Ein Neuwagen ist nicht mangelhaft, wenn es nur bei einer Geschwindigkeit von über 80 km/h und nur während der Beschleunigungsphasen zu einem Eigenlenkverhalten mit einem Versatz von etwa einem Meter pro 100 Meter Fahrstrecke kommt. Eine solche Abweichung von der Geradeausfahrt ist normal und wäre selbst dann nicht erheblich, wenn der Versatz zwei Meter pro 100 Meter Fahrstrecke betrüge. Denn auch in diesem Fall wäre ein aktives Gegenlenken nicht erforderlich.
KG, Urteil vom 01.03.2010 – 12 U 126/09
Sachverhalt: Mit seiner Berufung richtet sich der Kläger gegen ein Urteil des LG Berlin vom 28.05.2009, mit der das Gericht seine Klage auf Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags abgewiesen hat.
Er rügt, dass das Landgericht auf seinen Antrag nicht erneut in die mündliche Verhandlung eingetreten ist und den Sachverständigen S geladen hat. Überdies ist der Kläger der Auffassung, dass sich unabhängig davon die Begründetheit seiner Klage bereits aus den Ausführungen des Sachverständigen S im Gutachten vom 24.04.2009 ergebe. Dort hat der Sachverständige ausgeführt, dass das begutachtete Fahrzeug ein Eigenlenkverhalten nach rechts mit einem Versatz von etwa einem Meter pro 100 Meter Fahrstrecke aufweise. Bereits dies stelle entgegen der Auffassung des Landgerichts einen Mangel eines Neufahrzeugs dar. Die berechtigte Erwartungshaltung eines Käufers eines Neufahrzeugs der Mittelklasse bestehe darin, dass das Fahrzeug auch beim Beschleunigen kein Eigenlenkverhalten zeige. Auf die Frage, ob das Eigenlenkverhalten beherrschbar sei, komme es insoweit nicht an.
Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen: II. … 1. Zur Recht rügt der Kläger allerdings mit seiner Berufung, dass das Landgericht auf seinen Antrag im Schriftsatz vom 19.05.2009 nicht erneut in die mündliche Verhandlung eingetreten ist, um den Sachverständigen S zur Erläuterung seines Gutachtens und zur Befragung durch den Kläger zu laden. Dabei kommt es entgegen den Ausführungen des Landgerichts nicht darauf an, ob die von dem Kläger in seinem Schriftsatz vom 19.05.2009 angekündigten Fragen an den Sachverständigen überhaupt geeignet waren, Zweifel an den gutachterlichen Feststellungen zu begründen.
Auf Antrag einer Partei ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, den Sachverständigen zu laden (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 411 Rn. 5a). Zwar hat die Partei gemäß § 411 IV ZPO dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes ihre Einwendungen gegen das Gutachten sowie etwaige Anträge und Ergänzungsfragen mitzuteilen. Dabei ist es allerdings nicht einmal erforderlich, dass die Partei die Fragen, die sie dem Sachverständigen zu stellen beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert (vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2002 – VI ZR 353/01, NJW-RR 2003, 208). Der Anspruch der Partei auf mündliche Anhörung des Sachverständigen geht auch dann nicht verloren, wenn dieser – wie vorliegend nicht einmal erfolgt – die Fragen der Parteien zuvor schriftlich beantwortet (Zöller/Greger, a. a. O., § 411 Rn. 5a). Selbst in diesem Fall kann das Gericht nur dann von einer Ladung des Sachverständigen absehen, wenn die Partei ihren Antrag zurücknimmt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger den Antrag auf Ladung des Sachverständigen erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung gestellt hat. Das Sachverständigengutachten war dem Kläger nur fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung zugegangen, weshalb ihm das Landgericht auf seinen Antrag zu Recht eine Stellungnahmefrist zu den Feststellungen und Würdigungen des Sachverständigen gewährt hatte. Wenn der Kläger innerhalb dieser Frist mit Schriftsatz vom 19.05.2009 beantragte, den Sachverständigen zu hören und Fragen an den Sachverständigen ankündigt, musste das Landgericht dem nachkommen, ohne, dass es darauf ankam, ob die vom Kläger angekündigten Fragen nach Auffassung des Gerichts eine weitere Aufklärung versprachen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 29.10.2002 – VI ZR 353/01, NJW-RR 2003, 208).
2. Auch die in der Berufungsinstanz nachgeholte Anhörung des Sachverständigen S führt jedoch nicht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage, weil das Urteil des Landgerichts im Ergebnis richtig ist. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger nicht bewiesen hat, dass das von ihm erworbene Fahrzeug an einem zum Rücktritt berechtigenden Mangel leidet.
