Schlägt der Anspruch des Käufers auf Herabsetzung des Kaufpreises wegen eines Mangels der Kaufsache fehl, weil der Betrag der Minderung in Anwendung der in § 441 III 1 BGB bestimmten Berechnungsmethode nicht ermittelt werden kann, kann der Käufer – auch wenn er gegenüber dem Verkäufer die Minderung erklärt hat – den ihm durch den Mangel entstandenen Vermögensschaden als Schadensersatz nach § 437 Nr. 3 BGB i. V. mit § 281 I BGB geltend machen.
BGH, Urteil vom 05.11.2010 – V ZR 228/09
Sachverhalt: Die Klägerin kaufte aufgrund einer Auktion mit notariellem Vertrag vom 09.12.2004 von der Beklagten fünf Grundstücke eines ehemaligen Industriegeländes, die unter anderem mit einem Fabrikgebäude und einem Produktions- und Lagergebäude bebaut sind, zu einem Preis von 2.000.000 €.
In den Kaufvertrag wurde der Katalogauszug des Auktionshauses einbezogen und als Inhalt des Vertrags bestimmt. Dieser enthielt unter anderem folgende Angaben zum Versteigerungsobjekt:
„Nutzfläche des 1938 errichteten, unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Fabrikgebäudes 45.900 m2, vermietete Teilfläche 7.823 m2. Jahresbruttokaltmiete ca. 228.449 €, darin enthalten sind Betriebskostenpauschalen der Mieter für die gemieteten Flächen; vom Eigentümer für das Gesamtareal (inkl. nicht vermieteter Flächen) im Jahr 2003 zu zahlende Betriebskosten ca. 46.108 €. Nutzfläche des neuen, als Kunstzentrum genutzten Lagerhauses 2.088 m2, davon 1.620 m2 vermietet; Jahresbruttokaltmiete ca. 80.000 €, darin enthalten sind Betriebskostenpauschalen der Mieter, vom Eigentümer (inkl. nicht vermieteter Flächen) im Jahr 2003 zu zahlende Betriebskosten ca. 11.180 €.“
In den notariellen Kaufvertrag einbezogen wurden ferner die Versteigerungsbedingungen des Auktionshauses. Diese enthalten einen Gewährleistungsausschluss wegen aller Ansprüche und Rechte des Erwerbers wegen Sachmängeln des Grundstücks und des Gebäudes und die Bestimmung, dass, soweit der Veräußerer dem Auktionshaus oder dem Auktionator Angaben oder Zusicherungen über das Objekt und die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe, diese zugunsten des künftigen Erwerbers gelten.
In den in dem Katalogauszug ausgewiesenen Beträgen für die von dem Eigentümer im Jahr 2003 gezahlten Betriebskosten waren die Heizkosten und die Aufwendungen für den Hausmeister, die Stadtreinigung und den Schornsteinfeger nicht erfasst.
Die Klägerin erklärte die Minderung des Kaufpreises, weil sich die tatsächlichen Betriebskosten auf 91.432 € statt angegebener 57.288 € belaufen hätten. Sie hat von der Beklagten die Zahlung von 399.028 € zzgl. Zinsen als Minderung, hilfsweise als Schadensersatz verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Kammergericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.
Aus den Gründen: [6] I. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Klägerin das Objekt auf der Grundlage unzutreffender Angaben der Beklagten über die im Jahr 2003 von dem Eigentümer gezahlten Betriebskosten erworben hat. Deswegen hält es einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Minderung des Kaufpreises für möglich, weil die in einem Kaufvertrag enthaltenen und zum Gegenstand der Verhandlungen gemachten Angaben über tatsächlich erzielte Mieterträge regelmäßig als Zusicherung einer Eigenschaft zu verstehen seien.
[7] Bei Durchführung der Beweisaufnahme habe sich jedoch ergeben, dass es aufgrund der Besonderheiten des zu beurteilenden Objekts nicht möglich sei, die von der Klägerin behauptete Wertminderung anhand der unrichtigen Angaben der Beklagten über die Einnahme- und Ausgabesituation im Jahr 2003 zu verifizieren …
[8] Die von der Klägerin beanspruchte Minderung könne deshalb nicht festgestellt werden. Aus denselben Gründen könne auch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin durch die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises einen Schaden erlitten habe.
[9] II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
[10] 1. Das Berufungsurteil ist im Ausgangspunkt richtig. Der Klägerin steht wegen der in dem Kaufvertrag falsch (nämlich zu niedrig) angegebenen Betriebskosten gegen die Beklagte ein Anspruch nach §§ 441 IV 1, 346 I BGB wegen Minderung des Kaufpreises dem Grunde nach zu.
