Ein als fabrikneu verkaufter und noch nicht zum Straßenverkehr zugelassener Pkw, der vereinbarungsgemäß auf eigener Achse zum Käufer überführt wurde, ist auch dann noch ein Neuwagen, wenn er bei der Übergabe an den Käufer eine Laufleistung aufweist, die weniger als 100 km über der Laufleistung liegt, die das Fahrzeug mit Blick auf die Überführungsfahrt haben darf. Das gilt auch dann, wenn unklar bleibt, weshalb das Fahrzeug eine „zu hohe“ Laufleistung aufweist.
LG Zwickau, Urteil vom 27.06.2006 – 1 O 1652/05
(nachfolgend: OLG Dresden, Urteil vom 04.10.2006 – 8 U 1462/06)
Sachverhalt: Die Beklagte bestellte bei der Klägerin am 25.05.2005 einen Neuwagen zum Preis von 52.843,80 €. Über das Fahrzeug, das von Neuss zu einer Niederlassung der Beklagten in Plauen überführt werden sollte, schloss die Beklagte einen Leasingvertrag mit der L-GmbH. Die Klägerin stellte ihr deshalb am 31.05.2005, nach der Übergabe des Fahrzeugs, eine Leasingsonderzahlung in Höhe von 5.284,38 € sowie Überführungskosten in Höhe von 373,65 €, insgesamt 5.658,03 €, in Rechnung.
Um diesen Betrag will die Beklagte, die die Rechnung der Klägerin vom 31.05.2005 nicht beglichen hat, den Kaufpreis mindern, weil das Fahrzeug kein Neuwagen mehr sei. Vielmehr habe das Fahrzeug – so behauptet die Beklagte – bei der Übergabe an sie bereits eine Laufleistung von 630 km aufgewiesen. Sie, die Beklagte, sei zwar mit einer Überführung des Fahrzeugs von Neuss nach Plauen einverstanden gewesen. Die Entfernung zwischen Neuss und Plauen betrage indes nur 528 km. Dies sowie die inzwischen verblasste Aufschrift „jetzt Probe fahren“ auf dem Fahrzeug lasse den Schluss zu, dass der Wagen für Probefahrten genutzt worden sei.
Die auf Zahlung von 5.658,03 € nebst Zinsen gerichtete Klage hatte Erfolg.
Aus den Gründen: I. Die Klage ist aus § 433 II BGB, was den als Leasingsonderzahlung bezeichneten Restkaufpreis angeht, und aus §§ 675 I, 670 BGB, was die Kosten der Überführungsfahrt angeht, begründet.
1. Der Klageanspruch als solcher ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte schuldet daher dem Grunde nach die eingeklagte Forderung.
2. Soweit sich die Beklagte hiergegen auf ein Minderungsrecht in gleicher Höhe berufen will, welches sie gegen den Kaufpreisanspruch setzt bzw. mit dessen überschießendem Teil sie den Überführungskostenanspruch verrechnet, dringt sie hiermit nicht durch.
Die Beklagte hat das Fahrzeug ohne Beanstandungen oder Vorbehalte übernommen und ist daher darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die zwischen den Parteien vertraglich vereinbarte Soll-Beschaffenheit (Neufahrzeug) von der tatsächlichen Ist-Beschaffenheit abweicht. Soweit die Rechtsprechung trotz des erfolgten Gefahrübergangs teilweise eine Beweislastumkehr annimmt, also dem Verkäufer nicht nur die Darlegungs-, sondern auch die Beweislast dafür auferlegt, wer zu welchem Zweck, wie viele Kilometer mit dem Neufahrzeug gefahren ist (so offenbar OLG Köln, Urt. v. 19.10.1987 – 12 U 9/87, zit. nach Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rn. 14 Fn. 3), vermag dem das Gericht nicht zu folgen. Wie in vielen anderen Rechtsgebieten bei vergleichbarer Interessenlage auch, reicht es völlig aus, dem Verkäufer lediglich eine mitwirkende Darlegungslast aufzubürden. Der jeweilige Käufer, hier die Beklagte, kann sodann – prozessual unproblematisch – die jeweiligen Angestellten – hier der Niederlassung in Neuss – als Zeugen ermitteln und benennen. Es ist daher gerade keine Situation gegeben, in der ausschließlich der Verkäufer einen Beweis über etwaige Entfernungsstrecken fuhren kann. Über die bloße Vermutung der Beklagten hinaus, das Fahrzeug sei während der 92 ungeklärten Kilometer von Dritten Probe gefahren worden, gibt es hierfür indes keinen Beweis, obwohl Beweisangebote der Beklagten möglich gewesen wären.
