Eine gewerbliche Leasinggesellschaft, zu deren üblichen Geschäften die Finanzierung von Lastkraftwagen mit einem erheblichen wirtschaftlichen Wert gehört, erwirbt beim Kauf eines solchen Fahrzeugs von einem Vertragshändler des Herstellers nicht gutgläubig das Eigentum an dem Fahrzeug, wenn der Vertragshändler den Kraftfahrzeugbrief nicht übergibt und die Leasinggesellschaft aufgrund ihrer zahlreichen einschlägigen Geschäfte weiß oder wissen müsste, dass sich der Hersteller das Eigentum an dem Fahrzeug bis zur vollständigen Weiterleitung des Kaufpreises an ihn vorbehält, dass er die Verfügungsbefugnis der Händler entsprechend einschränkt und dass er den Kraftfahrzeugbrief zur Verhinderung eines gutgläubigen Eigentumserwerbs durch Dritte zurückhält oder zum Zwecke des Dokumenteninkassos einem Treuhänder überlässt.
BGH, Urteil vom 09.02.2005 – VIII ZR 82/03
Sachverhalt: Die Klägerin, eine Finanzierungs- und Leasinggesellschaft, kaufte im März 2000 von der G-GmbH, einer Vertragshändlerin der Beklagten, einen Lkw. Dieser wurde am 30.03.2000 an die Leasingnehmerin der Klägerin, die S-GmbH & Co. KG (fortan: S), ausgeliefert.
In dem zwischen der Beklagten und der G-GmbH geschlossenen Händlervertrag war ein Eigentumsvorbehalt zugunsten der Beklagten bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises durch die G-GmbH bzw. deren Kunden vereinbart. Ferner wurde die Zustimmung der Beklagten zur Übereignung und Auslieferung von Fahrzeugen durch die G-GmbH an deren Kunden von der Zahlung des Kaufpreises an die Beklagte abhängig gemacht. Die Fahrzeugbriefe für die jeweiligen Fahrzeuge wurden – wie auch hier – von der Sparkasse B. aufgrund eines von dieser mit der Beklagten abgeschlossenen Rahmenabkommens treuhänderisch bis zur Überweisung des Kaufpreises verwahrt.
Am 10.03.2000 übersandte die Klägerin der G-GmbH zur Begleichung des zu finanzierenden Kaufpreises einen Scheck über 143.750 DM. In dem Begleitschreiben der Klägerin heißt es: „Von unserem V-Scheck wollen Sie bitte nur Gebrauch machen Zug um Zug gegen Übersendung des Kfz-Briefes.“.
Die G-GmbH löste den Scheck am 29.03.2000 ein, leitete den Scheckbetrag jedoch nicht an die Beklagte weiter. Am 19.04.2000 kündigte die Beklagte den Händlervertrag mit der G-GmbH, da diese in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten geraten war. Der Kraftfahrzeugbrief für den von der Klägerin gekauften Lkw befand sich zu diesem Zeitpunkt noch bei der Sparkasse B. und wurde später an die Beklagte zurückgegeben.
Die Firma S zahlte bis Juli 2000 die vereinbarten Leasingraten an die Klägerin. Im Verlauf des Rechtsstreits gab der Insolvenzverwalter der Firma S am 23.04.2001 das Fahrzeug an die Beklagte zurück. Diese veräußerte den Lkw an einen Dritten, der auch den Kraftfahrzeugbrief erhielt.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin zunächst Herausgabe des Fahrzeugbriefs für den gekauften Lkw Zug um Zug gegen Zahlung eines Betrages von 50.000 DM, den die G-GmbH an die Klägerin zurückgezahlt hatte, sowie Schadensersatz verlangt. Das Landgericht hat dem Herausgabebegehren der Klägerin entsprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Beklagte hat hiergegen Berufung eingelegt mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung. Die Klägerin hat ebenfalls Berufung eingelegt und von der Beklagten nach der Veräußerung des Fahrzeugs Herausgabe des erzielten Erlöses unter Anrechnung der Zahlung der G-GmbH sowie Schadensersatz in Höhe der ihr entgangenen Leasingraten der Firma S für die Zeit von August 2000 bis April 2001 verlangt. Insgesamt hat sie zuletzt Zahlung von 98.750 DM (= 50.490,07 €) nebst Zinsen begehrt.
