Ein von ei­nem Kraft­fahr­zeug­händ­ler als „Jah­res­wa­gen“ ver­kauf­tes Ge­braucht­fahr­zeug ent­spricht re­gel­mä­ßig nicht der ver­ein­bar­ten Be­schaf­fen­heit, wenn zwi­schen der Her­stel­lung und der Erst­zu­las­sung mehr als zwölf Mo­na­te lie­gen.

BGH, Ur­teil vom 07.06.2006 – VI­II ZR 180/05

Sach­ver­halt: Der Be­klag­te kauf­te am 28.01.2002 von der kla­gen­den Kfz-Händ­le­rin ei­nen als „Jah­res­wa­gen“ be­zeich­ne­ten Ge­braucht­wa­gen zum Preis von 25.300 €. Das Fahr­zeug war im Mai 1999 her­ge­stellt und am 08.08.2001 erst­mals zu­ge­las­sen wor­den. Da sich der Wa­gen im Zeit­punkt des Kauf­ver­trags­ab­schlus­ses noch im Be­stand der ers­ten Hal­te­rin, der E-GmbH be­fand, ver­ein­bar­ten die Par­tei­en den 15.05.2002 als Lie­fer­ter­min. Im Mai 2002 bau­te die Klä­ge­rin im Auf­trag des Be­klag­ten in dem Fahr­zeug ei­nen CD-Wechs­ler ein und mon­tier­te vier Alu­rä­der.

Mit ih­rer Kla­ge hat die Klä­ge­rin von dem Be­klag­ten die Zah­lung der für die vor­ge­nann­ten Ein­bau­ten ver­ein­bar­ten Ver­gü­tung von ins­ge­samt 2.700 € nebst Zin­sen ver­langt. Der Be­klag­te hat ge­gen­über der Kla­ge­for­de­rung die Auf­rech­nung mit ei­nem An­spruch auf teil­wei­se Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses er­klärt. Die­sen An­spruch hat er mit ei­ner Min­de­rung un­ter an­de­rem we­gen der be­reits im Mai 1999 er­folg­ten Her­stel­lung des Fahr­zeugs be­grün­det. Im We­ge der Wi­der­kla­ge hat der Be­klag­te den die Kla­ge­for­de­rung über­stei­gen­den Min­de­rungs­be­trag von zu­letzt 1.350 € nebst Zin­sen gel­tend ge­macht.

Das Amts­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen; der Wi­der­kla­ge hat es in Hö­he von 960 € nebst Zin­sen statt­ge­ge­ben und sie im Üb­ri­gen ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung der Klä­ge­rin hat das Land­ge­richt der Kla­ge statt­ge­ge­ben und die Wi­der­kla­ge ins­ge­samt ab­ge­wie­sen. Die vom Be­ru­fungs­ge­richt zu­ge­las­se­ne Re­vi­si­on des Be­klag­ten hat­te Er­folg und führ­te zur Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils.

Aus den Grün­den: [6]    II. … Zu Un­recht hat das Be­ru­fungs­ge­richt den vom Be­klag­ten ge­mäß §§ 437 Nr. 2 Fall 2, 441 IV 1 BGB gel­tend ge­mach­ten An­spruch auf teil­wei­se Rück­zah­lung des ge­min­der­ten Kauf­prei­ses – der Ge­gen­stand sei­ner Auf­rech­nung ge­gen die (un­strei­ti­ge) Kla­ge­for­de­rung (§§ 387 ff. BGB) und sei­ner Wi­der­kla­ge ist – mit der Be­grün­dung ver­neint, das am 28.01.2002 ge­kauf­te Ge­braucht­fahr­zeug ent­spre­che der ver­trag­li­chen Be­schrei­bung als „Jah­res­wa­gen“. Der Um­stand, dass das im Mai 1999 her­ge­stell­te Fahr­zeug be­reits mehr als zwei Jah­re alt war, als es am 08.08.2001 erst­mals zu­ge­las­sen wur­de, be­grün­det ei­nen Sach­man­gel, der den Be­klag­ten zur Min­de­rung des Kauf­prei­ses be­rech­tigt (§§ 437 Nr. 2 Fall 2, 434 I 1 BGB).