Darüber hinaus ist selbst bei unterstellter Richtigkeit der von der Beklagten geäußerten Vermutungen die Neuwageneigenschaft noch nicht aufgehoben.
Die Neuwageneigenschaft endet grundsätzlich dann, wenn das Fahrzeug zu Verkehrszwecken in Gebrauch genommen wird. Überfuhrungsfahrten, soweit sie einen geringeren Umfang als 1.000 km haben (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 28.06.2000 – 4 U 53/00, juris) und auch Probefahrten (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 18) lassen indes die Neuwageneigenschaft nicht ohne Weiteres entfallen. Grund hierfür ist, dass Probefahrten in der Regel unter fachkundiger Anleitung des Händlers durchgeführt werden, weshalb eine eventuelle Überbeanspruchung oder unsachgemäße Handhabung des Wagens während der Probefahrt im Allgemeinen nicht befürchtet werden muss. Eine Probefahrt ist daher im Regelfall nicht mit einer Ingebrauchnahme zu Verkehrszwecken gleichzusetzen.
Darüber hinaus ist für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblich, dass die Beklagte selbst damit einverstanden war, dass das Fahrzeug aus einer nicht unerheblichen Entfernung nach Plauen überführt wird. Das Fahrzeug war während der einvernehmlichen Überführung bereits dem Verschleiß oder der Gefahr kleinerer nachbesserbarer Beschädigungen ausgesetzt. Der objektive Wert und die Einschätzung eines Fahrzeugs im Rechtsverkehr werden bei einer zugestandenen Überführungsfahrt von bis zu 1.000 km (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 28.06.2000 – 4 U 53/00, juris) nicht erkennbar dadurch geschmälert, das weitere 92 km gefahren werden. Dies zeigt sich bereits daran, dass die Beklagte wohl kaum allen Ernstes Einwendungen erhoben hätte, wenn sich der Fahrer der Klägerin beispielsweise aus verkehrsbedingten Erwägungen heraus entschlossen hätte, einen Umweg in Kauf zu nehmen. Der Umstand als solcher, dass nach Aktenlage 92 km „zu viel“ gefahren wurden, ist daher kein Faktor, der die Wertbildung tatsächlich beeinflusst.
Soweit die Beklagte meint, dass sich die wertbildende Beeinflussung gerade aus dem Umstand der „Unklarheit“ der genauen Nutzung während der 92 km ergebe, greift dies ebenfalls nicht durch. Konkrete Beschädigungen oder Verschleiß, der auf unsachgemäßem Gebrauch überhaupt, geschweige denn während der 92 km beruhen könnte, wurde von der Beklagten noch nicht einmal behauptet. Das rein subjektive Empfinden der Beklagten, der Wert des Fahrzeugs sei während der 92 ungeklärten Kilometer in irgendeiner Weise gemindert worden, ist indes nicht objektivierbar. Die ungeklärt zurückgelegte Entfernung fällt daher neben der gestatteten Überführung, die auf direktem Weg mindestens 530 km beansprucht, nicht wertbildend oder sonstwie ins Gewicht. …
Hinweis: Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das OLG Dresden hat sie, nachdem die Klägerin die Klage hinsichtlich der Überführungskosten zurückgenommen hatte, mit Urteil vom 04.10.2006 – 8 U 1462/06 – mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte der Klägerin 5.284,38 € nebst Zinsen zahlen muss. In dem Berufungsurteil heißt es:
„I. … 1. Anspruchsgrundlage für das Zahlungsverlangen in Höhe von 5.284,38 € ist allerdings, anders als das Landgericht und die Parteien meinen, nicht unmittelbar § 433 II BGB. Einen solchen Anspruch hat die Klägerin nur gegen die Leasinggeberin der Beklagten. Es ist weder ausdrücklich vorgetragen noch ohne Weiteres ersichtlich, dass die Beklagte die Kaufpreisschuld der Leasinggeberin übernommen hat oder ihr beigetreten ist. Stattdessen ist die Beklagte der Klägerin aber in derselben Höhe verpflichtet, weil sie gegenüber der Leasinggeberin die Pflicht zur Erbringung einer Leasingsonderzahlung von 5.284,38 € eingegangen ist und die Leasinggeberin die Klägerin … ermächtigt hat, diesen Betrag zu vereinnahmen. Das Vorgehen der Klägerin in gewillkürter Prozessstandschaft begegnet keinen Zulässigkeitsbedenken.
