Gibt der Käufer eines Neuwagens für einen Teil des Kaufpreises seinen Gebrauchtwagen an Erfüllungs statt in Zahlung und erweist sich das Altfahrzeug später als mangelhaft, so kann der Händler auch die Zahlung desjenigen Teils des Kaufpreises verlangen, der durch die Hingabe des gebrauchten Fahrzeugs getilgt werden sollte, wenn die Voraussetzungen für einen Rücktritt vom Kaufvertrag vorliegen.
LG Bielefeld, Urteil vom 03.02.2010 – 3 O 222/09
Sachverhalt: Die Klägerin, eine VW- und Audi-Vertragshändlerin, verkaufte der Beklagten mit Vertrag vom 04.04.2007 einen Neuwagen zum Preis von 23.500 €. Im Kaufvertrag wurde als unverbindlicher Liefertermin Juni 2007 angegeben und vereinbart, dass die Klägerin das Altfahrzeug der Beklagten, einen Audi, für 7.000 € in Zahlung nimmt.
Wenige Tage vor der Übergabe und Übereignung des Altfahrzeugs an die Klägerin untersuchte diese den Wagen, ohne dass sich bei der umfassenden Sicht- und Funktionsprüfung Anhaltspunkte für Vorschäden ergaben. Bei der Übergabe des Altfahrzeugs an die Klägerin am 18.06.2007 wurde die Beklagte durch den Zeugen E vertreten. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt etwa acht Jahre alt, der TÜV war so gut wie abgelaufen, und das Fahrzeug hatte einen Kilometerstand von 107.357. Die Beklagte war die zweite Besitzerin des Fahrzeugs; sie hatte es gebraucht von einem anderen VW- und Audi-Vertragshändler erworben. In einer schriftlichen „Erklärung über Beschaffenheit“ gab der Zeuge E gegenüber der Klägerin an, das Fahrzeug sei unfallfrei.
Tatsächlich hatte das Altfahrzeug der Beklagten, bevor es in deren Besitz gelangt war, zwei über Bagatellschäden hinausgehende Unfallschäden erlitten, die von dem VW- und Audi-Vertragshändler, von dem die Beklagte das Fahrzeug gebraucht erworben hatte, fachgerecht repariert worden waren. Dieser VW-Vertragshändler hatte vor dem Verkauf des Fahrzeugs an die Beklagte die Aufnahme der Reparaturen in eine sämtlichen Vertragshändlern – also auch der Klägerin – zur Verfügung stehende Datenbank („Reparaturhistorie“) veranlasst.
Die Klägerin investierte in das Altfahrzeug für Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen sowie eine TÜV-Abnahme insgesamt 1.000 €. Anschließend verkaufte sie das Fahrzeug für 9.000 € weiter. Den entsprechenden Kaufvertrag musste die Klägerin jedoch wegen der Vorschäden rückabwickeln. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 113.799.
Die Klägerin ist von dem Vertrag über die Inzahlungnahme des Fahrzeugs zurückgetreten und begehrt dessen Rückabwicklung (Rückübereignung des Fahrzeugs an die Beklagte, Zug um Zug gegen Zahlung der Anrechnungssumme von 7.000 €). Sie behauptet, sie habe die Reparaturhistorie erst eingesehen, nachdem ihr das Altfahrzeug der Beklagten durch den Zeugen E übergeben worden war, und deshalb keine Kenntnis von den Vorschäden gehabt.
Die Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Die … Klage ist aus §§ 433, 364 I, 365, 434 I, 437 Nr. 2, 440, 323, 326 V, 275 I, 346 ff., 320 I, 322 I BGB und 293 BGB zum weit überwiegenden Teil begründet.