[7]    1. Ge­mäß § 434 I 1 BGB ist die Sa­che frei von Sach­män­geln, wenn sie bei Ge­fahr­über­gang die ver­ein­bar­te Be­schaf­fen­heit hat. Nach den un­an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts soll­te das Fahr­zeug die Ei­gen­schaft ei­nes so­ge­nann­ten Jah­res­wa­gens auf­wei­sen. Die­se ver­trag­li­che Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung hat das Be­ru­fungs­ge­richt da­hin aus­ge­legt (§§ 133, 157 BGB), dass es ge­nü­ge, wenn – was hier der Fall war – seit der Erst­zu­las­sung des Fahr­zeugs we­ni­ger als zwölf Mo­na­te ver­stri­chen sei­en und es nicht län­ger in Ge­brauch ge­we­sen sei. Das be­an­stan­det die Re­vi­si­on zu Recht.

[8]    a) Der Se­nat kann die vom Be­ru­fungs­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Aus­le­gung des Be­griffs „Jah­res­wa­gen“ im In­ter­es­se ei­ner ein­heit­li­chen Hand­ha­bung und da­mit der Rechts­si­cher­heit un­ein­ge­schränkt über­prü­fen, weil es sich um ei­ne ty­pi­sche, im Ge­braucht­wa­gen­han­del auch über den Be­zirk des Be­ru­fungs­ge­richts hin­aus ver­wen­de­te Be­schaf­fen­heits­an­ga­be han­delt (vgl. Se­nat, BGHZ 122, 256 [260 f.] m. w. Nachw.; BGHZ 128, 307 [309]). Nach ei­ner in der ober­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung und im rechts­wis­sen­schaft­li­chen Schrift­tum ver­brei­te­ten An­sicht han­delt es sich nach der Ver­kehrs­auf­fas­sung bei ei­nem Jah­res­wa­gen um ein Ge­braucht­fahr­zeug aus ers­ter Hand, das von ei­nem Werks­an­ge­hö­ri­gen ein Jahr lang ab der Erst­zu­las­sung ge­fah­ren wor­den ist (OLG Köln, NJW-RR 1989, 699; Rein­king/Eg­gert, Der Au­to­kauf, 9. Aufl., Rn. 1345 m. w. Nachw.; Stau­din­ger/Ma­tu­sche-Beck­mann, BGB, Neu­be­arb. 2004, § 434 Rn. 164). Legt man die­se De­fi­ni­ti­on zu­grun­de, kommt ei­ne Min­de­rung des Kauf­prei­ses im vor­lie­gen­den Fall zwar nicht be­reits des­halb in Be­tracht, weil das Fahr­zeug seit sei­ner Erst­zu­las­sung nicht durch ei­nen Werks­an­ge­hö­ri­gen, son­dern als Miet­wa­gen ge­nutzt wor­den ist; denn dem Be­klag­ten war be­reits bei Ver­trags­ab­schluss die Ver­wen­dung des Fahr­zeugs im Miet­wa­gen­ge­schäft durch die E-GmbH be­kannt, so dass ein et­wai­ges Min­de­rungs­recht un­ter die­sem Ge­sichts­punkt von vorn­her­ein aus­ge­schlos­sen war (§ 442 I 1 BGB). Auch die Re­vi­si­on macht in­so­weit kein Min­de­rungs­recht des Be­klag­ten gel­tend.

[9]    b) Das Be­ru­fungs­ge­richt hät­te je­doch be­rück­sich­ti­gen müs­sen, dass es für die Aus­le­gung des Be­griffs „Jah­res­wa­gen“ als Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung (§ 434 I 1 BGB) auch auf das Ge­samt­al­ter des Fahr­zeugs ein­schließ­lich der vor der Erst­zu­las­sung lie­gen­den Stand­zeit an­kommt.

