzeugs an die ursprüngliche Eigentümerin N – nicht festgestellt werden. Auch dabei bedarf es keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob der Beklagte Eigentümer des Fahrzeugs gewesen ist und dem Kläger das Eigentum hat verschaffen können. Denn es kann dem Vortrag der Parteien nichts dafür entnommen werden, dass der Kläger, sollte er Eigentümer des Fahrzeugs geworden sein, hätte erkennen können und müssen, dass er trotz der Beschlagnahme des Fahrzeugs zu dessen Herausgabe nicht verpflichtet gewesen ist. Das geht zulasten des Beklagten, da er als Schädiger die Darlegungs- und Beweislast für ein mitwirkendes Verschuldens des Klägers nach § 254 I BGB trägt (vgl. BGH, NJW 2007, 1063; 1994, 3102 [3105]; Palandt/Heinrichs, a. a. O., § 254 Rn. 72).
g) Die Zinsansprüche des Klägers bestehen aus §§ 288 I, 286, 291 BGB.
2. Die Widerklage ist … unbegründet …
b) Die Widerklage bleibt … in der Sache ohne Erfolg, da ein Schadensersatzanspruch des Beklagten gegen den Kläger aus § 280 I BGB nicht besteht. Der Kläger hat nämlich nicht zu Unrecht, sondern zu Recht den Beklagten in Anspruch genommen, wie aus den vorstehenden Ausführungen über die Begründetheit der Klage, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, folgt; demzufolge stellen die mit der Widerklage geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht nach § 249 BGB erstattungsfähige Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung dar …