Eine Sache ist nur dann frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat, sich im Übrigen für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 I BGB). Nach diesem Sachmangelbegriff kommt es für die Frage, ob das von dem Kläger erworbene Fahrzeug mangelhaft ist, darauf an, ob der Käufer eines derartigen Fahrzeugs erwarten kann, dass es die von dem Kläger bewiesenen, nach seiner Auffassung mangelhaften Eigenschaften, nicht aufweist.
Der Sachverständige S hat zu der Beschaffenheit des Fahrzeugs angegeben, dass er bei der von ihm durchgeführten Begutachtung ein Eigenlenkverhalten mit einem Versatz von ca. einem Meter pro 100 Meter Fahrstrecke festgestellt habe. Dieses Eigenlenkverhalten sei nur bei einer Geschwindigkeit von über 80 km/h und nur während der Beschleunigungsphasen aufgetreten. Hierzu hat der Sachverständige anschaulich geschildert, dass auch bei einer höheren Geschwindigkeit kein Eigenlenkverhalten zu bemerken war, wenn diese gleichbleibend war, mithin nicht beschleunigt wurde. Lediglich wenn Kraft auf die Antriebswellen wirkte, konnte der Sachverständige das von ihm beschriebene Eigenkenkverhalten, welches er als konstruktionsbedingt ansah, feststellen.
Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt hatte, dass das von dem Kläger erworbene Fahrzeug eine Fehlstellung in der Achsgeometrie aufwies, hat er ausgeschlossen, dass diese für das Eigenlenkverhalten ursächlich ist. Wäre dies der Fall, so müsste nach den Ausführungen des Sachverständigen jederzeit eine Abweichung von der Geradeausfahrt zu bemerken sein, nicht nur während der Beschleunigungsphasen.
Die aufgetretene Abweichung bezeichnete der Sachverständige auch auf ausdrückliche Nachfrage aus seiner Erfahrung heraus als normal und in der Bandbreite nach seiner Erfahrung bei Fahrzeugen aller Hersteller auftretenden Abweichungen als nicht signifikant.
Damit liegt ein Mangel nach dem Sachmangelbegriff des § 434 I BGB nicht vor.
Auch wenn der Kläger zutreffend ausführt, dass es bei der Frage, ob ein Mangel an dem Fahrzeug vorliegt, nicht lediglich darauf ankommt, ob sämtliche Fahrzeuge der vorliegenden Serie diese Eigenschaft aufweisen, sondern die Beurteilung an den allgemein gültigen technischen Standards zu messen sei (vgl. hierzu OLG Zweibrücken, Urt. v. 03.04.1995 – 7 U 151/94, DAR 1995, 332), führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung.
Der Sachverständige S, gegen dessen Sach- und Fachkunde keine Bedenken bestehen und der sein überzeugendes schriftliches Gutachten nachvollziehbar erläuterte und angab, schon mehrfach mit dem Problem des Eigenlenkverhaltens befasst gewesen zu sein, hat hierzu ausdrücklich erklärt, dass das vorliegend festgestellte Fahrverhalten nach seiner Erfahrung im Rahmen des insgesamt üblichen Standards aller Hersteller liege. Dass etwas anderes gelten würde, wenn das Eigenlenkverhalten derart stark wäre, das entweder ständige Lenkkorrekturen oder aber ein stetiges Festhalten des Lenkrades unter Einleitung eines deutlichen Kraftaufwandes erforderlich wäre (vgl. hierzu OLG Zweibrücken, Urt. v. 03.04.1995 – 7 U 151/94, DAR 1995, 332), kann vorliegend dahinstehen, weil dies nach den Feststellungen des Sachverständigen gerade nicht der Fall war, da das bloße Festhalten des Lenkrads mit zwei Fingern bei einer Geschwindigkeit von 180 km/h ausreichte, das Fahrzeug während der Beschleunigungsphase im Geradeauslauf zu halten.
3. Der Kläger kann schließlich auch nicht erfolgreich geltend machen, das Landgericht habe es unterlassen, seinem Beweisantritt dahin nachzugehen, dass die tatsächliche Abweichung nicht nur wie von dem Sachverständigen festgestellt ein Meter, sondern zwei Meter pro 100 Meter Fahrstrecke betrage.
Unabhängig davon, dass der Beweisantritt des Klägers unzureichend ist, da nicht ersichtlich ist, dass und weshalb seine von ihm als Zeugin benannte Lebensgefährtin hier mehr Sachkunde haben sollte als der gerichtlich bestellte Sachverständige, hat dieser ausgeführt, dass die Frage der Erheblichkeit eines Eigenlenkverhaltens nicht notwendig allein daran festzumachen sei, ob dieses nun zu einem geschätzten Versatz von einem Meter oder zwei Metern auf 100 Meter Fahrstrecke führe. Entscheidend sei vielmehr, inwieweit dies erheblich sei und aktives Gegenlenken erfordere. Dies war hier, wie der Sachverständige ausführte, nicht der Fall …