[10]   Es kann da­hin­ste­hen, ob der Käu­fer ei­nes Jah­res­wa­gens, so­weit die Par­tei­en hier­über kei­ne Ver­ein­ba­run­gen ge­trof­fen ha­ben, be­rech­tig­ter­wei­se er­war­ten kann, ein Fahr­zeug zu er­wer­ben, das im Zeit­punkt der Erst­zu­las­sung noch sämt­li­che Ei­gen­schaf­ten ei­nes „fa­brik­neu­en“ Wa­gens auf­weist. Nach der Recht­spre­chung des Se­nats zur Sach­män­gel­ge­währ­leis­tung bei Neu­fahr­zeu­gen ge­mäß §§ 459 ff. BGB a.F. liegt im Ver­kauf ei­nes Neu­wa­gens durch ei­nen Kraft­fahr­zeug­händ­ler grund­sätz­lich die still­schwei­gen­de Zu­si­che­rung, dass das ver­kauf­te Fahr­zeug die Ei­gen­schaft hat, „fa­brik­neu“ zu sein; das ist bei ei­nem un­be­nutz­ten Kraft­fahr­zeug re­gel­mä­ßig nur dann der Fall, wenn und so­lan­ge das Mo­dell die­ses Fahr­zeugs un­ver­än­dert wei­ter­ge­baut wird, wenn es kei­ne durch län­ge­re Stand­zeit be­ding­ten Män­gel auf­weist, und wenn zwi­schen Her­stel­lung des Fahr­zeugs und Ab­schluss des Kauf­ver­trags nicht mehr als zwölf Mo­na­te lie­gen (Se­nat, Urt. v. 22.03.2000 – VI­II ZR 325/98, NJW 2000, 2018 [un­ter II]; Urt. v. 15.10.2003 – VI­II ZR 227/02, NJW 2004, 160 [un­ter II 2 und 3], je­weils m. w. Nachw.; Urt. v. 12.01.2005 – VI­II ZR 109/04, NJW 2005, 1422 [un­ter II 2]. Auch die Ver­ein­ba­rung der Be­schaf­fen­heit ei­nes Ge­braucht­fahr­zeugs als Jah­res­wa­gen ge­mäß § 434 I 1 BGB n.F. hat je­den­falls – oh­ne dass es ei­ner aus­drück­li­chen Ver­ein­ba­rung hier­über be­darf – re­gel­mä­ßig zum In­halt, dass das ver­kauf­te Fahr­zeug bis zum Zeit­punkt sei­ner Erst­zu­las­sung kei­ne Stand­zeit von mehr als zwölf Mo­na­ten auf­weist. Dar­über, ob Glei­ches et­wa für den Fall ei­nes Mo­dell­wech­sels vor der Erst­zu­las­sung gilt, braucht nicht ent­schie­den zu wer­den.

