Beim Erwerb eines aus dem Ausland eingeführten Gebrauchtwagens ist die Verkaufsberechtigung des Veräußerers besonders sorgfältig zu prüfen, wenn sich aus dem von diesem vorgelegten Fahrzeugbrief nicht die Identität des früheren Halters ergibt.
BGH, Urteil vom 13.04.1994 – II ZR 196/93
Sachverhalt: Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Herausgabe eines Pkw Mercedes-Benz 560 SEL.
Eigentümerin dieses Fahrzeugs war die Firma F in C./Italien. Diese hatte den Pkw am 04.11.1987 als Neuwagen gekauft und an L verleast. Am 16.02.1988 meldete L den Pkw bei der Polizei als gestohlen. Die Klägerin erbrachte als Kaskoversicherer des Pkw eine Entschädigungsleistung an die Eigentümerin.
Der Diebstahl war vorgetäuscht. In Wirklichkeit hatte L den Pkw unterschlagen und nach Deutschland verbracht, wo der Kraftfahrzeughändler H aus M. den Weiterverkauf übernahm. H war die Unterschlagung bekannt; er ist inzwischen wegen gewerbsmäßiger Hehlerei – auch an dem streitbefangenen Pkw – verurteilt worden. Am 26.01.1988 wurde der Pkw in M. verzollt. Da& H Schwierigkeiten hatte, bei der dortigen Zulassungsstelle einen Blanko-Fahrzeugbrief zu bekommen, beauftragte er den mit ihm befreundeten Kraftfahrzeughändler X, bei der Zulassungsstelle in O. einen solchen zu beantragen. Die Zulassungsstelle in O. stellte auf entsprechenden Antrag des X am 29.01.1988 einen Fahrzeugbrief aus, in dem auf Seite 1 kein Halter eingetragen und auf Seite 5 unter anderem vermerkt war, dass das Fahrzeug aus Italien gebraucht eingeführt wurde, Tag der Erstzulassung der 05.11.1987 war und das Fahrzeug am 26.01.1988 beim Zollamt M. verzollt wurde.
Mit diesem Fahrzeugbrief verkaufte H den Pkw mit Vertrag vom 08.02.1988 in M. für 90.060 DM brutto an N (im Folgenden auch: Nebenintervenient zu 1), der gleichfalls mit Kraftfahrzeugen handelt. Dieser erkundigte sich vor dem Ankauf – mit negativem Ergebnis – beim Kraftfahrt-Bundesamt, bei der Kriminalpolizei in M. und beim Herstellerwerk, ob eine Diebstahlsmeldung vorliege. Mit Vertrag vom 10.02.1988 verkaufte er den Pkw dann für 95.760 DM brutto an die Beklagte. Diese veräußerte ihn am 09.11.1988 an die Nebenintervenientin zu 2, eine Leasing-Gesellschaft, die ihn am selben Tag an die Beklagte verleaste, ohne in seinen Besitz gekommen zu sein.
Die Klägerin beruft sich auf den nach italienischem Recht auf sie übergegangenen Herausgabeanspruch ihrer Versicherungsnehmerin. Dieser sei nicht durch gutgläubigen Erwerb des Eigentums an dem unterschlagenen Pkw untergegangen, da alle Käufer die fehlende Berechtigung des jeweiligen Verkäufers infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hätten. Die Beklagte und ihre Streithelfer berufen sich auf gutgläubigen Erwerb.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. … 1. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin nach italienischem Recht aufgrund der von ihr erbrachten Versicherungsleistung in den Eigentumsherausgabeanspruch ihrer Versicherungsnehmerin eingetreten ist. Gegen diese Feststellung hat die Revision keine Rüge erhoben. Sie ist … für das Revisionsgericht bindend.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Frage, ob die Beklagte das Eigentum an dem von der Klägerin beanspruchten Pkw erworben hat, nach deutschem Recht beurteilt. Durch die Verbringung des Pkw nach Deutschland ist ein Statutenwechsel eingetreten, denn die Wirksamkeit einer Eigentumsübertragung beurteilt sich nach dem Recht des Lageorts (allgemeine Meinung; vgl. Senat, Urt. v. 11.03.1991 – II ZR 88/90, NJW 1991, 1415).
3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte sei nicht Eigentümerin des Pkw geworden.
a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Nebenintervenient zu 1 habe das Eigentum an dem Pkw nicht gutgläubig von dem Hehler H erworben, weil Verdachtsgründe bestanden, die angesichts des beim Gebrauchtwagenkauf anzulegenden strengen Maßstabs Anlass zu sachdienlichen Nachforschungen gaben. Ihm sei ein Fahrzeugbrief vorgelegt worden, aus dem der bisherige Halter nicht ersichtlich war. Der Preis sei sehr niedrig, der Reimport des Pkw aus Italien mit Verzollung in M., Zulassung in O. und Verkauf in M. innerhalb einer Zeitspanne von wenigen Tagen außergewöhnlich gewesen. Der Käufer habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass die den Fahrzeugbrief ausstellende Behörde die Eigentumsverhältnisse überprüft habe. Es sei auch nicht ausreichend gewesen, dass er sich nach einer etwa vorliegenden Diebstahlsmeldung erkundigte. Statt der von ihm behaupteten Rückfrage bei der italienischen Vertragswerkstätte hätte er über diese oder über H den früheren Halter des Pkw feststellen und sich bei diesem nach der Verkaufsberechtigung erkundigen müssen.
