Zur Frage der groben Fahrlässigkeit beim Kauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs durch einen Gebrauchtwagenhändler, dem ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt wird.
BGH, Urteil vom 23.05.1966 – VIII ZR 60/64
Sachverhalt: Der Kläger, der eine Autovermietung betreibt, vermietete am 23.04.1959 einen Pkw Mercedes-Benz 180 a (Baujahr 1957) an einen W. Dieser bot das Fahrzeug am 24.04.1959 einem Autohändler in V. in den Niederlanden zum Kauf an. Dabei legte er einen Fahrzeugbrief vor, der ursprünglich zu einem Mercedes-Benz 180 (Baujahr 1954) gehört hatte und in dem die Fahrgestellnummer verfälscht war. Neben weiteren Fälschungen und Radierungen waren die Angaben auf Seite 4 des Fahrzeugbriefs zu Leistung (PS) und Hubraum, die bei einem Mercedes-Benz 180 geringer sind als bei einem Mercedes-Benz 180 a, durch Tuschekleckse unleserlich gemachte. Der niederländische Händler lehnte den Kauf des Wagens ab. Auch der Versuch des W, den Pkw zum Preis von 5.000 DM an den Kraftfahrzeughändler K in H. zu veräußern, blieb erfolglos. Es gelang ihm aber unter Einschaltung des Gebrauchtwagenhändlers L in R., das Fahrzeug am 25.04.1959 für 5.100 DM an die Gebrauchtwagenhandlung B & R in M. zu veräußern. B & R veräußerten den Wagen am 28.04.1959 an die durch ihren Einkaufsleiter L vertretene Beklagte, die gleichfalls mit Gebrauchtwagen handelt. Der Kaufpreis betrug 6.500 DM. Am 27.05.1959 erwarb E den Pkw für 7.400 DM von der Beklagten. Der Wagen wurde vom Straßenverkehrsamt D. zugelassen. Anlässlich einer späteren Umschreibung bei der Kfz-Zulassungsstelle in N. wurde die Fälschung des Fahrzeugbriefs bemerkt.
E hat gegen den Kläger eine einstweilige Verfügung auf Herausgabe des zu dem Pkw gehörenden Fahrzeugbriefs erwirkt. Amtsgericht und Landgericht gingen davon aus, dass E den Pkw von der Beklagten gutgläubig erworben habe.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Er hat vorgetragen, die Firma B & R habe nicht gutgläubig Eigentum erworben, weil ihr das Fahrzeug zu einem auffallend niedrigen Preis und mit einem offensichtlich gefälschten Fahrzeugbrief angeboten worden sei. Auch die Beklagte müsse sich den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gefallen lassen. Die Fälschungen des Fahrzeugbriefs seien nicht zu übersehen gewesen. Überdies seien für Wagen des Typs 180 a Fahrzeugbriefe mit elf Seiten und nicht wie der verfälschte mit nur sieben Seiten ausgegeben worden. Der Einkaufsleiter der Beklagten habe sich über all das einfach hinweggesetzt, wenn er den Fahrzeugbrief überhaupt angesehen habe. Durch die Weiterveräußerung an E sei ihm – dem Kläger – ein Schaden von 10.260 DM (Wert des Fahrzeugs 7.500 DM, Verdienstausfall 2.760 DM) entstanden. Dem Antrag des Klägers auf Verurteilung zur Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen ist die Beklagte mit dem Vorbringen entgegengetreten, ihr sei der Wagen zu einem normalen Preis von einer vertrauenswürdigen Firma angeboten worden. Die Fälschungen des Fahrzeugbriefs seien nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Auf die Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen: 1. Ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz könnte nach §§ 990, 989 BGB begründet sein, wenn die Beklagte als Nichteigentümer den Pkw an E veräußert hat. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob nicht schon die Firma B & R Eigentum an dem Kraftfahrzeug erlangt hatte. Auf jeden Fall, so hat es ausgeführt, habe die Beklagte gutgläubig nach § 932 BGB Eigentum erworben, weil ihrem Einkäufer L nicht vorgeworfen werden könne, er habe grob fahrlässig nicht erkannt, dass die Firma B & R möglicherweise nicht Eigentümerin des Wagens war. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob diese Auffassung des Berufungsgerichts zutrifft. Ist dies zu verneinen, so muss in der Revisionsinstanz davon ausgegangen werden, dass die Beklagte vom Nichteigentümer erworben hat und mangels guten Glaubens daher selbst nicht Eigentümerin des Pkw geworden ist.