[11]   Nach der Ver­kehrs­an­schau­ung ist die La­ger­dau­er für die Wert­schät­zung ei­nes Kraft­fahr­zeugs von we­sent­li­cher Be­deu­tung (vgl. Se­nat, Urt. v. 15.10.2003 – VI­II ZR 227/02, NJW 2004, 160  [un­ter II 3] m. w. Nachw.); so ist ei­ne lan­ge Stand­dau­er für ei­nen Neu­wa­gen­käu­fer ein wert­min­dern­der Fak­tor, weil je­des Kraft­fahr­zeug ei­nem Al­te­rungs­pro­zess un­ter­liegt, der be­reits mit dem Ver­las­sen des Her­stel­lungs­be­trie­bes ein­setzt; im Re­gel­fall ist des­halb da­von aus­zu­ge­hen, dass ei­ne La­ger­zeit von mehr als zwölf Mo­na­ten die Fa­brik­neu­heit ei­nes Neu­wa­gens be­sei­tigt (vgl. Se­nat, Urt. v. 15.10.2003 – VI­II ZR 227/02, NJW 2004, 160). Ei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung ist auch beim – hier vor­lie­gen­den – Kauf ei­nes Jah­res­wa­gens vom Kraft­fahr­zeug­händ­ler nicht ge­recht­fer­tigt. Auch für den Käu­fer ei­nes Jah­res­wa­gens ist die vor der Erst­zu­las­sung lie­gen­de Stand­dau­er des Fahr­zeugs als wert­bil­den­der Fak­tor von er­kenn­bar we­sent­li­cher Be­deu­tung. Aus der Sicht ei­nes ver­stän­di­gen Käu­fers dient die an das Al­ter des Fahr­zeugs an­knüp­fen­de Kenn­zeich­nung ei­nes Ge­braucht­fahr­zeugs als Jah­res­wa­gen dem Zweck, das Fahr­zeug ei­ner­seits von („fa­brik­neu­en“) Neu­fahr­zeu­gen und an­de­rer­seits von äl­te­ren Ge­braucht­wa­gen, de­nen nach der Ver­kehrs­an­schau­ung re­gel­mä­ßig ei­ne ge­rin­ge­re Wert­schät­zung zu­kommt, ab­zu­gren­zen. Der Käu­fer ei­nes Jah­res­wa­gens han­delt in der je­den­falls für den ge­werb­lich tä­ti­gen Ver­käu­fer er­kenn­ba­ren Er­war­tung, ei­nen „jun­gen“ Ge­braucht­wa­gen aus ers­ter Hand zu er­wer­ben, der sich hin­sicht­lich sei­nes Al­ters von ei­nem Neu­fahr­zeug im We­sent­li­chen le­dig­lich durch die ein­jäh­ri­ge Nut­zung im Stra­ßen­ver­kehr seit der – aus den Fahr­zeug­pa­pie­ren er­sicht­li­chen – Erst­zu­las­sung un­ter­schei­det. Es wür­de da­her den schutz­wür­di­gen In­ter­es­sen des Käu­fers nicht ge­recht, die ver­trag­lich ge­schul­de­te Be­schaf­fen­heit ei­nes Jah­res­wa­gens im Hin­blick auf die höchst­zu­läs­si­ge Stand­zeit vor der Erst­zu­las­sung an­ders zu be­ur­tei­len als die La­ger­dau­er ei­nes Neu­fahr­zeugs bis zu des­sen Ver­kauf. Dar­aus folgt, dass ein von ei­nem Kraft­fahr­zeug­händ­ler als Jah­res­wa­gen ver­kauf­tes Ge­braucht­fahr­zeug re­gel­mä­ßig nicht der ver­ein­bar­ten Be­schaf­fen­heit ent­spricht, wenn zwi­schen der Her­stel­lung und der Erst­zu­las­sung mehr als zwölf Mo­na­te lie­gen. Um­stän­de, die im vor­lie­gen­den Fall ei­ne an­de­re Aus­le­gung der Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung ge­bie­ten wür­den, sind we­der vor­ge­tra­gen noch im Üb­ri­gen er­sicht­lich.

[12]   2. Die noch ver­trags­ge­mä­ße Stand­zeit von zwölf Mo­na­ten war hier bei Wei­tem über­schrit­ten, weil seit der Her­stel­lung des vom Be­klag­ten ge­kauf­ten Fahr­zeugs im Mai 1999 bis zur Erst­zu­las­sung im Au­gust 2001 mehr als 26 Mo­na­te ver­stri­chen wa­ren. Das Min­de­rungs­recht des Be­klag­ten ist auch nicht nach § 442 I 1 BGB aus­ge­schlos­sen. Dass die Klä­ge­rin, wie sie vor­ge­tra­gen hat, dem Be­klag­ten bei den Ver­trags­ver­hand­lun­gen das Bau­jahr des Fahr­zeugs mit­ge­teilt hat, hat das Be­ru­fungs­ge­richt nach der in ers­ter In­stanz durch­ge­führ­ten Be­weis­auf­nah­me nicht als er­wie­sen an­ge­se­hen. Die­se tatrich­ter­li­che Wür­di­gung, die kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen lässt, wird im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren nicht an­ge­grif­fen.

[13]   Auf die Re­vi­si­on des Be­klag­ten ist das Be­ru­fungs­ur­teil da­her auf­zu­he­ben,  und die Sa­che ist zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­zu­ver­wei­sen (§§ 562 I, 563 I 1 ZPO). Die Sa­che ist nicht zur End­ent­schei­dung reif, weil sich das Be­ru­fungs­ge­richt – von sei­nem Stand­punkt aus fol­ge­rich­tig – nicht mit den im Be­ru­fungs­rechts­zug er­ho­be­nen An­grif­fen der Klä­ge­rin hin­sicht­lich der Hö­he des vom erst­in­stanz­li­chen Ge­richt an­ge­nom­me­nen Min­de­rungs­be­trags aus­ein­an­der­ge­setzt hat.

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