Die Parteien schlossen … einen einheitlichen Kaufvertrag … über das Neufahrzeug verbunden mit dem Recht der Beklagten als Käuferin, den vertraglich mit 7.000 € festgelegten Teil des Kaufpreises durch Hingabe des Altfahrzeugs zu tilgen (Ersetzungsbefugnis), was bei Ausübung zu einer Leistung an Erfüllung statt i. S. des § 364 I BGB mit der Rechtsfolge des § 365 BGB führte (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.1983 – VIII ZR 190/82, BGHZ 89, 126; Urt. v. 18.01.1967 – VIII ZR 209/64, BGHZ 46, 338). Dies hat zur Folge, dass – mangels entgegenstehender Anhaltspunkte – der Verkäufer des Neufahrzeugs, also die Klägerin, bei Mangelhaftigkeit des in Zahlung gegebenen Altfahrzeugs die Zahlung auch desjenigen Teils des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Altfahrzeugs verlangen kann, der durch die Inzahlungnahme des Altfahrzeugs getilgt werden sollte, wenn die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für einen … Rücktritt vorliegen (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.1983 – VIII ZR 190/82, BGHZ 89, 126; Urt. v. 18.01.1967 – VIII ZR 209/64, BGHZ 46, 338).
Letzteres ist der Fall:
Das Altfahrzeug war mangelhaft gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB, da es aufgrund der Vorschäden nicht die Beschaffenheit aufwies, die auch unter Berücksichtigung des Alters und der Laufleistung bei derartigen Fahrzeugen üblich ist und die die Klägerin als Käuferin erwarten konnte. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Bezeichnung des Fahrzeugs als unfallfrei durch den Vertreter der Beklagten in der bei Übergabe unterzeichneten „Erklärung über Beschaffenheit“. Diese Erklärung ist … inhaltlich eindeutig. Die Klägerin musste diese Erklärung auch nicht zwangsläufig mit der konkludenten Einschränkung, dass sich die Angabe der Beklagten betreffend die Unfallfreiheit nur auf ihren Besitzzeitraum sowie ihre Kenntnisse beziehe, verstehen, da die Beklagte möglicherweise und für die Klägerin nicht erkennbar diese Erklärung auf beispielsweise insbesondere vertrauenswürdige Erklärungen des Vorbesitzers bzw. Verkäufers oder auch auf eine selbst in Auftrag gegebene Untersuchung betreffend Vorschäden gestützt haben könnte. Es wäre auch der Beklagten als Verbraucherin bzw. ihrem Vertreter ohne Weiteres zumutbar und möglich gewesen, die Erklärung mit der Einschränkung „soweit bekannt“ zu versehen. Die Erklärung ist auch nicht entsprechend § 309 Nr. 12 lit. b BGB unwirksam, da es sich bei ihr um keine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt, denn zum einen führt bereits erst eine Streichung in der „Erklärung über Beschaffenheit“ zu dem Erklärungsgehalt der Unfallfreiheit, und zum anderen hat die Beklagte nicht beweisen können, dass die Erklärung dem Zeugen E bereits vollständig ausgefüllt zur Unterschrift vorgelegt worden ist …
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht auf den 04.04.2007, den Tag des Abschlusses des Kaufvertrags, sondern den 18.06.2007, den Tag der Übergabe, als entscheidenden Zeitpunkt abzustellen. Dies folgt zum einen unmittelbar aus § 434 I 1 BGB, der auf den Zeitpunkt des Gefahrübergangs abstellt. Letzterer ist gemäß § 446 Satz 1 BGB derjenige der Übergabe der verkauften Sache. Dies entspricht schließlich auch der Wertung des § 364 I BGB, der der Beklagten lediglich das Recht einräumte, das Altfahrzeug in Zahlung zu geben, nicht jedoch eine entsprechende Pflicht auferlegte. Die Beklagte hat die Entscheidung der Inzahlunggabe des Altfahrzeugs endgültig erst am 18.06.2007 getroffen bzw. hätte sie bis dahin ohne Weiteres revidieren können. Schließlich sind auch die Vorschäden schon vor Besitz der Beklagten entstanden.
Eine Fristsetzung durch die Klägerin war gemäß §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 V, 275 I BGB entbehrlich, da die Beseitigung der Vorschäden unmöglich war.
Die Rechte der Klägerin sind nicht gemäß § 442 I BGB ausgeschlossen.
Die Beklagte hat nicht bewiesen, dass die Klägerin die Vorschäden vor Übergabe des Altfahrzeugs positiv kannte gemäß § 442 I 1 BGB, die Zeugenaussagen waren auch insoweit unergiebig.
Der Klägerin sind die Inhalte der Datenbank, der sogenannten Reparaturhistorie, auch nicht entsprechend § 166 BGB als Kenntnisse zuzurechnen. Weder VW bzw. Audi noch der andere VW- und Audi-Vertragshändler sind Wissensvertreter der Klägerin im engeren Sinne. Die Klägerin, der andere VW- und Audi-Vertragshändler sowie VW sind auch keine einheitliche juristische Person (vgl. dazu BGH, Urt. v. 02.02.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30). Ob eine Wissenszurechnung in einer Konstellation wie der vorliegenden, das heißt bei unterschiedlichen juristischen Personen, die auch nicht – wie beispielsweise die Gesellschaften und Gesellschafter einer GmbH & Co. KG – unmittelbar gesellschaftsrechtlich miteinander verflochten sind, eine solche Zurechnung überhaupt erfolgen kann, kann offenbleiben. Selbst wenn dies der Fall wäre, so würde die dann vorzunehmende wertende Beurteilung (vgl. BGH, Urt. v. 02.02.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30) nicht zur Wissenszurechnung führen, da insoweit aufseiten der Klägerin keine Pflicht zur Organisation dahin gehend bestand, sich mindestens dasjenige Wissen zur Kenntnis zu bringen, dass das streitgegenständliche Altfahrzeug betraf. Die Klägerin war als insoweitige Käuferin des Altfahrzeugs wie grundsätzlich mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht verpflichtet, das Fahrzeug eingehender zu untersuchen als eine umfassende Sicht- und Funktionsprüfung vorzunehmen (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 11.11.1999 – 22 U 37/99, OLGR 2000, 36); eine solche hat sie vorgenommen, und bei einer solchen haben bzw. hätten sich keine Anhaltspunkte für Vorschäden ergeben, die die Klägerin zu einer weitergehenden Untersuchung hätten veranlassen und verpflichten können. Darüber hinaus dürfte sich aus dem Vertragshändlervertrag mit VW wohl keine solche Pflicht ableiten lassen, sondern die Zurverfügungstellung der Datenbank lediglich ein weiterer Service des Herstellers sein. Ferner sind die Klägerin und der andere VW- und Audi-Vertragshändler grundsätzlich Konkurrenten. Der Klägerin würden sämtliche VW- und Audi-Reparaturkenntnisse bundesweit zugerechnet, was unbillig erschiene. Außerdem würde eine solche Zurechnung dazu führen, dass ein potenzieller Kunde, der – wie die Beklagte – beabsichtigt, ein Neufahrzeug zu erwerben und den Kaufpreis teilweise durch Inzahlunggabe seines Altfahrzeugs aufzubringen, in der Lage wäre, bei den Vertragsverhandlungen mit mehreren Autohäusern diese – was nicht ungewöhnlich ist – gleichsam gegeneinander auszuspielen und mit der Drohung, bei einem anderen Autohaus zu – und sei es auch nur angeblich – besseren Konditionen zu kaufen, bei diesem Autohaus noch bessere Konditionen herauszuhandeln, während die beiden betroffenen Autohäuser sich jeweils ihre Kenntnisse gegenseitig zurechnen lassen müssten. Dies erscheine gleichfalls unbillig. Schließlich fände die Zurechnung lediglich über einen Dritten statt.