2. Der geltend gemachte Anspruch besteht ungeschmälert.
a) Dabei muss auf leasingrechtliche Besonderheiten, die sich daraus ergeben könnten, dass die Beklagte dem Zahlungsanspruch nur mit Einwendungen und Einreden begegnen kann, die ihr im Verhältnis zur Leasinggeberin zustehen, ebenso wenig eingegangen werden wie darauf, ob sich die zum Neuwagenkauf entwickelten Kriterien für einen Sachmangel (§ 434 BGB) auf den bei Miete und Leasing grundsätzlich maßgeblichen Sachmangel i. S. von § 536 I BGB uneingeschränkt übertragen lassen.
b) Denn jedenfalls liegt im Streitfall auch bei Zugrundelegung des strengen kaufrechtlichen Neuwagenbegriffs kein relevanter Sachmangel vor. Der Senat macht sich die überzeugenden Ausführungen des Landgerichts zu eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese. Ergänzend ist lediglich Folgendes anzumerken:
Ein bislang nicht amtlich zugelassen gewesener Pkw, der nach den Vereinbarungen der Parteien über eine Strecke von gut 500 km (hier nach der eigenen Sachkunde des Landgerichts etwa 530 km und laut der vom Senat online … abgerufenen Routenberechnung genau 533,59 km) manuell per Achse zu überführen ist, verliert die Neuwageneigenschaft nicht dadurch, dass er bei Auslieferung einen Kilometerstand aufweist, der weniger als 100 km (vorliegend knapp 90 km) über der kürzestmöglichen Verbindungsstrecke liegt, und der Gebrauchszweck der ‚Mehrkilometer‘ ungeklärt bleibt.
Die bloße Vermutung des Kunden, das Fahrzeug sei vor der Überführung für Vorführzwecke und Probefahrten verwendet worden, liegt hier aus zwei Gründen fern. Zum einen werden für derartige Zwecke benötigte Fahrzeuge von Händlern regelmäßig zugelassen. Zum anderen war der streitgegenständliche Pkw nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten seinerzeit ausgerechnet (auch) im Bereich der Windschutzscheibe mit einer Werbeaufschrift beklebt; dies musste einen ordnungsgemäßen Fahrbetrieb einschränken, wenn nicht aufheben. Unabhängig davon hat die für die Voraussetzungen eines Sachmangels nach unbeanstandeter Übergabe des Fahrzeuges beweispflichtige Beklagte keinen Beweis für ihre vermutende Behauptung angetreten. Eine Umkehr der Beweislast ist insoweit, wie das Landgericht richtig dargelegt und begründet hat, nicht gerechtfertigt und ergibt sich auch nicht aus den von der Beklagten … zitierten Gerichtsentscheidungen. …
Im Übrigen versteht der Senat das Urteil des BGH vom 18.06.1980 – VIII ZR 185/79, WM 1980, 1068 – entsprechend dem Leitsatz 3 dahin, dass ein als Neuwagen verkaufter Pkw regelmäßig erst dann nicht mehr ‚fabrikneu‘ ist, wenn er vor Übergabe an den Käufer eine Fahrstrecke von mehr als 200 km zurückgelegt hat. Hier kommt sogar hinzu, dass nicht einmal festgestellt werden kann, dass die in Rede stehenden Mehrkilometer auf eine Nutzung zurückgehen, die nicht mit der vereinbarten Überführung des Fahrzeugs im Zusammenhang steht. …“