2. Unstreitig ist die Firma B & R der Beklagten gegenüber als Eigentümerin des Kraftfahrzeugs aufgetreten. Unstreitig hat die Beklagte sie auch als Eigentümerin angesehen. Mit Recht hat deshalb das Berufungsgericht die Gutgläubigkeit der Beklagten nur nach § 932 BGB, nicht aber nach § 366 HGB geprüft.
3. Das Ergebnis dieser Prüfung gibt jedoch zu durchgreifenden Bedenken Anlass.
Im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat der BGH mehrfach entschieden, grobe Fahrlässigkeit liege dann vor, wann beim Erwerb einer Sache die erforderliche Sorgfalt nach den ganzen Umstanden in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden und wenn unbeachtet geblieben sei, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 11.05.1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14; Urt. v. 23.05.1956 – IV ZR 34/56, LM Nr. 9 zu § 932 BGB).
Wird beim Kauf eines gebrauchten Kraftfahrzeuges vom Nichteigentümer der Kraftfahrzeugbrief mit vorgelegt, so rechtfertigt das allein noch nicht die Feststellung, der Erwerber sei gutgläubig. Mit der Entscheidung des erkennenden Senats vom 02.12.1958 (VIII ZR 212/57, LM Nr. 12 zu § 932 BGB = WM 1959, 138), nach der in der Regel grob fahrlässig handelt, wer sich beim Gebrauchtwagenkauf nicht den Kraftfahrzeugbrief übergeben lässt, sind nur die Mindestanforderungen für den gutgläubigen Erwerb bestimmt. Auch wenn der Veräußerer, wie hier, im Besitz des Fahrzeugs und des Briefs ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt (Senat, Urt. v. 09.10.1963 – VIII ZR 210/62, WM 1963, 1186).
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht, wie die Revision meint, in verfahrensrechtlich bedenklicher Weise eine Übung im Handelsverkehr festgestellt hat, nach der bei der Prüfung der Übereinstimmung zwischen Kraftfahrzeug und Kraftfahrzeugbrief allein auf die Fahrgestellnummer geachtet wird. Bestünde eine derartige Übung im Gebrauchtwagenhandel, so könnte sie vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit jedenfalls dann nicht befreien, wenn handgreifliche Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass trotz Übereinstimmung der Fahrgestellnummer im Brief und am Wagen Zweifel am Eigentum des Veräußerers bestehen.
Solche Anhaltspunkte lagen hier vor. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war sich der Zeuge L darüber im Klaren, dass das von der Firma B & R angebotene Fahrzeug ein Mercedes des Typs 180 a war. Auch der technische Prüfbericht des Ingenieurs W der Beklagten, von dem L die Identität der Fahrgestellnummer mit der des Briefs ablas, hält ausdrücklich die Typenbezeichnung 180 a fest. Wie das Berufungsgericht dem Umstand, dass demgegenüber der Kraftfahrzeugbrief sowohl auf Seite 4 wie auf Seite 6 die Typenbezeichnung 180 enthielt, für unerheblich halten konnte, ist bei dieser Sachlage auch dann nicht verständlich, wenn man die Vermutung des Zeugen L zugrunde legt, dass für die ersten Modelle der Serie 180 a noch Kraftfahrzeugbriefe des Typs 180 verwendet worden seien. Denn auch wenn das der Fall gewesen sein sollte, mussten die alten Formulare natürlich durch entsprechende Änderungen dem neuen Modell angepasst werden. Dass dies nicht geschehen sei, behauptet die Beklagte selbst nicht. Darauf, dass die entscheidenden Angaben klein gedruckt waren, durfte das Berufungsgericht schon deshalb nicht abstellen, weil sämtliche einschlägigen gedruckten Angaben des Kraftfahrzeugbriefs in kleinem Format gehalten sind. Dazu kam, dass gerade hinter der Zahl 180 auf Seite 4 das Papier des Kraftfahrzeugbriefs ein durch Radieren verursachtes Loch enthielt. Zu größten Bedenken gab aber der Umstand Anlass, dass diejenigen Angaben des Kraftfahrzeugbriefs über die technischen Merkmale, die bei den Typen 180 und 180 a verschieden sind, nämlich Hubraum und PS-Zahl, durch Tuschekleckse unkenntlich gemacht worden waren, wobei noch dazu die Kleckse eine andere Farbe haben als die für die anderen Eintragungen verwendete Tinte. Dass ein Gebrauchtwagenhändler diese Auffälligkeiten ohne grobe Fahrlässigkeit entweder übersehen oder sich mit einer Unachtsamkeit des früheren Briefbesitzers erklären durfte, kann dem Berufungsgericht nicht zugegeben werden. Ersichtlich hat es seine Würdigung insoweit von der Erwägung beeinflussen lassen, dass die Vorlage eines Kraftfahrzeugbriefs mit zutreffender Fahrgestellnummer ohne Weiteres genüge, um gutgläubigen Erwerb an einem Gebrauchtfahrzeug zu begründen. Dieser Ausgangspunkt ist aber nach der angeführten Rechtsprechung des Senats nicht zutreffend.
