- Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen ist zwar mangelhaft (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB), weil darin eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. der Art. 3 Nr. 10, 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zum Einsatz kommt. Der dem Fahrzeug anhaftende Mangel kann indes durch die Installation eines Softwareupdates beseitigt werden, ohne dass sich diese Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) nachteilig auf den Kraftstoffverbrauch, den CO2-Ausstoß oder die Motorleistung des Fahrzeugs auswirkt.
- Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagens kann deshalb grundsätzlich erst wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten, nachdem er dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat (§ 323 I BGB). Eine Frist zur Nacherfüllung von nur zwei Wochen ist angesichts des Umstands, dass der VW-Abgasskandal viele Fahrzeuge betrifft und diese in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt umgerüstet werden müssen, eindeutig zu kurz.
- Eine Fristsetzung i. S. des § 323 I BGB ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Käufer das vom VW-Abgasskandal betroffene – mangelhafte – Fahrzeug von der Volkswagen AG erworben und diese den Käufer bei Abschluss des Kaufvertrages möglicherweise arglistig getäuscht hat. Zwar ist „im Regelfall“ anzunehmen, dass der Käufer ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags rechtfertigendes Interesse i. S. des § 323 II Nr. 3 BGB hat, wenn ihm der Verkäufer einen Mangel bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig verschwiegen hat. Die Nachbesserung eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs findet indes in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt und damit unter Aufsicht einer unabhängigen Bundesbehörde statt. Es liegt deshalb ein Sonderfall vor, in dem sich der Käufer nicht vor einem neuerlichen Täuschungsversuch des Verkäufers schützen muss.
- Auch die bloße Möglichkeit, dass der Mangel, an dem ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen leidet, durch die Installation eines Softwareupdates nicht vollständig und nachhaltig beseitigt wird oder dass das Update zu neuen Mängeln führt, rechtfertigt keinen sofortigen Rücktritt vom Kaufvertrag. Vielmehr ergibt sich aus § 440 Satz 2 BGB, dass der Käufer das Risiko, dass zwei Nachbesserungsversuche keinen Erfolg haben, hinnehmen muss.
- Die Volkswagen AG als Verkäuferin müsste den Käufer eines Neuwagens zwar dann darüber aufklären, dass in dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt, wenn deshalb die EG-Typgenehmigung des Fahrzeugs erloschen wäre oder deren Entziehung drohte. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr erlischt die EG-Typgenehmigung durch die Vornahme der in § 19 II 2 StVZO genannten Änderungen nur, wenn diese Änderungen nach Abschluss des Produktionsprozesses vorgenommen werden (§§ 19 II 2, VII StVZO). Außerdem hat das Kraftfahrt-Bundesamt das ihm gemäß § 25 III EG-FGV zustehende Ermessen gerade nicht dahin gehend ausgeübt, dass es eine Entziehung der EG-Typgenehmigung in die Wege geleitet hat. Es ist vielmehr nach § 25 II EG-FVG vorgegangen und hat Nebenbestimmungen zur bestehenden Typgenehmigung angeordnet.
LG Braunschweig, Urteil vom 10.08.2017 – 3 O 1483/16