1. Bei einem Verbrauchsgüterkauf muss der Käufer dem Verkäufer vor einem mangelbedingten Rücktritt vom Kaufvertrag auch dann keine Frist zur Nacherfüllung setzen, wenn eine Fristsetzung nicht nach § 323 II BGB oder § 440 BGB entbehrlich ist. Vielmehr ist § 323 I BGB im Hinblick auf Art. 3 V 2. Spiegelstrich der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (RL 1999/44/EG) richtlinienkonform dahin auszulegen, dass es ausreicht, wenn der Käufer (erfolglos) Nacherfüllung verlangt und eine angemessene Frist abgewartet hat.
  2. Der Verkäufer einer mangelhaften Sache muss sich auf das Nacherfüllungsverlangen des Käufers hin besonders anstrengen, den Mangel zügig zu beseitigen. Maßstab für die Nacherfüllungsfrist kann daher regelmäßig nicht die ursprüngliche Lieferfrist sein, und der Verkäufer darf auch nicht mit der Nacherfüllung zuwarten, bis er seinerseits Gewährleistungsansprüche mit seinem Lieferanten geklärt hat.

LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2012 – 13 S 160/11

Sachverhalt: Die Klägerin kaufte für ihre Wohnung bei dem beklagten Möbelhaus am 28.12.2009 eine lederne Polstergarnitur zum Preis von 3.850 €. Bei Abschluss des Vertrages zahlte sie 1.140 € an.

Die Beklagte ließ die Polstergarnitur am 06.04.2010 durch ein Transportunternehmen bei der Klägerin anliefern und aufstellen. Beim Aufstellen erkannte die Klägerin, dass sich die Polstergarnitur nicht in einem vertragsgemäßen Zustand befand, sondern – darüber sind sich die Parteien einig – mit einem erheblicher Mangel behaftet war. Weil der Transportunternehmer von der Beklagten angewiesen worden war, die Polstergarnitur gegen Zahlung des Restkaufpreises bei der Klägerin zu belassen, diese wegen des Mangels aber nicht zur vollständigen Zahlung bereit war, nahm der Transportunternehmer die Polstergarnitur wieder mit.

Die Parteien nahmen noch am 06.04.2010 Kontakt miteinander auf, wobei die Einzelheiten streitig sind. Jedenfalls schrieb die Beklagte unter dem 06.04.2010 an die Klägerin, dass sie deren Beanstandung an den Hersteller der Polstergarnitur weitergeleitet habe, und bat die Klägerin um ein wenig Geduld.

Nachdem die Klägerin bis zum 18.04.2010 keine weitere Nachricht von der Beklagten erhalten hatte, schrieb sie dieser, dass sie vom Kaufvertrag zurücktrete, weil nicht abzusehen sei, wie und wann ihre Beanstandung beantwortet werde. Darauf antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 20.04.2010, in welchem sie den Rücktritt zurückwies und mitteilte, dass sie ihr Nachbesserungsrecht in Anspruch nehmen wolle; sie werde unaufgefordert wieder auf die Klägerin zukommen. Die Beklagte meldete sich erneut bei der Klägerin mit Schreiben vom 10.05.2010, in welchem sie mitteilte, dass die Polstergarnitur nunmehr zunächst zum Hersteller transportiert werden müsse. Mit einer Rücklieferung an die Klägerin sei nicht vor Ende Juni 2010 zu rechnen. Daraufhin suchte die Klägerin ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten auf, der der Beklagten im Namen der Klägerin schrieb, dass der Klägerin angesichts des Zeitablaufs und der Ankündigung einer weiteren langen Frist ein Zuwarten nun endgültig nicht mehr zuzumuten sei, und sie sie deshalb vom Kaufvertrag zurücktrete.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe am 06.04.2010, dem Tag der Anlieferung der Polstergarnitur, telefonisch gegenüber der Beklagten erklärt, dass sie die mangelhafte Polstergarnitur so nicht akzeptiere und von der Beklagten verlange, dass sie die Polstergarnitur entweder unverzüglich repariere oder ihr eine neue, mangelfreie Polstergarnitur liefere. Am Abend des 06.04.2010 habe sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten, dem Zeugen B, das Möbelhaus der Beklagten aufgesucht und dort mit dem Filialleiter gesprochen. Auch ihm habe sie gesagt, dass sie auf einer Reparatur oder einer Neulieferung bestehe. Damals habe sie keineswegs die Absicht gehabt, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Ihr sei es darum gegangen, dass die Beklagte ihr eine mangelfreie Polstergarnitur liefere.

Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Rückzahlung der angezahlten 1.140 € nebst Zinsen verurteilt und zur Begründung ausgeführt, dass der Klägerin eine Fristsetzung nach § 440 BGB nicht zuzumuten gewesen sei.

Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Aus den Gründen: II. … Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Klägerin wirksam von dem Kaufvertrag zurückgetreten ist und daher einen Anspruch auf Rückerstattung des angezahlten Kaufpreises hat.

1. Nachdem zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Polstergarnitur sachmangelbehaftet war, stehen der Klägerin die Gewährleistungsrechte des § 437 BGB zu. Die Klägerin kann gemäß § 437 Nr. 2 BGB in Verbindung mit den dort genannten weiteren Vorschriften von dem Kaufvertrag zurücktreten und den teilweise gezahlten Kaufpreis zurückverlangen.

2. Die rechtliche Voraussetzung des vorgelagerten Nacherfüllungsverlangens nach § 439 BGB ist erfüllt.

a) Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Beklagte das behauptete Nacherfüllungsverlangen verspätet bestritten hat, kann dahingestellt bleiben, weil das Berufungsgericht ohne Verzögerung des Rechtsstreits über diese Frage Beweis erheben konnte. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin von der Beklagten eine Nacherfüllung verlangt hat. Der Zeuge B hat den streitigen Vortrag der Klägerin glaubhaft bestätigt. Das Gericht hat bei der Würdigung der Aussage berücksichtigt, dass es sich bei dem Zeugen um den Lebensgefährten der Klägerin handelt. Ein gewisses Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits ist evident. Gleichwohl gibt das Näheverhältnis zwischen der Klägerin und dem Zeugen keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Der Zeuge hat sowohl das Telefongespräch als auch das von der Beklagten bestrittene Gespräch mit dem Niederlassungsleiter in den Räumen des Möbelhauses widerspruchsfrei und detailreich geschildert. Angesichts des Umstandes, dass der Zeuge den Besuch im Möbelhaus und das Gespräch mit dem Filialleiter in allen Einzelheiten beschreiben konnte, bis hin zu dem von jenem angebotenen Glas Sekt, ist die Kammer davon überzeugt, dass dieses Gespräch entgegen den Behauptungen der Beklagten stattgefunden hat. Die Kammer ist weiter davon überzeugt, dass die Klägerin das Gespräch nicht mit dem Ziel geführt hat, sofort von dem Kaufvertrag zurückzutreten und die Anzahlung zurückzuerhalten. Vielmehr war es offensichtlich so, dass die Klägerin an dem Erhalt der mangelfreien Ware, wie bestellt, interessiert war. Der Schriftverkehr und vor allem die Äußerungen der Beklagten darin begründen keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass es der Klägerin zunächst um die Nacherfüllung ging und sie diese von der Beklagten deutlich verlangt hat. Nicht erst als die Klägerin Tage später die Rücktrittsabsicht bekundet hat, hat die Beklagte auf ihrem Nacherfüllungsrecht bestanden. Auch davor war vonseiten der Beklagten von Versuchen zur Mangelbeseitigung die Rede. Daraus ergibt sich für die Kammer in Verbindung mit der Zeugenaussage die sichere Überzeugung, dass die Klägerin zunächst von der Beklagten Nacherfüllung verlangt hat.

b) Entgegen den Rechtsausführungen der Klägerin und des Amtsgerichts in dem angefochtenen Urteil war für die Klägerin eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nach § 440 BGB keineswegs unzumutbar. Die Klägerin hat keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich nachvollziehbar ergibt, dass eine Nacherfüllung nach Ablauf einer angemessenen Frist für sie wertlos oder aus anderen Gründen nicht zumutbar sei.

Einer Fristsetzung nach § 323 BGB bedurfte es hier aber aus anderen Gründen nicht.

Das Setzen einer Frist ist nämlich im Verbrauchsgüterkauf grundsätzlich nicht erforderlich. § 323 BGB sieht zwar – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen – das Erfordernis der Fristsetzung vor. Die Vorschrift des § 323 BGB ist jedoch im Hinblick auf die Verbrauchsgüterrichtlinie der Europäischen Union (RL 1999/44/EG) richtlinienkonform dahin gehend auszulegen, dass für den Rücktritt alleine der Ablauf, nicht aber das Setzen einer angemessenen Frist erforderlich ist.

Immer dann, wenn ein nationales Gesetz nicht mit einer EU-Richtlinie übereinstimmt, besteht Anlass für die Prüfung einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427). Ein Fall der fehlenden Übereinstimmung liegt hier vor.

Während das deutsche Gesetz in § 323 I BGB ausdrücklich das Setzen einer Frist verlangt, genügt nach Art. 3 V 2. Spiegelstrich RL 1999/44/EG der Ablauf einer Frist, indem es dort heißt: „… wenn der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat …“. Damit hat das deutsche Gesetz die Voraussetzungen des Rücktritts für den Verbraucher in einer Weise erschwert, welche die Richtlinie so nicht vorgesehen hat. § 323 BGB hat einen erheblich weiteren Anwendungsbereich als Art. 3 V 2. Spiegelstrich RL 1999/44/EG. Die überschießende Umsetzung ist deswegen im Wege der richtlinienkonformen Auslegung einschränkend dahin gehend auszulegen, dass es der Fristsetzung nach § 323 BGB bei Verbrauchsgüterkäufen als Voraussetzung für den Rücktritt nicht bedarf. Vielmehr genügt es, wenn eine angemessene Frist für die gegebene Gelegenheit der Nacherfüllung verstrichen ist, ohne dass der Käufer jene gesetzt hatte (ganz h. M. in der Rechtsliteratur, vgl. nur MünchKomm-BGB/Ernst, 5. Aufl., § 323 Rn. 50a; Grothe, in: Bamberger/Roth, Ed. 21, § 323 Rn. 11, jeweils m. w. Nachw.). Weil die zu privaten Zwecken handelnde Klägerin Verbraucherin i. S. des § 13 BGB und die Beklagte Unternehmerin i. S. des § 14 BGB ist, liegt ein Fall des Verbrauchsgüterkaufs vor.

c) Jedenfalls bis zu der zweiten Erklärung des Rücktritts am 19.05.2010 war eine solche angemessene Frist abgelaufen. Der Verkäufer einer mangelhaften Sache muss sich auf das Nacherfüllungsverlangen des Käufers hin besonders anstrengen, den Mangel zügig zu beseitigen. Maßstab für die Nacherfüllungsfrist kann daher regelmäßig nicht die ursprüngliche Lieferfrist sein, und der Verkäufer darf auch nicht mit der Nacherfüllung zuwarten, bis er seinerseits Gewährleistungsansprüche mit seinem Lieferanten geklärt hat (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.1984 – VIII ZR 226/83, NJW 1985, 320; MünchKomm-BGB/Ernst, a. a. O., § 323 Rn. 70 ff. m. w. Nachw.).

Eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien für Nacherfüllungsfristen ist nicht vorgetragen, ebenso wenig sind es die wohl einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten. Bei Gebrauchsgegenständen aus Serienproduktion ist regelmäßig eine Nacherfüllung binnen weniger Tage zu erwarten. Beim Möbelkauf kann eine angemessene Frist für die Nacherfüllung wegen der Produktions- und Lieferdauer gegebenenfalls etwas länger sein. Ohne dass – wie hier – Besonderheiten einer längeren Produktions- und Lieferfrist vorgetragen sind, ist davon auszugehen, dass die maximale Nacherfüllungsfrist beim Möbelkauf vier Wochen beträgt (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.1984 – VIII ZR 226/83, NJW 1985, 320 [unter V 2a]).

Hier ist der Rücktritt erst sechs Wochen nach der mangelhaften Lieferung erklärt worden. Zudem hatte die Beklagte mitgeteilt, dass für eine Überprüfung durch den Hersteller und eine eventuelle Nacherfüllung einige weitere Wochen Zeit gebraucht werde. Unter diesen Umständen war bei der zweiten Rücktrittserklärung eine angemessene Nacherfüllungsfrist abgelaufen, sodass die Klägerin zum Rücktritt berechtigt war …

Hinweis: Die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (RL 1999/44/EG) ist hier vollständig veröffentlicht.

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