Bei ei­nem Ver­brauchs­gü­ter­kauf muss der Käu­fer dem Ver­käu­fer vor ei­nem man­gel­be­ding­ten Rück­tritt vom Kauf­ver­trag ent­ge­gen § 323 I BGB auch dann kei­ne Frist zur Nach­er­fül­lung set­zen, wenn ei­ne Frist­set­zung nicht ge­mäß § 323 II BGB oder § 440 BGB ent­behr­lich ist.

AG Köln, Ur­teil vom 28.01.2010 – 137 C 436/09

Sach­ver­halt: Der Klä­ger kauf­te von der Be­klag­ten ein So­fa zum Preis von 749 €. Um­ge­hend nach der Lie­fe­rung des Mö­bel­stücks, näm­lich am 27.03.2008, rüg­te er, dass die Me­tall­fü­ße des So­fas zer­kratzt sei­en und ein So­faele­ment tie­fer hän­ge als das Nach­ba­r­ele­ment. Mit An­walts­schrei­ben vom 24.04.2009 er­klär­te der Klä­ger ge­gen­über der Be­klag­ten den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag.

Er hat be­haup­tet, die ur­sprüng­lich ge­lie­fer­ten Me­tall­fü­ße sei­en zer­kratzt ge­we­sen. Die ihm des­halb neu ge­lie­fer­ten Me­tall­fü­ße sei­en eben­falls be­schä­digt ge­we­sen, und die schließ­lich ge­lie­fer­ten Fü­ße sä­hen an­ders aus als die, die er ur­sprüng­lich er­wor­ben ha­be. Zu­dem wie­sen sie Krat­zer auf, als sei­en sie be­reits ein­mal be­nutzt wor­den. Das lin­ke So­faele­ment ha­be zu tief ge­han­gen und mit dem Ne­ben­ele­ment kei­ne Ebe­ne ge­bil­det. Nach ei­ner Er­satz­lie­fe­rung ha­be der Hö­hen­un­ter­schied zwi­schen den Sit­z­ele­men­ten noch im­mer be­stan­den.

Die auf Rück­ge­währ des Kauf­prei­ses und – un­ter an­de­rem we­gen Be­schä­di­gung des Par­kett­bo­dens – Leis­tung von Scha­dens­er­satz ge­rich­te­te Kla­ge hat­te teil­wei­se Er­folg.

Aus den Grün­den: Der Klä­ger hat ge­gen die Be­klag­te ei­nen An­spruch auf Zah­lung von 600 € ge­mäß § 346 I BGB.

Der Klä­ger trat von dem mit der Be­klag­ten ab­ge­schlos­se­nen Kauf­ver­trag auf­grund ei­nes ge­mäß § 323 I BGB ent­stan­de­nen Rechts zu­rück.

Das So­fa war bei Ge­fahr­über­gang mit ei­nem Sach­man­gel be­haf­tet …

Der Klä­ger konn­te von dem Kauf­ver­trag zu­rück­tre­ten, selbst wenn er der Be­klag­ten kei­ne an­ge­mes­se­ne Frist zur Nach­er­fül­lung … ge­setzt hat­te und die­se noch nicht i. S. von § 440 Satz 1 BGB fehl­ge­schla­gen war. Die Set­zung ei­ner sol­chen Frist ob­lag ihm des­halb nicht, weil ein Ver­brauchs­gü­ter­kauf vor­lag, das heißt ein Ver­trag, durch den ein Un­ter­neh­mer ei­nem Ver­brau­cher ei­ne be­weg­li­che Sa­che ver­kauft (vgl. § 474 I BGB). Dem Wort­laut von §§ 474 bis 479 BGB ist zwar nicht zu ent­neh­men, dass beim Ver­brauchs­gü­ter­kauf das grund­sätz­li­che Er­for­der­nis der er­folg­lo­sen Set­zung ei­ner an­ge­mes­se­nen Frist zur Nach­er­fül­lung ge­mäß § 323 I BGB ent­fällt. Das Ge­richt sieht sich je­doch auf­grund des Um­set­zungs­an­ge­bo­tes ge­mäß Art. 249 III EG-Ver­trag in der bis 30.11.2009 gel­ten­den Fas­sung (im Fol­gen­den nur EG-Ver­trag ge­nannt) und des Grund­sat­zes der Ge­mein­schaftstreue ge­mäß Art. 10 EG-Ver­trag ge­hal­ten (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VI­II ZR 200/05, MDR 2009, 248), § 323 I BGB ein­schrän­kend bzw. § 474 II BGB er­wei­ternd da­hin aus­zu­le­gen, dass beim Ver­brauchs­gü­ter­kauf der Ver­brau­cher vor [ei­nem] Rück­tritt we­gen ver­trags­wid­rig ge­lie­fer­ter Wa­re sei­nem Ver­trags­part­ner nicht er­folg­los ei­ne Frist zur Nach­er­fül­lung ge­setzt ha­ben muss.