Es braucht hier nicht entschieden zu werden, wie eine im Kraftfahrzeughandel unerfahrene Person sich bei gleicher Sachlage hätte verhalten müssen, um dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu entgehen. Für einen Kraftfahrzeughändler, dem die zahlreichen Unregelmäßigkeiten im Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen geläufig sind, war im vorliegenden Fall bei auch nur durchschnittlicher Aufmerksamkeit Anlass gegeben, die Berechtigung des Veräußerers in Zweifel zu ziehen und diesen Zweifeln durch geeignete Erkundigungen, etwa beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg, nachzugehen Dabei ist nicht einzusehen, warum eine auf die Identität der Fahrgestellnummer beschränkte Prüfung wegen des großen Geschäftsumfangs der Beklagten sachgerecht und ausreichend gewesen sein soll, wie das Berufungsgericht meint. Gerade der große Geschäftsumfang und damit gute Geschäftsgang der Beklagten gestattete vielmehr ohne Weiteres, bei einem offensichtlichen Zweifelsfalle, wie hier, es auf eine vielleicht zeitraubende Erkundigung ankommen zu lassen, wenn nicht überhaupt auf die Durchführung des Geschäfts von vornherein zu verzichten.
4. Den Zeugen L kann auch nicht entschuldigen, dass der Wagen von der ihm als seriös bekannten Firma B & R angeboten worden ist. Denn dass auf unredliche Weise erlangte Gebrauchtfahrzeuge häufig auch über den Gebrauchtwagenhandel wieder abgesetzt worden, war zumindest ihm als Fachmann im Kraftfahrzeughandel nicht unbekannt. Daher konnte bei einer alle Umstände des Falles miteinbeziehenden Gesamtwürdigung der festgestellten Tatsachen auch nicht ins Gewicht fallen, dass der von B & R verlangte Kaufpreis der Marktlage angemessen war. Das Berufungsgericht hat im Übrigen selbst darauf abgehoben, dss nach Seite 7 des auch insoweit gefälschten Kraftfahrzeugbriefs der Wagen scheinbar am 18.04.1959 für den Wiederverkauf in das Eigentum des Kraftfahrzeughändlers S übergegangen war. Da das Kraftfahrzeug erst zehn Tage später durch eine andere Firma der Beklagten angeboten wurde, konnte der – jetzt – marktgerechte Preis schon darauf beruhen, dass es in der Zwischenzeit zum mindesten zwei Händler, nämlich S und B & R, mit einer entsprechenden Handelsspanne weiterveräußert hatten.
Unerheblich ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, dass der zuständige Bedienstete beim Straßenverkehrsamt D. die Fälschung des Briefs gleichfalls nicht bemerkt hat. Waren nach der Sachlage erhebliche Zweifel am Eigentum des Veräußerers begründet, so kann es die Beklagte nicht entlasten, wenn auch die Kraftfahrzeugzulassungsstelle es an der gebotenen Vorsicht fehlen ließ. Im Übrigen hat das Berufungsgericht, wenn es hierauf ankäme, insoweit nicht den gesamten Auslegungsstoff gewürdigt. Es hätte sonst nämlich auch berücksichtigen müssen, dass ausweislich der zum Gegenstand der mündlichen Vorhandlung gemachten Akten der Staatsanwaltschaft … der niederländische Händler, dem der Wagen zuerst von W angeboten worden war, gerade wegen der starken Flecken im Kraftfahrzeugbrief von einem Kauf Abstand genommen und sogleich die Polizei benachrichtig hatte. Auf die vom Berufungsgericht verneinte Frage, ob L wissen musste, dass für den Typ Mercedes 180 a Kraftfahrzeugbriefe mit elf Seiten statt nur mit sieben Seiten ausgegeben worden sind, kommt es nach allem nicht mehr an.
5. Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben. Eine abschließende Entscheidung durch das Revisionsgericht ist nicht möglich; denn es fehlt bisher an einer Feststellung darüber, ob die Firma B & R Eigentümerin des Wagens war. Außerdem ist auch noch keine Feststellung über die Höhe des vom Kläger geltend gemachten Schadens getroffen. Die Sache war daher nach § 565 I ZPO unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Diesem war auch die von der Sachentscheidung abhängige Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen.