1. Ein Neu­wa­gen, des­sen – in ei­nem ge­norm­ten Ver­fah­ren er­mit­tel­ter – Kraft­stoff­ver­brauch zum Nach­teil des Käu­fers um mehr als 10 % von dem vom Fahr­zeug­her­stel­ler an­ge­ge­be­nen Kraft­stoff­ver­brauch ab­weicht, lei­det an ei­nem er­heb­li­chen, den Käu­fer zu ei­nem Rück­tritt vom Kauf­ver­trag be­rech­ti­gen­den Man­gel.
  2. Der „tat­säch­li­che“ Kraft­stoff­ver­brauch ei­nes Neu­wa­gens kann auch dann nach den Vor­ga­ben der Richt­li­nie 80/1268/EWG er­mit­telt wer­den, wenn der Kraft­stoff­ver­brauch nicht (in­di­rekt) auf ei­nem Rol­len­prüf­stand, son­dern (di­rekt) „auf der Stra­ße“ ge­mes­sen wird.
  3. Ein hoch­prei­si­ger Neu­wa­gen (hier: ei­nes Mer­ce­des-Benz E 320 CDI 4MA­TI­CE), bei dem in be­stimm­ten Si­tua­tio­nen auf­fäl­li­ge Vi­bra­tio­nen auf­tre­ten, die über ei­ne ge­ring­fü­gi­ge Kom­fort­be­ein­träch­ti­gung hin­aus­ge­hen, ist man­gel­haft.

LG Mün­chen I, Ur­teil vom 29.01.2009 – 4 O 6504/07

Sach­ver­halt: Der Klä­ger kauf­te von der Be­klag­ten am 24.05.2006 für 60.506,30 € ei­nen Neu­wa­gen Mer­ce­des-Benz E 320 CDI 4MA­TI­CE (T-Mo­dell). Die­ses Fahr­zeug wur­de dem Klä­ger am 16.06.2006 über­ge­ben.

Nach­dem der Klä­ger der Be­klag­ten am 20.7.2006 so­wie im Au­gust 2008 Ge­le­gen­heit zur Nach­bes­se­rung ge­ge­ben hat­te, teil­te er der Be­klag­ten un­ter dem 12. und dem 22.08.2006 schrift­lich mit, dass er den Pkw nicht mehr ha­ben wol­le, da, es er­heb­lich vi­brie­re und zu viel Kraft­stoff ver­brau­che.

Der Klä­ger be­haup­tet, das Fahr­zeug sei von An­fang an man­gel­haft ge­we­sen. Ob­wohl die Mo­tor­auf­hän­gung aus­ge­tauscht wor­den sei, trä­ten bei dem Pkw bei kal­tem Mo­tor oder nach lan­gem Ste­hen bei ein­ge­leg­ter Fahr­stu­fe D im Leer­lauf Vi­bra­tio­nen auf, wenn die Leer­lauf­dreh­zahl auf 600 U/min ab­ge­fal­len sei. Die­se nie­der­fre­quen­ten Vi­bra­tio­nen gin­gen über ei­ne nur ge­ring­fü­gi­ge Kom­fort­be­ein­träch­ti­gung hin­aus. Sie sei­en an den Kopf­stüt­zen bei­der Vor­der­sit­ze so­wie im Be­reich der Rü­cken­leh­nen zu spü­ren. Au­ßer­dem ver­brau­che das Fahr­zeug den ein­schlä­gi­gen La­bor­be­din­gun­gen zu viel Kraft­stoff; der Kraft­stoff­ver­brauch be­tra­ge nicht – wie in der Be­triebs­an­lei­tung an­ge­ge­ben – durch­schnitt­li­chen 8,3 bis 8,6 l pro 100 km, son­dern 12,9 l pro 100 km. Der Kraft­stoff­ver­brauch im Stadt­ver­kehr lie­ge bei 15 l pro 100 km und nicht – wie an­ge­ge­ben – bei 11,0 bis 11,6 l pro 100 km.