Auch die Beklagte habe durch den Kauf des Fahrzeugs vom Nebenintervenienten zu 1 nicht gutgläubig Eigentum erwerben können. Ihr hätten sich dieselben Verdachtsmomente aufdrängen müssen. Auch sie habe das Fahrzeug sehr günstig, nämlich zu einem 10 % unter dem vom Sachverständigen ermittelten Händlerverkaufspreis liegenden Preis, erworben. In Verbindung mit den weiteren, vorstehend aufgeführten Auffälligkeiten habe auch für sie Anlaß bestanden, bei dem früheren Halter Nachfrage zu halten.
Die Nebenintervenientin zu 2 habe schon deswegen nicht gutgläubig Eigentum erwerben können, weil ihr das Fahrzeug unstreitig niemals übergeben wurde.
b) Ob der Erwerber einer Sache sich einer groben Fahrlässigkeit schuldig gemacht hat, ist im wesentlichen Tatfrage. Die Nachprüfung durch das Revisionsgericht ist darauf beschränkt, ob der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt wurde oder ob Verstöße gegen § 286 ZPO, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegen (BGH, Urt. v. 11.05.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14 [16]; Urt. v. 05.10.1989 – IX ZR 265/88, NJW 1990, 899 [900] m. w. Nachw.; Senat, Urt. v. 11.03.1991 – II ZR 88/90, NJW 1991, 1415 [1417]).
Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen einen derartigen Rechtsfehler nicht erkennen. Grob fahrlässig i. S. des § 932 II BGB handelt, wer die bei dem betreffenden Erwerbsvorgang erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt und das unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 11.05.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14 [16]; Senat, Urt. v. 11.03.1991 – II ZR 88/90, NJW 1991, 1415 [1417]). Hiervon ist das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit zutreffend umschrieben und die hierfür beim Gebrauchtwagenkauf maßgebenden Kriterien angeführt. Ein revisibler Rechtsfehler bei der Anwendung dieses Sorgfaltsmaßstabs auf den vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich.
Die Revision meint allerdings, das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Nebenintervenient zu 1 der beim Gebrauchtwagenkauf geforderten Nachforschungspflicht genügt habe; für seine gegenteilige Auffassung fehle jegliche Begründung (§ 551 Nr. 7 ZPO). Der Nebenintervenient zu 1 habe sich nicht nur die Fahrzeugpapiere vorlegen lassen, sondern darüber hinaus Auskünfte beim Hersteller, dem Kraftfahrt-Bundesamt und der Kriminalpolizei in M. eingeholt, die ergeben hätten, dass das Fahrzeug nicht als gestohlen gemeldet sei. Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus verlange, dass er beim Verkäufer H und in Italien Nachforschungen über den früheren Halter hätte anstellen müssen, überspanne es die Anforderungen an die Nachforschungspflicht in rechtsfehlerhafter Weise.
Diese Angriffe sind unbegründet. Das Berufungsgericht hat sich mit den vom Nebenintervenienten zu 1 durchgeführten Erkundigungen befasst, diese aber zu Recht unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen nicht für ausreichend erachtet.