Das Ge­richt hat die ge­nann­ten Be­stim­mun­gen des na­tio­na­len Rechts richt­li­ni­en­kon­form aus­zu­le­gen (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VI­II ZR 200/05, MDR 2009, 248), das heißt un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Richt­li­nie 1999/44/EG des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 25.05.1999 (im Fol­gen­den nur Ver­brauchs­gü­terkauf­richt­li­nie ge­nannt). Die­se be­sagt un­ter Art. 3 III le­dig­lich, dass der Ver­brau­cher zu­nächst vom Ver­käu­fer Nach­bes­se­rung oder Er­satz­lie­fe­rung ver­lan­gen kann. Das Wort „zu­nächst“ be­deu­tet aber nicht, dass er von die­ser Mög­lich­keit Ge­brauch ma­chen muss, son­dern nur, dass er – na­tur­ge­mäß – nicht noch Nach­bes­se­rung oder Er­satz­lie­fe­rung ver­lan­gen kann, wenn er schon mit Er­folg Min­de­rung des Kauf­prei­ses oder Ver­trags­auf­lö­sung (vgl. Art. 3 II Ver­brauchs­gü­terkauf­richt­li­nie) be­an­sprucht hat. Auch Un­ter­ab­satz 3 von Art. 3 III ver­langt nicht, dass der Ver­brau­cher vor Ver­trags­auf­lö­sung ei­ne Frist zur Nach­bes­se­rung oder Er­satz­lie­fe­rung ge­setzt ha­ben muss. Er for­dert le­dig­lich, dass bei­des – er­sicht­lich, wenn es denn ver­langt wird – bin­nen ei­ner an­ge­mes­se­nen Frist er­fol­gen muss. Der Ap­pell an ei­nen durch Rechts­norm Ver­pflich­te­ten, et­was in be­stimm­ter Zeit zu tun, be­deu­tet nicht, dass der Be­rech­tig­te zum Er­halt oder zur Her­stel­lung an­de­rer Rech­te die be­stimm­te Frist ab­war­ten muss oder gar, dass er zu­sätz­lich in Kon­kre­ti­sie­rung des Ap­pells an den Ver­pflich­te­ten die Zeit zu be­stim­men hat, die der Rechts­norm­ge­ber, wenn auch un­be­stimmt („an­ge­mes­sen“), be­reits be­stimmt hat.

Selbst wenn es ver­tret­bar wä­re, die Richt­li­nie an­ders zu in­ter­pre­tie­ren, be­darf es nicht ge­mäß Art. 234 EG-Ver­trag der An­ru­fung des EuGH zwecks Ein­ho­lung ei­ner Vor­abau­skunft. Im Hin­blick auf die Zu­las­sung der Be­ru­fung ent­schei­det das Ge­richt nicht zwin­gend letzt­in­stanz­lich.

Zu ei­ner kor­ri­gie­ren­den Aus­le­gung, et­wa be­züg­lich § 323 I BGB ein­schrän­kend, be­steht An­lass, weil der Ge­setz­ge­ber mit dem Schuld­rechts­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz der Ver­brauchs­gü­terkauf­richt­li­nie Rech­nung tra­gen woll­te (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VI­II ZR 200/05, MDR 2009, 248).

Der An­spruch auf Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses von 749 € ge­mäß § 346 I BGB ver­kürzt sich nach der glei­chen Vor­schrift auf 600 € we­gen zwi­schen­zeit­lich ge­zo­ge­ner Nut­zun­gen. Ei­ner Auf­rech­nung durch die Be­klag­te be­darf es da­zu nicht, weil durch den Rück­tritt ein ein­heit­li­ches Ab­wick­lungs­ver­hält­nis ent­stand (vgl. Pa­landt/Hein­richs, BGB, 64. Aufl., § 346 Rn. 6) …

An der Be­ach­tung von Ge­brauchs­vor­tei­len ist das Ge­richt nicht durch die Ver­brauchs­gü­terkauf­richt­li­nie ge­hin­dert. Das zeigt de­ren Er­wä­gungs­grund Nr. 15, wo­nach die Mit­glieds­staa­ten vor­se­hen kön­nen, dass ei­ne dem Verb­tau­cher zu leis­ten­de Er­stat­tung ge­min­dert wer­den kann, um der Be­nut­zung der Wa­re Rech­nung zu tra­gen, die durch ihn seit der Lie­fe­rung er­folgt ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.09.2009 – VI­II ZR 243/08, MDR 2009, 1378).

Der Klä­ger hat wie­der­um kei­nen An­spruch ge­gen die Be­klag­te we­gen Be­schä­di­gung des Par­kett­bo­dens, ins­be­son­de­re nicht ge­mäß § 280 I BGB

Da­nach hat der Klä­ger An­spruch auf Er­stat­tung vor­ge­richt­li­cher Rechts­an­walts­kos­ten ge­mäß § 280 I BGB al­lein we­gen des Sach­man­gels in Form der un­ebe­nen Sitz-/Lie­ge­flä­che wie folgt:

Ge­gen­stands­wert von (zu der Zeit noch) über 600 €

Ge­bühr gem. Nr. 2300 VV RVG 84,50 €
Pau­scha­le gem. Nr. 7002 VV RVG 16,90 €
Net­to­be­trag 101,40 €
19 % USt. gem. Nr. 7008 VV RVG 19,27 €
Ge­samt­be­trag 120,67 €

Die Be­ru­fung … wird ge­mäß § 511 IV Nr. 1 ZPO zu­ge­las­sen. Die Rechts­sa­che hat in­so­weit grund­sätz­li­che Be­deu­tung, als das Ge­richt, oh­ne das Vor­lie­gen von Grün­den ge­mäß §§ 323 II, 440 Satz 1 BGB zu be­ja­hen, ein Rück­tritts­recht oh­ne Set­zung ei­ner an­ge­mes­se­nen Frist an­nimmt. In­so­weit mag auch die Fort­bil­dung des Rechts ei­ne Ent­schei­dung zu­min­dest des Be­ru­fungs­ge­richts er­for­dern.

Hin­weis: Die Ver­brauchs­gü­terkauf­richt­li­nie (RL 1999/44/EG) kann voll­stän­dig hier ab­ge­ru­fen wer­den.

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