Die Be­klag­te ist der im We­sent­li­chen auf Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags ge­rich­te­ten Kla­ge mit dem Ein­wand ent­ge­gen­ge­tre­ten, bei den an­geb­li­chen Vi­bra­tio­nen hand­le es sich le­dig­lich um ge­ring­fü­gi­ge Kom­fort­be­ein­träch­ti­gun­gen; Maß­nah­men, die über den be­reits durch­ge­führ­ten Aus­tausch der Mo­tor­auf­hän­gung hin­aus­gin­gen, müss­ten des­halb nicht er­grif­fen wer­den. Der Pkw des Klä­gers ver­brau­che auch nicht mehr Kraft­stoff als an­ge­ge­ben. Die vom Klä­ger ge­nann­ten Ver­brauchs­wer­te be­ruh­ten auf Fehl­ver­hal­ten und an­de­ren tech­ni­schen Fak­to­ren, die sie, die Be­klag­te, nicht be­ein­flus­sen kön­ne. Ein von ihr ein­ge­hol­tes Gut­ach­ten ha­be ei­nen Durch­schnitts­ver­brauch von 9,2 l/100 km er­ge­ben. Die­ser Kraft­stoff­ver­brauch sei mit Blick auf die Fahr­zeug­aus­stat­tung und die Her­stel­ler­an­ga­be von 8,3 bis 8,6 l/100 km nicht zu be­an­stan­den.

Die Kla­ge hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: Der Klä­ger kann nach zu­nächst er­folg­ter bzw. un­mög­li­cher Nach­bes­se­rung von der Be­klag­ten nach § 437 Nr. 2 Fall 1 BGB, §§ 323 I, 257 I, 326 V BGB, § 346 I BGB den ge­zahl­ten Kauf­preis in Hö­he von 53.794,65 € samt Zin­sen, Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Fahr­zeugs, zu­rück­ver­lan­gen.

Nach dem Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me steht fest, dass das Fahr­zeug tat­säch­lich von An­fang an in zwei­fa­cher Hin­sicht man­gel­haft war, da es ei­ner­seits in ei­nem über bloß ge­ring­fü­gi­ge Kom­fort­be­ein­träch­ti­gun­gen hin­aus­ge­hen­den Maß Vi­bra­tio­nen er­zeugt und zum an­de­ren er­heb­lich mehr Sprit ver­braucht als ver­trag­lich vor­aus­ge­setzt.

Im Ein­zel­nen:

1. Der Sach­ver­stän­di­ge S stellt auf den Sei­ten 15 ff. sei­nes Gut­ach­tens vom 28.11.2009 fest, dass bei der nied­ri­gen Leer­lauf­dreh­zahl von 600 U/min im Rü­cken­be­reich des Fah­rer­sit­zes so­wie an der Kopf­stüt­ze Vi­bra­tio­nen auf­trä­ten. Die­se sei­en auch im Ge­säß deut­lich fühl­bar und so auf­fäl­lig, dass nicht mehr von ei­ner ge­ring­fü­gi­gen Kom­fort­be­ein­träch­ti­gung ge­spro­chen wer­den kön­ne. Sie sei­en ver­gleich­bar mit den Vi­bra­tio­nen, die in et­wa bei ei­nem Vier­zy­lin­der-Die­sel des glei­chen Her­stel­lers bei ei­nem Mo­dell vor zwan­zig Jah­ren auf­ge­tre­ten sei­en. Die Vi­bra­tio­nen trä­ten im Leer­lauf so­wohl bei ein­ge­leg­ter Fahr­stu­fe D als auch bei N (Neu­tral) auf.

2. Nach den Fest­stel­lun­gen des Sach­ver­stän­di­gen ist das Fahr­zeug auch auf­grund sei­nes weit über­höh­ten Kraft­stoff­ver­brauchs von vorn­her­ein man­gel­haft ge­we­sen.

Ein ver­kauf­tes Neu­fahr­zeug ist dann als man­gel­haft an­zu­se­hen, wenn der Kraft­stoff­ver­brauch um mehr als 10 % von den Her­stel­ler­an­ga­ben ab­weicht, da in­so­weit ei­ne nicht nur un­er­heb­li­che Min­de­rung des Fahr­zeug­wer­tes vor­liegt (BGH, Urt. v. 18.06.1997 – VI­II ZR 52/96, BGHZ 136, 94 = NJW 1997, 2590, 2591; Urt. v. 14.02.1996 – VI­II ZR 65/95, BGHZ 132,55 = NJW 1996, 1337, 1338).1Die an­ge­ge­be­nen BGH-Ur­tei­le sind zu § 459 I BGB a.F. er­gan­gen. Da­nach lag ein Sach­man­gel erst vor, wenn durch ei­nen Feh­ler der Wert oder due Taug­lich­keit der Kauf­sa­che mehr als nur un­er­heb­lich ge­min­dert war (vgl. § 459 I 2 BGB a.F.). Nach dem – im Streit­fall an­zu­wen­den­den – „neu­en“ Schuld­recht be­grün­det da­ge­gen je­de für den Käu­fer nach­tei­li­ge Ab­wei­chung der Ist- von der Soll­be­schaf­fen­heit ei­nen Sach­man­gel. Al­ler­dings kann der Käu­fer auf ei­nen nur ge­ring­fü­gi­gen Sach­man­gel kei­nen Rück­tritt vom Kauf­ver­trag stüt­zen (vgl. § 323 V 2 BGB); wohl aber darf er we­gen ei­nes nur ge­ring­fü­gi­gen Man­gels den Kauf­preis min­dern (vgl. § 441 I 2 BGB). Nach der neue­ren Recht­spre­chung des BGH (Beschl. v. 08.05.2007 – VI­II ZR 19/05) ist ein Man­gel in Ge­stalt ei­nes zu ho­hen Kraft­stoff­ver­brauchs nur ge­ring­fü­gig und ein Rück­tritt vom Kauf­ver­trag des­halb aus­ge­schlos­sen, wenn der tat­säch­li­che Kraft­stoff­ver­brauch zum Nach­teil des Käu­fers um we­ni­ger als 10 % von dem her­stel­ler­sei­tig an­ge­ge­be­nen Kraft­stoff­ver­brauch ab­weicht.

Nach dem Gut­ach­ten des Sach­ver­stän­di­gen S (S. 10 ff.) hat sich durch die von ihm nach dem maß­geb­li­chen Zy­klus der eu­ro­päi­schen Richt­li­nie 80/1268/EWG2Richt­li­nie 80/1268/EWG des Ra­tes vom 16.12.1980 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über den Kraft­stoff­ver­brauch von Kraft­fahr­zeu­gen, ABl. 1980 L 375, 36. durch­ge­führ­ten Fahr­tests er­ge­ben, dass das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug tat­säch­lich im Durch­schnitt 11,2 l auf 100 km und da­mit um 30 bis 35 % mehr als von der Be­klag­ten an­ge­ge­ben ver­braucht. Im Stadt­ver­kehr be­trug der Ver­brauch nach den Fest­stel­lun­gen des Sach­ver­stän­di­gen 13,45 l/100 km und lag da­mit eben­falls knapp 16 bis gut 22 % über den Her­stel­ler­an­ga­ben.