Das Berufungsgericht hat das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. Zur Begründung hat das Berufungsgericht … ausgeführt:
Der Klägerin stehe ein Zahlungsanspruch nach § 816 I 1 BGB nicht zu, denn die Veräußerung des Fahrzeugs durch die Beklagte sei keine Verfügung eines Nichtberechtigten gewesen. Die Klägerin habe von der Firma G das Eigentum an dem Fahrzeug nicht erwerben können. Auch ein gutgläubiger Erwerb der Klägerin nach § 932 BGB und § 366 HGB scheide aus, denn die Klägerin habe nicht in gutem Glauben gehandelt. Beim Verkauf von Kraftfahrzeugen spiele der Kraftfahrzeugbrief eine entscheidende Rolle. Er vermittele den Rechtsschein des Eigentums, zumindest aber der Verfügungsbefugnis über das Fahrzeug. Zwar könne eine Privatperson beim Neuwagenkauf im regulären Geschäftsverkehr in aller Regel darauf vertrauen, dass der Händler berechtigt sei, das Fahrzeug gegen vollständige Bezahlung zu überlassen. Anders sei dies jedoch im kaufmännischen Geschäftsverkehr, insbesondere bei Massengeschäften. Zu dem üblichen Geschäft der Klägerin gehöre die Finanzierung von Lastkraftwagen mit einem erheblichen wirtschaftlichen Wert. Die Klägerin müsse deshalb die üblichen vertraglichen Absprachen zwischen Händler und Hersteller kennen. Anderenfalls begründe dies allein den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Insbesondere müsse die Klägerin damit vertraut sein, dass die Beklagte als Herstellerin zur Sicherung ihres Eigentums regelmäßig einen Eigentumsvorbehalt vereinbare, sodass der Händler erst mit Weiterleitung des vollständigen Kaufpreises Eigentum an der Kaufsache erwerben könne.
Um einen gutgläubigen Eigentumserwerb durch Dritte zu verhindern, werde der Hersteller den Kraftfahrzeugbrief üblicherweise zurückhalten oder im Wege des Dokumenteninkassos einem Treuhänder überlassen, da der Brief eine der wenigen werthaltigen Sicherheiten für das Fahrzeug sei. Diese Sicherungsinteressen der Beklagten hätten der Klägerin bei gehöriger Sorgfalt nicht verborgen bleiben können. Ein Anspruch auf Ersatz der seitens der Firma S ausgebliebenen Leasingraten stehe der Klägerin ebenso wenig zu. Da sie kein Eigentum an dem Lkw erworben habe, habe ein Anspruch auf Herausgabe des Kraftfahrzeugbriefs gegenüber der Beklagten nicht bestanden.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand, sodass die Revision zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die von der Klägerin zuletzt geltend gemachten Zahlungsansprüche aus § 816 I BGB und § 286 I BGB a.F. … in Höhe von insgesamt 98.750 DM (= 50.490,07 €) unbegründet sind.
1. Ein Anspruch der Klägerin auf Herausgabe des Veräußerungserlöses aus § 816 I 1 BGB würde voraussetzen, dass die Beklagte bei der Veräußerung und anschließenden Übereignung des Lkw an einen Dritten als Nichtberechtigte gehandelt hätte. Dies ist nicht der Fall.