Der Klägerin sind die Vorschäden auch nicht gemäß § 442 I 2 BGB dadurch infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, dass sie die Reparaturhistorie nicht eingesehen hatte. Grob fahrlässig handelt, wer dasjenige außer Acht lässt, was jedem vernünftig Denkenden ohne Weiteres einleuchten würde. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Nichteinsicht in die Reparaturhistorie nicht vor. Die Klägerin hatte nicht nur keine Anhaltspunkte für Vorschäden, sondern ihr wurde darüber hinaus von der Beklagten ausdrücklich erklärt, dass solche nicht vorlägen. Die Klägerin war auch mangels Anhaltspunkten nicht zu einer weitergehenden Untersuchung als einer umfassenden Sicht- und Funktionsprüfung verpflichtet, wäre dies jedoch im Ergebnis, wenn die Nichteinsicht in die Reparaturhistorie als grob fahrlässig anzusehen wäre. Darüber hinaus gilt auch insoweit, dass die Klägerin als Autohaus gegenüber dem Kunden unbillig benachteiligt würde, müsste sie sich die Kenntnisse von Konkurrenten zurechnen lassen. Schließlich wäre die Beantwortung der Frage des Vorliegens der groben Fahrlässigkeit davon abhängig, ob der jeweilige Hersteller überhaupt eine solche Datenbank zur Verfügung stellt und das Autohaus ein markeneigenes oder markenfremdes Fahrzeug in Zahlung nimmt sowie ob etwaige Reparaturen in einer markeneigenen Werkstatt oder insbesondere einer freien durchgeführt wurden; die Klägerin stünde als in Zahlung nehmendes Autohaus also in all jenen Fällen ungerechtfertigt schlechter, in denen sie wie vorliegend ein markeneigenes in einer Werkstatt eines markeneigenen Vertragshändlers repariertes Fahrzeug in Zahlung nimmt verglichen mit solchen Inzahlungnahmen, bei denen ein fremdes Fabrikat in Zahlung genommen wird oder eine Reparatur in einer markenfremden Werkstatt erfolgte, oder aber auch gegenüber solchen Vertragshändlern, deren Hersteller eine solche Datenbank nicht zur Verfügung stellen.
Darüber hinaus hat die Klägerin den Vorschaden auch i. S. des § 442 I 2 BGB arglistig verschwiegen, denn sie hat ohne gesicherte Kenntnisgrundlage, bestenfalls gestützt auf eine Zusicherung ihres Verkäufers, die Angabe der Unfallfreiheit ins Blaue hinein gemacht.
Die Klägerin hat den Rücktritt gemäß § 349 BGB erklärt.
Danach hat die Klägerin gemäß §§ 346 I, 348, 320 I, 322 I BGB grundsätzlich Anspruch auf Zahlung des restlichen Kaufpreises in Höhe von 7.000 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Altfahrzeugs.
Gemäß § 346 I und II BGB hat die Klägerin jedoch für gezogene Nutzungen in Form von erfolgter Fahrleistung, wie von ihr grundsätzlich anerkannt, Wertersatz zu leisten. Dies führt zu einer Reduzierung ihres Zahlungsanspruchs … in Höhe von 490 €, was sich wie folgt berechnet:
Auszugehen ist von einer grundsätzlich zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Altfahrzeugs von 200.000 km. Bei Übereignung an die Klägerin wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 107.357 auf, sodass es noch eine zu erwartende Restlaufleistung von 92.643 km hatte. Von dieser sind bei der Klägerin bzw. ihrem Abkäufer, gegenüber dem sie jedoch selbst einen entsprechenden Anspruch auf Wertersatz für gezogene Nutzungen hat, 6.442 km verbraucht worden, was 7 % der noch zu erwartenden Restlaufleistung entspricht. 7 % des Inzahlungnahme-Preises von 7.000 € sind 490 €. Dass in dem Inzahlungnahme-Preis darüber hinaus ein versteckter Rabatt enthalten war, ist nicht dargetan.
Darüber hinaus hat die Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 347 II BGB wegen der nach Grund und Höhe unstreitigen notwendigen Verwendungen und Aufwendungen in Höhe von 1.000 € einen entsprechenden Zahlungsanspruch gegen die Beklagte, der jedoch gemäß § 348 BGB gleichfalls Zug um Zug zu erfüllen ist …