Das Ge­richt hat – zu­mal nach der An­hö­rung des Sach­ver­stän­di­gen im Ter­min vom 29.01.2009 – kei­nen An­lass, an der Rich­tig­keit die­ser An­ga­ben oder am me­tho­disch rich­ti­gen Vor­ge­hen des Sach­ver­stän­di­gen zu zwei­feln. Der Sach­ver­stän­di­ge S hat in­so­weit die Vor­ga­ben der für die Er­mitt­lung der ver­trag­li­chen Soll­be­schaf­fen­heit maß­geb­li­chen Richt­li­nie 80/1268/EWG3Richt­li­nie 80/1268/EWG des Ra­tes vom 16.12.1980 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über den Kraft­stoff­ver­brauch von Kraft­fahr­zeu­gen, ABl. 1980 L 375, 36. auch für den Lai­en nach­voll­zieh­bar er­läu­tert. Er hat ins­be­son­de­re schlüs­sig er­klärt, dass die auf der Stra­ße durch­ge­führ­ten Mes­sun­gen die Mess­er­geb­nis­se nicht zu­las­ten der Be­klag­ten ver­fälscht ha­ben kön­nen, ob­wohl de­ren Mit­ar­bei­ter mit un­ab­läs­si­ger Ve­he­menz in der Sit­zung die Auf­fas­sung ver­tre­ten ha­ben, nur ei­ne Mes­sung auf ei­nem Rol­len­prüf­stand über den Um­weg ei­ner Er­fas­sung von CO2-Wer­ten füh­re zu ver­wert­ba­ren Er­geb­nis­sen. Im Hin­blick auf den Luft­wi­der­stand füh­re die von der be­klag­ten Par­tei an­ge­führ­te Mes­sung auf ei­nem Prüf­stand eher zu noch hö­he­rem Ver­brauch, da sich bei ei­ner Mes­sung in flie­ßen­dem Ver­kehr – wie vom Sach­ver­stän­di­gen durch­ge­führt – die auf der Stra­ße in Fahrt­rich­tung in Be­we­gung be­find­li­che Luft eher un­ter­stüt­zend auf das Test­fahr­zeug aus­wir­ke. Ein Mes­sung nach CO2-Aus­stoß füh­re zum glei­chen Er­geb­nis wie ei­ne di­rek­te Mes­sung der Kraft­stoff­men­ge. Da man an­ders als der Her­stel­ler des Fahr­zeugs nicht auf­grund ge­setz­li­cher Vor­ga­ben die CO2-Men­ge ha­be er­mit­teln müs­sen, ha­be man gleich die tat­säch­lich ver­brauch­te Men­ge an Kraft­stoff mes­sen kön­nen. Aus dem glei­chen Grund ha­be es ei­ner Ein­ord­nung des Fahr­zeugs in ei­ne be­stimm­te Fahr­zeug­klas­se nicht be­durft. Auch die ge­naue Zu­sam­men­set­zung des Kraft­stoffs müs­se man nur ken­nen, wenn man von CO2 auf Li­ter zu­rück­rech­ne. Da je­doch der Li­ter­ver­brauch vo­lu­me­trisch er­fasst wor­den sei, ha­be man sich die­sen Um­weg er­spa­ren kön­nen. Der Kraft­stoff ha­be je­den­falls den Vor­ga­ben der Richt­li­nie ent­spro­chen, da es sich um Mar­ken­kraft­stoff ge­han­delt ha­be. Ins­ge­samt kön­ne er aus­schlie­ßen, dass sich ge­gen­über ei­nem Test auf dem Rol­len­prüf­stand ei­ne si­gni­fi­kan­te, das heißt mehr als zehn­pro­zen­ti­ge Ver­brauchs­än­de­rung er­ge­ben wür­de.

Selbst wenn man so­mit un­ter­stellt, der Sach­ver­stän­di­ge ha­be sich auf­grund der Er­pro­bung un­ter Stra­ßen­be­din­gun­gen um 10 % ver­mes­sen, än­dert sich an der Man­gel­haf­tig­keit des Fahr­zeugs nichts, da dann noch im­mer von ei­nem Zu­viel­ver­brauch von im Durch­schnitt 20 bis 25 % aus­zu­ge­hen ist. Die Be­klag­te muss sich bei ih­rer Ar­gu­men­ta­ti­on im Üb­ri­gen fra­gen las­sen, wel­ches Ver­ständ­nis von Trans­pa­renz und Kun­den­ori­en­tie­rung sie hat, wenn ih­re Mit­ar­bei­ter im Streit­fall auf die Er­zie­lung von Mess­wer­ten po­chen, die nicht nur im All­tags­be­trieb nicht zu er­rei­chen, son­dern über­haupt aus­ge­schlos­sen sind, so­bald man das Fahr­zeug auf ei­ne ech­te Stra­ße setzt.

3. Bei der Rück­ab­wick­lung des Kaufs wa­ren dem Klä­ger die durch Be­nut­zung auf ins­ge­samt 3.3540 km er­ziel­ten Ge­brauchs­vor­tei­le auf den Kauf­preis an­zu­rech­nen, die ent­spre­chend der Dar­stel­lung des Klä­ger­ver­tre­ters auf Sei­te 2 des Schrift­sat­zes vom 16.01.2009 un­strei­tig 6.711,65 € be­tra­gen. Zieht man die­sen Be­trag vom ur­sprüng­li­chen Kauf­preis in Hö­he von 60.506,30 € ab, er­gibt sich der … te­n­o­rier­te Rück­zah­lungs­be­trag von 53.794,65 €.

Ge­mäß § 437 Nr. 3 Fall 1, §§ 280 I, III, 281 BGB kann der Klä­ger da­ne­ben für den Ge­brauchs­ent­gang des Fahr­zeugs wäh­rend der Zeit der Be­gut­ach­tung durch den Sach­ver­stän­di­gen den der Hö­he nach eben­falls un­strei­ti­gen Er­satz von 3.713 € ver­lan­gen. …

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