Die Beklagte war seinerzeit noch Eigentümerin des Fahrzeugs. Sie hat ihr Eigentum insbesondere nicht aufgrund der zwischenzeitlichen Veräußerung des Lkw durch die G-GmbH an die Klägerin verloren. Die G-GmbH ist wegen des Eigentumsvorbehalts der Beklagten mangels Zahlung des Kaufpreises nicht Eigentümerin des Fahrzeugs geworden. Die Beklagte hat der G-GmbH auch keine unbeschränkte Befugnis eingeräumt, das Eigentum an dem Fahrzeug im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs an einen Käufer zu übertragen.
Vielmehr durfte die G-GmbH nur bei Zahlung des Kaufpreises an die Beklagte über den Lkw verfügen. Daher konnte die Klägerin das Eigentum ihrerseits nur erwerben, wenn sie im Hinblick auf das Eigentum der G-GmbH an dem Fahrzeug (§ 932 I 1 BGB) oder deren Verfügungsbefugnis hierüber (§ 366 I HGB) gutgläubig gewesen wäre. Beides hat das Berufungsgericht zu Recht verneint.
Soweit das Berufungsgericht nicht von einem guten Glauben der Klägerin an das Eigentum der G-GmbH ausgegangen ist, erhebt die Revision keine Einwendungen und bestehen auch sonst keine Bedenken. Die Revision wendet sich allein dagegen, dass das Berufungsgericht einen Eigentumserwerb infolge Gutgläubigkeit in Bezug auf die Verfügungsbefugnis der G-GmbH mit der Begründung abgelehnt hat, der Klägerin sei deren Fehlen infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (§ 366 HGB, § 932 II BGB). Damit hat sie indessen keinen Erfolg.
Unter grober Fahrlässigkeit wird im Allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (Senat, Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 119/79, BGHZ 77, 274 [276]). Ob dem Erwerber einer Sache grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist, ist im Wesentlichen Tatfrage, die einer Nachprüfung in der Revisionsinstanz nur insoweit unterliegt, als Verstöße gegen § 286 ZPO, Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen (Senat, Urt. v. 18.06.1980 – VIII ZR 119/79, BGHZ 77, 274 [276]; BGH, Urt. v. 13.04.1994 – II ZR 196/93, NJW 1994, 2022 [unter II 3 b]). Ein solcher Fehler ist hier weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Nach der vom Berufungsgericht zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung des BGH handelt der Erwerber eines Gebrauchtwagens in der Regel grob fahrlässig, wenn er sich nicht den Kraftfahrzeugbrief zeigen lässt, der nach § 25 IV 2 StVZO zur Sicherung des Eigentums oder anderer Rechte am Fahrzeug bei jeder Befassung der Zulassungsbehörde mit dem Fahrzeug, besonders bei Meldungen über den Eigentumswechsel (§ 27 III StVZO), vorzulegen ist und dadurch den Eigentümer oder sonst dinglich am Kraftfahrzeug Berechtigten vor Verfügungen Nichtberechtigter schützen soll.
Bei dem – hier gegebenen – Erwerb eines Neufahrzeugs von einem autorisierten und nicht als unzuverlässig erkannten Kraftfahrzeughändler ist das Fehlen des Briefs dagegen nicht ungewöhnlich, etwa weil der Brief zunächst noch ausgefertigt werden muss (BGH, Urt. v. 21.09.1959 – III ZR 103/58, BGHZ 30, 374 [380]; Urt. v. 30.10.1995 – II ZR 254/94, WM 1996, 172 [unter II 1 a und b]; Urt. v. 13.05.1996 – II ZR 222/95, WM 1996, 1318 [unter II 2 a]; ferner Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl., Rn. 178, 1792, jeweils m. w. Nachw.). Letzteres gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Auch beim Kauf eines Neufahrzeugs kann dem Erwerber nach den Umständen des Einzelfalls der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis des Händlers fehlen (vgl. Senat, Urt. v. 14.07.1965 – VIII ZR 216/63, WM 1965, 1136 unter [III 2]; ferner MünchKomm-BGB/Quack, 4. Aufl., § 932 Rn. 83). So ist es hier.
Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, dass sich die Beklagte gegenüber ihren Vertragshändlern regelmäßig das Eigentum an den von ihr vertriebenen Lastkraftwagen bis zur vollständigen Weiterleitung des Kaufpreises vorbehält, dass sie die Verfügungsbefugnis der Händler entsprechend einschränkt und dass sie üblicherweise zur Verhinderung eines gutgläubigen Eigentumserwerbs durch Dritte den Kraftfahrzeugbrief zurückhält oder zum Zwecke des Dokumenteninkassos einem Treuhänder überlässt. Weiter hat das Berufungsgericht unangegriffen festgestellt, dass die Klägerin als gewerbliche Leasinggeberin in großer Stückzahl teure Wirtschaftsgüter kauft und dass zu ihrem üblichen Geschäft auch die Finanzierung von Lastkraftwagen mit einem erheblichen wirtschaftlichen Wert gehört. Unter diesen Umständen ist die tatrichterliche Annahme des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, der Klägerin müssten die Gepflogenheiten der diesbezüglichen Geschäftsabwicklung bekannt sein und ihr sei grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, wenn sie die üblichen vertraglichen Absprachen zwischen Händler und Hersteller nicht gekannt und dementsprechend bei der Zahlung des Kaufpreises an die Firma G nicht beachtet habe.
Ohne Erfolg beruft sich die Revision demgegenüber darauf, für die Anwendung des § 366 I HGB bleibe kein Raum, wenn der Käufer eines Neuwagens wegen des üblichen Eigentumsvorbehalts des Herstellers nicht auf die Verfügungsbefugnis des Händlers vertrauen dürfe. Die Revision verkennt insoweit, daß die Verneinung eines gutgläubigen Eigentumserwerbs auf den vom Berufungsgericht festgestellten besonderen Umständen des vorliegenden Falls beruht. Danach hat es sich nicht um den gelegentlichen Erwerb eines Lkw gehandelt, sondern war die im gewerblichen Leasinggeschäft tätige Klägerin – anders als der Käufer bei einem „normalen“ Neuwagenkauf – aufgrund ihrer zahlreichen einschlägigen Geschäfte ohne Weiteres in der Lage, sich genaue Kenntnis von den üblichen Vereinbarungen der Beklagten mit deren Vertragshändlern zu verschaffen, sofern ihr diese nicht ohnehin bekannt gewesen sind. Hat sie sich gegebenenfalls dieser Kenntnis verschlossen, hat sie in einem unverständlich hohen Maße gegen die gebotene Sorgfalt gehandelt.
Der Klägerin wäre es auch ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, dem durch das Dokumenteninkasso gesicherten Eigentumsvorbehalt der Beklagten Rechnung zu tragen. Dazu hätte sie den Kaufpreis lediglich etwa unter Einschaltung einer Treuhänderin, gegebenenfalls auch der von der Beklagten bereits eingesetzten Sparkasse, Zug um Zug gegen die Herausgabe des Kraftfahrzeugbriefs zahlen müssen. Soweit die Revision dagegen meint, die Klägerin habe dem Sicherungsinteresse der Beklagten bereits dadurch entsprochen, dass sie der Firma G mit Schreiben vom 10.03.2000 zur Auflage gemacht habe, über den beigefügten Verrechnungsscheck nur Zug um Zug gegen Übersendung des Kraftfahrzeugbriefes zu verfügen, ist das nicht richtig. Diese Auflage war nicht gesichert. Damit hat die Klägerin lediglich auf die Vertragstreue der Firma G vertraut. Dieses Vertrauen schützt § 366 I HGB jedoch nicht.
2. Damit ist auch dem von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus § 286 I BGB a.F. auf Zahlung der von der Firma S nicht erbrachten Leasingraten die Grundlage entzogen.