Nach ständiger Rechtsprechung muss sich der Erwerber eines Kraftfahrzeugs, der sich auf gutgläubigen Erwerb des Eigentums berufen will, zumindest die Fahrzeugpapiere vorlegen lassen, um die Berechtigung des Veräußerers überprüfen zu können (BGH, Urt. v. 04.05.1977 – VIII ZR 3/76, BGHZ 68, 323 [325]; Senat, Urt. v. 11.03.1991 – II ZR 88/90, NJW 1991, 1415 [1417] m. w. Nachw.). Dahinter steht die Erwägung, dass es Argwohn erwecken und zu weiteren Nachforschungen Anlass geben muss, wenn der Veräußerer entweder den Fahrzeugbrief nicht vorlegen kann oder wenn sich aus diesem ein vom Veräußerer personenverschiedener Halter ergibt. Wird dem Käufer, wie im vorliegenden Fall, ein Fahrzeugbrief vorgelegt, in dem kein Halter, sondern nur der Umstand eingetragen ist, dass das Fahrzeug aus dem Ausland eingeführt wurde, so besitzt das Papier für die hier entscheidende Frage nach der Berechtigung des Veräußerers keine Aussagekraft. Es stellt deshalb keine Überspannung der Anforderungen dar, wenn von einem Erwerber, der sich auf Gutgläubigkeit berufen will, weitere Nachforschungen verlangt werden. Hierzu kann – jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen – auch gehören, dass er sich vom Veräußerer den früheren Halter benennen lässt und bei diesem Nachfrage hält. Dürfte sich der Erwerber damit beruhigen, dass bei Gebrauchtwagen, die aus dem Ausland eingeführt werden, kein Halter im deutschen Fahrzeugbrief eingetragen zu sein braucht, so würde dies daraus hinauslaufen, dass der Käufer eines solchen Wagens weniger Vorsicht walten lassen müsste als der Erwerber eines in Deutschland zugelassenen Fahrzeugs. Dies kann, wie der Senat schon im Urteil vom 11.03.1991 (NJW 1991, 1415 [1416]) ausgeführt hat, nicht richtig sein. Angesichts des zunehmend auch ins allgemeine Bewusstsein dringenden Unwesens der internationalen Kraftfahrzeugverschiebung muss eher erhöhte Wachsamkeit gefordert werden, zumal beim Hinzutreten weiterer Auffälligkeiten, wie sie das Berufungsgericht hier festgestellt hat (besonders günstiger Preis, Ausstellung des Fahrzeugbriefs durch weit vom Verzollungs- und Verkaufsort entfernte Behörde). Dass die Nachfrage nach Diebstahlsmeldungen die nach Vorstehendem gebotenen Erkundigungen nicht ersetzen kann, erhellt schon daraus, dass in dem häufigen Fall der Fahrzeugunterschlagung solche Meldungen zunächst nicht erstattet werden.
Dem kann die Revision auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Nebenintervenient zu 1 habe darauf vertrauen dürfen, dass die den Fahrzeugbrief ausstellende Behörde die Eigentumsverhältnisse geprüft hat. Für die Annahme einer solchen Prüfung bietet der vorliegende „Blanko-Fahrzeugbrief“ keinen Anhaltspunkt; schon gar nicht kann ihm entnommen werden, wen die Behörde als Eigentümer festgestellt haben sollte. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob bei der Zulassungsstelle in M. schon seit 1988 die Eigentumsverhältnisse unter Vorlage der italienischen Papiere geprüft wurden. Dem diesbezüglichen Beweisantrag des Nebenintervenienten zu 1 brauchte nicht nachgegangen zu werden.
Damit, dass der Nebenintervenient zu 1 auch bei Durchführung der gebotenen Nachforschungen nichts von der Unterschlagung des Pkw erfahren hätte, kann die Revision schon deswegen nicht gehört werden, weil es auf die Ursächlichkeit der unterlassenen, nach Lage des Falles aber erforderlichen Anstrengungen bei der Beurteilung der Gutgläubigkeit im Regelfall nicht ankommt, vielmehr allein darauf abzustellen ist, ob überhaupt die gebotenen Nachforschungen angestellt worden sind (Senat, Urt. v. 11.03.1991 – II ZR 88/90, NJW 1991, 1415 [1417] m. w. Nachw.).
c) Auch einen gutgläubigen Eigentumserwerb durch die Beklagte hat das Berufungsgericht zu Recht verneint. Für sie stellte sich die Situation beim Erwerb des Pkw ebenso unklar und verdachterregend dar wie für den Nebenintervenienten zu 1. Die vorstehend dargestellten Anforderungen an die Nachforschungspflicht bestehen entgegen der Ansicht der Revision nicht nur für Kraftfahrzeughändler, sondern allgemein. Wenn sich die Beklagte, obwohl bei ihr als Handelsgesellschaft eine gewisse Geschäftserfahrenheit vorausgesetzt werden kann, durch die Besonderheiten beim Kauf eines aus dem Ausland eingeführten Gebrauchtwagens überfordert fühlte, hätte sie sich fachkundiger Hilfe bedienen müssen (Senat, Urt. v. 11.03.1991 – II ZR 88/90, NJW 1991, 1415 [1416]). Jedenfalls konnte sie sich ihrer Nachforschungspflicht nicht einfach dadurch entledigen, dass sie einen Dritten (hier den Verkaufsleiter einer anderen Autofirma) fragte, „ob der Kauf in Ordnung geht“. Auf den diesbezüglichen Beweisantritt kam es daher nicht an.
d) Die Weiterveräußerung des Pkw an die Nebenintervenientin zu 2 konnte schon deswegen nicht zu einem Eigentumsübergang führen, weil sie sich im Wege des Besitzkonstituts (§ 930 BGB) und ohne Übergabe vollzog (§ 933 BGB). Daher kann die Beklagte dem Eigentumsherausgabeanspruch auch nicht etwa ein Besitzrecht aus dem zwischen ihr und der Nebenintervenientin zu 2 geschlossenen Leasingvertrag entgegenhalten.
e) Auch aus § 366 I HGB, dessen Anwendung allerdings nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ohnehin nicht infrage kommt, ergäbe sich wegen der Verweisung auf den Fahrlässigkeitsmaßstab des § 932 II BGB nichts anderes …