[11] a) Davon gehen im Ansatz sowohl die Revision als auch die Erwiderung aus, die mit dem Berufungsgericht die in dem Katalogauszug genannten Mieterträge und die Betriebsausgaben als von der Beklagten zugesicherte Eigenschaften des Grundstücks ansehen. Eine der Haftung für zugesicherte Eigenschaften … entsprechende Gewährleistungspflicht des Verkäufers gibt es auch nach den neuen, auf den im Jahre 2004 geschlossenen Kaufvertrag nach Art. 229 § 5 I 1 EGBGB anzuwendenden Kaufrechtsvorschriften, wenn der Verkäufer gemäß §§ 434 I 1, 276 I 1 BGB das Vorliegen einer bestimmten Beschaffenheit der Kaufsache garantiert hat (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 132; BGH, Urt. v. 16.03.2005 – VIII ZR 130/04, juris; Urt. v. 29.11.2006 – VIII ZR 92/06, BGHZ 170, 86 [91 f.] m. w. Nachw.).
[12] b) Die aus der Bewirtschaftung eines bebauten, vermieteten Grundstücks erzielten Mieterträge und die aufzuwendenden Betriebskosten gehören zu den Eigenschaften, die Gegenstand einer von den Kaufvertragsparteien vereinbarten Beschaffenheit des Grundstücks nach § 434 I 1 BGB sein können, und deren Vorhandensein der Verkäufer garantieren kann …
[14] c) Die Angaben über die Mieten und die Betriebskosten in dem Katalogauszug wurden nach den Bestimmungen in dem Notarvertrag ausdrücklich durch Verlesen der Verkäufererklärungen in der Anlage und deren Beifügen zur Vertragsurkunde als Inhalt des Kaufvertrags vereinbart.
[15] d) Die Kaufsache war danach mangelhaft. Ihr fehlte eine vertraglich bestimmte Beschaffenheit, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Betriebskosten im Vorjahr des Verkaufs (2003) um 34.144 € über dem Betrag lagen, von dem ein Kaufinteressent nach den Zahlenangaben der Beklagten in dem Katalogauszug über die von dem Eigentümer zu tragenden Betriebskosten ausgehen musste.
[16] e) Darauf, ob die zum Inhalt des Kaufvertrags bestimmten Angaben durch die Einbeziehung des Katalogauszugs in den Kaufvertrag von der Beklagten zugesichert (= garantiert) waren … kommt es hier nicht an, weil das Recht des Käufers auf Kaufpreisminderung nach § 441 BGB eine Garantie des Verkäufers nicht voraussetzt und der vereinbarte Gewährleistungsausschluss … sich nicht auf die Ansprüche des Käufers wegen falscher Angaben des Verkäufers über die Mieterträge und die Betriebskosten erstreckt …
[18] 2. Soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Teilrückzahlung des Kaufpreises (§ 437 Nr. 2 BGB i. V. mit § 441 IV BGB) mangels Verifizierbarkeit eines Minderungsbetrags verneint hat, hält es allerdings den Angriffen der Revision nicht stand.
[19] a) Richtig ist auch hier der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass eine Minderung des Kaufpreises nach § 441 III 1 BGB eine Differenz zwischen dem Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und ihrem tatsächlichen Wert voraussetzt und daher entfällt, wenn sich die beiden Werte decken (Jauernig/Berger, BGB, 13. Aufl., § 441 Rn. 6; MünchKomm-BGB/Westermann, BGB, 5. Aufl., § 441 Rn. 13) …
[24] c) Mit Erfolg macht die Revision jedoch geltend, dass das Berufungsgericht sich nicht mit den Einwendungen der Klägerin gegen die Grundlagen einer solchen Ermittlung des Ertragswerts des Grundstücks auseinandergesetzt hat, mit der es die Feststellbarkeit einer Differenz zwischen den Ertragswerten des Grundstücks mit und ohne den Mangel verneint hat.
[25] Die Beweiswürdigung des Tatrichters kann von dem Revisionsgericht zwar nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht sich dem Gebot des § 286 ZPO entsprechend mit dem Streitstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (Senat, Urt. v. 09.07.1999 – V ZR 12/98, NJW 1999, 3481 [3482]). Die Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil hält jedoch auch diesem beschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand, weil es an einer Auseinandersetzung mit den von der Klägerin vorgetragenen Beweiseinreden vollständig fehlt.
[26] aa) Die Revision rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht sich mit dem Einwand der Klägerin nicht befasst hat, der auf einer hypothetischen Vermietung von 80 % der vermietbaren Flächen des Fabrikgebäudes ermittelte Ertragswert beruhe auf einer irrealen Prämisse, wenn dafür Investitionen von über zehn Millionen Euro erforderlich seien, der daraus erzielbare, kapitalisierte Mietertrag aber auch danach nur 8,8 Millionen Euro betrage …
[27] bb) Ebenfalls zu Recht beanstandet die Revision, dass es für die Berechnung der Minderung nach § 441 III 1 BGB auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt, bei der das Fabrikgebäude zu über 80 % leer stand. Dies führt zwar nicht dazu, dass jede künftige (hypothetische) Verbesserung der Vermietungssituation bei der Ermittlung der zu vergleichenden Ertragswerte der verkauften Grundstücke mit und ohne den Mangel außer Betracht bleiben müsste. Maßgebend sind solche Erwartungen aber nur, wenn sie bereits am Wertermittlungsstichtag Einfluss auf die zu vergleichenden Ertragswerte des Grundstücks mit und ohne den Mangel haben. Dazu ist nichts festgestellt. Dass nach den hier zu berücksichtigenden Umständen (insbesondere dem Bauzustand der Gebäude und der Nachfrage nach Lagerraum) im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von einer sofortigen Verbesserung der Ertragslage bei der Bewirtschaftung durch einen anderen als die Beklagte auszugehen war, dürfte nach dem von dem Berufungsgericht dafür für erforderlich gehaltenen hohen Investitionsaufwand von über zehn Millionen Euro eher unwahrscheinlich sein.
[28] 3. Die Unvollständigkeiten in der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts betreffen die Grundlagen bei der Ermittlung des Ertragswerts der Gebäude. Ihre Beantwortung ist ohne eine dem Tatrichter vorbehaltene erneute Anhörung desselben Gutachters (§ 411 III ZPO) oder die Einholung eines neuen Gutachtens (§ 412 I ZPO) nicht möglich. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 I 1 ZPO) …
[30] III. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass der von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 437 Nr. 3 BGB i. V. mit § 311a II 1 BGB nicht mit der Begründung verneint werden kann, dass die Klägerin – wenn ein Minderwert der Sache wegen des Mangels nach § 441 III 1 BGB nicht festzustellen ist – auch keinen Schaden erlitten habe.
[31] a) Das ist bereits im Ausgangspunkt nicht richtig, weil der nach § 311a II BGB von dem Verkäufer zu ersetzende Schaden – im Unterschied zu § 441 BGB – nicht in dem Minderwert der verkauften Sache besteht, sondern durch die Wertdifferenz im Vermögen des Käufers zwischen dem hypothetischen Vermögensstand, wenn die Sache bei Gefahrübergang mangelfrei gewesen wäre, und dem Vermögensstand, wie er sich infolge des Sachmangels tatsächlich darstellt, bestimmt wird (BGH, Urt. v. 19.05.1993 – VIII ZR 155/92, NJW 1993, 2103 [2104]).
[32] Der Käufer kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Verkäufer ordnungsgemäß erfüllt hätte und die Sache mangelfrei gewesen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.2007 – VIII ZR 16/07, BGHZ 174, 290 [293]). Besteht der Mangel darin, dass die Erträge geringer und die Betriebskosten einer vermieteten Sache höher als im Kaufvertrag vereinbart sind, kann der Käufer die ihm dadurch entstehenden Mehrkosten von dem Verkäufer als Schadensersatz auch dann beanspruchen, wenn die Voraussetzungen für eine Minderung nach § 441 III 1 BGB nicht verifiziert werden können.
[33] b) Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 437 Nr. 3, 311a II 1 BGB wäre auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin von der Beklagten die Minderung des Kaufpreises verlangt hat.
[34] aa) Allerdings ist streitig, ob die Minderung nach § 441 I 1 BGB, die abweichend von dem früheren Recht ein Gestaltungsrecht des Käufers ist (BT-Drs. 14/6040, S. 234, 235), für diesen in dem Sinne bindend ist, dass er – wenn er einmal die Minderung des Preises erklärt hat – wegen des Mangels von dem Verkäufer nicht mehr Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 281 BGB verlangen kann (so Palandt/Weidenkaff, BGB, 69. Aufl., § 441 Rn. 8; Schmidt, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 5. Aufl., § 441 Rn. 6; Staudinger/Matuschke-Beckmann, BGB, Neubearb. 2004, § 441 Rn. 1; Lögering, MDR 2009, 664 [666]; a. A. für die Zulässigkeit eines Wechsels zum Schadensersatzanspruch MünchKomm-BGB/Westermann, a. a. O., § 437 Rn. 51; OLG Stuttgart, ZGS 2008, 479 [480]; Berscheid, ZGS 2009, 17 [18]; Derleder, NJW 2003, 998 [1002]; Wertenbruch, JZ 2002, 862 [863]; für eine gleichzeitige Geltendmachung von Minderung und sog. kleinem Schadensersatz Faust, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 437 Rn. 164; Erman/Grunewald, BGB, 12. Aufl., § 437 Rn. 48; Althammer/Löhnig, AcP 202 [2002], 520 [540]).
[35] bb) Diese Rechtsfrage braucht hier nicht generell entschieden zu werden. Jedenfalls dann, wenn die Minderung fehlschlägt, weil der Betrag der Minderung in Anwendung der in § 441 III 1 BGB bestimmten Berechnungsmethode nicht ermittelt werden kann, ist der Käufer, der infolge des Mangels tatsächlich einen Vermögensschaden erlitten hat, berechtigt, seinen Schaden im Wege des kleinen Schadensersatzes geltend zu machen, auch wenn er bereits die Minderung erklärt hat. Andernfalls würde nämlich der Zweck der Vorschriften über die Gewährleistung des Verkäufers bei einem Mangel insgesamt verfehlt, weil der Verkäufer den vollen Kaufpreis behielte, obwohl er seine Verpflichtung zur mangelfreien Leistung nach § 433 I 2 BGB nicht erfüllt hat, der Käufer dagegen keinen Ausgleich bekäme, obwohl er durch den Mangel eine Vermögenseinbuße erlitten hat.